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Junge Frauen

O mein Lieber ,... wir brauchen ja nur in den Prater zu fahren, und vom Konstantinhügel bis zum Lusthaus sehen wir gewiß eine nette kleine Kollektion. Keineswegs eine vollständige, aber doch lauter bemerkenswerte Typen. Lauter kleine Romane, wenn du willst. Damit verspreche ich nicht einmal etwas Außerordentliches. Denn bis jetzt bin ich noch keiner einzigen Frau begegnet, keiner armen und keiner reichen, keiner vornehmen und keiner geringen, aus der man nicht einen Roman machen könnte.

Man sollte sie natürlich immer schon als Mädchen gekannt haben. Denn ihr Mädchentum von einst und ihre Fraulichkeit von jetzt ergänzen einander wie die zwei Hälften einer Kugel. Aus beiden hat man erst die ganze Gestalt. Das gehört zusammen wie Topf und Deckel. Das ist wie Schall und Echo, wie Wurzel und Pflanze. In der Frau von jetzt bestätigt sich das Mädchen von einst, es erklärt und erfüllt sich in ihr. Manchmal jedoch wird das Mädchen von der Frau ganz einfach entlarvt. Das ist für alle Leute sehr amüsant. Nur nicht für den Mann dieser Frau. Aber gewöhnlich merkt er nichts davon.

Es gibt noch etwas anderes: man muß imstande sein, in jeder jungen Frau noch das Mädchen aufzufinden, das sie einst gewesen ist. Keine leichte Sache. Denn die jungen Frauen sind ja so fabelhaft verwandlungsfähig, und wenn es um Dinge geht, die sie selbst betreffen, haben auch die dümmsten unter ihnen eine schöpferisch-reiche Phantasie. Das macht sie zu so glänzenden Komödiantinnen. Da glauben sie dann, gleich sprechenden Kindern, felsenfest an die Wirklichkeit ihrer angenommenen und eingelernten Rolle. Trotzdem: Spuren ihres einstigen Mädchentums haben alle noch in ihrem Wesen. Freilich sind da auch noch andere Spuren, die man beachten muß: der Mann! Solch ein unbeschriebenes Blatt ,... wie kann das aussehen, wenn es dann einer in den Händen hatte! Es kann nun inhaltsreich sein oder banal, harmlos oder voll raffinierter Unzucht, langweilig oder interessant. Es kann aber auch bloß Fettflecke haben.

Würdest du glauben, daß diese umfangreiche Dame dort vor einigen Jahren noch ein anmutiges, schlankes Ding gewesen ist? Sie schaut jetzt aus wie eine kugelrunde Tante. Schlimmer: wie eine Tante im Morgenkleid. Denn es steht ihr nicht mehr dafür, sich sorgfältig anzuziehen. Sie tut ihren riesigen Formen keinen Zwang mehr an; sie hat sich damit abgefunden, ein Gebirge zu sein. Es ist ihr gleichgültig. Siehst du, wie schläfrig ihre Augen blinzeln? Und alles an ihrem Gesicht, der Mund, die Nase, die Wangen, alles ist matt und müd. Man darf beileibe nicht glauben, daß diese Frau ihre Nächte durchjubelt. Sie war nur als Mädchen von einer gewaltsamen Munterkeit. Die paar Jahre, die sie gebraucht hat, einen Mann zu erjagen, ist sie gewaltsam wach gewesen, hat ihre Augen mühselig und gegen ihre Natur offen gehalten. Davon ist sie jetzt so schläfrig. Und vom Ausruhen wird sie so dick. Sie macht ein Gesicht wie jemand, der ein schweres Lebenswerk hinter sich hat, eine ungeheure Leistung. Sie hat sich verheiratet. Das ist alles. Ihr aber erscheint es übergenug. Mehr könnte sie gar nicht leisten. Nein, mein Lieber, es ist nicht Krankheit, nicht Anlage, es sind auch nicht die Kinder, wenn die jungen Frauen langsam ihre Gestalt, ihre Schönheit und ihre Anmut verlieren. Es ist eine Sache des Charakters. Die Kinder ,... in neunzig Fällen von hundert sind die Kinder nichts weiter als eine Ausrede für Bequemlichkeit, für Mangel an Temperament, für einen schmählichen inneren Zusammenbruch all der guten Vorsätze und Möglichkeiten, die man einst als Mädchen gezeigt hat. Eine Frau, die nicht aufrecht bleibt, nicht geistig regsam, charakterfest, tüchtig, fleißig und seelisch lebendig, die geht freilich auch körperlich aus allen Scharnieren. Frag' einmal den Mann einer solchen Frau. Wenn er aufrichtig sein kann, wird er's bestätigen. Als Mädchen, als Braut, als jung Verheiratete hat sie noch wirklich hübsche Gespräche geführt mit ihm. Von Kunst, vom Reisen, von neuen Büchern, von schönen Landschaften, von allen möglichen festlichen Dingen, die außerhalb des Alltags sind. Wenn er aber jetzt anfangen wollte, von dergleichen zu sprechen, dann bekäme er prompt die Antwort: »Laß mich aus mit den Dummheiten.« Er hat diese Antwort schon bekommen, er fängt auch nicht mehr davon an. Und seine Frau wird täglich häßlicher. Diese »Dummheiten« rächen sich. Man soll auch kein Mitleid haben mit einer Frau die häßlich wird. »Es ist der Geist, der sich den Körper baut!« Das Wort gilt

