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II.

Trotz der Einseitigkeit, mit welcher der Maler seine Ansichten ausgesprochen hatte, und trotz der zwischen uns herrschenden großen Meinungsverschiedenheit mochte ich ihn doch gern leiden. Er sprach mit solcher Wärme und Begeisterung von der echten Kunst, seine blauen Augen schauten selbst bei seinen bitteren Worten gegen die nordische Kunst so gut und freundlich drein, daß ich ihn gern haben mußte. Hätte ich jedoch gewußt, daß ich so die Bekanntschaft meines Schwiegervaters gemacht hatte, würde er mir noch lieber gewesen sein, – aber das konnte ich ja damals noch nicht wissen, da ich keine Ahnung davon hatte, daß der Maler verheiratet sei und erwachsene Töchter besitze.

Diese interessante Entdeckung machte ich erst einige Wochen später. Ich ging eines Nachmittags zu Anfang des Frühlings längs der Seen auf den sogenannten Liebespfaden, wie eine poetischere Zeit sie nannte, – jetzt führen sie ja die langweiligen Namen Nördliche und Östliche Seestraße – spazieren. Die Sonne war eben untergegangen, hatte jedoch am Himmel einen roten Widerschein hinterlassen, der sich wieder in dem klaren Wasser des Sees spiegelte. Es war ein wunderbar schönes Farbenspiel, und ich war so hingerissen davon, daß ich nicht vor mich sah und mit jemand zusammenprallte.

»Hallo, hallo, verehrter Herr! Wenn Sie mich nicht mehr sehen können, müssen Sie sich wirklich eine Brille aufsetzen, – doch, was sehe ich, das ist ja mein junger Freund aus der Moltkeschen Galerie! Wie geht's Ihnen?«

Ich dankte ihm für die gütige Nachfrage und entschuldigte mich.

»Alles vergeben! Aber was suchten Sie denn so eifrig unter den Sternen, daß Sie nicht sehen konnten, was sich auf Erden regt?«

»Der Sonnenuntergang ist so schön! Drehen Sie sich einmal um und betrachten Sie das schwimmende Meer von Gold!«

Der Maler drehte sich um. »Ja, der da droben versteht zu malen! Könnte man bei Gelegenheit den Pinsel in Seinen Farbentopf tauchen, so würde man sowohl Tizian wie Rembrandt ausstechen! Nun, wer weiß? Vielleicht dürfen wir es einst, wenn erst all unsere Schlechtigkeit in dem schwarzen Höllenkessel ausgekocht ist. – Mit Erlaubnis, Sie sind wohl selbst so etwas wie ein Maler, da Sie sich so eifrig mit Gemälden, Farbenspiel und Sonnenuntergängen beschäftigen?

Ich antwortete, daß ich kein Maler sei, aber Malerkunst, überhaupt Kunst und Kunstgeschichte studiere.

»Hu!« rief der Maler, einige Schritt zurückweichend. »Sie gehören doch wohl nicht gar zu dem zweibeinigen Ungeziefer, das in den Zeitungen Kritiken schreibt? Ich hätte es mir neulich, als Sie so gewaltig über die nordische Kunst predigten, eigentlich schon denken können!«

Ich beruhigte ihn mit der Versicherung, daß ich nur ganz ausnahmsweise mich daran versucht hätte und sonst meine Studien in aller Stille für mich betreibe, bis ich erst reifer geworden sei.

»Ich will Ihnen auf Ihr ehrliches Gesicht Glauben schenken«, antwortete er mit freundlichem Lächeln. Darauf legte er meinen Arm in den seinen und sagte zu mir: »Begleiten Sie mich noch eine Strecke, damit wir unsere Unterhaltung von neulich fortsetzen können.«

Ich ging mit ihm, und wir schlenderten am Seeufer entlang, waren aber bald so tief in einen Meinungsaustausch über die Bedeutung des Nationalen für die Kunst hineingeraten, daß ich darüber den Sonnenuntergang, das leise Plätschern der Wellen und die ganze Herrlichkeit der Natur vergaß. Ich entwickelte meine Theorien in schnurgeraden, gutgeordneten Reihen, die einem Kathedervortrage Ehre gemacht hätten; der Maler ließ sich auf eine eigentliche Widerlegung nicht ein, versetzte ihnen aber mit seinen beißenden, ironischen Bemerkungen schwere Hiebe, und wie eifrig ich ihn auch zu bekämpfen suchte, konnte ich mir selbst doch nicht verhehlen, daß er mir nicht nur an Erfahrung, da er jahrelang in Deutschland und Italien gelebt hatte, sondern auch an künstlerischem Blicke bedeutend überlegen war. Meine Theorien basierten hauptsächlich auf fleißigem Buchstudium, seine Bemerkungen aber auf sorgfältigem Studium der Natur.

