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X.

Ich war recht froh, als Onkel sich eines Tages einstellte, um, wie er sagte, Valborg zu holen. Sie dagegen war nicht so erfreut darüber, und Estrid sagte, Onkel müsse unverrichteter Sache nach Hause fahren und könne in acht Tagen wiederkommen. Dies war nun nicht nach meinem Sinne, und ich erhob also sofort ernstlich Einspruch dagegen.

»So gern wir Valborg behalten würden«, sagte ich, »wäre es doch unrecht gegen Mutter. Sophie und Johanna sind auch auf dem Lande zu Besuch, und sie sitzt allein zu Hause.«

Diesem gewichtigen Argumente mußte Estrid sich fügen, es wurde aber beschlossen, daß Valborg heute noch bleiben und erst am folgenden Morgen mit Onkel, der, weil wir ihn nicht unterbringen konnten, im Skodsborger Kruge für die Nacht einquartiert wurde, nach Kopenhagen zurückkehren sollte.

»Da heute der letzte Tag ist, den Fräulein Valborg hier zubringen wird«, sagte Eisbär, »müssen wir noch etwas Außerordentliches anstiften.«

»Was sollte das sein?«

»Wir müssen ihr zu Ehren ein großartiges Abschiedsfest feiern: Wir wollen sehen, was wir tun können, – ein Feuerwerk – –«

»Nein, danke sehr!« rief ich aus. »Das Haus hat ein Strohdach.«

»So denken wir uns etwas anderes aus, – ein Blumenfest mit Pyramiden von Georginen und Astern – –«

»Kannst du von den fünf bis sechs aufgeblähten Georginen, die hier im Garten sind, Pyramiden bauen?«

»Es wäre vielleicht auch zu gewöhnlich und alltäglich, erinnert auch zu sehr an die Tivolifeste, – nein, es müßte etwas Besonderes sein, – laßt mich nachdenken, – wartet einmal, – nun habe ich es: eine Segelfahrt nach Hven!!«

»Eine Segelfahrt!« rief Onkel. »Ich für meine Person muß danken! – Bitte, mich von dem Abschiedsfeste zu beurlauben!«

Auch mir gefiel der Vorschlag nicht, und ich erzählte Eisbär von unserem unglücklichen Umzuge zu Wasser.

»Ja, das kann ich mir denken«, sagte er, »es war aber auch eine ganz tolle Idee. Heute ist es jedoch etwas ganz anderes, wir haben gerade soviel Wind, wie wir brauchen, um vorwärts zu kommen, die See ist ganz ruhig, und ich bin überzeugt, daß wir in weniger als zwei Stunden dort sein können. Laß uns hören, was die Damen dazu sagen; sie haben gewiß mehr Mut als die beiden Hasenfüße, die hier sitzen.«

Da sowohl Estrid wie Valborg fanden, es könnte eine unvergleichlich reizende Tour werden, mußte ich schließlich meine Einwilligung dazu geben. Nur Onkel blieb standhaft bei seiner Weigerung, er habe, wie er sagte, auf seiner Seereise nach der Schwanenmühle genug ausgestanden und werde sein teures Leben nicht sobald den trügerischen Fluten wieder anvertrauen.

»Jetzt handelt es sich nur darum, ein gutes Boot aufzutreiben«, sagte Eisbär.

»Das bekommen wir von Ole Jensen, dem Fischer hier unten.«

Von Ole Jensens Seite stand der Fahrt nichts im Wege, er stellte uns sein Boot gern zur Verfügung.

»Wenn es nur besser geht als damals, als wir umzogen!« sagte ich.

»Wird schon«, antwortete der Fischer. »Heute ist feines Wetter, in einer Stunde, glaube ich, sind wir drüben.«

»Das Boot hätten wir also«, sagte ich zu Estrid, »doch wie wird es nun mit dem Mittagessen?«

»Wir nehmen kalten Hammelbraten und rote Grütze mit.«

Der Speisekorb wurde gepackt und alle sonstigen Reisevorbereitungen unter allgemeiner Heiterkeit und Freude getroffen; nur Onkel teilte diese nicht, er ging in den Stuben umher und brummte dabei allerlei in den Bart, wovon wir jedoch keine Notiz nahmen.

Wir frühstückten noch erst und schifften uns dann ein. Onkel begleitete uns, um dabei zuzusehen. Unsere kleine Gesellschaft nahm hinten im Boote Platz, Eisbär sollte steuern, und der Fischer stand vorn, um die Segel zu richten. Als wir alle untergebracht waren, stand Onkel allein auf der kleinen Landungsbrücke.

»Willst du nicht doch mitkommen?« riefen wir ihm zu.

»Nein, nein! ich mache lieber einen Spaziergang nach Rungsted.«

»Aber dann bist du ja den ganzen Tag allein. Komm doch mit, hier ist noch Platz für dich.«

»Nein, ich will nicht«, und Onkel zog sich so ängstlich zurück wie ein scheues Pferd.

»Macht Platz für ihn«, flüsterte Eisbär mir zu, »ich werde ihn holen.« Mit einem Sprunge war er aus dem Boote und neben Onkel, den er plötzlich in die Höhe hob. Dieser focht mit den Armen und zappelte mit den Beinen, war aber dem baumstarken Bildhauer gegenüber so ohnmächtig wie ein kleines Kind. Er wurde einfach in das Boot gesetzt, Eisbär sprang ihm nach und stieß rasch vom Lande ab, so daß wir schon eine ziemliche Strecke zurückgelegt hatten, als es Onkel richtig zum Bewußtsein kam, wo er war. Er fand sich jedoch voller Gutmütigkeit in das Unabänderliche, ja, er war sogar, als er beim Weiterfahren merkte, daß keine Gefahr zu befürchten war, mit dem Geschehenen recht zufrieden.

