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Ich wünsche mir Reichtum

Es gibt Menschen, denen eine Parkmauer eben nur eine Parkmauer ist, nichts weiter. Sie finden nichts Besonderes, nichts Aufreizendes an ihr, sie sagt ihnen nichts, und sie gehen geduldig, gehen bescheiden daran vorüber. Im Straßenlärm. Sie denken dabei gar nicht an ihr eigenes Ausgeschlossensein, und es fällt ihnen gar nicht in den Sinn, jenes Lebens zu denken, das umhegt wird von steinerner Schutzwehr, das unter stillen Bäumen hinwandelt, über weichen Rasen, in einer Luft, die köstlich erfüllt ist vom Duft der atmenden Scholle und der blühenden Beete.

Es gibt Menschen, die können durch den morgenfrischen Bergwald aufwärts steigen, ohne zu merken, wie der Forst rechts und links von ihnen mit Stacheldraht gesperrt ist, wie man ihnen hier nur einen schmalen Fußbreit Weges gönnt, widerwillig gönnt. Ohne zu merken, wie man ihnen auf allerlei zudringlichen Tafeln die unfreundlichen Bedingungen vorschreibt, unter denen man sie duldet, wie man sie auf Schritt und Tritt mit allerlei Strafen bedroht, wenn sie sich nicht fügen. Und dabei ist nur selten, nur ganz beiläufig und ganz ohne jede Beziehung auf sich selbst die Frage in ihnen: Wem gehört wohl der Bergwald?

Es gibt ein Volkslied, das schon die kleinen Kinder in der Schule singen müssen.

»Was frag' ich viiiel nach Geld und Gut --
weeenn ich zu-frie-den bin ,...?«

Man hält es sicherlich für sehr wichtig, daß dieses Volkslied vom Volk gesungen wird.

»So mancher lebt in Überfluß --
haaat Haus und Hof und Feld --
und ist doch iiimmer voll Verdruß --
und wünscht sich nichts als Geld ,...«

Kein Zweifel, es ist ein hübsches, ein frommes, ein weises Lied. Aber mir ist es von jeher unausstehlich gewesen.

»Weeenn ich zu-frie-den bin ,...«

Ich habe es niemals singen mögen.

Denn ich wünsche mir Reichtum. O, keineswegs das bißchen Mammon, das uns von niedrigen Sorgen befreit. Keineswegs den Bettel, der dazu gehört, eine sogenannte vornehme Wohnung am Kurfürstendamm zu haben, oder eine Villa im Grunewald, oder das gewisse Einfamilienhaus in Grinzing mit dem sprichwörtlich gewordenen, schauderhaften »freundlichen Gärtchen«. Keineswegs die Bagatelle, die knapp hinreicht, sich ein Auto zu halten und all die notdürftigen, armseligen Dinge zu treiben, die man Luxus nennt. Es gibt ja nichts Trivialeres und Langweiligeres, nichts, was so engbrüstig, so spießbürgerlich und phantasielos wäre als diese Art von Luxus. Gegen diese Sorte von Daseinsgenuß erscheinen mir Entbehrungen edel, gehaltvoll, fruchtbar und stärkend. Nein. In den Stunden, in denen mich die Hetze des Lebens einmal frei läßt, in den Stunden, in denen ich über den engen, zerfransten und zerknitterten Horizont meiner Sorgen einmal hinausschauen und hinausdenken kann in die Unermeßlichkeit der Welt, wünsche ich mir unermeßlichen Reichtum. Die Leute, die unermeßlich reich sind, erzählen uns nichts davon. Ja, sie reden nicht gern darüber. Ist es nicht auffallend, wie schweigsam sie sich in diesem Punkt verhalten? Wenn sie sich aber je einmal vernehmen lassen, dann schwatzen sie uns etwas von ihrer Mäßigkeit vor. Als ob es nicht erbärmlich wäre, das Essen überhaupt zu erwähnen. Nur wer in diesem Leben gehungert hat, wer seine Eltern oder seine Kinder hat müssen hungern sehen, darf noch vom Essen sprechen. Sie aber erzählen uns, daß sie zum Abend bloß ein paar Keks und ein Glas Milch zu sich nehmen. Oder sie langweilen uns mit ihrer Wohltätigkeit. Und es ist immer eine Moral für uns dabei, wenn sie von ihrem Reichtum reden; irgendeine fromme Lehre. Für uns. Und gerade diejenigen Leute unter ihnen, denen es geglückt ist, lächerlich viele Millionen zu erraffen, regalieren uns mit Predigten über den Segen der Anspruchslosigkeit. Es kommt jedesmal darauf hinaus, daß wir das Lied anstimmen sollen: »Was frag' ich viel nach Geld und Gut ,...« Die anderen aber, die niemals gekämpft haben, denen das Bewußtsein des Reichtums im Blute liegt, die von Kind an den Besitz und seine ungeheuern Möglichkeiten kennen, schweigen vollständig und halten sich ganz in sich verschlossen. Denn es sind Parkmauern zwischen uns und ihnen und Stacheldrähte.