Im Eifer des Gespräches merkte ich nicht, daß wir um den See herumgegangen und an seine andere Seite, wo die lange Häuserreihe eine fortlaufende Straße bis an die Nordbrücke bildet, gelangt waren. Vor einem der hier liegenden Häuser blieb der Maler stehen und sagte zu mir: »Ja, hier wohne ich, kommen Sie mit hinauf und trinken Sie eine Tasse Tee, falls eine da ist. Sie müssen sich allerdings auf viele Treppen gefaßt machen, da ich vier Treppen hoch wohne; doch für einen Mann, der in der Christiansborger Gemäldesammlung herumzuklettern pflegt, ist das ja nur eine Bagatelle.«

Wir gingen, noch immer eifrig disputierend, die vielen Treppen hinauf, bis wir vor der Tür seiner Wohnung standen. Ich erwartete, in das übliche Künstlerheim, wie ich so manches kannte, ein ziemlich unordentliches, etwas schmutziges und mit Skizzen und Zeichnungen übersätes Zimmer einzutreten, und war nicht wenig überrascht, als wir über einen kleinen Vorplatz in eine freundliche, gemütliche Wohnstube gelangten, die zwar ärmlich, aber geschmackvoll und mit feinem Schönheitssinn möbliert war. An der einen Wand stand ein altes Klavier, über dem eine Gitarre hing, auf der anderen Seite ein runder Tisch, auf den eine Schale mit frischen Frühlingsblumen gestellt war, und dahinter Stühle und ein Sofa. Die Wände schmückten einige große Ölbilder, eine Menge Skizzen von italienischen Landschaften und römischen Ruinen und außerdem noch einige mit Wasserfarben gemalte Blumenstücke. Ein mächtiger Efeu, der in einer Ecke des Zimmers stand, streckte seine langen Zweige mit den dunkelgrünen Blättern längs der Wand hin, und die Zweige waren dort so gelegt, daß sie einen natürlichen Rahmen um die Gemälde bildeten. Vor dem Fenster standen eine blühende Monatsrose, eine Levkoje und mehrere Resedatöpfe, welche die ganze Stube mit süßem Dufte erfüllten.

»Sie wohnen hier hübsch«, sagte ich, am Fenster Platz nehmend und die freie Aussicht über den blanken Spiegel des Sees betrachtend.

»O ja, ganz hübsch«, antwortete der Maler, »und Mutter versteht es ja auch recht gut, hier alles sauber zu halten.«

»Also Ihre alte Mutter wohnt bei Ihnen?«

»Alte Mutter? Mutter sollte nur hören, daß Sie sie alt nennen! Sie ist eben 49 geworden, und das ist doch noch kein besonders hohes Alter.«

»Ist sie denn Ihre Stiefmutter?«

»Nein, sie ist ganz einfach meine Frau; haben Sie noch nie einen Ehemann seine Frau ›Mutter‹ nennen hören?«

»Ihre Frau!« rief ich im höchsten Grade erstaunt aus. »Sind Sie verheiratet?«

»Da ich eine Frau habe, bin ich natürlich verheiratet! Ich bin ein ordentlicher Mann, der in christlicher Ehe lebt, – was glauben Sie eigentlich von mir?«

»Aber Sie sind ja Maler, sind ja Künstler«, wandte ich ein, denn in meinen Gedanken waren Ehelosigkeit, Aufopferung des kostbarsten Kleinods des Lebens um der Idee willen und Künstlerberuf so unauflöslich miteinander verknüpft, daß ich keinen Augenblick darauf verfallen wäre, der Maler könne verheiratet sein.