»Es ist doch besser hier zu sitzen, als allein nach Rungsted zu gehen«, sagte er ganz vergnügt.

»Und obendrein noch auf der sonnigen Landstraße«, fügte Estrid hinzu. »Nein, Onkel, das wäre nichts wert gewesen, hier ist es doch viel frischer und kühler.«

Eine Segelfahrt bei schönem Wetter ist ein unbeschreibliches Vergnügen. Es ist keine Anstrengung damit verbunden, man sitzt gemütlich still und dreht nur dann und wann das Steuer oder zieht das Segel straffer. Das Boot durchschneidet den leicht gekräuselten Spiegel des Meeres, dessen Wellen mit melodischem Plätschern an seinen Seiten entlang rauschen. Dann treibt ein bißchen Tang vorbei, oder man sieht eine Qualle mit ihren roten Fäden in dem klaren Wasser untersinken, oder ein Fisch macht einen munteren Sprung. Die Küste, die man verlassen hat, tritt immer weiter zurück, noch sucht man die einzelnen Häuser und Bäume zu unterscheiden, schließlich aber verschwimmt alles ineinander, und man sieht nur noch undeutliche Umrisse. Und dabei wird gemütlich geplaudert, man fühlt sich so heimisch, selbst Onkel ist jetzt ganz in seinem Elemente, beginnt sogar, seemännische Bemerkungen über Wind und Strömung zu machen und redet von »labberer Kühlte« und »Südstrom«.

Als wir indessen etwa die Hälfte des Weges zurückgelegt hatten, begann der Wind abzuflauen, und die Fahrgeschwindigkeit wurde geringer.

»Was wird dies, Ole?« fragte ich. »Wir bleiben doch nicht hier liegen?«

»Er nimmt sich noch wieder auf«, tröstete Ole mich. »Aber ganz so schnell, wie ich erst dachte, kommen wir nicht nach Hven.«

Estrid schlug vor, wir müßten ein bißchen spielen.

»Ja, aber was?«

»Taschentuch zuwerfen«, meinte Onkel.

»Und es dabei ins Wasser fallen lassen! Nein, Onkel, das geht nicht.«

Eisbär sagte, er kenne ein Spiel, das sich gerade für eine solche Segelpartie gut eigne.

»Was ist das für ein Spiel? Laß es uns hören!«

»Es ist sehr einfach und leicht gelernt«, sagte Eisbär. »Zuerst wählt sich jeder einen Namen, den eines Tieres oder einer Pflanze oder sonst eines Gegenstandes, der ihm gefällt.«

Nun wählten wir Namen: Eisbär den Panther, ich das Pferd und Onkel das Murmeltier. Estrid wählte die Nachtigall und Valborg die Mohnblume.

Darauf fuhr Eisbär fort: »Jetzt beginne ich das Spiel damit, daß ich in langgezogenem Tone ›Hallo hoo‹ rufe, die anderen antworten in demselben Tone: ›Aufgepaßt‹; dann rufe ich: ›Verliebt‹, die anderen fragen: ›In wen?‹, und ich nenne einen der erwählten Namen. Dann ist dieser an der Reihe, und das Spiel beginnt von vorn.«

»Ist dies das ganze Spiel?« fragte ich. »Das kann ich wirklich nicht amüsant finden.«

»Wir wollen es versuchen«, antwortete Estrid, »es kann ja amüsanter sein, als du denkst.«

»Jetzt fange ich an«, sagte Eisbär und rief in übermäßig lautem, langgedehntem Tone: »Hallo hoooo!«

»Auf–ge–paßt!« antwortete der Chor in demselben Tone.

»Verliebt!«

»In wen?«

»Murmeltier.«

»So klug ist er doch, daß er nicht gleich Valborg nennt«, dachte ich.

»So, Onkel, jetzt mußt du fortfahren!«

»Ich?«

»Dein Name ist ja genannt worden.«

»Bin ich denn ein Murmeltier?« fragte Onkel beleidigt.

»Du hast dir den Namen selber gewählt, mußt also auch darauf hören.«

»Nein, dann will ich lieber ein Papagei sein, der ist doch lustiger als ein Murmeltier.«

»Das kannst du auch sein, wenn du jetzt nur fortfahren willst«, sagte Estrid, die sehr darauf erpicht war, das Spiel in Gang zu bringen.

»Hallo ho!« rief Onkel.

»Aufgepaßt!«

»Verliebt!«

»In wen?«

»Saure Milch!«

Jetzt gab es wieder großen Lärm; Onkel verteidigte sich. Er glaubte, man solle das nennen, nach dem man für den Augenblick das größte Verlangen trage, und das war für seine Person saure Milch gewesen. Wir machten ihm nun begreiflich, daß er eine der anwesenden Personen nennen müsse.

»Ja, dann bin ich in Estrid verliebt«, erklärte er.

Wieder mußten wir ihm erklären, er dürfe nicht den wirklichen Namen des Betreffenden aussprechen, sondern müsse den angenommenen nennen. Es dauerte eine Weile, bis wir ihn ganz über das Spiel aufgeklärt hatten; als ihm aber erst ein Licht darüber aufgegangen war, rief er am allereifrigsten »Hollo ho« oder »Aufgepaßt«, je nachdem das eine oder das andere auf sein Los fiel.

