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I.

Dich, meine sanfte, liebenswürdige Gattin, preise ich und dir danke ich für all den Segen, den du mir gebracht hast, denn durch dich habe ich die Wahrheit des alten Wortes: »Eine gute Hausfrau ist ein Geschenk von Gott!« erkannt. Ja, sicherlich, eine Gabe Gottes, die beste aller seiner irdischen Gaben, bist du mir gewesen! Vieles habe ich gesehen und als schön und herrlich bewundert, das reiche Farbenspiel der Kunst, ihre vollen, reinen Formen haben meine Seele mit flammender Begeisterung erfüllt, – dennoch aber kenne ich nichts, das mich, wenn ich müde von der täglichen Mühe und Arbeit heimkehrte, so im innersten Herzen erquickt hat, wie der milde Strahlenblick deiner treuen Augen. Wir beide wandern nun seit den Tagen unserer ersten Jugend nebeneinander her, unsere Sonne hat die Mittagshöhe überschritten, und die Schatten beginnen länger zu werden, einige von ihnen fielen unmittelbar ins Herz, haben aber nie deine zärtliche Liebe verdunkelt. Gute und böse Tage haben wir miteinander durchlebt, und die letzteren sind mir nicht weniger teuer, da ich in ihnen das edle Gold deines liebevollen Herzens erkannte. Ein junges Geschlecht erblüht um uns her, seine Sonne ist im Aufgehen begriffen, während die unsere sinkt, und doch glaube ich kaum, daß ich, selbst wenn mir die Wahl frei stände, mit ihm tauschen würde. Nur das begehre ich, daß wir beide gemeinsam weiterwandern können, bis der Abend unseres Lebens mit goldnem Scheine am wolkenlosen Himmel herabsinkt, der Friede der Nacht anbricht und wir Hand in Hand in das Land der Ewigkeit hineinschreiten. Das ist nun wieder eine Einleitung, doch weder von mir noch von Gamling, sondern vom Schwiegervater. Wie er hörte, daß ich ein neues Buch herausgeben wolle, bat er, eine Vorrede dazu schreiben zu dürfen, wie Gamling seinerzeit zu dem »Nöddeboer Pfarrhause«. Und Schwiegervaters Vorwort paßt eigentlich ebensowenig wie Gamlings; denn es handelt von einem alten Ehepaare, während mein Buch sich auf ein ganz junges, nämlich meine Frau und mich, bezieht. Denn ich bin verheiratet und habe eine Frau, – sonst könnte ich ja gar keinen Schwiegervater haben. Wir sind jetzt ein wenig über sechs Monate verheiratet, und dieses halbe Jahr erscheint mir so merkwürdig, daß ich ein Buch darüber schreiben muß. Doch will ich damit nicht behaupten, daß es anderen ebenso merkwürdig vorkommen müsse, denn eigentlich habe ich wohl nichts anderes erlebt, als die meisten jungen Ehemänner erleben. Mir aber erscheint es besonders merkwürdig, und daher ist es mir ergangen, wie damals, als ich im Nöddeboer Pfarrhause war, wo ich auch nur erlebte, was jedermann in einem Pfarrhause erleben kann – ich muß ein Buch darüber schreiben. Doch bin ich keineswegs blind gegen die Gefahr, der ich mich hierdurch aussetze. Denn ich habe öfter bemerkt, daß Verfasser, wenn sie ein Buch, das allgemein Beifall gefunden, geschrieben haben, sich beeilen, ein langweiliges Buch hinterdrein zu schicken, und zwar, wie ich glauben möchte, aus einer Art unangebrachter Bescheidenheit, als fürchteten sie, die Leute würden sonst eine gar zu hohe Meinung von ihnen bekommen. Und hier in Dänemark kann man kaum etwas für seinen guten Namen und Ruf Gefährlicheres tun, als ein Buch zu schreiben, das nicht den Beifall des geehrten Publikums findet. Man setzt sich dadurch weit heftigeren, gröberen Angriffen aus, als wenn man Wechselfälschung, Kassendiebstahl oder ein ähnliches Verbrechen begangen hätte. Dennoch soll mich die Möglichkeit dieser Gefahr nicht zurückhalten. Denn ich meine, gerade so wie ein guter Soldat nicht an Lazarett und Gefangenschaft denkt, sondern unerschrocken in den dichtesten Kugelregen hineinstürmt, darf auch ein Verfasser nicht an Kritiker und Rezensionen denken, sondern muß sein Buch getrost herausgeben, als ob ihn jene gar nichts angingen. So werde ich es denn auch machen.

Nur will ich noch bemerken, daß mein Buch hauptsächlich für diejenigen geschrieben ist, welche, wie ich, verheiratet, und zwar in glücklicher Ehe verheiratet sind; ob sie jung oder alt sind, ist einerlei, denn meiner Ansicht nach gehört es mit zum Segen des Ehestandes, daß er an und für sich eine ewige Jugendkraft besitzt, die bis über die goldene und die diamantene Hochzeit hinaus vorhält. Sollte vielleicht ein oder der andere Ehemann glauben, er und seine Frau seien gemeint, – so sei ihm das gern gestattet, und er soll deshalb nicht mehr für das Buch bezahlen. Unverheiratete können, wenn sie Phantasie und Gemüt haben, auch gern mein Buch lesen, besitzen sie beide aber nicht, so will ich sie auf das ernstlichste gewarnt haben, ihre kostbare Zeit auf das Lesen meiner Erzählung zu verwenden, dies wäre für sie die reine Zeitverschwendung.