»Können denn Maler und Künstler nicht verheiratet sein? Hören Sie, mein junger Freund, was ist Ihnen eigentlich? Sie sind wohl gar von den vielen Treppen so schwindlig geworden, daß sich Ihnen alles im Kopfe dreht?«

Ich fing an, mich von der ersten Überraschung wieder zu erholen. Bei mir war es keine flüchtige Grille, sondern die Frucht jahrelanger reiflicher Überlegung, für mich lag eine eigenartige Schönheit in dem Gedanken, aus Liebe zur Kunst ein großes, bedeutendes Opfer zu bringen, ja, ich glaubte sogar, daß man erst dann überzeugt sein könnte, wirklich uneigennützige Liebe zu ihr zu hegen, wofür ich mich selber als leuchtendes Beispiel betrachtete. Ich fühlte mich daher durch die leichtsinnige Äußerung des Malers, daß Maler und Künstler sich wie andere Alltagsmenschen, die nur für ihre kleinlichen Hantierungen leben, verheiraten könnten, sehr gekränkt. Mit Eifer verfocht ich meinen Lieblingssatz, daß Maler und Kunstliebhaber, wenn sie nicht sehr reich sind, ihre Liebe zur Kunst durch Verzicht auf Frauenliebe beweisen müssen. Je länger ich sprach, desto wärmer wurde ich; aus dem Schweigen, mit dem der Maler mich anhörte, schloß ich, daß meine Worte starken Eindruck auf ihn machten, ja, er vielleicht schon anfange, zu bereuen, daß er sich so unbesonnen aufs Heiraten eingelassen – als er mich plötzlich durch lautes Gelächter unterbrach.

»Was soll das heißen? Wollen Sie mich beleidigen?« fragte ich, indem mir das Blut zu Kopfe stieg.

»Durchaus nicht, aber – ha! ha! ha! – dies ist noch spaßiger als die nordische Kunst! Ha! ha! ha! Warum werden Sie nicht Redakteur oder Reichstagsabgeordneter, wenn Sie solch ein Talent zu Phrasen und schönen Redensarten haben ...«

»Bitte sehr! Glauben Sie nicht, daß ich meine, was ich sage? Es ist mein heiliger Ernst, und ich hoffe, daß mein Leben einen schönen Beweis dafür liefern wird.«

»Und ich hoffe, daß Sie erst den kleinsten Teil Ihres Lebens hinter sich haben und noch zu besserer Erkenntnis kommen können. Doch wie kommen Sie zu all dem Blödsinn? Haben Sie ihn selbst erdacht oder haben Sie ihn bloß bei irgend einem verrückten Deutschen gelesen?«

»Ich habe sehr ernsthaft darüber nachgedacht«, antwortete ich mit Würde.

»Das macht Ihnen alle Ehre, und ich bitte Sie, mein Lachen darüber zu entschuldigen, aber diese Tiraden kamen mir aus Ihrem Munde zu unerwartet. Befänden Sie sich schon in der zweiten Hälfte der Vierziger, so könnte ich es verstehen, denn dann beginnt man, sich als kümmerlichen Trost für ein verfehltes Leben dergleichen Theorien zurecht zu machen, – in Ihrem Alter aber, wenn man die Welt noch offen vor sich sieht und überdies eine ganz hübsche Erscheinung ist, scheint es mir zu früh, sich auf den Hagestolzen vorzubereiten. – Doch nun lassen Sie uns erst Tee trinken, nachher können wir die Sache gründlicher erörtern, denn sie bedarf sorgfältiger Erwägung.«

Er erhob sich, legte eine Decke über den Tisch und holte Teller und Tassen herbei.

»Wir müssen uns allein bedienen«, sagte er, alles auf dem Tische zurechtsetzend, »denn Mutter und die Mädel sind auf dem Lande und kommen erst morgen zurück.«

»Töchter haben Sie also auch?«

»Vier gute Mädchen, für die ich Gott alle Tage danke.«

»Und Söhne?«

»Nein«, antwortete der Maler mit harter Stimme und ging dabei aus der Tür.

