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Zweites Kapitel: September

Renate an Magda (mit einer Schachtel voll Rosen)

Am 3. September

Liebste Magda,

diese Rosen hat Onkel Augustin mir für Dich gegeben. Er züchtet sie selber; dies sind wohl die letzten vom Jahr, Souvenir de la Malmaison heißen sie, und Onkel meinte, sie sähen aus, wie blasse kleine Mädchen. Hoffentlich kommen sie frisch an.

Mein geliebtes Kind! Ich habe gesucht und gesucht nach einem Wort für Dich, aber immer wieder, wenn ich nur an Deinen Brief denke, wird alles wertlos und kleinlich, selbst das, was ich Dir doch sagen will, ein Wort meines guten Vaters. Du weißt, daß ich erst zehn Jahre alt war, als meine liebe Mama starb, ich konnte aber doch verstehen, was mir genommen war, und ich war sehr zornig auf Gott, denn ihn verstand ich nicht. Da sprach Vater mir zu, mit Worten, die für ein Kind paßten, und ich habe es wohl behalten, und dies war der Sinn:

Zuerst fragte er mich, wie das letzte Gebet des Menschensohns hieße, und ich sagte: Nicht mein Wille geschehe, mein Vater, sondern der deine. Ja, sagte er, das war es, und dies Gebet ist von vielen Menschen, die sich für rechte Christen hielten, arg mißbraucht worden, als ob es hieße, man solle auf eignen Willen verzichten und alles Gott überlassen. Das heiße es aber durchaus nicht, sondern: Mach, Gott, daß ich deinen Willen erkenne! daß ich wollen kann, was du willst, daß dein Wille in mir ist. Das, sagte ich damals einfach, das kann ich nicht.

Ich habe vergessen, wie er mich damals zurechtgewiesen hat, und auch Du wirst sagen, Du kannst nicht, und dies sei das Allerschwerste.

Nein, mein Herz, ich will es Dir nicht leicht machen. Ich will nur, daß Du nicht in diesen schrecklichen Grübeleien versinkst, und ich weiß aus mir selber: es ist besser, an Gott zu rütteln wie an einem Felsen, als in sich selber hinabzustürzen. Er ist freilich überall, Leid aber macht blind, und das ist das Furchtbare daran.

Ach, Briefe sind unselige Zugbrücken! Wenn man sie aus dem Schlosse des Herzens über den Abgrund tastend hinabsinken läßt, weiß man doch nie, ob sie drüben den Rand wirklich erreichen oder nicht, und sich selber sieht man mit ihnen ganz schief überm Bodenlosen schweben und – genug des Gleichnisses! Du weißt, wie ichs meine ...

Nun lebe für heute wohl! Schreibe nur, wenn Du magst, und nimm einen innigen Kuß von Deiner armseligen

Renate

 

Ich lege Dir ein, was ich von Irene Herzbruch für Dich geschrieben habe. Es ist eine Art Geschichte geworden; als ich anfing zu schreiben, fiel mir so allerlei ein, ich habe ja auch von jeher einen fabelhaften Ruhm als Märchen- und Geschichtenerzählerin genossen, auch bekanntlich als Dreijähriges schon Verse gemacht von dieser Art:

Die Fledermaus fliegt um die Häuser
Und sucht sich ihre Fledermäuser.

Irenes Geschichte nebst einer historischen Einführung

In der Entwicklung des Geschlechts derer von Herzbruch, deren letztes Zweiglein unsre Irene darstellt, läßt sich eine ähnliche Linie verfolgen wie in dem der Montforts. Beide sind von ältestem Adel, beide mußten aus ihrer Heimat auswandern, die Herzbruchs aus Salzburg als Protestanten, die Montforts aus der Ile de Paris als Hugenotten. (N. b. Ich erzählte Dir wohl von unserm Stammsitz Montfort l' Amaury bei Rambouillet, nicht weit von Paris, den ich mit meinem Papa kurz vor seinem Tode besuchte, und daß zwei aus unserm Geschlecht Connetables von Frankreich waren, einer Kreuzfahrer und einer, Simon, Graf von Leicester, Schwager Heinrichs III. und Regent und Protektor von England. Das ist lange Jahre her, aber nun – – Vetter Josef hätte weder der Engländerin, noch dem Kreuz, noch der Oriflamme Schande gemacht.) Die Herzbruchs hielten sich längere Zeit auf der sogenannten Höhe des Daseins, als Soldaten, Marschälle, Kämmerer, Kommandanten und dergleichen, verarmten aber mit der Zeit, und der Rest ist nun ein mit dem Majorstitel pensionierter Hauptmann nebst Gattin und Tochter. Diesem Schicksal entging allerdings ein Zweig der Familie, indem ein Ottokar von Herzbruch seine eigene Schuldenlast und die allgemeine Last Deutschlands, nämlich Napoleons Regime, hinter sich ließ und nach den Vereinigten Staaten ging, das heißt als loyaler Mann in englischen Diensten. Er focht dann siegreich gegen die Union in verschiedenen Schlachten, zuletzt aber mußten die Engländer bekanntlich doch Frieden machen, die Union anerkennen, und er ging nach dem Königreich, machte eine reiche Heirat und kehrte Anfang der zwanziger Jahre nach Deutschland zurück, wo es ihm als englischem Untertan leicht wurde, in Hannover den Verlag und die Hofbuchhandlung (des Herzogs von Cambridge), die damals ein Schotte namens Max Grew besaß, zu kaufen. Demnach scheinen seine kriegerischen Gelüste mit der Zeit nachgelassen zu haben. Sein Sohn trat in die jetzige Verlagsbuchhandlung hier in Altenrepen, heiratete die Tochter des damaligen Besitzers, übernahm das Geschäft später, und dessen Enkel namens Otto ist jetzt Inhaber des Verlags. Der Großvater Ottokar hatte seinen Adel eingebüßt, war aber protestantisch geblieben, während der adlig gebliebene Zweig mittlerweile katholisch geworden war, seit ein andrer Herzbruch, der gegen Napoleon mit der deutschen Legion in Spanien gefochten hatte, dort dies Bekenntnis angenommen hatte, nämlich einer wunderschönen Andalusierin zuliebe, die Dolores hieß, wie alle Spanierinnen, die nicht Carmen heißen.