Geradezu toll aber wäre es, wenn jemand mein Buch in dem Glauben kaufte, er werde darin Beiträge zu dem finden, was man die Lösung der sozialen Frage, besonders hinsichtlich der Stellung der Frau in der Gesellschaft, nennt. Denn meine Phantasie ist viel zu schwach, um das uns bevorstehende Zukunftsideal zu schildern, wenn die Frau im Universitätsgebäude Vorlesungen über Rechtsphilosophie erhält, während ihr Gatte daheim das Kochbuch studiert oder das Kind wartet. Dies auszumalen, muß ich tüchtigeren Federn als der meinen überlassen, ich will nur die bescheidenere Aufgabe lösen, zu erzählen, wie junge Ehepaare bisher, solange die Welt steht, glücklich zu leben gepflegt haben. Möglicherweise wird sich diese oder jene eifrige Frauenrechtlerin über die unwürdige Unterdrückung, in der meine Estrid lebt, ärgern, ja sogar über den Sklavensinn, mit welchem sie sich darein findet, sehr empört sein, – aber das läßt sich nicht ändern, denn wir beide, Estrid und ich, fühlen uns außerordentlich glücklich und, soweit wir darüber zu bestimmen haben, wird in unserem Verhältnisse zueinander keine Veränderung eintreten.

Also – ich habe mich verheiratet und die Füße unter meinen eigenen Tisch gesteckt. Mit der Blauäugigen, an die ich einst geglaubt, wurde es jedoch nichts, denn nach Verlauf eines halben Jahres entdeckte ich, daß auch sie, wie so viele andere, nur ein Irrtum war. Ebensowenig verlobte ich mich an meinem Examenstage, wie ich gleichfalls angenommen hatte, und zwar aus dem guten Grunde nicht, weil ich das theologische Examen überhaupt nicht machte. Es ist jedoch wohl am besten, wenn ich hübsch der Reihe nach erzähle, wie es mir ergangen ist, seit ich jene unvergeßlichen Weihnachtsferien im Nöddeboer Pfarrhaus verlebte.

Im Sommer darauf machte ich das philosophische Examen und erhielt in allen drei Fächern eine Auszeichnung, was mich in betreff der Propädeutik sehr überraschte, weil ich beinahe kein Wort davon verstand.

Nun sollte es ernstlich auf die Theologie losgehen, und Gamling gab mir Anleitung. Doch obwohl ich ziemlich fleißig studierte, wollte es mir doch nicht recht gelingen, Fortschritte zu machen; Gamling sagte mir wiederholt, mir fehle der theologische Zuschnitt, und darin hatte er allerdings recht. Es ist dies jedoch nicht so zu verstehen, als zweifelte ich an der Religion oder sei gleichgültig gegen sie, denn das war durchaus nicht der Fall. Im Gegenteil, es war eine meiner größten Freuden, mich an stillen Herbstmorgen – wenn die Sonne ihr helles Licht über die Stoppelfelder und die gelb gewordenen Wälder fluten ließ und der Sinn von seltsamer Wehmut beim Anblicke der dahinwelkenden Sommerpracht ergriffen wurde, – mit der Bibel in der Hand unter einen schattigen alten Eichbaum zu setzen und von der Liebe, die nimmer aufhört, zu lesen. Die Worte ergriffen mich im innersten Herzen, und in einzelnen Momenten war es mir bisweilen, als sehe ich Ihn selber, den Menschensohn, vor mir stehen, mich mit seinen tiefen, klaren, alles durchschauenden Augen voll wunderbarer Liebe anblicken und seine Hände segnend über mich und die ganze Erde ausbreiten, als wolle er die ganze kämpfende und leidende Menschheit zu sich in seine Herrlichkeit emporziehen, und dann erfüllte mein Herz unaussprechliche Seligkeit, als sei ich schon im Himmelreiche. Doch etwas ganz anderes war es, wenn ich in den Repetitorien Auskunft darüber geben sollte, was unter απαζλεγιμενα zu verstehen sei, was es für hebräisierende Redewendungen darin gebe und wo die Parallelstellen dazu gesucht werden müßten, das mochte ich gar nicht. Ich will durchaus nicht behaupten, daß dies unnötiges Wissen sei; ich bewundere sogar die gelehrten Leute, die sich mit dergleichen die Köpfe zerbrechen, wenn man mich nur damit in Ruhe läßt. Und doch hätte ich dies noch lernen können, wenn es hätte sein müssen, aber es gab etwas noch weit Unangenehmeres, was ich lernen sollte, und das waren alle die alten Auslegungen, mit denen man vertraut sein mußte. »Kannst du mir sagen, worin die Schwierigkeit dieser Stelle liegt?« war Gamlings stehende Lieblingsfrage an mich, – und es war mir dann nicht im Traume eingefallen, daß sie irgendwelche Schwierigkeit enthalte, ich hatte sogar gemeint, sie verstehe sich gleichsam von selbst. Dann belehrte mich Gamling über all die unrichtigen Auslegungen, auf welche deutsche Gelehrte verfallen waren und die man wissen mußte; kam ich ihm aber einmal mit einer selbstfabrizierten verkehrten Deutung, so wurde ihr nie die geringste Beachtung geschenkt.