Ich blieb in meinen eigenen Gedanken sitzen: »Armer Mann!« dachte ich, »Frau, vier Töchter und keine Söhne! Du hast dir wahrhaftig ein schönes Kreuz aufgeladen! Und die Töchter bleiben natürlich ihr lebelang ledig, denn ich möchte wohl den Mann sehen, welcher in unserer genußsüchtigen Zeit den Mut hätte, eine Schwiegermutter und drei Schwägerinnen in Kauf zu nehmen – Gott bewahre uns, welch eine Familie zu versorgen! Nein, Nicolai, sei du froh, daß du der Kunst und den Musen frank und frei dienen kannst!«

Der bleiche Halbmond stand in seiner feinen Sichelform über den dunklen Baumgruppen jenseits des blanken Seespiegels, auf den die stille Abenddämmerung sich herabsenkte. Ich hatte jedoch kein Auge für diese Schönheit, da ich eifrig mit meinen Gedanken über Kunst und Zölibat beschäftigt war und meine Argumente nach allen Richtungen hin verstärkte, um alle Einwendungen des Malers niederschlagen zu können. Ich war meines Sieges so sicher, daß ich mir wünschte, das Abendessen sei schon verzehrt, damit ich meinen Gegner recht lebhaft davon überzeugen könne, wie unvereinbar der Künstlerberuf mit den stillen Freuden des Familienlebens sei.

Inzwischen war mein Wirt mit seinen Vorbereitungen fertig geworden, und wir setzten uns zu Tisch.

»Entschuldigen Sie die Einfachheit der Gerichte«, sagte der Maler.

»Kartoffeln zu viel und Fleisch zu wenig,
Adjes, mein Meister Kartoffelkönig.«

wie es in dem alten Märchen heißt. – Ich möchte übrigens wissen, wo sich Onkel wieder herum treibt, er sollte doch jetzt zum Abendessen antreten.«

»Wer ist Onkel?«

»Ein Bruder meiner Frau, sozusagen ein verunglücktes Genie!«

»Müssen Sie sich nun seiner annehmen?«

»Natürlich, wer sollte es sonst wohl tun? Meine Frau hat weiter keine Angehörigen als diesen einen Bruder und einen Vetter, der Schuster in Korsör ist und dem es sauer genug wird, sich allein durchzubringen.«

»Frau, vier unversorgte Töchter, keine Söhne und Onkel«, antwortete ich in Gedanken. »Ja, du hast wahrhaftig ein schönes Kreuz durchs Leben zu schleppen!«

»Onkel hatte sein Abiturium mit Auszeichnung gemacht«, fuhr der Maler fort, indem er sein Butterbrot gleichzeitig so geometrisch berechnet mit Käse belegte, daß dieser nirgends über den Rand hervorguckte. »Es wurden wegen seiner reichen Begabung, wie es damals hieß, große Erwartungen auf ihn gesetzt, aber es scheint, als sei Onkel viel zu reich für unsere kleine Erde begabt gewesen. Er hätte Dichter, Maler, Philosoph, Kaufmann und Fabrikant werden können, – und das Ende vom Liede war, daß er gar nichts von allem wurde, seine vielen Talente waren einander stets so hinderlich, daß er sich keinem wirklich hingab. Seine Jugend verbrachte er mit beschäftigtem Müßiggänge, kam dabei aber immer mehr herunter; seine großen Fähigkeiten – wenn er sie überhaupt je besessen hat und sie nicht nur eine Familiensage sind – blieben unbenutzt, und der Mann der vielen Talente mußte sich schließlich mit einem kleinen Schreiberposten begnügen, – weiter hatte das knauserige Leben ihm nichts zu bieten. Übrigens ist er eine gute Seele; allerdings quält er uns dann und wann mit einer Litanei über die Erbärmlichkeit dieser Welt, in welcher alles Gute und Edle zugrunde gehen müsse, aber glücklicherweise überfällt ihn diese melancholische Stimmung nur selten.«

Als wir unsere Mahlzeit beendet hatten, setzte ich mich wieder an das Fenster und betrachtete den Mond und den See, während der Maler abdeckte. »Ich muß alles hübsch wieder fortsetzen«, sagte er, »sonst kommt mir Mutter auf den Buckel, wenn sie morgen zurückkehrt.«