Nun zu den Montforts. Die hatten das Leben anders angreifen müssen, wurden gleich nach der Auswanderung Händler und Kaufleute und haben schon seit über hundert Jahren an ihre adlige Vergangenheit keine andere Erinnerung mehr als ihren Nachnamen nebst einer Vorliebe, ihm zuweilen einen französischen Vornamen zuzugesellen, und deshalb heißt mein Onkel Augustin. In ihm scheint freilich mit diesem Vornamen eine Nachdämmerung des alten Glanzes mit heraufgekommen zu sein. Seine Tätigkeit als Eigentümer der chemischen Werke scheint er nur notgedrungen als einziger Sohn auf sich genommen zu haben; dies erbte er vom Vater; von den Vätern dagegen waren ihm von früh auf zu eigen: eine Neigung zu galanter Lebensführung, zu schönen Frauen (seine zweite Frau war ganz herrlich, leider hat nur sie, eine Jüdin, ihre Schönheit vererbt), zu schöngeistigen Studien, zu Rosenzucht und zur Musik, welche Eigenschaften sämtlich nie übertrieben, sondern immer durch natürliches Pflichtgefühl in schönen Maßen gehalten, gewürzt mit einer feinen Dosis gallischen Witzes, den echten Franzosen darstellen würden, wäre nicht infolge eines sonderbaren Zufalles sein Aussehen, das heißt seine Züge, bei alledem so deutsch wie nur möglich, und deutsch war wohl auch die gewisse Trägheit oder Passivität, die ihn wohl noch mehr als kindliche Pietät verhinderte, einen Bruch herbeizuführen und sich ganz seinen Neigungen zu widmen. Du siehst, daß er auch ein Verschwender sein kann; für sich ist ers freilich nie gewesen. Jetzt ist er längst ein stiller, alternder Mann und lebt allein in seiner Arbeit. –

Aber was rede ich eigentlich von den Montforts? So – ich kam darauf, weil in meinem Onkel Augustin ebenso wie in Irene von Herzbruch ein Tropfen alten Blutes wieder zum Vorschein kam. Bei ihm die französische Haltung, bei ihr die Flamme der Religiosität, um deretwillen einst das Geschlecht in die Verbannung ging. Sonderbar spielt freilich das Schicksal. Denn wie gesagt sind die Herzbruchs katholisch geworden, und um dieses Glaubens willen hat jetzt die kleine Irene zu leiden, während damals die Härte des Protestantismus das Schicksal des Hauses veränderte.