Während so das theologische Interesse gleichmäßig abnahm, war gleichzeitig ein anderes Interesse in beständigem Zunehmen begriffen. Schon von meiner ersten Ankunft in der Hauptstadt an hatten ihre reichen Kunstsammlungen mich angezogen. Anfangs zog mich wohl Neugier dorthin, nach und nach aber ging diese in ein tieferes Interesse, ein innerlicheres Verständnis für die heiligen Werke der Kunst, über. Ich machte die Bekanntschaft einiger junger Künstler, in deren Gesellschaft ich mich außerordentlich wohl fühlte, und es kam mehr als einmal vor, daß mir eine Stunde, die in den ehrwürdigen Hallen der Universität hätte zugebracht werden sollen, in den munteren Werkstätten der Maler und Bildhauer verging. Von meiner Mutter hatte ich ein bißchen Zeichentalent geerbt, und zugleich auch einen sicheren Blick für die Kunst, der sich durch meinen täglichen Verkehr noch mehr übte und schärfte. Dennoch fühlte ich zur Ausübung der Kunst keine eigentliche Lust, hatte aber meine große Freude daran, die Erzeugnisse anderer zu betrachten, ihr Entstehen und Fortschreiten im Tone oder auf der Leinwand zu verfolgen und mit meinen Bemerkungen zu begleiten, die manchmal günstig aufgenommen, ein andermal aber selbst scharf kritisiert wurden, worauf ich dann nicht unterließ eine gebührende Antwort zu geben. Diese Art Repetitorium behagte mir unendlich viel besser, als Gamlings. Die herrlichsten Stunden aber verbrachte ich in Thorwaldsens Museum oder in der Moltkeschen und der Christiansborger Gemäldesammlung. Je öfter ich dorthin ging, desto lieber wurden sie mir. Ganze Stunden konnte ich vor den Arbeiten der großen Meister zubringen, bald den Linien der Perspektive folgend, bald mich in das wundervolle Spiel der Farben vertiefend. Eine unsagbar herrliche Schönheitswelt erschloß sich meinen forschenden Blicken; ich sah alles, was ich aus dem Erdenleben her kannte, und doch war es ganz anders, wie in die Strömungen des Äthers getaucht und in lichthelle Zonen erhoben. Neben dem unmittelbaren Schönheitseindrucke, der mich in einzelnen, besonders glücklichen Augenblicken mit beinahe überirdischer Freude erfüllen konnte, hatte ich auch das Gefühl, hier der Entwicklung des menschlichen Geistes, zwar nicht durch Bücher und geschnörkelte Schriftzeichen, sondern durch edle Formen hindurch folgen zu können. Es war mir dabei wichtig, zu erfahren, wann diese Werke entstanden waren, und die Entwicklung des Künstlers von seiner ersten Jugend bis in sein reifes Mannesalter und dann wiederum bis in sein spätes, etwas schwächer gewordenes Greisenalter zu verfolgen. Ich durchstöberte Kataloge und alte Schriften, hörte auch Vorlesungen darüber – kurz, ich war mit Kopf und Herz mitten drin in dem Studium der Kunstgeschichte.

Dies war nun alles sehr schön, nur hatte es einen Nachteil, und der war ernst genug, – es wollte sich nicht recht mit der Theologie in Einklang bringen lassen. Die Vorlesungen wurden auch schon in bedenklichem Grade geschwänzt, ja, meine Dreistigkeit ging so weit, daß ich mich an Gamlings Repetitorien vergriff. Er begann Unrat zu wittern, erteilte mir ein paar scharfe Zurechtweisungen, und als diese nichts nützten, hielt er mich einmal nach der Stunde, in der ich hinsichtlich der drei Jakobusse im Neuen Testamente klägliche Unwissenheit verraten und sie so durcheinandergebracht hatte, daß Gamling sie schließlich selbst miteinander verwechselte, zurück, ließ nun den Strom seiner Beredsamkeit volle drei Viertelstunden über mein Haupt brausen und schloß mit der Ausmalung eines sehr düsteren Zukunftsbildes, das mir wie durch die Bodenluke einer Scheune zeigte, wie tief nach Gamlings Aussage mehr als ein Student der Theologie schon gefallen war.

Diese Donnerworte blieben nicht ohne Wirkung auf mich, hatten aber gerade die ganz entgegengesetzte der von Gamling beabsichtigten. Es wurde mir klar, daß es nicht länger ginge, zweien Herren zu dienen: es mußte eine endgültige Wahl zwischen der Theologie und der Kunstgeschichte getroffen werden. Ich entschied mich für die letztere. Allerdings hätte ich erst noch das Examen pro ministerio machen und hinterher Kunstgeschichte studieren können, aber meine Liebe zu dieser war zu stark, daß ich mich hätte drein finden können, erst fünf Jahre um Lea dienen zu müssen, ehe ich mich um Rahel bewerben durfte. Was nützte mir überdies das Examen, wenn ich doch nicht Prediger werden wollte? Meiner Ansicht nach hieße dies fünf wertvolle Jugendjahre für den äußerst zweifelhaften Vorteil, ein Examen gemacht zu haben, fortwerfen. Ich ließ nun noch etwa vierzehn Tage vergehen, während welcher Zeit ich meinen Plan gründlich in Erwägung zog und gleichzeitig sehr fleißig in Gamlings Stunden lernte, um den Zorn des brüderlichen Repetenten nicht unnötig zu wecken. Er hatte nämlich bei der Entscheidung in nicht geringem Maße mitzusprechen. Vor einem halben Jahre hatte unser lieber Vater das Zeitliche gesegnet, und Gamling war nun als ältester Sohn das Oberhaupt der Familie. Er trat freilich nicht mit besonderer Autorität als solches auf; alles ging noch denselben Gang wie früher, aber dennoch konnte er meinem neuen Lebensplane große Hindernisse in den Weg legen. Es lag mir daher sehr am Herzen, Gamlings Zustimmung zu gewinnen.