»Er steht obendrein noch unter dem Pantoffel des Weibes und der vier Töchter!« dachte ich. »O du unselige Sklaverei der Ehe!«

»Doch, was ist das?« rief der Maler aus, indem er die Zuckerdose in den kleinen Eckschrank stellte. »Hier hat Mutter wahrhaftig eine Flasche Sherry versteckt! Ja, wahrhaftig! So können wir noch einen Grog trinken, – wenn es nämlich noch langt«, fuhr er fort, indem er die Flasche gegen das Licht hielt, um zu sehen, wie viel noch darin war. »Ja, viel ist es nicht, aber zwei Gläser voll lassen sich, glaube ich, noch daraus machen, wenn wir sie nicht zu stark brauen.«

Der Grog wurde gemacht, es reichte genau zu zwei Gläsern, und wir nahmen nun beide, mit den Gläsern vor uns, auf dem Sofa Platz.

»Von der Ehe und der Kunst wollten wir also sprechen«, begann der Maler. »Ja, ich besitze nun freilich keine so glänzende Rednergabe wie Sie; Sie müssen daher mit dem vorlieb nehmen, was ich in der Einfalt meines Herzens anzuführen habe, denn ich habe ebensoviel wie Sie darüber nachgedacht, bin jedoch allerdings zu dem entgegengesetzten Resultate gelangt. – Sagen Sie mir nun zuallererst, weshalb hat uns Gott, Ihrer Meinung nach, in diese Welt gesetzt?«

Diese gewöhnliche Katechismusfrage brachte meine philosophischen Theorien in Unordnung, weshalb ich eine ausweichende Antwort gab.

»Wir wollen kurz und gut sagen: um zu lieben!« fuhr der Maler fort. »Das Höchste, was wir lieben können, ist Gott; das Nächsthöchste sind die Menschen, die Er nach seinem Bilde geschaffen hat. Oder kennen Sie etwas Höheres auf dieser Welt als die Menschen?«

»Das tue ich allerdings«, erwiderte ich stolz. »Die Ideen. Sie erleuchten uns, sie – – –«

»Nun aber Halt«, unterbrach mich der Maler. »Denken Sie daran, daß ich jetzt das Wort habe, wie Sie es vorher gehabt. Ich weiß wohl, daß die Philosophen sagen, die Ideen seien mehr als die Menschen, aber deshalb könnte es doch gelogen sein. Ich behaupte nun, daß die geringste Menschenseele mehr wert sei als die größte Idee.«

»Das ist eine starke Behauptung.«

»Aber auch eine wahre. Denn was hat mehr Bestand, die Menschen oder die Ideen?«

»Die Ideen!« antwortete ich. »Sie sind die Leuchte eines Jahrtausends nach dem anderen wie die ewigen Sterne, während die Menschen, die armen Eintagsfliegen, wie die Blätter an den Bäumen wechseln.«

»Ich denke nun gerade umgekehrt«, entgegnete der Maler. »Die Menschen sind es, die bestehen bleiben, und die Ideen vergehen.«

»Wie?« rief ich überrascht aus.

»Leugnen Sie etwa die Unsterblichkeit der Seele?«

»Durchaus nicht.«

»Also sind die Menschen Bestand, die Ideen dagegen vergehen, denn sie wechseln unausgesetzt. Die Ideen, für welche das achtzehnte Jahrhundert schwärmte, betrachten wir mit weiser Überlegenheit, und es steht außer Frage, daß das zwanzigste Jahrhundert mit ebensolcher Ueberlegenheit auf viele der Ideen, welche uns jetzt unter lauten Jubelrufen als Feldzeichen vorangetragen werden, herabsehen wird. Ja, ich gehe so weit, zu behaupten, daß die Ideen an und für sich keinen Bestand haben, sondern nur als Gedanken eines persönlichen Bewußtseins bestehen können. Oder glauben Sie, daß Kunst, Wissenschaft, Staat und Ehe auch dann existierten, wenn es keine Persönlichkeiten gäbe, die sie denken und sie ins Leben rufen können?«

Ich schwieg, da ich nicht recht wußte, was ich hierauf erwidern sollte.

»Folglich sind die Menschen größer als die Ideen«, schloß der Maler.