Da ist ein verwandter Typus ,... ja, die Hübsche dort. Man muß sie nur genauer ansehen, dann merkt man schon, was für ein männlicher, harter Zug ihr hübsches Gesicht entstellt. Diese Frau kennt alle Geschäfte ihres Mannes. Sie redet von nichts anderem mehr als von diesen Geschäften. Sie weiß, was auf dem ganzen Markt vorgeht, sie durchschaut alle Unternehmungen der Konkurrenz. Sie macht ihren Mann aufmerksam, daß der oder jener ihn betrügt; sie erklärt ihm täglich, er sei zu gut, sie bestürmt ihn mit Vorwürfen, weil er die Leute nicht genug schnürt. Wenn etwas schief geht, dann hat sie es ja »vorher gewußt«, und Verluste treffen den Mann nur, weil er ihr »nicht gefolgt hat«. Der Mann war früher schon ein ganz tüchtiger Geschäftsmensch. Aber er war vergnügt dabei und harmlos und hatte Freunde, die ihm lieb waren. Jetzt ist er mürrisch und voll Mißtrauen, ist ewig schlecht gelaunt und mit allen Freunden zerfallen. Er hat ein reizendes junges Mädchen geheiratet. Aber dieses reizende junge Mädchen war eigentlich nichts anderes als ein leidenschaftlicher Kommis.

Dort ist wieder so eine. Sie hat vor wenigen Jahren noch für alles mögliche geschwärmt. Sie hat gemalt und gesungen, gedichtet und modelliert und eine Botticelli-Frisur getragen. Jetzt schimpft sie über Dienstboten und spielt Poker. Die Frisur war falsch, und die Schwärmerei und der Botticelli waren falsch. Echt war von Anfang an nur das Schimpfen über die Dienstboten und das Pokerspielen. Das Kartenspiel betreibt sie nur, um Geld zu gewinnen. Sie amüsiert sich nicht dabei, sie arbeitet am Kartentisch. Sie sieht hier nur eine Chance, ihre Einnahmen zu vergrößern, und wird wegen jeder Krone, die sie verliert, halb besinnungslos vor Zorn. Sie verstellt sich auch gar nicht. Sie zeigt ihren Neid, ihre kleinen Schäbigkeiten, sie zeigt ihre Habgier. Sie hört vollständig auf, ein Weib zu sein. Zur fraulichen Liebenswürdigkeit und Schwäche nimmt sie nur noch ihre Zuflucht, wenn sie beim Mogeln erwischt wurde.

Aber sehen wir uns die dort an, mit den brennenden Augen. Sie ist reizend in ihrer schlanken Fülle und in der werbenden Grazie ihrer Bewegungen. Wenn man mit ihr spricht, wird sie es einem gleich anvertrauen, daß sie ihrem Manne untreu ist. Sie hat als Mädchen nach dem Manne gelechzt. Nicht nach ihrem Manne, sondern nach einem Manne überhaupt. Und jetzt will sie alles erleben, was sie vorher nur träumen durfte. Ganz naiv geht sie dabei zu Werke. Als ob ihr niemand dabei zuschauen würde. Ihr Mann hatte als Junggeselle einen leidlich guten Ruf. Heute aber gehen die dunkelsten Geschichten über ihn um. Und alle hat die Frau erzählt. Jemand hat dieser Frau einmal gesagt: »Sie haben ihren Beruf verfehlt.« Sie antwortete: »Das ist ein Irrtum. Wenn ich nicht verheiratet wäre, dann würde ich ganz anständig sein.« Vielleicht hat sie recht.

