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Junge Mädchen

Wir könnten auch gleich mit Botticelli anfangen. Aber das hat ja noch Zeit. Warum denn sofort von solchen Dingen sprechen? Da ist ein Zimmer voll junger Mädchen, und sie sind alle sehr elegant. Sie sind alle sehr hübsch, manche von ihnen sind sogar schön, und die meisten von ihnen sind noch wirkliche und wahrhafte Mädchen. Kann es etwas Netteres geben als ein Zimmer voll junger Mädchen? Dann treten wir doch ein. Aber ich muß euch eines vorher sagen. Hier sind lauter Ausnahmen, lauter eigenartige Geschöpfe, lauter Individualitäten. Nur dürft ihr deswegen nicht etwa glauben, dies Zimmer sei ein Raritätenkabinett. In den großen Städten, aber auch in den Provinznestern gibt es um die Teestunde Hunderte solcher Zimmer voll junger Mädchen, die alle Ausnahmsgeschöpfe und Individualitäten sind. Daran ist nichts Besonderes.

Denn eine junge Dame, die nur halbwegs etwas auf sich hält, muß ihre persönliche Note haben. Das ist von ungeheurer Wichtigkeit. Nicht wahr, man vermag es sich heute doch nicht mehr vorzustellen, wie man früher einmal ohne Telephon oder Automobil hat leben können? Na, sehen Sie! Ebenso fragt man sich, wie die jungen Mädchen früher einmal ohne persönliche Note nur ausgekommen sind. Wie mögen sie das angefangen haben? Jedenfalls ,... heute wär' das gar nicht zu machen.

Betrachten Sie einmal diese da. Ich sehe schon, der Botticelli läßt sich nicht vermeiden. Also betrachten Sie einmal diese da. Sie hat die Haarzöpfe wie Schnecken um die Ohren gewunden. Sie trägt den Hals entblößt, und ihre Gewänder fließen nur so. Botti ,... Natürlich meine ich das nicht im Ernst. Aber die junge Dame meint es ernst. Da ist nichts zu machen. Natürlich ist das nicht der große Florentiner, sondern ein kleines Mädchen. Botticelli, gesehen durch das Temperament einer bürgerlichen Kaufmannstochter. Sie merken, was bei diesem Botticelli herauskommt? Immerhin, diese Frisur mag zu einem brünetten Gesicht nicht passen, sie mag zu malaiisch geschlitzten Augen nicht passen, und die junge Dame mag mit dieser Frisur auch den Eindruck erwecken, als habe jemand an ihrem unschuldigen Haupt einen Racheakt verübt, -- diese Frisur ist bei alledem doch ein Programm. Wenn man will, auch eine Warnung. Sie besagt: Sprich nicht von alltäglichen Dingen mit mir! Sprich nur von bedeutenden Problemen. Sie besagt: Du mußt wissen, daß ich anders bin als die anderen. Bedeutend und tief. Und feierlich. Diese Frisur ist wie ein Freimaurerabzeichen, sie ist eine Gesinnung und eine Weltanschauung. Es fragt sich nur, ob es das Richtige ist, seine Gesinnung oder seine Weltanschauung sichtbar auf dem Kopfe zu tragen, mit Haarnadeln zurechtgesteckt. Man darf annehmen, dieses Mädchen hat auch inwendig Haarnadeln. Da hat sie alles, was sie gelesen und gehört und gesehen hat, in Zöpfe geflochten, zu Schnecken gedreht und festgenadelt. Wenn aber die Welt in ein paar Jahren von anderen Dingen reden und schreiben wird, dann wird sich dieses holde Mädchen wieder anders frisieren. Ganz ohne Mühe.

O, und diese Kleine da ,..., schade daß sie allein ist und ohne ihren Vater. Sie müßten das Dingerl da mit ihrem Vater sehen, dann wüßten Sie, woher sie dieses breite, über die eigene, herrliche Klugheit entzückte Lächeln hat. Das geht auch mit der Florentiner Frisur einher, obwohl es für das robuste, mit breiten Backenknochen ins Mongolische deutende Antlitz keine unpassendere Haartracht gibt. Aber das glaubt, ihm stehe alles reizend. Wie ja das auch immer von seiner eigenen Gescheitheit felsenhart durchdrungen ist. Das wird sich entwickeln und eine immerfort selbstgefällig lächelnde, immerfort schwätzende Plage der Gesellschaft werden. Das wird den Leuten Taktlosigkeiten ins Gesicht werfen, wird sie mit ungefragt hingeschmissenen Urteilen und Sentenzen peitschen, wird sich für geistreich, für gerecht und für ,... beliebt halten, wird zeitlebens von sich begeistert sein und die allgemeine Erbitterung rings um sich her nicht ahnen. Schade. Sie müßten den Vater sehen.