Bei ihrer Geburt, die sehr schwer war, besann sich ihr Vater, als die Mutter bereits in Todesenden lag, auf seinen mit der Zeit recht lau gewordenen katholischen Glauben und verfiel darauf, den Sohn, der naturgemäß erwartet wurde, der Kirche zu geloben, und das war, so Gott mir helfe, eine ordentliche Tat, denn damit mußte das adlige Haus Herzbruch erlöschen. Nun wurde es eine Tochter, und das erleichterte die Sache, sollte man meinen; mit der Zeit kam es anders. Die Verzweiflung war in Wonne umgeschlagen, die Mutter war genesen, das Kind wuchs auf, wurde reizend, die einstige Verzweiflung verschwand gänzlich hinter den Horizont der Zeit, und von Jahr zu Jahr dachten die Eltern weniger an das Gelübde, schließlich vergaßen sie es ganz. Anders Irene. Sie wuchs mit dem Gelübde auf, das sie früh durch die gut katholische Kinderfrau erfahren hatte, die Eltern wußten gegen ein bißchen Frömmigkeit gewiß nichts einzuwenden, besonders da nichts reizender war als die kleine Irene an ihrem kleinen Betpult, über ihren Katechismus gebeugt, oder den Rosenkranz zwischen den Fingern, oder wenn sie mit zarter Stimme sang, neben der Mutter am Flügel stehend, wie auf einem Bilde von Whistler. Gleichwohl ging sie nun nicht in Frömmigkeit auf, obgleich auch ihre Spiele, solang sie klein war, frommen Geschichten und Legenden entnommen wurden; besonders beliebt war das Fronleichnamsspiel, wobei Mamas Nähtischthron, das Sofa im Salon, Papas Schreibtisch und das Kinderbett die verschiedenen Stationen abgeben mußten. Trotz Singen und Beten aber war sie ein ungebärdiges, weil leicht erregbares Kind, das freilich mit ebenso großer Wonne Buße tat und sich zerknirschte, mit der sie das verbotene Eingemachte vertilgt oder die neuen Frühjahrsbeete zertrampelt hatte. Mit zwölf, dreizehn Jahren stieg die Weltlust am höchsten, die Gebete beschränkten sich auf den Morgen und Abend, und die Spiele waren jetzt folgender Art: sie begab sich mit einer Freundin Arm in Arm auf die Straße, wo das geistvolle Paar versuchte, vor möglichst vornehm aussehenden erwachsenen Personen einherzugehn und etwa diese Unterhaltung anzuspinnen: »Reitest du heut?« »Ach, ich weiß noch nicht recht ... den Fuchs hab ich gestern etwas überanstrengt, der muß heute etwas Ruhe haben, und der Schimmel ...« »Na, der Schimmel ist nun auch nicht mehr sehr schön.« »Ja, wir wollen ihn ja auch verkaufen, vielleicht bekomme ich ein paar Jucker dafür.« »Wahrhaftig? Habe ich dir übrigens schon erzählt, daß mir mein Cousin eine Reitpeitsche mit Silbergriff geschenkt hat? Ich will ihn aber vergolden lassen, es sieht doch entschieden vornehmer aus.« Na, und so weiter ...

So wurde sie denn allmählich fünfzehn Jahre alt, die Zeit der Firmung kam und mit ihr die Backfischzeit, die der Schwärmerei, der holden Extreme, der Vergötterung von Personen, gleichviel welchen Alters und Geschlechts. Nun hatte Irene, zumal von dem elterlichen Gelübde seit langem nicht mehr gesprochen war, niemals einen andern Gedanken gehabt, als es sei selbstverständlich und gar nicht der Rede wert, daß sie den Schleier nehme, und ich glaube wirklich, daß sie sich ihre weltlichen Albernheiten heimlich immer selbst erlaubte mit der Absicht, später redlich für diese vergeudeten Weltjahre Buße zu tun. Damals nun kam es zu den ersten Kämpfen. Sie sprach mit ihrem Pfarrer über ihren Eintritt in ein Kloster. Der, welcher der Meinung war, daß dies mit dem Einverständnis der Eltern geschehen solle, bestärkte sie anfangs, nach einer Unterredung mit den Eltern aber, wo diese, ich weiß nicht unter welcher Begründung, die Erfüllung ihres Gelübdes durchaus ablehnten, wurde auch er anderer Meinung, denn er war oder gab vor, ein weltmännischer Mensch zu sein, wollte natürlich hier oben, in dem kleinen katholischen Sprengel, wo es darauf ankam sich zu vertragen, keinen Lärm erregen und es überhaupt mit den Eltern halten. So begann er denn, dem Kinde das vierte Gebot vorzuhalten, aber nun brach alles, was an Eigenwillen, Widerspruchsgeist, wahrer Frömmigkeit und Inbrunst in ihr war, hervor, sie hielt ihm Christi eignes Gebot von der Nachfolge entgegen, es gab Jammer und Tränen, sie, wenn die Eltern es nicht taten, wollte deren Gelübde halten, und ich kann mir die Verzweiflung der Kleinen wirklich denken, die sich aller menschlichen Obrigkeit ganz allein zu widersetzen getraute und an den himmlischen Geboten festhielt.

