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VIII.

Das Regenwetter hatte endlich aufgehört, und es war wieder helles, schönes Sommerwetter geworden; Bäume und Sträucher, Blumen und Kräuter glänzten nach dem erquickenden Regen noch einmal so frisch im Sonnenscheine. Estrid und ich saßen auf der kleinen Anhöhe am Meere, wo Ginster und wilde Rosen um uns her blühten. Die Meeresoberfläche war ganz blank und glatt, die weißen Sommerwölkchen spiegelten sich in ihr wie in einem Binnensee, gerade vor uns lag eine große Bark, die alle Segel aufgespannt hatte, damit sie trockneten, sich im übrigen aber nicht von der Stelle bewegte, weil sich kein Wind regte. Estrid zeichnete einen Rosenzweig mit einigen halbaufgesprungenen Rosen ab; ich lag neben ihr im Grase, studierte Anakreons Oden und übersetzte ihr gelegentlich Stellen daraus.

»Welche Schönheit!« rief ich aus. »Welch feinen erotischen Duft atmen diese Gedichte! Rosen und Chariten, Tauben und Myrtenbüsche ertönen zusammen in der süßesten, lieblichsten Liebesmusik! – Wart' einmal, diese hier ist mein Liebling, sie paßt vorzüglich auf mich, höre nur:

Wenn du die Blätter aller Bäume zählen, wenn du alle Wogen des Meeres herausbringen kannst, so kannst du auch meine Lieben ausrechnen. Setze zwanzig für Athen und noch fünfzehn dazu, für Korinth kannst du ein ganzes Schock setzen, denn es liegt in Achaja und dort gibt es hübsche Mädchen; für Lesbos und ganz Ionien, für Karien und Rhodos kannst du zweitausend setzen – hörst du, zweitausend!«

»So liebe auch ich«, fuhr ich begeistert fort, »in Kopenhagen und in Frederikshavn, in Lyngby und droben in Thy – überall wachsen Schönheitsrosen, und wohin ich komme, da sehe, bewundere und liebe ich sie. So habe ich geliebt, liebe und werde lieben, und sollte ich ein silberhaariger Greis werden wie der alte griechische Dichter, so werden doch die Saiten meines Herzens stets freudig erklingen, so oft ich einen Blick von den Schönheitsrosen erhasche!«

Wie ich den Kopf nach Estrid umdrehte, sah ich zu meinem Erstaunen, daß sie ihr Gesicht in der einen Hand verbarg.

»Estrid!« rief ich aufspringend. »Was fehlt dir?« Sanft zog ich ihre Hand fort und erblickte große Tränen in ihren Augen.

»Süßeste, teure Estrid! Was bedeutet dies?«

Den Kopf nach der anderen Seite drehend, sagte sie: »Ich kann es nicht leiden, wenn du so redest; es klingt, als machtest du dir gar nichts aus mir!«

»Wie kannst du so etwas sagen?!« rief ich aus. »Du bist mir mehr als alle Schönheitsrosen zusammen. Sie sehe ich, sie liebe ich und sie vergesse ich wieder, – aber dich vergesse ich nie, nach deinem Anblick verlangt es mich immer wieder. Du bist der Sonnenschein meiner Augen und der Sommertag meines Herzens; wenn du mich verließest, würden alle Schönheitsrosen mir verwelken, die Sonne ihren Glanz verlieren und die ganze Welt für mich öde, leer und kalt sein. Glaubst du mir jetzt?«

»Ja, ich glaube dir«, antwortete Estrid unter Tränen lächelnd. Ich umarmte sie zärtlich, konnte es aber doch nicht lassen, sie ein bißchen zu necken.

»Nein, seht nur meinen kleinen Basilisken! Also eifersüchtig, wirklich eifersüchtig könntest du werden? Das hätte ich dir wahrhaftig nimmer zugetraut! Eifersucht erscheint mir als die kindischste aller Albernheiten. Ich kann es verstehen, daß blutjunge Menschen und Verliebte Eifersuchtsanfälle haben können, aber daß alte Ehegatten, die wie wir beide schon wochenlang verheiratet sind, darauf verfallen, das verstehe ich wirklich nicht.«