Nun kam das Spiel ordentlich in Gang. Es klang wie ein Rundgesang, dessen stehenden Refrain »Hallo ho« und »Aufgepaßt« bildeten. Wir modulierten beide in allen Tonarten, bald erklangen sie kurz und scharf, bald lang und weich. Das Boot schaukelte sacht und wiegte uns in sanftes Hinträumen ein. Merkwürdig verliebt ineinander waren der Panther und die Mohnblume; anfangs nannten sie auch andere Namen, später aber genierten sie sich gar nicht mehr und waren unzertrennlich.

Der Himmel war so blau, das Wasser so klar und der Wind so weich, daß wir, ohne es zu gewahren, in unsere eigenen stillen Gedanken versanken. Das Boot glitt indessen ebenso unmerklich durch die Flut, und auf einmal meldete Ole Jensen, daß wir jetzt gleich in Hven sein würden.

Wir blickten auf und sahen die Insel dicht vor uns, die Abhänge, die von der seeländischen Küste aus so steil erscheinen, verloren in der Nähe bedeutend. Wir legten an einigen großen Felsblöcken an, über welche wir mit einiger Mühe hinwegbalancieren mußten, um an Land zu kommen. Onkel verlangte, aus dem Boote hinaus getragen zu werden, da er ja auch hineingetragen worden sei, doch davon wollten wir nichts hören. Er blieb im Boote sitzen; als aber auch der Speisekorb herausgenommen wurde, mußte er sich zum Aussteigen bequemen. Mit großer Ängstlichkeit schwankte er über die rauhen Steinblöcke hin, verlor seinen Stock, den er als Balancierstange benutzte, und wäre selbst hinterdrein geplumpt, wenn Eisbär ihn nicht mit einem kräftigen Schultergriffe an Land gezogen hätte, worauf wir auch seinen Stock wieder auffischten.

Unser erster Gang galt natürlich der klassischen Stätte der Insel, den Ruinen der Burg Tycho Brahes. Ich hatte mich darauf vorbereitet, hier einen längeren historischen Vortrag über den großen Astronomen und sein tragisches Geschick zu halten, doch als ich den Hörerkreis um mich versammeln wollte, stellte es sich heraus, daß er sich bedeutend verkleinert hatte. Nicht weniger als die Hälfte meiner Zuhörer war verschwunden, Eisbär und Valborg nämlich. Ich rief nach ihnen, erhielt aber keine Antwort. Nun wollte ich sie suchen, doch Estrid sagte: »So laß sie doch! sie sind ja beide vernünftige Menschen, die nicht mehr beaufsichtigt werden brauchen.«

»Ja, ich weiß wirklich nicht, ob sie das sind, – es wird doch besser sein, daß ich sie hole. Komm, Onkel, hilf mir, sie suchen!«

»Und ich soll hier allein bleiben?« fragte Estrid. »Um deine Frau bist du gerade nicht sehr besorgt.«

»Du kannst ja mit uns kommen.«

»In der Mittagshitze ist es zu heiß zum Gehen«, wandte Estrid ein. »Laß uns lieber hier bleiben. Auf solchen Ausflügen muß jeder seine Freiheit haben; wollen wir die Ruinen besehen, so muß uns das erlaubt sein, und haben sie keine Lust dazu, so sollen sie es auch nicht nötig haben.«

Ich mußte mich bescheiden und mich mit den beiden Zuhörern begnügen, die ich bei mir hatte, von denen aber der eine – Onkel – ein sehr schlechter war, da seine Gedanken sich nur mit dem Hammelbraten, den wir zu Mittag haben sollten, beschäftigten. Ja, er unterbrach mich wiederholt mit Fragen nach dem Braten, bis ich ihm in hartem Tone und mit zornigen Blicken zu verstehen gab, er müsse sich entweder entfernen oder schweigend zuhören. So schwieg er denn, setzte sich unter einen Busch und zeichnete mit seinem Stocke im Sande, vielleicht Bilder von dem Hammelbraten, was ich ihm ja nicht verbieten konnte.

Desto eifriger folgte Estrid meinem Vortrage; sie hörte nicht nur zu, sondern stellte auch Fragen. Darauf machten wir uns daran, die spärlichen Mauerüberreste, die noch vorhanden waren, zu untersuchen, räumten den Schutt fort und stellten Messungen an, wobei wir allerlei Vermutungen aussprachen. Onkel war inzwischen unter seinem Busche eingeschlafen, und wir konnten uns ungestört unseren Forschungen hingeben, in die ich mich so vertiefte, daß ich Eisbär und Valborg ganz darüber vergaß. Als wir endlich fertig waren und wieder fortgehen wollten, – Onkel erwachte und streckte seine Glieder mit lautem Gähnen – stellten die beiden Ausreißer sich ein. Ich fuhr augenblicklich mit der Frage: »Wo bleibt ihr so lange, und wo seid ihr die ganze Zeit über gewesen?« auf sie los.

»Wir schlugen einen verkehrten Weg ein«, sagte Eisbär ruhig, »und haben uns wahrscheinlich dadurch verirrt.«

»Aber wie kann sich ein Mensch auf dieser kleinen Insel verirren!« rief ich erregt. »Das begreife ich einfach nicht. Valborg, antworte! Wie hängt dies zusammen?«

Valborg antwortete verlegen und stotternd, sie könne es nicht erklären, sie seien nur einen Augenblick der Aussicht wegen am Wasser zurückgeblieben und hätten uns so verloren.