»Und sind wir denn nicht verpflichtet, um der Idee willen unser Leben zu opfern?« fragte ich und meinte hiermit die Beweisführung des Malers niederzuschmettern.

»Ganz gewiß, aber wohl zu bemerken nur unser irdisches Leben, nicht unser ewiges, denn das ist wahrhaftig mehr wert, als die Ideen. Viel von dem Gerede für die Idee zu leben, ist deshalb leeres Geschwätz, denn das, worauf es ankommt, ist, ein volles, reiches Menschenleben zu führen. Und damit bin ich bei der Ehe angelangt, denn ich kenne von unseren irdischen Verhältnissen keines, das dem Leben einen solchen Inhalt gibt, wie sie. Alles Kleinliche des Lebens wird groß, wenn zwei einander aufrichtig und treu liebende Menschen es gemeinsam tragen; alle unbedeutenden Ereignisse des Alltagslebens erhalten große Bedeutung, wenn die Liebe sie mit ihrem Goldglanze bestrahlt. Die glückliche Ehe entwickelt das Edle und Große im Menschen, denn dieses besteht gerade darin, daß man nicht nur für sich selbst lebt, sondern auch für andere da ist, sich für sie hingibt, ja, wenn es nötig ist, für sie stirbt, – zu all dieser Selbstaufopferung ist der Ehestand die schönste Vorübung. Und ein großer Künstler muß auch ein großer Mensch sein, und daher wünsche ich allen großen Künstlern, daß sie verheiratet sein können.«

»Es gibt doch viele große Künstler, die als Menschen klein gewesen sind«, warf ich ein.

»Das glaube ich nicht«, antwortete er. »Ich kenne diese Art Leute ziemlich genau, und überall, wo ich eine echte Künstlerbegabung gefunden habe, fand ich auch etwas großes, edles Menschliches, ein warmes Herz, flammende Begeisterung, kurz gerade das, was den Menschen vor allen anderen Geschöpfen herrlich macht. Leider aber habe ich auch gesehen, wie jämmerlich verkrüppelt dieses alles später im Leben geworden ist, und zwar gerade aus dem Grunde, weil sie, wie es heißt, für die Idee leben wollten, und dann verschlossen sie sich gegen sich selbst, dachten nur ans Geldverdienen oder an den Ruhm, wodurch das warme Herz erkaltete, und wurden selbstsüchtige Sonderlinge. Ich habe unseren großen Thorwaldsen gekannt; er war ein guter, edler Mensch, aber ich habe ihm oft gewünscht, daß er verheiratet hätte sein können, glücklich verheiratet natürlich.«

»Glauben Sie, daß er dann ein größerer Bildhauer geworden wäre?«

»Jedenfalls kein schlechterer. Zwei Dinge sind es, die den großen Künstler machen: Das erste und wichtigste ist das eigentliche, geniale Talent, das andere aber ist die Persönlichkeit, die sich erst durch reiche Lebenserfahrung entwickelt. Und ich glaube nun, daß, wenn unser herrlicher Thorwaldsen eine gute Frau gehabt, die für ihn gepaßt und Verständnis für seine Kunst gehabt und die er von Herzen geliebt hätte, er vielleicht auch selber noch größere Inspirationen gehabt hätte. Ich will nicht leugnen, daß ich in dem Ausdrucke einiger seiner Statuen, wie wunderbar sie auch sind, doch etwas gewissermaßen Kaltes und Mattes finde, – und dann denke ich immer: ›Ja, mein lieber Bertel, wärst du ein glücklicher Ehemann gewesen, so hättest du deiner Statue wohl mehr Feuer eingeblasen!‹ Nein, für einen Künstler ist es gewiß nicht gut, allein zu stehen: er muß manchen Streit und Mißerfolg ertragen, ehe er sich Bahn bricht, was im Herzen leicht Bitterkeit zurückläßt, und daher ist es gut, wenn ihm ein Wesen zur Seite steht, das ihn besänftigen und beruhigen kann, – zu anderen Zeiten ist er verzagt und zweifelt an sich selber, und dann ist es gut, wenn jemand ihn tröstet und ermuntert, – vor allem aber gibt die Liebe solch ein großes, warmes Herz, und ein großes, warmes Herz muß jeder echte Künstler haben. – Prosit!« schloß er, mit mir anstoßend. »Möchten Sie eine liebevolle, treue Gattin finden, sonst wird aus Ihrem Kunststudium nie etwas Rechtes!«