»Meinst du denn, daß du nie eifersüchtig werden könntest?«

»Ja freilich, das ist meine Überzeugung.«

»Hast du denn vergessen, was du im Nöddeboer Pfarrhause erlebt hast?«

»Damals war ich noch ein Grünschnabel, – jetzt bin ich großjährig und ein vernünftiger Mann. Ich versichere, daß es mich nicht im geringsten anfechten würde, wenn Gamling und Corpus Juris dir alle beide den Hof machten.«

»Deine Brüder sind alle beide verheiratet«, erwiderte Estrid, »also hast du von ihnen nichts zu fürchten. Doch käme nun ein junger, hübscher, kecker Kavalier ...«

»So bliebe ich gerade so ruhig, wie der Felsblock da«, unterbrach ich sie eifrig. »Allerhöchstens würde ich mich über sein Courschneiden halbtot lachen.«

»Still still, sprich nicht so laut! Wir sind nicht allein!« sagte Estrid, nach dem Strande zeigend. Dort stand, mit gekreuzten Armen auf das Meer hinausblickend, eine hohe, breitschulterige Gestalt. Als sie sich umdrehte und unsere Anhöhe heraufzusteigen begann, fiel der helle Sonnenschein auf das Gesicht.

»Eisbär!« rief ich und fiel ihm, den Hügel mit einem tüchtigen Satze hinunterspringend, mit solcher Gewaltsamkeit um den Hals, daß er beinahe hintenübergestürzt wäre.

»Was soll das heißen?« sagte er barsch, indem er mich abschüttelte. – »Nicolai, bist du's? – Du bist ja noch gerade so, wie früher! Stände ich nicht so fest auf meinen Beinen, so wären wir alle beide in die See gerollt!«

»Und hätten ein erfrischendes Bad genommen, was auch kein Unglück gewesen wäre. – Sieh, hier ist meine Frau, – ich habe mich verheiratet, mußt du wissen, – hast du je etwas so Niedliches gesehen? – Estrid, dies ist mein Herzensfreund Eisbär!«

Nachdem sie einander begrüßt hatten, fragte Estrid: »Kommen Sie aus Kopenhagen, Herr Eisbär?«

»Ha, ha, ha, er heißt gar nicht Eisbär! Ich habe ihn nur so getauft, weil er solch hübsches weißblondes Kraushaar und wie der Bär Zehnmännerkraft und Zwölfmännerverstand besitzt. – Doch das macht nichts, du kannst ihn gern Eisbär nennen; nicht wahr, sie darf es?«

»Wenn es Ihnen recht ist, gnädige Frau, behalte ich gern meinen alten Spitznamen.«

»Gnädige Frau – und Herr Eisbär! Was soll dieses kalte, fremde, förmliche Benehmen? Sie ist meine Frau, und du bist mein Freund, – sie wird dich Eisbär nennen, und du sagst Estrid, – und dann lassen wir die ausländischen Albernheiten in Gnaden ruhen.«

Als wir die Aussicht betrachtet hatten, ergriff ich wieder das Wort. »Du bist sehr braun gebrannt worden und hast deine gute nordische Kraft in Welschland nicht verloren. Sieh nur, Estrid, hast du je solchen Riesen gesehen? Man kann sich ordentlich freuen, wenn man sieht, daß unser altes Dänemark noch die Kraft hat, solche Heldengestalten hervorzubringen.«

»Nun, es gehört auch Kraft dazu, Hammer und Meißel zu schwingen und die schweren Marmorblöcke von der Stelle zu rücken«, erwiderte Eisbär.

»Trotz all deiner Riesenkraft mußt du dich doch darein finden, daß Estrid und ich dich als unseren Kriegsgefangenen behandeln und dich mit in unser Rosenhaus nehmen, wo wir dich jedoch nicht in andere Fesseln als Rosenketten zu legen beabsichtigen«, sagte, ich, ohne zu ahnen, welch prophetische Bedeutung das Wort Rosenketten haben sollte.

Eisbär ging mit uns heim. »Das ist ja ein reizendes Häuschen!« rief er aus, als er es rosenumrankt, unter schattigen Buchen, weiß und freundlich vor sich liegen sah.