Hinter diesen Absperrungen führen sie ihr Dasein. Eine große, weite Welt der Schönheit liegt dahinter, eine Welt leichter, sonnenheller Freiheit, tiefatmender Glücksgefühle, unergründlich einfacher und in ihrer Einfachheit wundervoll kostbarer Freuden. Eine Welt, von der wir ausgeschlossen sind. Wenn solche Menschen in unsere Nähe kommen, im Theater, in den Speisesälen der großen Hotels oder an irgendeinem Badestrand, sind sie aus ihrem Bereich heraus, sind auf der Jedermannsstraße und in der Jedermannswelt. Wir haben keine andere Straße und keine andere Welt. Sie aber haben eine andere; und von ihnen kann es gesagt werden wie von Mahadö, dem Herrn der Erde: er bequemt sich, hier zu wohnen.

Was wissen wir von den Herrlichkeiten, die sie besitzen? Wir können nur davon träumen. Und wir träumen davon. Wir alle. In uns allen ist eine Sehnsucht nach dieser Herrlichkeit. Eine dumpfe oder eine wache Sehnsucht in uns allen. Wir verbringen unser Leben mit dem beständigen Bemühen, diese Sehnsucht zu beschwichtigen, diese Wünsche einzuschläfern, dies Verlangen irgendwie zu narkotisieren oder es zu überreden, daß es sich duckt. Und wir haben aus dieser großen Not eine große Tugend gemacht. Eine beredsam gepriesene, mit abertausend Sophismen und Beweisen sorgfältig gepölzte Tugend. Es ging nicht anders. Trotz alledem, wenn man in einer stillen Stunde, in der all die frommen, hilfreichen, mitleidig tröstenden Lügen für eine Weile verstummen, wenn man zu solch einer Stunde in sich hinein horcht, dann ist tief da drinnen eine Stimme, die sagt: »Ich wünsche mir Reichtum.«

Nicht Geld. Das lockt mich nicht so sehr; und nichts reizt mich, es festzuhalten. Geld ist nur eine Verabredung, ist nur eine schnöde Abbreviatur ist nichts als das starre, tote Zeichen unendlicher lebendiger Dinge. Zurückverwandelt in seine Wirklichkeiten, ist es aufsprossende Saat und reifende Frucht, in der Erde schlummerndes Gestein, rauschender Wald, stürzendes Gewässer und atmendes Getier und Luft und Licht und Wolken und Regen. Dieses ist Reichtum: daß man all das Wachsen und Werden besitzt, daß man all dem Entstehen mit tausendfachen Interessen verknüpft ist. Angeschlossen sein an einen Urstand der Natur und gleichzeitig hinreichen zu den feinsten Werken von Menschenwitz und Kunst.