Ich wollte ein scharfes Kreuzverhör mit ihnen anstellen, aber Estrid ließ mich nicht zu Worte kommen. Sie erklärte, es sei wirklich überflüssig, noch darüber zu sprechen, jetzt hätten wir einander ja gefunden, und nun sei es wohl das Notwendigste, daß wir einen hübschen Platz, wo wir unser Mittagessen verzehren könnten, ausfindig machten.

»Mittagessen!« rief Onkel mit strahlendem Gesicht aus. »Ja, dazu wäre es wirklich an der Zeit!«

Nach einigem Suchen fanden wir einen schattigen Platz unter einigen Erlen und Weiden am Rande eines munter rieselnden Baches, der uns mit Wasser versehen konnte. Das Tischtuch wurde auf das Gras gedeckt, die Gerichte hingesetzt und wir lagerten uns. Eine Flasche Rotwein hatten wir mitgebracht, und ich füllte nun die Gläser mit dem rubinrot funkelnden Getränk.

Ich sprang auf, erhob mein Glas und begann: »Meine Freunde! Ein Hoch auf Hven und seine stolzen Erinnerungen! Klein und unansehnlich erhebt es sich aus den Wogen des Sundes, umschwebt von kreischenden Seevögeln und weißen Segelschiffen; flach ist sein Boden und niedrig das Dach seiner Kirche, aber in stiller Nacht, wenn über ihm die Sterne funkeln, schwebt über der flachen Insel ein Name, der, dem hellen Nordstern vergleichbar, weithin in der Geisteswelt leuchtet und unserem Vaterlande Glanz verleiht. Hoch lebe die kleine Insel mit dem großen Namen, Hoch das kleine Land mit den großen Erinnerungen!«

Kaum hatten wir einander zugetrunken, so ergriff Eisbär das Wort: »Ich bringe kein Hoch auf Dänemarks Erinnerungen, sondern eines auf seine Zukunft aus, und zwar ein Hoch auf die dänische Frau, denn sie ist es, auf die unsere Zukunftshoffnung sich stützt! Doch ich bitte, zu entschuldigen, daß mir das Wort nicht zu Gebote steht wie dem geehrten Vorredner, weil meine Sprache in meiner Hand und nicht auf meiner Zunge liegt. Gern preise ich die schönen Augen, deren Blau tiefer ist als das des Sundes, das reiche Haar, das herrlicher glänzt als die goldenen Ähren im Sonnenscheine und das treue Herz, das größere Schätze als alle Wunder des Meeres birgt, – aber ich fühle zu deutlich, daß alles dies nicht entfernt das, was ich eigentlich sagen möchte, ausdrückt. Deshalb schließe ich, wie ich angefangen habe, mit einem Hoch auf die dänische Frau, die Stütze unserer Zukunftshoffnung!«

Eisbär stieß mit Valborg an, als ob das Hoch auf sie allein ausgebracht sei, ich beeilte mich daher, mit ihnen anzustoßen, war dabei aber so hastig, daß ich meinen Wein auf das Tischtuch goß.

»Ein gutes Omen für die Zukunft«, meinte Eisbär.

Onkel dachte weder an Vergangenheit noch an Zukunft, sondern hielt sich an die Gegenwart, das heißt an den Hammelbraten und die rote Grütze, der er mit Wort und Tat das höchste Lob spendete, wobei er zugleich Estrids Kochkunst seine Anerkennung aussprach und mich ermahnte, doch endlich einmal einzusehen, welch eine vortreffliche Hausfrau ich hätte.

Nach beendeter Mahlzeit wollten wir Kaffee trinken, der aber erst bereitet werden mußte. Die Zutaten hatten wir selbst mitgebracht, und Wasser spendete uns der nahe Bach. Doch an eines hatten wir nicht gedacht, und das war das Brennholz. Wir sammelten nun freilich einige Zweige und dürres Buschwerk, aber da es nachts geregnet hatte, war das Holz noch feucht. Nur mit Mühe gelang es uns, es überhaupt anzuzünden, und als es kaum Feuer gefangen hatte, drohte es schon, wieder zu erlöschen. Wir mußten abwechselnd Blasebalg spielen, was sehr beschwerlich war. Man mußte nämlich in sehr gezwungener Stellung auf den Knien liegen und unausgesetzt blasen, bis der Rauch die Augen mit Tränen füllte und Hustenreiz hervorrief, worauf man sich schnell von einem anderen ablösen ließ. Infolge unserer Ausdauer gelang es uns allmählich, das Holz wenigstens zu trocknen, und schließlich züngelten muntere Flammen in die Luft. Bald hatten wir die Freude, den summenden Ton des Wassers zu hören, der uns ankündigte, daß es zu kochen begann. Wir freuten uns alle auf den Augenblick, da wir die Frucht unserer Anstrengungen genießen würden.

»Ich werde das Feuer schon ein wenig stärker zum Aufflammen bringen«, erklärte Onkel, schürte es mit einem Stöckchen, stieß gegen den Kessel, – – »hu – u – tsch« sagte es, – da lag der Kessel, alles Wasser strömte heraus, und statt des schönen Feuers erblickten wir einen rauchenden Aschenhaufen und einige verkohlte Zweige.

Ein allgemeines Jammergeschrei folgte; Onkel hätte nicht erschreckter aussehen können, wenn er ein ganzes Gehöft in Brand gesteckt hätte.