»Nicht wahr? Es gleicht einem kleinen Feenheim. Besonders, wenn Estrid uns in der Tür willkommen heißt, ist es ganz unwiderstehlich. – Habe ich nicht eine reizende Frau?«

»Wie ich es bei deinem feinen Schönheitssinn erwartet hatte!«

»Danke für das Kompliment!« erwiderte ich, den Hut ziehend. »Alles dies ist nun Poesie, jetzt aber kommt die Prosa, nämlich die Frage, ob Estrid, die für zwei gesorgt hat, uns drei wird satt machen können.«

»Das kann ich«, rief Estrid aus dem offenen Fenster, »und sehr gut obendrein!«

»Was gibt's denn?«

»Das wirst du sehen, wenn es auf den Tisch kommt.«

»Ach, sag' es mir jetzt, damit ich mich darauf freuen kann.«

»Die Freude ist größer, wenn sie als Überraschung kommt.«

– Wir setzten uns zu Tisch, und Anna brachte das Essen.

»Halte dich an den Schinken und die grünen Erbsen, mein Freund« –, sagte ich zu Eisbär, »denn ich weiß nicht, ob Estrids Überraschungen zu den soliden gehören.«

Dann kam Anna wieder herein, um abzuräumen, und wir saßen in gespannter Erwartung da.

»Erdbeeren!« schrie ich auf, als die Schüssel mit den lieblichen, purpurroten Beeren auf den Tisch gestellt wurde.

»In den drei Jahren, während welcher ich nicht in Dänemark war, habe ich keine gegessen«, sagte Eisbär.

»Um so besser, daß du sie in unserem Hause zuerst wieder ißt, das ist ein gutes Omen für unsere wiedererwachte Freundschaft. Sie hat in den drei Jahren, die du in Rom verlebt hast, nur ein kümmerliches Dasein gefristet, denn nie kam ein Brief, und ich mußte mich mit den spärlichen Nachrichten, die mir andere Reisende mitteilen konnten, begnügen. Und dabei glühe ich für dich mit der heißesten Lohe der Freundschaft – ja, mehr wage ich nicht zu sagen, denn Estrid wäre imstande, eifersüchtig zu werden. Du mußt wissen, daß meine Frau mir heute anvertraut hat, sie könne eifersüchtig werden.«

»Darf ich Ihnen nicht noch ein paar Erdbeeren anbieten?« unterbrach mich Estrid.

»Du hast ja eine furchtbare Menge, man könnte beinahe denken, du habest Eisbärs Kommen geahnt.«

»Sie waren eigentlich zu morgen für Mutter und die Schwestern bestimmt, doch ich werde für sie schon noch etwas anderes finden.«

»Du bist eine musterhafte Hausfrau. Ja, mein Freund, könnte ich dir doch eine Frau wie Estrid verschaffen!«

» Das Glück bleibt mir versagt«, antwortete Eisbär. Der wahre Künstler darf keine andere Braut freien als die Kunst, – so war es mit Raffael, so war es mit Thorwaldsen.«

»Du gehörst also auch zu den Ketzern, welche die große Bedeutung der Ehe für den Künstler leugnen! Schade, daß Schwiegervater nicht hier ist, es würde ihm eine wahre Freude sein, einen so verstockten Heiden zu bekehren. Nun werden Estrid und ich es an seiner Stelle tun, und vor allem beabsichtige ich, dir einen längeren ethisch-ästhetischen Vortrag über die Bedeutung der Ehe für die wahre Kunst zu halten.«

»Wäre es nicht besser, damit bis nachher zu warten?« meinte Eisbär.

»Wie du willst; doch glaube nicht, daß du mir entrinnst, denn dies ist mein Lieblingsthema.«

»Wollen wir im Garten Kaffee trinken?« fragte Estrid.

»Ja natürlich. Und dann soll Eisbär uns erzählen, was er in den drei Jahren seines Aufenthalts in der denkwürdigen Stadt Rom erlebt hat.«

»Davon ist nicht viel zu erzählen, da ich meistens ein stilles Künstlerleben geführt habe.«

»Was heißt dies? Meinen Vortrag willst du nicht hören und selber auch keinen halten! Meinst du, wir würden hier wie in einer Quäkerversammlung sitzen, ohne ein Wort zu sagen? Doch ich werde dich wohl wieder erst ausfragen müssen, wie in früheren Zeiten, – dann wirst du schließlich auch den Mund auftun.«

Als wir nachher im Tiergarten umherschlenderten, sagte ich: »Aber hör' doch, Eisbär, wo hältst du dich eigentlich auf? Lebst du in deiner Höhle hier im Walde oder wohnst du in einer Menschenwohnung?«

»Ich wohne im Skodsborger Kruge. Dort habe ich mir auf acht Tage ein Zimmer gemietet, denn so lange will ich Sommerferien machen und nichts tun.«