Wissen wir, welch eine Erhöhung des Lebens das bedeutet, wenn eine Landschaft vor uns hingebreitet ist, die uns zueigen gehört? Felder, über die der Pflug hingeht, deren Wohlsein und Mangel wir kennen, wir aus ihren Furchen, aus dem ersten Aufgrünen ablesen, wie Wohlsein oder Leiden aus dem Antlitz verwandter Menschen. Wälder, die unser eigen sind, stundenweit zu durchstreifen. Und jeder Bruch, jede Richtung und Schneise ist uns so nah vertraut, geht uns mit Ordnung und Wirtschaft so persönlich an wie die Winkel, Ecken, Kammern und Stuben unserer Wohnung. Und die Hochtannen werden schlagreif für uns. Das Jungholz wächst auf für uns, und wir messen mit seinen Jahren die unseren. Und der Auerhahn meldet im Dickicht für uns. Für uns wechselt das Rotwild und schreien im Herbst die Hirsche. Dieses Entrücktsein für schnelle Tage dem öden Tumult der Stadt. Dahingehen auf einsamen Pirschwegen. Schlafmüde in einer entlegenen Jagdhütte, irgendwo in den Föhren versteckt, aufs Bett sinken, in all seinen Sinnen erfüllt und berauscht vom scharfen Duft der Walderde, die Nerven erfrischt und gewiegt von all dem einfachen, zutraulich beredsamen Dasein ringsum und im Blut den tönenden Gesang der Einsamkeit. Wissen wir, welch eine Erhöhung, welch eine unendliche Erhöhung das ist? Diese Möglichkeit des raschen Szenenwechsels, diese Möglichkeit, aus allen Quellen der Erde, aus denen der Kunst und aus denen der Natur, aus denen der Primitivität und aus denen der Raffiniertheit, aus den Quellen der Nähe und aus denen der Ferne immer neue Kraft zu schöpfen. Dies Erzogensein des Geistes und des Körpers zu jeglicher Gelenkigkeit. Dieses Wissen, von Jugend auf gelernt und geübt, um alle Rapporte zwischen unserem Willen und dem der Kreatur. Heimisch sein und mühelos vertraut überall in großen Städten, in fremden Ländern, an fernen Küsten, unter jeglichem Sternenhimmel. Kurz: die Welt kennen! Wir ahnen ja kaum, was das heißt, was für einen unermeßlichen Reichtum das enthält.

Luxus: Vor seine Tür treten und über eine weite Rasenfläche hinschauen können, die fern umstanden ist von schattigen Bäumen, und diesen ganzen Frieden ungestört besitzen -- freilich, es ist ein Luxus. Aber so ungefähr stellt man sich doch den Luxus vor, der in der ewigen Seligkeit geboten wird. Ein schönes weißes Schiff haben und die Meere damit befahren und vor Anker gehen, wo's einem gefällt, zugleich zu Hause sein und dabei Gast sein an jeglichem Ufer. Niemand kann die Welt stärker, wirklicher, glücklicher besitzen. Die Bilder großer Meister in seinen Zimmern haben und sie erblicken, wenn man frühmorgens die Augen öffnet. Gewiß, um die Bilder großer Meister zu sehen, kann ich auch in ein Museum laufen -- »weeenn ich zu-frie-den bin«. Aber mit ihnen leben, einmal achtlos an ihnen vorbeischauen, dann wieder sie plötzlich neu entdecken, unvermutet neue Schönheiten an ihnen aufleuchten sehen, Schönheiten, die nur durch das lange, stille Zusammenleben hervortreten, es ist ein anderes! Sind solche Wünsche etwa allzu dreist, überheblich, verrückt? Sie wären es, vielleicht, wenn es keine Menschen gäbe, denen all dies und noch viel, viel mehr beschieden ist. Sie wären es, wenn man sich's sagen könnte, die Menschen, die solche Fülle des Daseins genießen, sind nach ihrem innersten Wert und Wesensrang geprüft, erlesen und sie sind würdiger als du.