»Nun müssen wir auf das Vergnügen verzichten«, sagte ich mit stoischer Ruhe.

»Nein, das fällt uns gar nicht ein«, antwortete Estrid. »Das Wasser ist freilich verschüttet, aber im Bache ist mehr, und ein neues Feuer werden wir schon anzünden können.«

»Habt ihr Mut, von vorne wieder anzufangen?«

»Ja, den haben wir!« lautete die einstimmige Antwort, und nun schickten wir uns wieder an, Holz zu sammeln, was jetzt, weil wir das erste Mal nicht viel übrig gelassen hatten, bedeutend schwieriger war, als vorher. Wir mußten unsere Forschungsreisen auf einen viel weiteren Umkreis ausdehnen, und Onkel zeigte großen Eifer, sein Versehen wieder gutzumachen. Er durfte indessen nur Holz sammeln und sich dem Feuer, als es wieder angezündet war, nicht nähern, blieb daher aber auch von dem anstrengenden Blasebalgamte befreit. Infolge unseres Eifers, der jetzt von großer Sorgfalt und Vorsicht begleitet war, wurden unsere Bemühungen mit Erfolg gekrönt; wir füllten die Tassen mit dem dampfenden braunen Tranke, taten Zucker und Sahne hinein und erklärten einstimmig, noch nie so vorzüglichen Kaffee getrunken zu haben.

Der Nachmittag war heiß, aber die Bäume und Büsche, unter denen wir lagen, gaben doch Schatten, und frische Seewinde fächelten uns Kühlung zu. Wir blieben daher liegen, wo wir uns gelagert hatten, ließen das Auge mit Behagen auf dem frischen blauen Sunde ruhen, zählten die vorbeifahrenden Schiffe, stritten uns, ob es Bark- oder Briggschiffe, Schoner oder Jachten seien, betrachteten die Türme von Landskrona, und einige von uns behaupteten sogar, die Türme von Kopenhagen sehen zu können. Die Unterhaltung war teils eifrig im Gange, teils erstarb sie ganz, um sich dann wieder zu beleben, gerade so wie der leichte Sommerwind bald heftiger wehte, bald zu Windstille abflaute. Schließlich mußte ich jedoch im Gefühl meiner hausväterlichen Verantwortung an das Verrinnen der Zeit erinnern und zum Aufbrechen mahnen.

»Wo willst du denn jetzt hin?« fragte Eisbär. »Du bist immer solch unruhiger Geist.«

»Wir müssen doch an die Heimfahrt denken.«

»Schon nach Hause? Nein, dazu haben wir es hier viel zu gut. Sind die Herrschaften nicht auch meiner Ansicht?«

Ein allgemeines »Ja« war die Antwort, und ich war überstimmt. Vor einer Stunde wollte keiner fort.

Als die Stunde vergangen war, versuchte ich es wieder, sie auf die Beine zu bringen.

»Wir wissen nicht, wie lange die Rückfahrt dauern wird, und wir müssen doch vor Dunkelwerden wieder zu Hause sein.«

»Warum?« fragte Eisbär, der am allerwiderspenstigsten war. »Ist der Abend nicht die allerbeste Zeit zum Segeln? Gibt es etwas Schöneres, als im stillen Dämmerlicht der Sommernacht über den blanken Meeresspiegel hinzugleiten, während die goldenen Sterne, wie du vorher so schön sagtest, über uns funkeln und Tycho Brahes unsterblichen Namen in glänzenden Zügen erstrahlen lassen?«

»Estrid und Onkel«, sagte ich, »ihr pflegt ja sonst die Vernünftigen zu sein, steht mir nun bei, daß wir fortkommen.«

»So eilig ist es wirklich nicht«, meinte Estrid. »Den Sonnenuntergang können wir wenigstens noch abwarten.«

Alles, was ich erreichen konnte, war, daß wir langsam nach dem Ufer hinunterschlenderten. Hier übte das Wasser seine Anziehungskraft aus, wir betrachteten den Wellenschlag, warfen kleine Zweige und Grashalme ins Wasser und ließen die Strömung sie wieder ans Land treiben, begannen darauf mit dem sogenannten »Butterbrotwerfen« und wetteten miteinander, wessen Stein die meisten Sprünge auf der Wasserfläche machen werde. Und als die Sonne untergegangen war, bewunderten wir das schöne Farbenspiel in Wasser und Luft und den goldenen Abendhimmel vor uns über Seeland, der sich in den blanken Wellen widerspiegelte, während hinter uns bläuliche Abendnebel die Luft trübten und im Süden sich dunkle Wolken zusammenzogen.

Endlich hatte ich die Gesellschaft bei dem Boote versammelt, doch nun fehlte der Fischer. Onkel sprach die nicht unwahrscheinliche Vermutung aus, daß er in dem eine Strecke entfernt liegenden Kruge sein werde, und erbot sich, ihn zu holen. Wir anderen blieben zurück und warteten eine geraume Zeit; wir begannen sogar schon davon zu reden, daß jemand hingehen müsse, um Onkel zu holen. Da erblickten wir ihn oben auf dem Hügel und neben ihm Ole Jensen, der ziemlich schwankend ging.

»Der hat die ganze Zeit im Kruge gesessen und ist betrunken!« flüsterte Eisbär mir zu.