»Gerade wie wir. Dann können wir uns zusammentun, du mußt den ganzen Tag bei uns sein, und wir werden wie in alten Tagen ästhetisieren und poetisieren. Du mußt gleich morgen früh bei uns antreten, damit du die Bekanntschaft meiner Schwiegermutter und meiner Schwägerinnen machen kannst und die ganze Familie kennen lernst.«

Eisbär, der anfangs Estrid gegenüber ziemlich zurückhaltend gewesen war, wurde bald bekannter mit ihr, und sie brachte ihn dazu, allerlei von seinem römischen Aufenthalte und den Arbeiten, mit denen er sich dort beschäftigt hatte, zu erzählen. Die Zeit verging uns unter allerlei Gesprächen nur zu schnell.

Bei Sonnenuntergang befanden wir uns unten am Strande.

»Wie ist es hier doch schön!« sagte Eisbär, der den Blick auf den länglichen Wogen, die im Abendglanze wie geschmolzenes Silber strahlten, ruhen ließ.

»Sehnen Sie sich nicht nach Rom zurück?« fragte Estrid.

»Noch nicht, aber ich bin ja auch erst eben zurückgekommen.«

»Vielleicht werden Sie um so größere Sehnsucht empfinden, wenn Sie einige Zeit hier gewesen sind. Nach allem, was ich von Rom gehört, muß diese Stadt etwas Großes und Ernstes haben, das man sonst nirgends findet und nach dem man sich stets zurücksehnt.«

»Das ist auch so, aber es ist eigentlich die Größe und der Ernst des Todes, ein großes Leben, das einst war, jetzt aber nicht mehr ist; es ist erhebend, aber nicht wirklich herzerquickend. Hier in Dänemark sind die Verhältnisse oft reichlich klein und eng, aber hier ist Leben und Friede. Oder können Sie sich etwas Herzerquickenderes denken, als die Aussicht, die wir hier vor uns haben? Sehen Sie nur – dort hinten der Fischer, der sein Boot abstößt, und die Fischerfrau, die das Netz ausbessert, – die roten Segel auf dem Meere, – der seine Blumenduft, der aus den Gärten dringt – die sanftgedämpfte Beleuchtung draußen über der See und die dunklen Abendschatten hier über dem Walde, – gibt alles dieses zusammen dem Gemüt nicht seligen Frieden! Ich erinnere mich seit langer Zeit nicht eines Gefühls solch still beschaulicher Freude ohne jegliches heftige Verlangen oder Begehren, wie es heute abend über mich gekommen ist.«

Unser Freund fühlte sich bei uns so wohl, daß er erst gegen elf Uhr Abschied nahm. Ich begleitete ihn eine Strecke durch den Tiergarten; die dunkle Sommernacht ließ alte Saiten in meinem Herzen erklingen. Ich erinnerte Eisbär daran, wie oft wir früher in stillen Sommernächten zusammen geschwärmt und einander jede in uns gärende Unruhe und Begierde anvertraut hatten. Und dann erzählte ich ihm, wie glücklich ich sei, begann, ihm Estrids Vorzüge ausführlich zu schildern, und sagte ihm, ich sei so froh darüber, daß er uns gerade hier auf dem Lande, wo man viel ungehinderter miteinander verkehren könne als in dem geschäftigen Treiben und den vielen Zerstreuungen der Hauptstadt, getroffen habe. Ich sei wirklich von Herzen froh darüber, daß er, mein liebster Freund, jetzt so recht Gelegenheit habe, zu sehen, welch eine vortreffliche, liebenswürdige Frau ich errungen. So eifrig war ich in meinen Lobeserhebungen über Estrids tugendhafte Vorzüge, daß ich ihn ganz bis nach dem Skodsborger Kruge begleitete. Dort trennte ich mich mit einem Händedruck von meinem Freunde und wanderte dann allein am Strande zurück, wo das Plätschern der Wellen am Ufer mir wie ein Echo des inneren Jubels in meinem Herzen ertönte.

In festlicher Stimmung standen wir am nächsten Morgen auf; Estrid war früh in Tätigkeit; sie erwartete ihre Mutter und ihre Schwestern, und da mußte so gründlich reingemacht werden, daß kein Staubkorn zu sehen war. Darauf waren frische Blumen im Garten abzuschneiden, um das Wohnzimmer zu schmücken. Als alles dieses fertig war, gingen wir nach Skodsborg, um dort das Dampfschiff zu erwarten.