Eines Abends nach dem Tee beschloß ich die entscheidende Schlacht zu wagen. Corpus Juris war im Theater, was ich für sehr günstig hielt, da ich mir vorher sagen konnte, daß ich an ihm einen entschiedenen Gegner finden würde. Allerdings ist Corpus Juris ein eifriger Freiheitsschwärmer, aber nachgerade hatte ich genug Welterfahrung, um zu wissen, daß diejenigen, welche am freigebigsten mit der Freiheit sind, wenn es gilt, sie gegen Vorgesetzte zu behaupten, gewöhnlich sehr damit geizen, sobald sie sie ihren Untergebenen gewähren sollen.

Gamling hatte diesen Abend einen Brief von Emmi erhalten, und dann pflegte er immer sehr umgänglich zu sein; daher hielt ich den Augenblick für besonders günstig für das Herausrücken mit meinem Plane. Um mich Gamling angenehm zu machen, stopfte ich ihm eine Pfeife und legte ihm ein ganzes Bund Schwefelhölzer hin, das ich, wie ich ihm sagte, eigens für seine Abendpfeife gekauft hatte.

»Schönen Dank, Nicolai«, sagte Gamling, indem er die Pfeife anzündete und einige lange Rauchwolken ausstieß, worauf eine kleine Pause eintrat.

»Christoffer«, begann ich darauf in sehr furchtsamem, demütigem Tone, »ich möchte gern über eine Sache, die ich mir schon längere Zeit überlegt habe, mit dir reden.«

»Was hast du denn?« fragte Gamling, die Pfeife senkend und mich freundlich ansehend.

»Ich fürchte, daß die Theologie nicht recht für mich paßt«, erwiderte ich mit einer Stimme, deren Mattigkeit gleichsam andeuten sollte, wie angegriffen ich von dem anstrengenden Studium sei.

»Ich finde doch, daß es in der letzten Zeit besser gegangen ist«, sagte Gamling. »Wenn du dich recht zusammennimmst und mit Fleiß und Ausdauer arbeitest, wird es schon gehen.«

Ich versuchte, Gamling nun auseinanderzusetzen, daß die Theologie mich nicht befriedige, ja, manches darin mich geradezu langweile. Dies machte jedoch keinen besonderen Eindruck auf ihn, denn er meinte, daß dergleichen wohl in jedem Studium vorkomme.

Auf diese Weise kam ich also nicht weiter; ich mußte die Sache von einer anderen Seite angreifen. Ich stellte Gamling vor, daß ich keinen rechten Beruf zum geistlichen Stande fühle und in unserer gärenden Zeit ein so verantwortungsreiches Amt nicht zu übernehmen wage. Dieses Argument wirkte mit ganz anderer Kraft auf Gamling, der sehr gewissenhaft ist. Er gestand, daß er selber schon mit einer gewissen Sorge daran gedacht habe. »Doch wenn du nicht Geistlicher werden kannst, Nicolai, was willst du dann werden?«

Da waren wir nun an dem punctum saliens angelangt, doch ich war nicht so dumm, gleich damit herauszuplatzen, daß ich Kunst und Ästhetik studieren wolle, denn dann würde Gamling, wie ich mir denken konnte, mit seiner ganzen Oppositionskraft auf mich losgefahren sein und mich vollständig besiegt haben. Ich zog es vor, ihn seine siegreiche Dialektik gegen sich selbst kehren zu lassen und erst, wenn er sich in einer fruchtlosenοχιομαχια mit allen möglichen Unmöglichkeiten und unmöglichen Möglichkeiten erschöpft haben würde, zu erklären, was eigentlich meine Absicht sei. Gamling verlor sich in eine lange Reihe Betrachtungen über alles das, wozu ich mich nicht eignete, – Jurist, Lehrer, Kaufmann, Arzt und Offizier, – und nachdem er glänzend bewiesen hatte, daß ich zu all diesem gar nicht paßte, schloß er mit den Worten: »Ich weiß wahrhaftig nicht, was du werden könntest.«

Meine Taktik war geglückt. Wie man den Zitteraal dadurch fängt, daß man ihn sich durch elektrische Schläge gegen den Bauch des Pferdes ermatten läßt, so hatte sich auch Gamling durch seine dialektischen Ausfälle gegen alles, was ich nicht werden konnte, erschöpft. Er war von dem Sichselbstwidersprechen sehr angegriffen, und ich konnte ihm jetzt ganz ruhig auseinandersetzen, was ich werden wollte. Der Haupteinwand war natürlich, daß man davon nicht leben könne, ich widerlegte ihn aber durch Hinweisung auf die verschiedenen Hilfsquellen, die mir zu Gebote ständen, und sagte, es sei nicht so wichtig, eine große Einnahme zu haben, wie bescheidene Ansprüche zu machen, und schließlich sei es doch für jeden Menschen die Hauptsache, in dem Beruf zu leben und zu wirken, für welchen er besondere Neigung fühle, überdies aber werde sich alles schon finden, wenn man nur Gott vertraue und energisch arbeite. Das letzte gab den Ausschlag, Gamling hielt mir noch ein paar Ermahnungsreden, Fleiß und Ausdauer zu zeigen und gab schließlich seine Einwilligung, und wer froh war, das war ich.