»Na, das ist eine schöne Geschichte«, sagte ich. »Wie sollen wir dann nach Hause kommen?«

»Es wird schon gehen. Laß nur deine Frau und deine Schwägerin nichts merken, sie ängstigen sich sonst zu sehr.«

Ole Jensens Zustand ließ sich jedoch nicht verheimlichen. Estrid und Valborg sprachen beide ihren Schrecken darüber aus, daß wir zur Nacht mit ihm auf die See sollten.

»Deshalb hättet ihr meinem Rate folgen und abfahren sollen, als es noch hell war, aber das wolltet ihr ja nicht«, sagte ich.

»Seien Sie nur nicht bange!« tröstete Eisbär sie. »Der Rausch verfliegt, sobald Ole im Boote sitzt; es geht ihm wie den Seevögeln, die sowohl fliegen wie schwimmen können, sobald sie in ihr Element kommen.«

Es war auffallend, mit welcher Sicherheit Ole Jensen, der auf dem Lande so unsicher auf seinen Beinen gewesen, in seinem Boote mit Mast und Segel umging. Dieser Anblick flößte uns wieder Mut ein, und wir stiegen ins Boot. Eine leichte Brise brachte uns schnell vorwärts.

Ole Jensen, der bisher gar nicht gesprochen, erhob auf einmal seine Stimme: »Also jetzt soll es nach Schweden gehen.«

»Nein, keinenfalls, jetzt wollen wir nach Hause.«

»Ach so, die Herren wollen nach Kopenhagen.«

»Hört, Ole Jensen«, sagte ich in strengem Tone, »bemüht Euch nun, Eure Gedanken zu sammeln und Euch klar zu machen, wo Ihr seid. Wir wollen nach Vedbaek zurück.«

»Nach Vedbaek! Das ist ja auch wahr«, murmelte er vor sich hin.

Wir begannen uns miteinander zu unterhalten, wurden aber durch Ole Jensen wieder unterbrochen. »Wollen wir nicht das Verliebtseinspiel wieder spielen?« fragte er. »Hallo ho! Jetzt bin ich in die Jungfer da verliebt.« Damit zeigte er auf Valborg.

Nun aber erhob sich Eisbär, ging nach dem Vorderende des Bootes, packte den Fischer mit festem Griffe an der Schulter und sagte: »Du bist betrunken, Ole. Wenn du jetzt nicht augenblicklich wieder nüchtern wirst, werfe ich dich wie einen Handschuh auf den Meeresgrund, wo die Dorsche dich fressen können!« Und um der Drohung mehr Nachdruck zu geben, schüttelte er den Fischer tüchtig.

»Gnade, lieber Herr, Gnade!« jammerte dieser. »Bedenkt, daß ich verheiratet bin und unversorgte Kinder habe.«

»Ja, dann sorge dafür, daß du nüchtern wirst!« sagte Eisbär, den Fischer mit solcher Wucht auf die Ruderbank niederdrückend, daß das Boot knackte.

Der Schrecken hatte die Wirkung, daß Ole Jensens Rausch sofort verflog und es ihm klar zu Bewußtsein kam, wo er war und was er sollte. Eine Weile kamen wir schnell vorwärts, dann aber flaute der Wind allmählich ab, und bald hingen die Segel ganz schlaff herunter.

»Es ist kein Wind mehr da«, bemerkte Eisbär, »wir werden rudern müssen.«

»Wir werden gleich mehr Wind haben, als wir wünschen und brauchen«, antwortete der Fischer. »Sehen Sie nur dorthin!« Wir drehten uns um und sahen nun, daß dichte, schwarze Gewitterwolken heraufzogen und sich so schnell näherten wie in Sturmschritt vorrückende Heeresmassen.

»Es wird besser sein, daß ich das Segel rechtzeitig einziehe«, sagte der Fischer, und es war auch die höchste Zeit, denn kaum war das Segel gestrichen, so fuhr ein Windstoß mit solcher Gewalt über das Boot hin, als wollte er es zum Kentern bringen, während die Wellen ringsumher in heftige Bewegung gerieten.

Estrid erblaßte und faßte meinen Arm, blieb aber stumm. Über uns rollte es dumpf, das Gewitter war da. Nun folgte eine nur einen Augenblick dauernde, beängstigende Stille, der Himmel hatte sich mit Wolken überzogen, und es war ganz dunkel. Plötzlich wurde es hell, ein zickzackartiger, schwefelbläulicher Blitz schlug kaum hundert Schritt von uns ins Wasser, und ihm folgte ein Donnerschlag, wie wenn das Himmelsgewölbe im Begriffe sei, einzustürzen.

Estrid schmiegte sich dicht an mich.

»Fürchtest du dich?« fragte ich.

»Solange du bei mir bist, nicht. Wir stehen in Gottes Hand.«

»Das tun wir«, sagte ich.

Ein paar schwere Regentropfen fielen. Eisbär erhob sich schnell, nahm sein Plaid ab und hüllte Valborg darin ein.

»Aber dann werden Sie ja naß«, wandte sie ein.

»Das macht nichts, ich kann es vertragen, Sie aber nicht. Tun Sie mir die Liebe, es zu behalten, ich bitte Sie darum.«

Der Regen strömte nieder, er klatschte wie ein Wolkenbruch, ringsumher hörten wir die Wellen rauschen und den Regen plätschern, zwei ganz verschiedene Wassergeräusche. Heftige Blitze zerrissen das Dunkel, rollende Donnerschläge krachten. Wir wurden durchnäßt, beachteten es aber kaum, denn die mächtigen Naturkräfte, die in zügelloser Gewalt um uns her tobten und denen gegenüber wir uns vollständig hilflos fühlten, nahmen all unser Denken gefangen. Wir saßen dicht aneinandergedrängt und sprachen nur wenig, doch schon in dem Zusammensein allein lag etwas Tröstliches.