Wieder wanderte ich am Strande entlang, doch nicht in der stillen nebligen Nacht, sondern in der frischen Morgenstunde, in der alle Wellenkämme im goldenen Sonnenscheine spielten und funkelten. Dieser Anblick und die frische Morgenluft, die ich einatmete, versetzten mich in gehobene Stimmung, und ich sagte zu Estrid: »Eisbär hatte recht, als er gestern sagte, es sei in Dänemark doch ein anderes Leben als im Süden. Ist es nicht viel besser, an diesem friedlichen Morgen am wogenden, rauschenden Meere entlang zu schlendern, um lieben, lebendigen Menschen entgegenzugehen, als in Staub und Sonnenhitze in die römische Campagna hinauszutraben, um tote Ruinen, in denen seit beinahe tausend Jahren alles Leben erloschen, zu betrachten! – – – Gefällt dir Eisbär nicht auch wirklich gut?«

»Er gefällt mir ganz außerordentlich.«

»Er ist ein seltener Mensch, das kannst du mir glauben; von Tag zu Tag gewinnt man ihn lieber. Er besitzt Innerlichkeit und Tiefe, – er ist ein echtes Künstlergemüt.«

Wir trafen Eisbär im Skodsborger Kruggarten. Das Dampfschiff war schon lange in Sicht gewesen, und das Boot, das die, welche hierher wollten, an Land setzen sollte, war bereits abgegangen. Wir spähten eifrig nach einem Schimmer von unseren Gästen aus, und Estrid erkannte auch bald Schwiegermutters helles Umschlagetuch, so daß wir ihres Eintreffens sicher sein konnten. Nach einer Weile landeten sie an der Brücke und konnten unsere Bewillkommnungsrufe erwidern. Wir halfen ihnen beim Aussteigen, und dann stellte ich Eisbär als meinen Herzensfreund, der den Tag mit uns verleben werde, vor. Schwiegermutter sprach ihre Freude hierüber aus und bedauerte nur, daß ihr Mann, der sehr gern die Bekanntschaft eines unserer jungen, vielversprechenden Künstler gemacht haben würde, nicht dabei sein könne.

»Und nun, da die Empfangsfeierlichkeiten glücklich überstanden sind und wir einander, wie es sich gehört, hübsche Dinge gesagt haben«, sagte ich, »ordnet sich der Festzug, um nach dem Rosenhause hinaufzuwandern. Ich führe Schwiegermutter, Eisbär kann meine Frau nehmen, und Onkel beschließt den Zug, da er aufzupassen hat, daß keiner von uns vergessen wird.«

Eisbär aber richtete sich nicht nach diesem Programme; wahrscheinlich aus dummer Blödigkeit, die ihn, wie ich wußte, Damen gegenüber stets ergriff, bot er Estrid nicht den Arm, sondern gesellte sich zu Onkel, der, sehr mit dieser Aufmerksamkeit zufrieden, meinen Freund aufs lebhafteste unterhielt. Das konnte ich noch begreifen, was ich aber nicht verstand, war, daß Eisbär, nachdem wir eine Weile gegangen waren, Onkel verließ und sich in ein Gespräch mit Valborg stürzte. Dies war mir auffallend, denn meiner Ansicht nach mußte ihn Valborg, die er noch nie gesehen, doch viel verlegener machen als meine Frau, mit der er sich ja schon einen ganzen Tag lang unterhalten hatte.

In der Laube des kleinen Gartens erwartete uns der gedeckte Kaffeetisch. Als Eisbär und ich einen Augenblick allein im Garten blieben, sagte er zu mir: »Deine Schwägerin ist ja wirklich eine Schönheit.«

Hätte Eisbär diese Bemerkung über meine Frau gemacht, so wäre ich ganz damit einverstanden gewesen, nun aber, da sie ihrer Schwester galt, ließ sie mich ziemlich kalt, und ich sagte in gleichgültigem Tone: »Ich habe ja drei Schwägerinnen. Welche meinst du?«

»Die beiden sind ja noch Kinder«, antwortete Eisbär, »ich meine natürlich die Große, Imposante mit dem blonden Haar und den tiefblauen Augen.«

»Ach so, Valborg, – nun ja, sie ist recht hübsch!«

»Welch reine, edle Züge, – es müßte eine wahre Freude sein, ihre Büste in Marmor zu formen.«

»Aber Estrid sieht doch viel besser aus«, sagte ich. Eisbär antwortete nicht, sein Blick hing wieder an Valborg, die gerade in den Garten trat.