Am nächsten Morgen aber gab es einen fürchterlichen Krach mit Corpus Juris. Er kam noch auf nüchternen Magen zu mir hereingestürmt. »Was muß ich hören?« rief er mir zu. »Du willst nicht länger Theologie studieren?« »Haben dir deine Ohren das erzählt, so haben sie dich nicht belogen«, antwortete ich kaltblütig. Denn da ich Gamling für mich gewonnen hatte, war es mir gleichgültig, was Corpus Juris sagte; meinetwegen konnte er soviel lärmen und toben wie er wollte. Und das tat er nun auch. Er redete von ästhetischer Tagedieberei, wissenschaftlichem Unterhaltungsstudium, Verschwenden der kostbaren Jugendjahre und späterem der Familie Zurlastfallen, da meine Brüder dann für meinen Unterhalt sorgen müßten.

Mit den letzten Worten gelang es Corpus Juris, mich vollständig in Harnisch zu bringen. Ich erwiderte ihm, er könne überzeugt sein, daß ich lieber die harten Pflastersteine essen, als eine Brotkrume aus seiner Hand nehmen würde, – daß ich ein warmes Herz für alles Schöne und Herrliche hätte und nicht wie andere dürre Pergamentpuppen sei, die nur daran dächten, wie Geld zusammenzuscharren sei und wie viele Taler sie in Telegraphenaktien anlegen könnten. Das letzte war Corpus Juris gegenüber eine Anzüglichkeit, da er vor einigen Tagen 120 Kronen hierzu verwendet hatte. Er wurde infolgedessen auch nicht sanfter, und nachdem noch von beiden Seiten allerlei scharfe Worte gefallen waren, endete das Scharmützel damit, daß jeder in sein Zimmer ging und die Tür hinter sich zuwarf, daß die Fenster klirrten.

Ich war nie so aufgebracht über Corpus Juris gewesen, nicht einmal in jenen denkwürdigen Tagen im Nöddeboer Pfarrhause. Ich sollte meinen Brüdern zur Last fallen, und mich von ihnen erhalten lassen! Ja, Corpus Juris konnte sicher sein, daß ich eher arbeiten würde, bis mir das Blut unter den Nägeln hervorspritzte, als daß dieser Fall je einträte.

Es ist jedoch ein Glück, daß unser beider Zorn, wenn er auch schnell aufwallt, sich auch geschwind wieder legt. Wahrscheinlich wird Gamling Corpus Juris den Kopf zurechtgesetzt haben, denn noch am selben Nachmittage fragte er mich, ob wir nicht zusammen spazieren gehen wollten, – das gewöhnliche Zeichen einer Versöhnung zwischen uns. Von der Kunstgeschichte wurde freilich weder an diesem, noch an den folgenden Tagen gesprochen. Doch einige Wochen später schenkte mir Corpus Juris zu meiner Überraschung ein großes mit wertvollen Kupferstichen versehenes französisches Werk über Frankreichs Domkirchen zum Geburtstage. Und von dem Tage an zeigte er warmes Interesse für meine Studien und ging oft mit mir in die Museen, und da er sowohl Geschmack wie Kunstsinn besitzt, machte das Austauschen unserer Ideen uns beiden viel Freude.

Eine Bedingung hatte Gamling gestellt, und zwar die, daß ich zunächst auf keinen Fall daran denken dürfe, mich zu verloben. »Die Muse ist eifersüchtig«, sagte er, »und die Kunst fordert von ihren Anbetern Opfer. Ist dein Studium nicht ausschließlich unterhaltender Dilettantismus, sondern eine ernste Lebenssache, so darfst du dich auch nicht weigern, diese Opfer zu bringen. Im entgegengesetzten Falle zersplitterst du deine Kraft, Nahrungssorge verzehrt dich, und du gehst einer unglücklichen Zukunft entgegen.« Ich willigte gern ein; ich war des ewigen Verliebens, das nie zu einem Resultate führte, überdrüssig. Nach dem Neujahrstage im Nöddeboer Pfarrhause hatte ich mich im Laufe des Winters noch zwei oder dreimal verliebt, aber auch diese Lieben waren, wie alle anderen, längst wieder erloschen. Ich fing an zu glauben, es sei vielleicht mein Los, mich immer zu verlieben, aber nie zu verloben, und hielt es für die beste Kur für all diese Herzenserregungen, ein für allemal auf glückliche Liebe zu verzichten.

So vergingen vier Jahre, und so schwanden fünf dahin. Ich stand während dieser Zeit nicht faul in der Ecke, sondern betrieb meine Studien mit dem größten Eifer. In unseren Museen war ich gut zu Hause, dort gab es kein Gemälde, keinen alten Marmortorso, die ich nicht kannte und über welche ich nicht hätte Auskunft erteilen können. Auch eine kleine Reise ins Ausland hatte ich gemacht, mich einige Wochen in Dresden und München aufgehalten und mir dort die reichen Kunstsammlungen besehen. Nach meiner Heimkehr legte ich die Magisterprüfung in Ästhetik und Kunstgeschichte ab und hatte damit den ersten sicheren Standpunkt im Leben gewonnen, ich war nun nicht länger schlechtweg Student, sondern schrieb mit großen Buchstaben auf das Schildchen an meiner Tür »Candidatus Magisterii«, – der Titel schien mir ordentlich nach etwas zu klingen.