Eisbär, der Valborgs Hand in der seinen hielt, sagte, sich erhebend: »Ich will doch zu rudern versuchen.«

»O nein, bleiben Sie sitzen!« flüsterte Valborg. »Ich fürchte mich so!« Da setzte er sich wieder neben sie und ergriff von neuem ihre Hand.

Allmählich wurden die Pausen zwischen Blitz und Donner länger, schließlich hörten beide auf, und wir sahen es nur noch in der Ferne wetterleuchten; das Gewitter war nordwärts gezogen. Der Regen aber strömte noch eine Weile. Dann hörte auch er auf, der Himmel wurde ebenso plötzlich klar, wie er sich vorher verdunkelt hatte, und die goldenen Sterne strahlten mit einem Glanze und einer Ruhe, als sei nichts geschehen. Der Wind hatte sich ganz gelegt.

»Und nun an die Ruder!« rief Eisbär, aufspringend, aus. »Jetzt heißt es die Arme gebrauchen, Ole, damit wir möglichst schnell ans Land kommen.«

Jeder ergriff sein Ruder, und die kräftigen Schläge brachten das Boot schnell vorwärts. Zum Glück hatten wir es nicht mehr weit, da wir während des Gewitters ein ganzes Ende näher an Seeland herangetrieben waren.

»Das war eine böse Fahrt«, erklärte Onkel, als er sich wieder auf dem Trocknen befand und sich dort wie ein nasser Pudel schüttelte. »Du hast kein Glück mit deinen Segeltouren, Nicolai; und ich bitte, mich zu entschuldigen, wenn ich nicht wieder mitkomme.«

»Eine bessere Segelfahrt als diese kann es gar nicht geben«, sagte Eisbär. »Das Gewitter war ein über alle Maßen großartiges Schauspiel.«

»Jetzt müssen wir nach Hause und etwas Heißes trinken«, meinte ich.

»Onkel und ich laufen im Galopp nach dem Skodsborger Kruge«, sagte Eisbär, »dabei wird uns schon heiß werden. Gute Nacht und vielen Dank für den schönen Tag.« Damit eilte er schnell davon, und Onkel trabte so rasch hinterdrein, wie seine kurzen Beine ihn fortbringen konnten.

Wir anderen begaben uns schleunigst nach dem Rosenhause, wo Anna zu meinem großen Erstaunen noch aufsaß und auf uns wartete, obwohl Mitternacht schon lange vorüber war. Sie hatte sich sehr bei dem Gewitter und dem heftigen Platzregen geängstigt und vor unserer Rückkehr nicht zu Bett gehen wollen.

Dank unserer Jugend und Gesundheit fehlte uns am nächsten Tage nichts, und wir versammelten uns frisch und munter um den Teetisch. Im Laufe des Vormittags kam Eisbär mit Onkel, der sehr lächerlich aussah, da er sich von Eisbär Zeug, das ihm viel zu lang und zu weit war, hatte leihen müssen, unter anderem einen schwarzen Frack, dessen Schöße ihm bis an die Knöchel reichten und in welchem er einem Konfirmanden, der in seinen Staat erst hineinwachsen soll, glich.

»Das Allerbeste von der Geschichte ist, daß Sie heute noch hier bleiben müssen, um sich auszuruhen«, sagte Eisbär zu Valborg.

Der Kampf zwischen Pflicht und Neigung wurde Valborg gewiß schwer, doch siegte jene. Valborg erklärte, aus Rücksicht auf ihre Mutter könne sie nicht länger bleiben.

»Doch bis heute nachmittag kannst du gern bleiben«, sagte Estrid, »es ist früh genug, wenn Mutter dich heute abend wiederbekommt.«

Und so geschah es denn.

Es lag heute jedoch etwas Gedrücktes in der Stimmung; das heißt, ich für meine Person war sehr mit der Welt zufrieden, aber die anderen waren nicht so heiter wie sonst. Estrid machte den Vorschlag, Valborg solle am Sonntag wiederkommen, doch diese meinte kopfschüttelnd, es ginge nicht. »Die Trennung dauert ja nicht mehr lange«, tröstete ich sie. »Nächste Woche sind die Ferien zu Ende, und dann sehen wir uns alle in der Stadt wieder.«

Nachmittags brachten wir Valborg und Onkel nach dem Dampfer. Ich wollte Valborgs Gepäck tragen, aber Eisbär entriß es mir und wollte es mich nicht tragen lassen. Wir gingen ziemlich langsam, als ob uns die Trennung schwer würde, bis wir plötzlich den Rauch erblickten und unseren Gang beschleunigen mußten, und wir kamen auch noch gerade so rechtzeitig an, daß unser Besuch in das Boot, das ihn nach dem Dampfer befördern sollte, steigen konnte. Das Boot war schon abgestoßen, als Eisbär mit einem mächtigen Satze hineinsprang, indem er uns zurief: »Ich begleite sie nur an Bord.« Estrid und ich blieben stehen und winkten, sie mit ihrem Taschentuche, ich mit meinem Hute. Wir sahen das Boot am Dampfer anlegen, – Onkel kletterte zuerst hinauf, dann kam Valborg, die Eisbär die Hand zum Abschied reichte, – der Dampfer setzte sich in Bewegung, und das Boot kam mit Eisbär zurück.