Jedenfalls ist sie sympathischer als die andere da, die ja wirklich anständig ist. Anständig und hübsch. Aber sie hört nicht auf, von ihrem ehelichen Glück zu reden. Sie erzählt einfach alles, und sie ist nicht zufrieden, wenn sie nicht alles erzählen kann. Junge Leute sind, von so viel Ungeniertheit frappiert, verlockt worden, einen Sturm auf diese Frau zu unternehmen. Vergebens. Sie ist treu. Sie will nur davon reden. Sie will sich nur mitteilen, will prunken mit allem, was heimlich ist, und will beneidet werden, will Begierden erwecken.

Dort haben wir ein anderes Exemplar. Die will nichts als gescheit sein. Immer nur ein bißchen gescheiter als die anderen. Und sie hat sich ein unglaublich einfaches Verfahren dazu ausgedacht. Sie glaubt nichts. Der kannst du beweisen, was du willst. Sie glaubt es nicht. Alle Wunder der Welt kann man ihr zeigen. Sie wundert sich nicht. Die größten Wunder- und Meisterwerke können vor ihr verrichtet werden. Es imponiert ihr nicht. Sie lächelt überlegen. Sie schüttelt den Kopf. Und sie sagt: Nein. Es ist komisch, aber man sitzt ihr auf. Man gibt sich Mühe mit ihr, man strengt sich an, man verzweifelt. Sie lächelt. Und wenn man alle Gründe, alle Logik, alle Beredsamkeit erschöpft hat, sagt sie: Nein! Vielleicht würde es ihr imponieren, wenn man sie dann kurzweg niederschießen würde. Aber der Versuch ist zu gewagt. Wer weiß auch, ob er gelänge.

Die dort ist auch nicht schlecht. Sie stammt aus den allereinfachsten Verhältnissen, und irgendein wohlhabender Mann hat sie geheiratet. Ich glaube, ihre Mutter war Hausmeisterin, und sie selbst ist irgendwo Nähmamsell gewesen. Das macht natürlich nichts. Wie nett wäre es, wenn sie das einfach lassen würde, wie es ist. Kommt die Rede darauf, es einfach zugeben, schweigt man darüber, einfach schweigen. Aber ehe noch jemand reden oder schweigen kann, erzählt sie, sie sei im Kloster Sacré Coeur erzogen worden, nimmt irgendein altes Silbergeschirr vom Tisch und sagt, zu Hause, bei ihrer Mutter, habe man immer auf altem Silber gespeist; erzählt erfundene Histörchen von einer französischen Gesellschafterin, die sie gehabt haben will, und klagt darüber, wie sie doch als junges Mädchen im Elternhaus eingesperrt und von Erzieherinnen bewacht worden sei. Am Tisch sitzt ein Freund ihres Mannes. Dieser Freund hat sie noch als Nähmamsell, hat ihre Mutter, die Hausmeisterin, gekannt. Aber das macht nichts. Gerade diesem Freund erzählt sie ihre hübschen Geschichten; schaut ihm dabei ins Gesicht, treuherzig und lächelnd. Sie glaubt unbedingt an die Rolle, die sie sich zurechtgelegt hat. Wie ein spielendes Kind.

Die schöne junge Frau mit der strahlenden Miene dort ist so eine Art Schwester von ihr. Sie kam gleichfalls aus engen Verhältnissen zum Wohlstand. Und nun tut sie so, als ob sie den Luxus überhaupt erst erfunden hätte. Was sage ich, den Luxus? Das ganze Leben. Vor ihr hat überhaupt niemand geheiratet. Vor ihr hat niemand noch ein Kind gehabt. Sie ist die erste, die auf diese gute Idee kam. Vor ihr hat niemals eine Frau elegante Toiletten getragen. Keine ist vor ihr jemals in den Prater gefahren, keine hat Brillanten gehabt, und keine einen Salon im Stil Louis Quinze. Muß sie nicht stolz sein, wenn sie bedenkt, daß erst sie alle diese Dinge in die Welt gebracht hat? Es gibt wenige Menschen, die von sich selbst so entzückt sind wie sie. Ihr Mann ist auch von ihr entzückt. Denn sie sagt ihm, daß er entzückt ist. Und er glaubt es ihr.

... Du meinst die dort? Ja, die ist allerdings reizend. Das ist sie aber auch schon als Mädchen gewesen. Sie hat sich nicht verändert. Es ist eine gute, im Innersten reine, glückliche und kluge Frau. Sehen wir sie an und schweigen wir. Denn von ihr ist weiter nichts zu sagen.

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