Man sagt einem dann auch gewöhnlich: Viele von diesen Leuten sind gegen ihr Glück abgestumpft, spüren es gar nicht so intensiv, stecken gerade so in der Alltäglichkeit wie die anderen. Und man sagt das als Trost. Aber das ist nichts weniger als tröstlich. Es ist aufreizend. Man führt Beispiele an: Sieh einmal, der und der könnte sich alles leisten, was es nur gibt, und ist ganz bedürfnislos. Geht wie ein gewöhnlicher Bürger ,... Allein was will man damit beweisen? Was kann man damit beweisen? Gar nichts, als daß es Exemplare sind, die nicht einmal zum Dasein das Talent haben. Man kommt mit sanften Erklärungen. Nämlich: Auch diese Menschen tragen ihren Kummer, haben ihre Sorgen, ihre Angst, Enttäuschungen, Seelenqual, geradeso wie wir. Sicherlich! Man müßte ja ein Idiot sein, wollte man das bezweifeln. Sie haben all das geradeso wie wir. Genau so. Aber dazu und überdies und außerdem haben sie noch eine Unermeßlichkeit von Erlebnissen, die wir niemals hatten noch jemals haben werden. Sie sterben ja auch wie wir. Aber wir haben nicht gelebt wie sie. Leider. Das ist der Unterschied.

Man wendet ein, daß ein Genie, und sei es noch so arm an irdischen Gütern, diese Erdenwelt tiefer, brünstiger erlebe und genieße als solch ein reicher Mann, und besäße er auch ein noch so schönes Schiff. Mag sein. Aber der reiche Mann hat zum Ersatz dafür, daß er kein Genie ist, wenigstens sein schönes weißes Meerschiff. Außerdem ist es gar keine Beruhigung, daß es Genies gibt, die arm sind, während die mittelmäßigsten Menschheitsbanalitäten in ihrer eigenen Jacht umhergondeln. Und wer will es denn ermessen, wie hoch ein Genie sich aufzuschwingen vermöchte, wenn ihm die Welt so grenzenlos erschlossen wäre wie dem Reichen.

Unerschöpflich sind die Menschen, wenn sie sich einreden wollen, daß die Trauben sauer seien, die zuhöchst am Stock, zunächst der Sonne hängen. Die Arbeit dürfe nicht fehlen, denn sie ist die Würze des Daseins. Der Kampf sei notwendig. An den äußeren Dingen liege nur wenig, und die Hauptsache bleibe der innere Reichtum. Als ob die äußeren Dinge wirklich nur äußerlich und unwichtig wären. Die Oberflächlichen, wenn sie sich tiefsinnig stellen, behaupten das. Aber es ist falsch. Und als ob der innere Reichtum nicht bloß eine Zuflucht, sondern geradezu ein Privileg der Armen wäre. Das mit der Arbeit aber ist töricht. Denn man sehnt sich doch wahrhaftig nicht nach den Glücksgütern dieser Welt, um müßig zu gehen. Sie wären gar keine Glücksgüter, wenn sie nicht das Muß, den unbedingten Imperativ der Arbeit in sich trügen, der erhöhten, beschwingten, von jeglicher Peitsche und allen beschämenden Hetzmitteln erlösten Arbeit.

Wünsch' dir lieber Gesundheit, rufen sie einem zu. O ja, es ist mir bekannt, daß nicht bloß die reichen Leute krank sind, bekannt, daß es auf dieser Welt die infame Möglichkeit gibt, bettelarm und zugleich todkrank zu sein. Ich weiß, daß vor dem drohenden Siechtum alle Urangst in unseren Instinkten erwacht, daß alle Wünsche, die wir tragen, davor zusammenbrechen, und daß ungezählte Kreaturen tausendfältigen, freudigen Verzicht auf alle irdischen Freuden anboten für das Glück der Genesung. Aber ich weiß nicht, ob es ihnen was geholfen hat. Wir haben ein jeglicher dies bißchen Leben nur ein einziges Mal, haben es als ein ungewisses, flüchtiges, zitterndes Gut, das uns in jeder Sekunde entrissen werden kann. Es gibt, wenn wir alle tröstende Phrase, alle barmherzige Lüge beiseitelassen, nur ein Mittel, dies Leben zu hüten, zu verlängern, zu retten, zu erhöhen, dies wunderbar gewaltige Leben ganz aus dem Vollen zu leben. Und: ich wünsche mir Reichtum. So fest und ruhig, so andächtig und hoffnungslos, wie nur immer ein Wunsch sein mag, der uns keine Erfüllung, aber Heiterkeit und Kraft geben muß.

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