Um diese Zeit etwa machten meine beiden Brüder Hochzeit; Gamling zog mit Emmi auf eine bescheidene Pfarre in Westjütland, Corpus Juris, der zum Bureauchef vorgerückt war, blieb in Kopenhagen. Er und Andrea Margarete bezogen eine hübsche kleine Villa am Kastanienwege. Ich blieb nun in unserer alten Wohnung an der Weststraßen; und Westwallecke mit der Aussicht auf die gerade gegenüber liegende Mühle allein zurück und hatte alle drei Stuben ausschließlich zur Verfügung. Nun konnte ich nach Belieben alle Möbel umstellen, ohne daß Corpus Juris Einspruch dagegen erhob; ich konnte gerade so laut singen, wie ich wollte, ohne durch Gamlings ernstes »Still, Nicolai!« zur Ordnung gerufen zu werden. Anfangs war es mir sehr angenehm, diese Lieblingsfreuden ganz ungehindert genießen zu können; ich verlegte die Schlafkammer in die Eßstube und diese in das Studierzimmer, ich rückte mit den Sofas und den Tischen umher, bis schließlich die unter mir wohnenden Leute heraufschickten und fragen ließen, ob der Herr Kandidat nicht bald mit dem Umziehen fertig sei, – und ich sang so laut in den blauen Himmel hinein, daß es, meiner Meinung nach, der ganze Westwall gehört haben muß. Diese frische Gemütsstimmung hielt jedoch nicht lange vor, denn bald begann die Einsamkeit schwer auf mir zu lasten. Mir fehlte ebensosehr Gamlings freundliches »Guten Morgen!«, wenn ich morgens ins Zimmer trat, wie die wohlgemeinten Schelte meines anderen Bruders, wenn ich zu spät zum Mittagessen kam. Es war mir förmlich eine Leere, daß nun keiner mehr über mich brummte und mich anfuhr: Warum hast du das getan, Nicolai?« – oder: »Kommst du nun wieder zu spät, wir haben drei Viertelstunden auf dich gewartet!« – worauf dann gewöhnlich ein kleiner wohltuender Sprühregen von Ermahnungen, künftig pünktlicher zu sein, folgte. Jetzt sah ich die vier Wände an, die mir nie ein Wort sagten; ich kam nie mehr zu spät, denn niemand wartete auf mich. Wohl konnte ich nach dem Kastanienwege gehen und dort eine Tasse Kaffee umwerfen oder, was noch schlimmer war, das neueste Tageblatt zerreißen, aber Corpus Juris schalt nicht mehr wie in alten Zeiten, er behandelte mich als seinen Gast und sagte nur: »Das schadet nichts – nimm's dir nicht zu Herzen«, aber er sagte dies mit einer gewissen fremden Höflichkeit, die mir jegliche Lust für die Zukunft nahm, dergleichen Exzesse zu begehen.

Und wenn dann die Abenddämmerung kam und die Sonne hinter den ziehenden Wolken unterging und die Bäume des Waldes in glänzendes Gold tauchte, während ich, am Fenster stehend, zusah, – dann war mir bisweilen recht wehmütig zumute. »Nun sitzt Gamling in seiner Pfarre bei Emmi«, dachte ich dann, »und Corpus Juris plaudert mit Andrea Margarete, doch du, Nicolai, stehst hier ganz allein als Hagestolz, wie ein einzelner Handschuh.« Seltsame Traumbilder stiegen dann vor meinem inneren Auge auf, eine ganze Heerschar frischer, lachender Mädchengesichter, und ich trommelte auf die Fensterscheiben, aber ich sang nicht mehr:

»Stoßt langsam vom Land, stoßt langsam vom Land, –
Wir woll'n die bergensischen Jungfraun noch sehen – –«,

denn, ach, ich wußte ja nur zu gut, daß es für mich keine Jungfrau, weder eine bergensische, noch eine andere, geben durfte. Ich trommelte auf der Scheibe und summte dazu:

»Die Welt ist hell, und das Mädchen ist so schön,
Wir aber machen die Türe zu,
Sollt's auch mit Seufzen geschehn.« (C. Hostrup.)

Und ich seufzte tief; es ist schwer, sich zum einzelnen Handschuh bestimmt zu wissen, wenn man erst 24 Jahre alt ist.

Dann aber nahm ich mich wieder zusammen und sagte mir selber: »Nicolai, sei ein Mann! Wir leben in einer materialistischen, genußsüchtigen Zeit, in der jeder nur auf das bedacht ist, was ihm angenehm sein und ihm möglichst großen Lebensgenuß verschaffen kann. Da ist es gut, wenn es junge Männer gibt, welche sich der schweren Verantwortung der Pflicht bewußt sind und der gedankenlosen Welt zeigen können und wollen, daß sie das Kostbarste und Teuerste, was das Leben besitzt, einer Idee zu opfern bereit sind.« Und mit sicherer Bestimmtheit zündete ich die Lampe an, schlug die Kunstgeschichte auf und vertiefte mich mit dem stolzen Bewußtsein: »Hier sitzt ein Mann, der den Mut hat, das beste Kleinod des Lebens einer Idee zu opfern!« in meine Studien.