Aber die andere dort ist hübsch. Nicht wahr? Unnötig, es ihr erst noch zu sagen. Sie weiß es. Vielleicht wäre es besser für sie gewesen, sie hätte die Eleonora Duse nie gesehen. Aber dann hätte sie wahrscheinlich eine andere Affektation gefunden. Sie sticht ihr hübsches Kinn beständig in die Luft. Genau, wie die Duse das edle Haupt emporhob, wenn sie in schmerzlichen Momenten über die Erbärmlichkeit des Lebens hinwegzublicken schien. Das Mädchen da hat jetzt ununterbrochen solch schmerzliche Momente, hat immer das erhobene Kinn, ist beständig auf die schöne Linie bedacht, die das dem Halse gibt. Da beugt sie sich über die Blumenvase und drückt ihr Antlitz zärtlich in die Rosen. Gleich wird sie liebkosend mit den Händen die Blumen streicheln. Nun ,... hab' ich's nicht gesagt? Sie macht das sehr anmutig, und es ist ja überhaupt sehr wenig dagegen einzuwenden, wenn unsere jungen Mädchen von einer erlauchten Frau solch kleine edle Mätzchen lernen. Das putzt auf. Nur daß in der Genauigkeit, mit der diese da kopiert, doch ein bißchen pedantische Äfferei liegt. Und es ist ärgerlich, daß die Kleine, wenn man sie fragt, beteuern wird, sie habe die Duse nie gesehen, daß sie verlangen wird, man solle glauben, sie habe »zufällig« dieselben Manieren. Ganz aus Eigenem. Ein bißchen Verlogenheit ,... aber sonst nicht schlimm.

... Ja, ja, das begreife ich, daß Ihnen diese andere dort auffällt. Aber ich weiß nicht, ob das nicht täuscht. Am Ende ist das gar nicht so sehr ein glühend sinnliches Temperament, sondern nur eine animalische Eitelkeit, und ich halte es ganz gut für möglich, daß dieses herausfordernde Mädchen kühl und besonnen ist wie ein verläßlicher Chauffeur. Aber auffallend wirkt es schon, wie sie dasteht, und wie sie geht, und wie sie im Gehen beständig ihren Busen der Welt entgegenhält. Sie trägt ihn feierlich vor sich her, sie zelebriert ihn geradezu. Jedenfalls annonciert sie ihn. Ihr ganzer Leib scheint nichts anderes als eine Vorrichtung zu sein, um diesen Busen anzubringen und zur Schau zu stellen. Sie geht und steht und bewegt sich, als ob sie ein unerhörtes Wunder präsentieren müßte, als ob noch niemals vorher ein anderes Mädchen jemals einen Busen gehabt hätte, was doch sicherlich übertrieben ist. Trotzdem ein ruhiges und vielleicht sogar ein kühles Geschöpf. Aber man weiß ja nicht, was für Träume, Regungen, Begierden und Gedanken in solch einem jungen Wesen lebendig sind. Diese jungen Mädchengesichter sind manchmal so blank und so undurchdringlich. Und diese jungen Mädchen aus der Gesellschaft sind ja so gezügelt.

Diese andere dort ist schön. Nicht mehr so ganz in der ersten Frühlingsfrische, die feinen Züge ein wenig schon angeschärft, aber mit dieser fabelhaft gleichmäßigen Elfenbeinfarbe, mit dieser griechisch reinen Stirn ,... schön. Ein Prachtstück ,... und das ist vielleicht ihr Verderben. Denn nicht in jedes Haus paßt so ein Prachtstück. Es ist gefährlich, so kostbar auszusehen, in seiner Erscheinung schon so einen Luxus vorzustellen, solch einen persönlichen Prunk zu haben, der in eine bescheidene Umgebung gar nicht paßt. Sie ist auch schon von Enttäuschung und Traurigkeit leise umwittert. Schon fällt es ihr schwer, dem melancholisch geschlossenen Mund das ewig holde Mädchenlächeln abzuringen. Und noch andere trübe Anzeichen sind da: sie ist schon literarisch. Manchmal hat es wirklich den Anschein, als ob es für die paar geborenen Prinzessinnen nicht genug Prinzen gäbe.