Hierüber ärgerte ich mich ein wenig. Eisbär und ich hatten stets gleichen Geschmack gehabt und oft voller Begeisterung einander von herrlichen Kunstwerken vorgeschwärmt, warum konnte er nun nicht auch meine Begeisterung für meine Frau teilen? Nicht mit einem einzigen Worte hatte er sich über ihre Schönheit geäußert, aber Valborg hatte ihn, sobald er sie nur erblickt, derartig begeistert, daß er davon geredet, sie in Marmor zu verewigen. Doch sollte eine von den Schwestern in Marmor verewigt werden, so konnte, meiner Meinung nach, kein Mensch, geschweige denn ein wirklicher Künstler, sich auch nur einen Augenblick besinnen, Estrid zu wählen.

Ich betrachtete die beiden Schwestern, die gerade zusammen sprachen. Estrid, die sich damit abmühte, die Kaffeemaschine ins Kochen zu bringen, sah erhitzt aus, ihr Haar war in Unordnung geraten und nach der einen Seite hinabgeglitten. – Valborg sah ich von der Seite und konnte nicht leugnen, daß ihr Profil auffallend schön war. Ich konnte mich von einer gewissen Eifersucht auf Valborg, weil sie die Schönheit meiner Frau verdunkelte, nicht freimachen.

Als wir später im Enrumer Garten und im Frydenlunder Walde spazieren gingen, gab ich genau auf Eisbär acht und sah nun, daß er unausgesetzt Gelegenheit zur Unterhaltung mit Valborg suchte, während er Estrid ziemlich unbeachtet mit ihrer Mutter gehen ließ. Dies beleidigte mich ein wenig, Estrid war doch die Hausfrau, und ihr mußte man als Gast zunächst Aufmerksamkeit erweisen. Eine kleine Rache war es mir, daß Onkel, dem Eisbär sehr gefiel, ihn unausgesetzt anredete und ihn nicht zu einer ungestörten Unterhaltung mit Valborg kommen ließ.

Estrid fühlte sich nicht im geringsten beleidigt. Sie war gleich liebenswürdig und freundlich gegen alle und zog Eisbär mehrfach ins Gespräch. Mir flüsterte sie in einem unbewachten Augenblicke zu: »Hast du Verdruß gehabt? Du bist ein wenig verstimmt.«

»Nicht im geringsten«, erwiderte ich. »Es ist nur die Hitze.«

»Die Hitze?« sagte Onkel, der das letzte Wort aufgeschnappt hatte. »Sie kann allerdings drückend sein – besonders für die Herzen.« Und damit zog er sich die Weste glatt und kniff schelmisch das eine Auge zu, um uns zu zeigen, daß er auch etwas gemerkt hatte.

Es ist seltsam, daß eine kleine Verstimmung, wenn sie sich erst bei uns eingeschlichen hat, sich nach und nach unseres ganzen Gemütes bemächtigen und auf ihm wie eine dichte, schwarze Wolke liegen kann, ohne daß wir nachher uns die ursprüngliche Ursache unseres Mißmutes überhaupt anzugeben vermögen. Die heitere Stimmung der übrigen Gäste war in beständigem Steigen, durch die Büsche ertönte Sophies und Johannas Freudengeschrei und Gelächter, Onkel dehnte sich behaglich im Grase, wo er unter dem Schatten einer großen Erle einen kühlen Platz gefunden hatte, Estrid, Valborg und Eisbär unterhielten sich sehr vergnügt, und selbst Schwiegermutter war heute außergewöhnlich heiter, da sie am Morgen gerade einen Brief von ihrem Manne, dem es auf dem jütländischen Gute sehr gefiel, erhalten hatte. Ich allein war niedergeschlagen, und je leichter und freier die Stimmung der anderen wurde, desto peinlicher fühlte ich diesen Druck, der sich nicht abschütteln ließ.

Schwiegermutter fragte, mich liebevoll ansehend: »Hast du Kopfweh? Du siehst abgespannt aus.«

»Danke, – mir fehlt nichts«, antwortete ich, dessen schlechte Laune sich dadurch, daß ich sie nicht verheimlichen konnte, noch verschlechterte.