»Sie betrachten die Sache nur von der idealen Seite«, sagte ich, »wir wollen sie nun auch von der realen Seite ansehen. Da sind die Nahrungssorgen und der Mangel an auskömmlichen Mitteln.«

»Nein, weshalb denn? Wo Liebe in den Herzen ist, findet sich auch das tägliche Brot, dafür sorgt schon unser Herrgott!«

»Der verheiratete Künstler muß, da er eine Familie zu erhalten hat, doch mehr auf Gelderwerb bedacht sein, als der unverheiratete.«

»Im Gegenteil. Ich denke nie an meine Geldangelegenheiten, das überlasse ich meiner Frau. Sie führt die Bücher und den Haushalt, – ich brauche nur dafür zu sorgen, daß Geld eingeht, nachher sorgt Mutter schon dafür, daß es wieder ausgegeben wird.«

»Haben Sie denn nie Mangel gelitten?«

»Ja, das habe ich allerdings und bin sehr verzagt dabei gewesen, Mutter aber hielt die Ohren steif. Es ist merkwürdig, für gewöhnlich klagt und stöhnt sie gern, das ist nun einmal ihre Natur, aber bei wirklicher Not übertrifft sie uns alle an Mut. Und nachher macht es auch wieder Vergnügen, daran zurückzudenken, wie der lateinische Dichter sagt – – ja, wie sagt er nur gleich?«

»Et haec memimisse juvabit!«

»Richtig! Das ist beinahe das einzige Latein, das ich kann; doch ich sage, wie der Küster Peter: ›Nicht für hundert Taler würde ich es hergeben!‹ Es hat mir manch liebes Mal geholfen! – Ach ja! Es ist wahrhaftig nicht mehr als drei Jahre her, daß ich gehörig in der Tinte saß! Einen ganzen Monat mußten wir trocknes Brot essen, Butter kam gar nicht auf unseren Tisch. Damit nicht unangebrachte Gelüste geweckt würden, bestimmte ich, daß jeder, der das Wort ›Butter‹ ausspräche, zwei Schilling Strafe bezahlen müßte. Wir haben viel Strafgeld zusammenbekommen.«

»Aber hat denn jemand bezahlt?«

»Nein, wie konnten sie es? Die Ärmsten hatten ja kein Geld. Es wurde für sie angeschrieben. Dann aber erhielt ich plötzlich einen Auftrag, und es kam wieder Geld in die Kasse. Nun bezahlte ich alle Strafgelder und wir machten damit einen schönen Ausflug ins Grüne, wo wir uns so herrlich amüsierten, daß wir die ausgestandene Not ganz darüber vergaßen!«

»Wäre es aber nicht besser gewesen, jenes Geld auf die Sparkasse zu geben?« erlaubte ich mir zu bemerken.

»Zum Hintragen auf die Sparkasse reichte es nicht, denn es kamen so viele Rechnungen von Schuster, Schneider und Kaufleuten, daß ich genau zehn Kronen übrig behielt, und für diese kaufte ich Mutter Stoff zu einem neuen Kleide. Unser Schiff war jedoch wieder flott, und von nun an hatten wir bessere Fahrt.«

Es war über Mitternacht, als ich mich von dem Maler trennte, denn wir plauderten noch lange. Es war eine liebliche, stille Frühlingsnacht, der Halbmond stand noch am Himmel und nickte mir schelmisch zu, als ob er sagen wollte: »Du solltest heiraten, Nicolai, du solltest wirklich heiraten!« Und als ich am Westerwalle angelangt war und mich die Treppen hinaufgetastet hatte, kam es mir in meiner Schlafstube unheimlich leer und öde vor. Ich warf einen Blick aus dem Fenster, und wieder nickte mir der Halbmond zu: »Du solltest heiraten, Nicolai!«

Ich ließ den Vorhang herab, um den Schwätzer nicht mehr zu hören und ging schnell zu Bett, wo ich bald in tiefen, von Heiratsplänen und allen sonstigen störenden Gedanken freien Schlaf sank.


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