Schauen Sie diese dort an. Müssen Sie nicht gleich an Klimt denken? Ja, lieber Gott, darin ist diese Dame nun unerbittlich. Man muß an Klimt denken, wenn man sie ansieht, man muß von Klimt reden, wenn man mit ihr spricht. Aber sie begnügt sich in liebenswürdigen Stunden mit Kokoschka. Man muß über Ruhm und über Talent, über das Schaffen und über Intuition mit ihr reden, kurz über lauter Dinge, von denen man eigentlich nicht gern spricht. Sie fragt einen auch gelegentlich: »Sind Sie eine Persönlichkeit?« Oder irgend etwas anderes, immer aber kommt wie ein Schuß so eine von diesen Fragen, die man sich selber nicht gern stellt. Sie »arbeitet an sich«. Womit man gern einverstanden sein mag, weil sie es ja (weeß Knebbchen) notwendig hat. Aber auf welche Weise arbeitet sie an sich? Sie malt, sie modelliert, sie töpfert, sie radiert und schneidet Holz. Wenn Sie einmal diese Dinge zu sehen kriegen, dann brechen Sie gewiß in die Worte aus: »Was Menschenhände alles können!« Und sie wird eines Tages heiraten, weil der Mensch doch irgend jemand haben muß, von dem er unverstanden bleibt.

Aber die andere dort drüben, die ist gesund, durch und durch. Man muß sie auf dem Tennisplatz sehen oder im Winter beim Bobsleighfahren und Skilaufen auf dem Semmering. Oder im Fechtsaal des Athletiksportklubs. Da hat sie in ihrer straffen Gestalt diese neue, gleichsam stählerne, die sportliche Anmut unserer jungen Mädchen von heute. Da hat sie in ihrem hübschen Gesicht diese Jugendfrische, die von einem gesunden, mit allen seinen Kräften spielenden Körper herrührt. Da hat sie diese lachenden, blanken, gütigen, unschuldseligen Augen, aus denen alle Sentimentalität und alle parfümierte Sehnsucht weg ist. Da hat ihr ganzes Wesen die harmlose, sonnenbeschienene Heiterkeit eines Frühlingstages. Man merkt jetzt noch den Hauch der freien Luft auf ihren tiefer gefärbten Wangen. Man merkt, auch hier im Zimmer, an allen ihren Bewegungen, die Kraft, die in ihren Muskeln angesammelt ist. Und man betrachtet sie unwillkürlich mit etwas reineren Gedanken als sonst ein anderes Mädchen, argloser, kameradschaftlicher. Das ist eine von der wirklichen Jugend, die sich auf Tennisplätzen, auf Bergwiesen, auf Schneefeldern das Jungsein wieder erobert hat.

Freilich, die neben ihr sitzt, diese Geschmeidige dort, die ist ebenso in allem Sport und in jeglicher Leibesübung heimisch. Aber die tobt nur den Unband ihrer Triebe damit aus, den Überschuß an sinnlicher Wachheit. Schlank und biegsam wie ein spanisches Rohr ist sie und genau so fest wie dieses. Famos ist dieses kecke Gesicht mit den schwirrenden, dunklen Augen und mit dieser absoluten Schlamperei des Ausdrucks. Toulouse-Lautrec hätte sie malen können. Und einen Elan hat sie, eine tollkühne Bravour ,... Die saust auf dem Bobsleigh um gefährliche Kurven mit jener Virtuosität, mit der sie sich später einmal als routinierte Ehebrecherin aus irgendeiner halsbrecherischen Situation retten wird. Und sie kompromittiert sich heute schon mit demselben treffsicheren Talent und mit demselben stolzen Schwung, mit dem sie beim Tennis ihre »Backhands« schlägt. Früher wäre die Odilon ihr Ideal gewesen. Jetzt gibt es eigentlich gar keine Diva, die ihren Ansprüchen genügen möchte. Wahnsinnig viel Schmuck, unerhörte Toiletten und einen schlechten Ruf haben, ist das Ziel ihrer Wünsche. Das letzte Drittel hat sie beinahe schon erreicht. Vielleicht gelangt sie zu den zwei anderen auch noch.

Natürlich kann man heute noch gar nichts wissen. Von all diesen jungen Mädchen kann man noch nicht wissen, wie sie in Zukunft sein werden. Später. Nachher. Es ist ja nicht das einzige Zimmer voll junger Mädchen. Wie diese gibt es hundert und hundert, und überall sind lauter Ausnahmen, lauter eigenartige Geschöpfe, lauter Individualitäten. Daß es später anders wird, daß sie später ein wenig anders sich ausnehmen werden, daß es Wandlungen gibt, daß sie sich mit der Ehe und in der Ehe ihrer wahren Natur ein wenig nähern ,... warum heute schon daran denken? Jetzt ist es Frühling. Wir wollen nach Martini davon reden.

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