»Wollen wir ein Boot nehmen und ein wenig auf der See rudern?« fragte Eisbär.

»Ich mag nicht rudern«, antwortete ich barsch.

»Na, na, nimm's nur nicht übel, es sollte keine Beleidigung sein. Dann bleiben wir auf dem Lande, – wir haben es hier ja außerordentlich gut.«

Die Nachmittagssonne brannte heiß, und da sie schon tiefer stand, drangen ihre Strahlen in jeden schattigen Winkel. Die Luft war glühend heiß, aber in meinem Herzen war eine verborgene Zornesglut, die noch heißer brannte.

Erst als die Sonne untergegangen war, der Tau zu fallen anfing und unsere Gäste von der Heimreise zu reden begannen, wurde es auch in mir kühler und die verzehrende Glut schickte sich an, zu erlöschen. Estrid wollte ihre Mutter und die Schwestern durchaus überreden, bei uns zu übernachten und erst am nächsten Abend nach Hause zu fahren.

»Ich weiß wirklich nicht, wo du sie unterbringen willst«, sagte ich.

»Wie kannst du so reden! Hast du nicht stets gesagt, wir hätten reichlich Platz für sie alle? Du kannst hier auf dem Sofa schlafen und für die Schwester legen wir in der Schlafstube Betten auf den Fußboden.«

»Dein Mann hat recht, hier ist wirklich kein Platz«, sagte Schwiegermutter, »und da es von vornherein verabredet ist, daß wir heute abend heimfahren, wollen wir es auch dabei lassen.«

»Aber kann denn nicht Valborg bleiben? Sie können wir gut unterbringen, und es wäre doch zu schön, wenn sie hier bliebe, – nicht wahr, Nicolai?«

»Ja«, antwortete ich kurz, denn Valborg war gerade diejenige, welche ich am wenigsten gern bei uns zu behalten wünschte. Es stellte sich jedoch heraus, daß Valborgs Anwesenheit daheim in diesen Tagen unumgänglich notwendig war, da sie beim Einmachen helfen mußte. Auf Estrids wiederholte Bitten wurde indessen abgemacht, daß Valborg in drei bis vier Tagen, wenn jene große Tat getan sei, zu uns kommen und eine Woche bei uns bleiben werde.

Als wir nun unsere Gäste nach dem Dampfer begleitet hatten, Eisbär sich verabschiedet hatte und wir uns wieder in unserem Rosenhause, auf das die stille Sommerabendkühle sich herabgesenkt, befanden, sagte Estrid: »Mein liebster Freund, was fehlte dir heute? Du warst durchaus nicht in deiner gewöhnlichen Stimmung.«

»Ich glaube, es lag am Wetter; die Luft war entschieden gewitterig«, sagte ich.

»Ich habe mich deinetwegen ordentlich beunruhigt, denn so habe ich dich noch nie gesehen, du warst so zerstreut und schweigsam und hast dich beinahe gar nicht an der Unterhaltung beteiligt.«

»Jetzt ist es vorüber«, sagte ich, »jetzt bin ich wieder gesund und fröhlich.«

»Gott sei Dank!« sagte Estrid, mir mit der Hand über die Stirn fahrend. »Es war im übrigen solch schöner Tag, Mutter war so gern hier, und Eisbär war so nett, – er ist wirklich ein liebenswürdiger Mensch!«

»Hm ja!«

»Du sagst das so zögernd. Ist etwas zwischen euch vorgefallen? Du warst die ganze Zeit über so merkwürdig kalt gegen ihn.«

»Mein teurer Freund hätte sich wirklich bemühen können, aufmerksamer und höflicher zu sein. Aber so sind die Künstler, sie wollen sich immer nur benehmen, wie es ihnen gefällt, und denken nie an die Rücksichten, die sie anderen schuldig sind.«

»Worin hast du dich denn über Eisbär zu beklagen? Er hat sich viel mit Onkel und Mutter unterhalten, und gegen Valborg ist er auch sehr aufmerksam gewesen.«

»Nur zu sehr«, dachte ich, brach die Unterhaltung aber mit den Worten: »Wir wollen nicht mehr davon reden; ich bin müde, und wir bedürfen beide der Ruhe« ab, gab Estrid einen Gutenachtkuß und sagte mir selber: »Die gute, unschuldige Seele denkt zuallerletzt an das, was man ihr schuldig ist.«


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