Doch in dieser Welt geht es wirklich wunderlich zu. Ich hatte geglaubt, daß der Kunstgeschichte dieses Opfer gebracht werden müsse und daß sie mich in das sichere, aber freudlose Gehege des Ledigbleibens einschließen werde, und nun war es gerade die Kunstgeschichte, die mir meine Frau schenkte und als der gute Genius auftrat, der mich in den glücklichen Hafen der Ehe führen sollte.

Auf meinen Wanderungen durch die Museen hatte ich eine eigentümliche Erscheinung bemerkt, die meine Aufmerksamkeit erregte. Es war ein Mann von mittlerer Größe, sein Gesicht war offen und klug, aber ziemlich von Runzeln gefurcht, die Augen waren groß und von lebhaft blauer Farbe, dazu hatte er eine gebogene Adlernase und einen dichten, graugesprenkelten Bart, – alles dies verlieh ihm einen mir sympathischen Ausdruck von Güte und Kraft. Dieser wurde noch mehr durch seinen etwas phantastischen Anzug hervorgehoben, von dem mir eine schwarze Samtjacke, eine bunte Seidenweste und ein niedriger, breitrandiger Hut, der Stirn und Augen stark beschattete, besonders aufgefallen waren. Ich konnte nicht in Zweifel sein, daß der Mann Künstler war, was noch mehr dadurch bekräftigt wurde, daß ich ihn öfter gesehen hatte, wie er sich lange in die Betrachtung eines oder des anderen Gemäldes vertiefte, ein paarmal traf ich ihn sogar mit einem Blatt Papier vor sich, auf dem er irgend etwas flüchtig skizzierte. Ich verspürte große Lust, seine Bekanntschaft zu machen, hatte mich ihm ein paarmal genähert, um eine Unterhaltung anzufangen, doch, Zufall oder Absicht, jedesmal hatte er sich beinahe in demselben Moment umgedreht und war fortgegangen, so daß ich bisher noch nicht dazu gekommen war.

Eines Tages stand ich in der kleinen vorzüglichen Moltkeschen Gemäldegalerie vor dem bekannten Mönchskopfe von Rubens. Viele, viele Male hatte ich das Bild schon betrachtet, doch jedesmal, wenn ich es wiedersah, glaubte ich neue Reize darin zu entdecken. Den zynischen Ausdruck und die natürliche Kraftfülle fand ich ganz meisterhaft dargestellt.

Auf einmal fühlte ich eine Hand auf meiner Schulter und hörte eine wohllautende Stimme zu mir sagen: »Ja, sehen Sie sich das Bild an, sehen Sie es sich ordentlich an, – daraus können Sie etwas lernen!«

Es war der Mann mit der Samtjacke und dem breitrandigen Hute; – er sah mich gar nicht an, sondern nur das von Rubens gemalte Bild, wobei seine blauen Augen vor Begeisterung strahlten.

»Das ist Kunst, echte, unverfälschte Kunst, aus Mutter Natur selbst gegriffen«, fuhr er feurig fort, »dazumal gab es Leute, die malen konnten, heutzutage haben sie die Kunst rein vergessen, oder richtiger gesagt, hierzulande hat man sie nie gerannt.«

»Nun, nun«, erwiderte ich ein wenig beleidigt, »wenn wir auch nicht imstande sind, wie Rubens zu malen, so können wir doch gute Bilder aufweisen.«

»Ja, was nennen Sie Bilder?« brach er los. »Eine Landschaft mit den ewigen Buchen, – ein Seestück mit Schiffen – oder ein paar hübsche Gestalten auf einem Genrebilde! Bah! Aber Christus und seine Apostel so zu malen, daß man unwillkürlich die Hände faltet und Tränen in den Augen fühlt – Götter und Helden in großen, herrlichen Formen und mit Farben zu malen, die in die Seele hineinlodern und brennen, daß man sich in eine verklärte Schönheitswelt hineingerissen glaubt – Gottes Tod! das nenne ich malen, aber wer von unseren Aufschnitthändlern hat davon eine Ahnung?«

Diese höhnische Abfertigung der ganzen dänischen Kunst kränkte mein Nationalgefühl, und ich erwiderte voll Bitterkeit: »Sie brauchen nur in die Nebenstube zu gehen und werden dort ein Porträt von unserem dänischen Maler Juel finden, das gar nicht übel ist.«

»Das Milchsuppengesicht? Wagen Sie davon zu reden, wenn Sie vor diesem Bilde von Rubens stehen? – Sirup und Honig gibt Juel zum Lecken für kleine Kinder, doch Rubens schenkte uns den unverfälschten Wein der Kunst, wie Männer ihn trinken sollen.«

»Kommen Sie nun, bitte, mit und sehen Sie sich es an«, sagte ich, den halb Widerstrebenden vor Juels Porträt ziehend. »Sehen Sie es sich nur recht an, es ist wirklich nicht so übel.«

»Allerdings, so ganz schlecht ist es doch nicht«, antwortete er sanfter.