Eines Tages war sie verschwunden. Still, ohne Abschiedswort, was zuerst Verzweiflung, später den heftigen Groll der Eltern erregte, aber sie hat mir gestanden, wie es ihr unmöglich gewesen wäre, ein Wort des Grußes zu finden oder eine Bitte um Verzeihung, – sie war schon ganz ekstatisch und dem Himmel näher als der Erde. Durch polizeiliche Nachforschungen ergab es sich dann, daß sie nach Prag und zum Nonnenkloster Mariabrunn gelangt war, man setzte ihr nach, aber sie war dort nicht mehr, es schien, sie war wirklich verschwunden, und die Nonnen verweigerten die Auskunft. Sie hatten die Kleine mit Frohlocken aufgenommen, – nun, damals erregte die Geschichte viel Aufsehn, es kam heraus, daß Irene nach Italien gebracht war, schließlich mußte unsre Gesandtschaft und der Papst selber zu Hülfe geholt werden, – plötzlich war Irene wieder in Prag, und nun gaben die ganz verstörten Eltern nach und erlaubten ihr, vorläufig dort zu bleiben. Ich kann nicht beurteilen, ob das der rechte Weg war, es war ja möglich, daß sie ruhiger wurde; den Eltern wurde versichert, daß die frommen Schwestern nichts tun würden, um sie an sich zu locken ... Schließlich, als dann das Noviziat beendet war, half nichts als Gewalt. Die Eltern – nun, man weiß, wie solche im Grunde lauen Menschen bei so fremdartigen Vorkommnissen sich zeigen. Ich habe den Major gesehen, einen langen, hagern, knochigen Mann mit weißem Schnurrbart und stark beschränkter Stirn; die Mutter war wohl einmal hübsch und zierlich, muß aber früh vertrocknet sein und kennt, wie es beim Bürgertum üblich, keinen Willen als den ihres Mannes. Beide haben wahrscheinlich während der langen Dauer des Streites dessen ganze Gründe vergessen, sahen nur noch eine widerspenstige Tochter und nannten das eigene Verlangen, die Hartnäckigkeit des Kindes zu brechen, nicht beim richtigen Namen, sondern hatten dafür alle möglichen andern, wie Elternliebe, Pflicht und dergleichen; indem sie vorgaben, ihr Kind vorm klösterlichen Absterben zu retten, folgten sie halt ihrer Selbstsucht, die nicht kinderlos werden wollte. Irene kam zurück und glaubte, vor Jammer sterben zu müssen. So weit sind wir nun.

Dies alles erfuhr ich natürlich nicht von ihr allein, besonders über die Vorgänge während ihres Aufenthaltes in Mariabrunn und Italien hat sie nichts erfahren, da aber, wie ich sagte, die Sache damals viel Staub aufgewirbelt hat, hörte ich alles Nähere von Onkel und Josef. Wenn Du mich aber fragst, wie ich selber mich zu der ganzen Geschichte verhalte, und was ich der armen Irene gesagt habe, als sie mich zur Beichtmutter erkor, so bin ich durchaus in Verlegenheit. Ich bin sicherlich überzeugt, das man Gott auch in Kirchen und Klöstern dienen kann – – o weh! Das ist ja ein wildes, unchristliches Paradox, aber so gehts, wenn man sich recht präzis ausdrücken will und obendrein einen Vater gehabt hat, der die Natur für Gottes einzigen Tempel ansah, und zwar in rein gotischem Stile erbaut, wie er mir mehr als einmal auseinandersetzte. Irenes Wesen ist mir gar nicht klar. Das Kindliche, ja Kindische darin scheint ihrer Verständigkeit – sie hat einen geradezu scharfen Geist – zu widersprechen, und diese wieder ihrer so empfindsamen Heilandsverehrung; zurzeit ist sie noch ein rechtes Chaos, aus dem alles werden kann, ob aber eine Nonne oder eine Mutter, das zu entdecken, reicht mein Scharfsinn nicht aus. Und als sie mich so flehentlich um Rat bat, da hab ich, meine Verlegenheit mit Mühe bemäntelnd und anstatt ihr irgend Tatsächliches vorzuschlagen, gedacht, mit meiner eigenen, bescheidenen Persönlichkeit auf sie zu wirken; habe sie gebeten, sich zu beruhigen, etwas Zeit hingehen zu lassen, mich recht oft zu besuchen, die Orgel zu hören, eine Weile einfach und beschränkt hinzuleben und dabei ein bißchen in sich selbst hinabzuhorchen. Den himmlischen Stimmen, die, wie sie behauptet, beständig nach ihr riefen, das Ohr zu verschließen, sich die gute Erde anzusehn und zu warten, ob es nicht ganz allmählich stiller in ihr würde, lauter simple Dinge, mein Magdakind, bei denen ich, glaub ich, mehr an Dich gedacht habe als an sie.

Als ich aber das getan hatte und allein war, da mußte ich das tun, was ich auch eben wieder lange Zeit getan habe. Ans Fenster gehn, den Himmel ansehn und denken: Wer bin denn ich? Wer bin denn eigentlich ich, die andern Leuten Dinge vorredet? Was habe ich schon geleistet, welche Erfahrungen berechtigen mich? Was, ja was berechtigt mich zu dem Dasein, das ich führe, und das mir einfach gegeben ist? Trug ich auch nur das Geringste dazu bei? Und wenn ichs nicht tat, – ja, wer bin ich denn? Wer bin ich, Magda, wer bin ich?

Gute Nacht, mein Herz! Schlafe gesund! Gute Nacht!

Renate

 

Magda an Renate

12. September

Liebste!