»Du kommst wohl wieder mit uns?« fragte ich ihn.

»Danke, da ich einmal hier bin, kann ich auch gleich hier bleiben«, antwortete er.

»Nun, was sagst du jetzt?« fragte Estrid, als wir allein nach Hause gingen.

»Heute ist schönes Segelwetter«, erwiderte ich, den klaren Sommerhimmel betrachtend.

»Ich meine natürlich, zu Eisbär und Valborg«, fuhr Estrid fort.

»Über die habe ich gar keine Meinung.«

»Weil du deine Augen und Ohren nicht aufmachen willst; denn sonst ist es doch sonnenklar, wie es zwischen ihnen steht«, sagte Estrid erregt.

»Für den Augenblick; wie es aber in einem Monat oder auch nur in acht Tagen stehen wird, kann heute niemand voraussagen. Jetzt haben wir Sommerferien, da sind die Herzen stets sehr entzündlich, man schwärmt zusammen Natur, guckt in die Sterne, lauscht dem Vogelgesang und ist im siebenten Himmel. Kommt man dann aber wieder in die Stadt zwischen die kalten Steinmauern und in das Alltagsleben mit all seiner Arbeit hinein, so ist die ganze Geschichte vergessen. Das kenne ich nur zu gut, so bin ich in meiner Jugend auch gewesen.«

»Auf die Weise kann man sich ja nie verloben«, meinte Estrid.

»Verloben schon, aber von der Verlobung bis zur Ehe ist es noch weit. Das bedenkt man nicht immer, sonst wäre man nicht so schnell bereit, sich zu verloben.«

»Du redest wie ein alter Junggeselle und nicht wie ein junger Ehemann.«

»Ich besitze Lebenserfahrung, süßer Basilisk, und du nicht. Doch die jungen Mädchen fliegen wie die Mücken in das Licht und verbrennen sich die Flügel; es nützt nichts, daß man sie warnt, ja, sie fliegen dann nur um so eifriger nach dem Lichte hin.«

»Wäre man so vorsichtig, wie du es verlangst, Nicolai, so bliebe man sein Leben hindurch ledig. Du mußt rein vergessen haben, wie es zuging, als wir beide uns verlobten.«

»Wir waren nicht so blutjung«, wandte ich ein.

»Valborg und Eisbär haben auch ihre Kinderschuhe vertreten«, meinte Estrid.

»Nun, wir werden es ja sehen«, beendete ich das Gespräch. »Es sollte mich freuen, wenn ich unrecht hätte. Jedenfalls bin ich froh, daß Valborg nun fort ist und ich nicht mehr für sie verantwortlich bin. Für das übrige können ihre Eltern jetzt sorgen.« –

Am nächsten Tage erschien Eisbär, um sich von uns zu verabschieden.

»Was? Willst du schon in die Stadt?« fragte ich erstaunt. »Ich glaubte, du bliebest noch einige Tage hier, daß wir ordentlich etwas voneinander haben könnten.«

»Ich sehne mich nach tüchtiger Arbeit«, war seine Antwort. »Hier draußen kommt man zu nichts. Mein Koffer ist gepackt, und ich reise noch heute vormittag ab.«

Nachdem er noch ein wenig mit uns gesprochen hatte, nahm er Abschied und ging. Estrid warf mir einen vielsagenden Blick zu, ich aber stellte mich in die Tür und flötete: »Stoßt langsam von Land.«

Nun waren Estrid und ich wieder allein wie im Anfang unseres Aufenthaltes. Dieser näherte sich stark seinem Ende, und die letzten Tage vergingen nur zu schnell. Wir wanderten umher und nahmen Abschied von allen unseren Lieblingsstellen. Ihrer waren viele, und ich war sehr wehmütig gestimmt.

»Ach«, seufzte ich, »wie können die Menschen nur so töricht sein, sich langweilige Städte zu bauen, anstatt in und mit der frischen Natur zu leben!«

»Aber in der Stadt hast du ja deine Bücher und die Museen«, tröstete Estrid mich.

»Die Bücher und die Museen sind nur Schatten des Lebens«, antwortete ich. »Nein, in den großen, duftenden Wäldern umherstreifen, das Sausen des Windes in den Baumwipfeln hören, auf das sonnenbeglänzte Meer hinausblicken und Sonntagsstimmung in Sinn und Gedanken fühlen, – das nenne ich leben.«

»Gott hat Größeres mit uns vor, als daß wir das Leben so verträumen dürften«, sagte Estrid. »Und du sollst sehen, daß du, wenn du erst einige Tage in Kopenhagen und wieder in deiner gewohnten Tätigkeit bist, ordentlich aufleben wirst. Vielleicht können wir im nächsten Sommer auch wieder hierherziehen.«

»Das können wir, Estrid, und dann müssen deine Eltern sich in Tröröd oder in Vedbaek eine Sommerwohnung mieten. Eisbär kann bei uns wohnen, und es wird famos werden.« Und diese schöne Aussicht auf die Sommerfreude des nächsten Jahres half mir über die Bitterkeit des Abschieds hinweg.

Wir mieteten einen Tröröder Milchfahrer zum Befördern unserer Habseligkeiten. Der Wagen wurde beladen, und Anna nahm neben dem Kutscher Platz. Estrid und ich fuhren mit dem Dampfer, – bald sahen wir wieder die Kopenhagener Türme sich über den verräucherten Häusermassen erheben, und damit waren die Sommerferien zu Ende.


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