»Sagen Sie noch, daß es nur Sirup und Honig sei?«

»Das war vielleicht zu kräftig ausgedrückt, aber man darf das Bild nicht mit Rubens' zusammen sehen,– nein, das geht wahrhaftig nicht! – Und Juel ist seit mehr als siebzig Jahren tot, wo aber finden Sie jetzt einen Maler, der solch ein Porträt malen kann?«

»Es wäre doch möglich. Entsinnen Sie sich zum Beispiel des Bildes von unserem alten Könige, das droben im Christiansborger Schlosse in dem kleinen Saale der neueren dänischen Schule dicht neben der Tür hängt.«

»Sprechen Sie mir nicht davon! Es ist wässerig, sage ich Ihnen, – das reine Wasser!«

»Es ist zu weit, um jetzt nach dem Christiansborger Schlosse zu gehen, – und überdies wird die Galerie schon geschlossen sein. Doch gingen wir dorthin, so würde es wohl jenem Porträt ebenso gehen, wie hier Juel, Sie würden es gar nicht so schlecht finden.«

»Ich bleibe bei dem, was ich gesagt habe, wie Rubens kann keiner von ihnen malen. Sehen Sie nur«, wir standen jetzt wieder vor dem Mönche, »sehen Sie den Zug hier um den Mund, sehen Sie den unrasierten Bart (einem Barbier würde der Mund danach wässern, ihn einzuseifen), sehen Sie die feurige Lebenskraft, die in den Augen spielt. – Dergleichen kann keiner unserer Maler schaffen.«

»Die dänische Kunst ist noch im Werden«, entgegnete ich. »Wir befleißigen uns eines gründlichen Studiums der Natur.«

»Und bilden uns dann gleich ein, wir seien Holländer, nicht wahr? Und weil wir gehört haben, daß Gerhard Dow drei Tage brauchte, um einen Besenstiel zu malen, so meinen wir gleich, daß, wenn wir drei Wochen an einem Riesensteine malen, wir viel mehr seien als Gerhard Dow.«

»Man soll das Naturstudium achten«, begann ich, wurde aber unterbrochen.

»Ja, was nennen Sie Natur? Habe ich rechts eine herrliche Waldpartie mit hohen Buchen und Aussicht über den Sund mit der Insel Hven und der schwedischen Küste im Hintergrunde und links ein Kartoffelfeld, so setzen wir uns hin und malen das Kartoffelfeld, denn das ist Natur, sagen wir, das andere ...«

»Geht über unsere Kraft!« fiel ich ihm in die Rede, denn jetzt war die Reihe des Unterbrechens an mir.

»Und dann wird in den Zeitungen Halleluja über das Kartoffelfeld gesungen und von üppigem Kolorit, breiter Pinselführung und wie die Kunstausdrücke, welche die Zeitungsschreiber dem Publikum um den Mund schmieren, sonst noch heißen, geschrieben. – Die Kerle sollten eigentlich Prügel haben, wenn auch das Publikum, das sich so an der Nase herumführen läßt, gar nichts Besseres verdient.«

Da ich mich nun von einer Zugehörigkeit zu diesen »Kerlen« nicht ganz freisprechen konnte, indem ich es auch zwei oder dreimal versucht hatte, den verirrten Geschmack des Publikums durch eine aufklärende Kunstkritik auf den rechten Weg zu führen, erlaubte ich mir in aller Bescheidenheit die Bemerkung, es gehe doch nicht an, alle über einen Kamm zu scheren, weil ja zwischen jenen führenden Kunstkritikern oft ein bedeutender Unterschied sei.

»Jawohl gibt es da einen Unterschied«, war die Antwort, »und zwar insofern, als einige noch schlechter sind als die anderen. Die ärgsten Schreier sind die, welche ausschließlich nach nordischer Kunst rufen; ich wünschte, sie baumelten dereinst alle miteinander an einem nordischen Galgen.«

Nun war gerade ich einer der Vorkämpfer für nordische Kunst und hielt mich daher für berechtigt, einen kräftigen Einspruch gegen diesen frommen Wunsch zu erheben.

»Ja, was ist denn nordische Kunst?« rief mein Maler voll Eifer aus. »Alles, was geistlos, langweilig und leblos ist. Malt einer ein Weibsbild mit dummen Dorschaugen, einem Rücken, der steif wie ein Besenstiel ist, und den Armen einer Gliederpuppe, und schreibt er dann »Göttin Freia« darunter, so heißt es gleich: »Nein, wie ist das schön, wie ist das schön, das ist echt nordisch!« Ein anderer kommt mit einer Landschaft, die ganz Grau in Grau, schwer wie Blei und zäh wie Gummielastikum gemalt ist, aber sofort ruft die Bewundererclique: »Welch eine Tiefe, das ist echt nordisch!« Kurz, alles, was ohne Farbe, ohne Leben, ohne Glanz und ohne Phantasie ist, – das ist nordische Kunst!«

»Daran, daß Sie sich so ungerecht gegen Ihre Kunstgenossen aussprechen, erkenne ich, daß Sie selber Maler sind«, sagte ich.

»Maler?« antwortete er, die Augen niederschlagend, und fuhr dann nach kurzer Pause in sanfterem Tone fort: »Nun ja, dürfen sich all die anderen Schmierer Maler nennen, so habe ich wohl auch das Recht dazu. Doch wenn ich mich in solch einer Gesellschaft wie hier befinde und diesen Mönch von Rubens oder jene alte Frau von Rembrandt ansehe, – ja, dann kann ich leider nicht wie Correggio sagen: »anch' io son' pittore!«, sondern muß in aller Demut bekennen: » io son' ein großer Pfuscher!«

Hier wurde unsere Unterhaltung durch den Aufseher unterbrochen, der uns darauf aufmerksam machte, daß die Galerie gleich geschlossen werde und wir uns entfernen müßten. Wir gingen zusammen die Treppen hinunter; vor dem Portal trennten wir uns und gingen in verschiedener Richtung durch die Breitestraße von dannen.


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