Ich kann Dir noch nicht schreiben. O tausend, tausend Dank Dir und Deinem lieben Onkel für die wunderbaren Rosen! Wie gut seid Ihr alle zu mir! So viele Menschen sind jetzt gut zu mir. Die Rosen waren nur ganz wenig erschlafft und haben sich herrlich erholt. Wenn ich in mein Zimmer komme, ist es ganz voll Duft, und des Nachts, wenn ich aufwache, schimmern sie im Dunkel so feierlich, daß ich ordentlich beruhigt wieder einschlafe, als ob jemand im Zimmer sei, der Wache hält. Bald schreibe ich mehr. Grüße Irene! Die Arme, wie mag man sie gequält haben! Ach, ich weiß schon, wir sind so selbstsüchtig im Schmerz, als wären wir es ganz allein, die zu leiden haben, und doch ist es so: es ist Schmerz in der Welt, und jeder muß seinen Zoll bezahlen, und jeder muß vor allem ihn aus sich zu läutern versuchen, das ist das einzige Mittel, ihn aus der Welt zu schaffen.

Eben bekomme ich dies von Georg. Ich schreibe es Dir ab. Nun sieh nur, wie gut er ist, wie er mich versteht, ohne zu fragen. Ach, ich bin wohl weit entfernt davon, so zu sein, aber es hat mich etwas tapfrer gemacht, zu denken, daß ich einmal so sein könnte, und ich will mir das Gedicht als Wegweiser aufheben.

Viele, viele innige Grüße von Deiner

Magda

Für A.

Sie trägt ihr Herz nun offen in der Hand
Wie eine Lampe, liebreich im Verspenden,
Seitdem sie weiß: durchstochen und verbrannt,
Ihm kann nichts mehr geschehn von fremden Händen.

Jedoch das Leuchten, das tief innen blieb,
Mag viele blinde Pilger noch erquicken,
Daß sie sich sanfter in ihr Schicksal schicken,
Das ihre Stirn mit dunkler Pflicht beschrieb.

Und manchmal, wenn sie lange mit dem Wind
Geflüstert, großen Auges nachgelenkt
Den Wolkenfahnen, die er droben schwenkt,

Blüht ein Gefühl, als trüge sie ein Kind:
Ein süß Gereiftes regt sich leis mit Lallen,
Hirten und Himmlischen ein Wohlgefallen.

 

Renate an Magda

am 21. September

Meine liebe Magda!

Gestern ist nun auch mein Vetter Erasmus gekommen. Er ist Privatdozent für physikalische Chemie – der Himmel mag wissen, was das ist! – in Marburg und ist so fleißig, daß er die ganzen Ferien bis jetzt gearbeitet hat. Das ist gewiß ein guter, tüchtiger Mensch, aber es ist schade für ihn, wenn er sich mit seinem Bruder zusammen zeigt. Den habe ich Dir ja ungefähr beschrieben, – er ist sieben oder acht Jahre jünger, Erasmus bald Mitte Dreißig. Von ihm hatte ich von Papas Begräbnis her nur eine sehr dunkle Ahnung, wie an eine Art Fabelriesen, und er ist unendlich lang, mager, aber schwer gebaut; seine Stirn ist kolossal, besonders weil das Haar weit auf den Kopf zurückgewichen ist, die Augen sind sehr groß, von unbestimmt heller Farbe und überquellend; er ist bartlos und sieht für gewöhnlich finster aus; unbeholfen ist er nicht, obgleich zu jeder Eleganz, auch in der Kleidung, ungeeignet; sein Auftreten ist vielmehr von einer Art Kühnheit, er hat etwas von diesen ritterlichen Bergschotten, weißt Du, wie Allan M'Aulay in Scotts Sage von Montrose, an den er mich lebhaft erinnert. Bei unsrer Begrüßung küßte er mich einfach auf die Stirn; sein Mund war kühl, aber es brannte doch unangenehm, dieweil ich, wie Du weißt, die Angewohnheit habe, mich nicht von fremden Männern anrühren zu lassen. Mit seinem Bruder spricht er nicht, ist überhaupt verschlossen und schweigsam, als ob ihm irgendetwas am Herzen säße und es zuhielte, und wenn er einmal etwas sagt, so ist der Gegenstand damit für ihn abgetan, was nicht grade zur Gemütlichkeit beiträgt. Sein Vater giebt sich Mühe, ihm zu zeigen, daß er ihn achtet und hochhält, wie man eben einen Menschen ehrt, der nichts tut als seine Pflicht und sich ruhig verhält. Josef hat natürlich seines Vaters ganze Liebe, denn in ihm kann er sich verjüngt sehn und verschönt obenein. Und nun will ich Dir gleich etwas erzählen, das ich gradezu ein Abenteuer nennen möchte, und wenigstens wars ein abenteuerlicher Vorgang. Da wirst Du sehn, zwischen was für Menschen ich lebe.

Übrigens genießt Josef, der alles zu wissen scheint, das Vorrecht, auch alles sagen zu dürfen, denn er sagt es geschickt. Man nimmts nicht ernst, nimmt die hübsche Form zu sich und freut sich, aber dem zweckmäßigen Erasmus scheint so etwas nichtsnutzig. (Er würde mir leid tun, wenn ich nicht ganz gut wüßte, daß man auf die Dauer – also etwa angenommen, man wäre genötigt, einen von beiden zum Ehegemahl zu erwählen – auf die Dauer eher mit Erasmus leben könnte als mit seinem Bruder.)

Es war also am Abend nach der Ankunft des Erasmus; er hatte mich gebeten, Orgel zu spielen, wir waren alle vier in der Kapelle, und nachdem ich ein schönes Ungewitter aller tönenden Stimmen hatte über sie hinsausen lassen, fiel Josef mit dem Cello ein und zwang mich mit Zauberei, ihn zu den wilden Phantasien oder Harlekinaden zu begleiten, die er aus seinem ächzenden Instrument hervorholte, übrigens unter einem erbärmlichen Gesichterschneiden, als obs er selber wäre, den die Teufel quälten – jene, die nachher in die Säuherde hinunterpfiffen, weißt Du –, und Onkel entfloh alsbald. Als ich gleichfalls genug hatte, war auch Erasmus nicht mehr zu sehn, Josef seufzte auf, als ob er aus Ohnmacht und grausigen Gesichtern zu sich käme, sah sich dann hinter sich um wie der Intrigant in der Tragödie und bemerkte trübe: Armer hölzerner Erasmus! – Warum hölzern? sage ich unwirsch. – Deswegen, sagt er, weil er so gemacht ist. Hast dus nicht gesehn? Man kanns doch deutlich sehn, wie er gemacht worden ist, wiederholt er hartnäckig. Aus einem kräftigen Pfahl Eibenholz, nicht trocknem, sondern vielmehr ganz frischem, ist er herausgeschnitten, Leib, Arme, Kopf, Nase und alles samt den gläsernen Augen. Ja, wie muß das wohl geblutet haben! sagt er ganz vertieft. Und das Schlimmste, fährt er nachdenklich fort, das Schlimmste ist, daß es noch immer blutet, wenn er sich einmal richtig bewegen will wie wir Andern, denn – – Allein hier gebot ich ihm Schweigen und pustete zum Zeichen der Verabschiedung das eine meiner beiden Lichter aus. Da beugt er sich plötzlich in seinem Stuhl zu mir vor, äugt mich satanisch von unten an – alles Schauspielerei natürlich! – und flüstert wie eine Warnung vor den Iden: »Laß brennen, liebe Seele, laß ja brennen! Du wirst es noch brauchen.« – Das klang so unsinnig geheimnisvoll, daß ich ganz kindisch sagte: Nun grade! das andre Licht ausblies und die Stufen vom Podium hinunter gegen das Zwielicht der Tür lief. Er blieb mir aber wie ein Teufel an der Schleppe hängen, und als wir draußen im Garten standen, hielt er mich am Arm fest und sagte: »Sieh mich doch einmal an, Renate!« »Ja,« sagte ich, »ich weiß schon, du bist ein Adonis.« »Genau das wollte ich hören«, versetzte er. »Sehe ich nicht aus wie ein Gott gegen meinen Bruder? Ha!« sagte er, wie die Menschen bei E. T. A. Hoffmann, während ich ihn entgeistert anstarrte, »ha! dazu sind die Götter von diesen Sklavenseelen erfunden, daß sie sie mit allen Eigenschaften behängen, die ihnen fehlen, mit Leichtigkeit, mit Heiterkeit, mit Atmosphäre, – mit reinem Gelächter, mit Spott und nichtsnutzigen Spielen. Es giebt aber Kaine darunter, die bringen Götter um. Du mußt nicht alles so wörtlich nehmen, Kleine«, sagte er auf einmal ganz ruhig, und ich fiel ein: »Nein, Gott soll mich bewahren, daß ich dich jemals wörtlich nehme!« »So meine ich es auch wieder nicht«, erklärte er unerschütterlich und überreichte mir eine große, schwarzrote Georgine, die ich nun verwundert in der Hand hielt, und deshalb mußte ich fragen, ohne es zu wollen: »Wie meinst du es denn?« »Lassen wirs, Herze,« sagte er nun, »aber eins will ich dir sagen. Ich weiß nicht, wo ich meinen Ursprung habe, hier aber ist er nicht, nicht bei diesen Menschen und nicht in diesem Lande. Ich pflege das für mich zu behalten, aber du dauerst mich, weil du –« Nun, die folgenden Schmeichelhaftigkeiten schenke ich mir, sie waren aber hübsch anzuhören, das kann ich Dir sagen, denn er hat eine unwiderstehliche Art, ehrlich zu scheinen. »Ich daure dich?« frage ich nur wie benommen, und er versetzt: »Es ist in diesem Hause (ich wiederhole seinen Satzbau) etwas Unterirdisches im Gange, das ich ahne vermöge meines eben angedeuteten Ursprungs, und ich möchte nicht, daß es dich ungewarnt träfe. Nein,« sagte er eilig – ich möchte wohl wissen, wie ich ihn angesehn haben muß – »ich weiß nichts Bestimmtes, ich empfinde nur, ich habe eine Wünschelrute, die schlägt aus, sowie ich einen Menschen berühre, und dann ahne ich freilich nur Unangenehmes, das haben die Propheten bekanntlich so an sich. Du aber kannst dich beruhigen, denn es steht geschrieben, daß du mich niemals heiraten wirst. Komm ins Haus,« schloß er befehlerisch, »es ist Nacht.« Ich sah, daß es finster geworden war, und mußte, während ich auf dem schmalen Wege vor ihm herging, beständig denken, wie hell und weiß ich mit meinem weißen Kleide in dieser Dunkelheit schien, dazu die schwarze Blume, die ich vor mir her trug wie – ich weiß nicht was, und überdies, daß er das so eingerichtet habe, hinter mir zu gehn und die Wirkung des Ganzen zu beobachten. Auf einmal schauderte michs, ich warf die Blume fort und lief wie gejagt ins Haus.

Ist das nicht ein horribles Abenteuer? Du siehst, wie kühl und humorvoll ich jetzt daran denke, sonst hätte ich es Dir ja nicht geschrieben, und es ist auch kaum ein Hauch Wirklichkeit davon in mir zurückgeblieben, außer daß ich ab und an die Menschen betrachten muß, besonders Erasmus, aber auch Andre, und mich dann schämen, als sähe ich verbotenerweise in ein Fenster. Und sind das nicht höchst unwahrscheinliche, oder wie Hoffmann sagen würde, skurrile Sachen von Deiner sonst so vernünftigen

Renate?

 

Magda an Renate

30. September

Nun fallen die Blätter. Es wird hier so früh und eilig Herbst. Der Schwan schwimmt nun längst wieder umher; wie eine schwarze Trauergondel sieht er aus mit seiner schwarzen Flügelschleppe unter den bunten Bäumen. Ich bin unruhig und verstört, ich kann die Gedanken nicht mehr halten und binden, es ist so windig in mir, oft fühle ich es, wie der Wind mich durchstreicht, als wäre ich durchlässig, und die Blätter, die auf den Wegen an mir vorüber und weit auf die Wiesen fliegen, taumeln so dahin, als wären sie von mir abgefallen.

Oft stehe ich am Fenster und höre das Meer und das Brüllen der Kühe, wenn der Wind es herübertreibt – das klingt so bang und öde! – und sehe den vielen Wolken so lange nach, bis mich schwindelt. Ach, Gott ist so hoch, Renate, ich kann ihn nicht mehr erreichen, jetzt, wo ich gefallen bin und nicht mehr fliegen kann. Ich kann nicht beten: dein Wille geschehe! Ich habe nicht in den Garten zurückgefunden, wie ich dachte, es ist ja auf einmal Herbst geworden. Der Garten ist ein Fremder, der an mich nicht denkt; er läßt gleichgültig seine Blätter fallen, vielleicht ein wenig nachdenklich, aber wenn sie am Boden liegen, hat er sie schon vergessen und sieht den andern nach und vergißt sie.

Bogner hat nun ganz mit seinem Bilde zu tun, spricht nicht mehr, er sieht uns überhaupt nicht mehr; malen tut er nicht viel, er sitzt und raucht, das Essen muß man ihm beinah einfüttern, er läuft viel allein umher. Papa fing einmal von Georg an; er ist doch in München, das Wintersemester fängt ja nun bald an, ich kann mir also denken, daß er viel Zerstreuungen hat. Die Herzogin ist seit acht Tagen fort. Der al Manach sitzt meist auf seinem Zimmer, ich weiß nicht, was er dort macht; sonst ist er mit Bogner zusammen, sitzt bei ihm, läuft neben ihm her. Er hat gar keinen Blick in den Augen, man könnte sich fürchten, aber man gewöhnt sich ja an alles. Papa schimpft allerdings, daß der Herzog ihn uns aufgehalst habe, und er fiele ihm entsetzlich auf die Nerven, obgleich er ihn kaum einmal am Tage zu sehn bekommt. In den nächsten Tagen will Papa wie immer nach Beendigung der Ernten nach Gastein; ich habe ihn gebeten, hierbleiben zu dürfen, er widersprach kaum und wird wohl froh sein, mal allein sein zu können. Bald wird alles kahl, dann kommt der Winter, und meinen Garten finde ich niemals mehr.

Wenn ich auch manchmal denke, ich weiß es wieder, was ich vor kurzem so hell, so blitzend gesehn habe, so hat das doch nun keinen Wert mehr, denn es sieht nun belanglos und so kümmerlich aus, daß ich nicht begreife, wie ich jemals hab drüber staunen können.

Sieh, das ists: Warum habe ich nicht damals schon, als ich die Prophezeiung bekam, glauben und sie verstehen können? Andern als Retter dienen – was bedeutet denn das andres, als daß ich mich nach solchen umsehn sollte! Wäre nicht die schönste, die einzige Erfüllung die gewesen, die ich selber herbeigeführt hätte? Hätte ich nicht hingehen sollen, wo Kranke und Trostbedürftige, wo die am Leben Verzweifelnden sich quälen, um sie zu heilen, zu erquicken, zurückzuführen? Andre retten, hieß es, ich aber dachte nur an mich. O mein Himmel, ja, das heißt zu Gott gehn, das heißt, Gott an sein Herz nehmen, wie im Evangelium: Ich bin krank gewesen, und ihr habt mich besucht ... Der Gott da oben ist weit weg über den eiligen Wolken, der aber hier unten, der ist, wo das leidende Leben wohnt. Ich selber leide, wir alle leiden, Gott ist im Leiden, und Gott ist in der Tröstung, o wie schlecht, wie gedankenlos, wie gewissenlos bin ich gewesen, denn ich bin vorübergegangen, wie soll er nun jemals in mein Herz einkehren? Ach, es ist zu spät, viel zu spät geworden!

Nicht, daß ich dächte, der Mensch, dem ich schon zweimal geholfen habe, al Manach ist hier geblieben, und wir müssen Beide auf das dritte Mal warten! O nein, ich denke vielmehr: Was soll denn das nun eigentlich, wozu denn diese Anstrengung? Er lebt ja gar nicht, nur im Dasein habe ich ihn festgehalten. Renate, Renate, wenn ich das könnte! Wenn ich ihn auch dem Leben wiederschenken, wenn ich ihn ganz heilen könnte, wie gern würde ich dafür mein Leben hingeben. Ich bin so schrecklich müde.

 

nachts

Damals hätte ich die Wahrheit hören sollen, aber ich habe sie verlacht. Ach, meinst Du, Schwester, daß Gott mir verzeihen wird, weil ich ja noch jung war und nichts gelernt hatte? War ich wirklich noch ein Kind? Wie lange muß das her sein! War ich ein Kind? Durfte ich ungehorsam sein? Ja, sag mir, o bitte, sag mir, dürfen Kinder ungehorsam sein?

Auch Du schreibst so anders. Ich habe mehrmals gelesen, was Du ein Abenteuer nennst. Es klingt mir nicht gut, wie Du schreibst, ich kann nicht sagen wie, aber ich ängstige mich um Dich.

Bogner zeigte mir eine Menge Studienköpfe von der Herzogin. Das ist wieder so seltsam. Jeder scheint ein ganz andrer Kopf, manchmal ist die Ähnlichkeit kaum erkennbar, und gleich darauf scheint sie grade dort am geheimnisvollsten hervorzudämmern. Kannst Du das verstehn? O Renate, wer sind wir? Wer sind wir, daß ein Andrer tausend Bilder von uns machen könnte! Lach nicht, ich mußte eben dran denken, wie mir vor einiger Zeit die kinematographischen Bilder erklärt wurden, wo eine einzige Bewegung aus einer Kette von Bildchen besteht, und so denke ich, sind wir Menschen auch, und wenn man sich eine Vorstellung von einem machen wollte, so würde es eine unendliche Reihe von Bildern sein, die sich beständig auseinander- und wieder zusammenziehn, mich schwindelt, wenn ichs ausdenke. Bogner hat auch die Hände der Herzogin gemalt, so daß man darüber weinen möchte; sie sehen aus wie gefrorene Blumen, man möchte sie auftauen mit Tränen und Küssen.

Nun muß ich Dir noch schreiben, daß die Obsternte in diesem Jahr nicht besonders ausgefallen ist. Papa wird Euch einen Korb Schöner von Bosko und Parmänen schicken, vielleicht auch ein paar Gravensteiner, aber sie sind gar nicht schön. Reinetten giebts kaum, und die Kaiserbirnen kann man am Baum zählen. Kochäpfel sollt Ihr auch haben, Papa rät Euch aber, die andern nicht mit ihnen zu verwechseln, sie würden wohl alle gleichmäßig nach gar nichts schmecken. Wenn Ihr trotzdem mehr haben wollt, so schreibe mirs bitte, aber Ihr bekommt vielleicht anderswo bessere. Vor ein paar Tagen war ein heftiger Sturm, der Obstgarten sieht traurig aus, es soll übrigens einen stürmischen Herbst und Winter ohne Schnee geben. Die letzten Rosen sind zerstört, so daß ich Dein Geschenk leider nicht erwidern kann, nach Astern fragst Du wohl nicht viel. Von wem ist das:

Wenn die Rosen deiner Wangen,
Liebste, lieblich blühn,
Denk ich, wie mein Lenz vergangen,
Seh den Herbst verglühn.
Deine Rosen, deine Blüten,
Ach, ich kann sie nicht behüten,
Alles ...

Das Ende weiß ich nicht, und ich meinte auch nur den Anfang. Wenn die Rosen deiner Wangen ... Das klingt so freundlich, ich denke an Dich dabei und freue mich leise.

Bleibe gut Deiner

M


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