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Die elegante Frau

Aber es ist ja gar nicht wahr, daß die Frauen so viel Geschmack haben, wie man immer behaupten hört; es ist gar nicht wahr, daß sie so viel Schick und Erfindungsgabe in ihrer Toilette entwickeln. Das kann man jeden Tag zehnmal, kann es hundertmal bemerken, wenn man nur will. Besonders aber im Karneval, in dieser Zeit der glänzenden Gesellschaftsparaden, der Soireen, der Routs, der Diners und der großen Theaterabende. Man redet es ihnen bloß beständig vor, sie seien so raffiniert, so listenreich, so voll virtuoser Anmut, sich zu putzen. Weiß der Teufel, welch ein Charmeur, welch ein galanter Plauderer diese Fabel erfunden hat, die nun alle Männer mit umnebelten Sinnen völlig urteilslos nachbeten. Aber der Verdacht liegt nahe, jener Charmeur müsse doch irgendwie ein Provinzler gewesen sein. Nein, die meisten Frauen sind keineswegs listenreich in diesem Punkt. Ihre kleinen Toilettenkünste und -kniffe sind gewöhnlich so schnell zu durchschauen und sind von einer solchen Trivialität, daß es sich schon kaum mehr lohnt, diesen ewig wiederholten, ewig gleichen Versuchen gegenüber den Klügeren zu spielen. Sie sind nur selten raffiniert, wenn sie sich putzen. Denn sowie sie nur eine Schwäche verbergen oder einen Reiz ihres Wesens unterstreichen möchten, werden ihre Absichtlichkeiten so deutlich, liegen ihre kleinen Verlogenheiten so rührend klar am Tage, daß sie darin fast schon den unschuldigen Kindern gleichen, die beim Spielen mogeln. Die wenigsten unter ihnen verstehen wirklich etwas von Kleidern. Die allerwenigsten verstehen, sich gut anzuziehen. Man braucht da nur die Gegenprobe zu machen und sich der Tatsache zu besinnen, daß eine wahrhaft gut angezogene Frau, wo immer sie erscheint, einfach Aufsehen erregt. Sie wird angestaunt wie ein Wunder.

Wenn man bedenkt, daß die meisten Frauenmoden von Männern ausgedacht und geschaffen wurden, könnte man faktisch glauben, den Frauen fehle es an Phantasie. Noch stutziger wird man in der Erwägung, daß keine einzige Frau bisher eine Herrenmode erdacht hat. Am auffallendsten aber scheint es, daß die Frauen, die sich doch schon seit langem in alle möglichen Männerberufe drängen, trotzdem nirgendwo als Juweliere erheblich zu merken waren. Rubine, Saphire, Brillanten, Perlen, Email, Markesit, Gold, Platin und Silber -- da müßte doch ihr Sinn für Form und Farbe, ihr dekorativer Sinn ins Schwelgen geraten. Mit all diesem lieblichen Tand befassen sich die Frauen seit Urväterzeiten, hängen leidenschaftlich daran, interessieren sich unvergleichlich mehr und ernsthafter dafür als die Männer, die nur in freien Stunden ab und zu einmal einen flüchtigen Blick für diese Niedlichkeiten übrig haben. Den Frauen ist es eine Herzensangelegenheit von alters her. Unzählige Atavismen müßten sich in ihnen regen, müßten ihnen helfen, müßten ungezählte produktive Einfälle in ihnen wecken, und all den Zierat, mit dem sie seit Jahrtausenden von den Männern geschmückt wurden, müßten sie längst schon in neuen Formen, Linien, Kompositionen wieder vergelten, müßten ihn neu erschaffen. Aber nichts dergleichen regt sich in ihnen. Sie nehmen nur, was man ihnen gibt; nach wie vor. Und sie nehmen es fast immer, ohne zu prüfen, ob es auch für sie paßt.

Das fängt schon bei der Frisur an. Welchen Jammer haben wir mit diesen Haartrachten nicht erlebt? Ich mag gar nicht erst an die Simpelfransen erinnern, die vor zwanzig, fünfundzwanzig Jahren wie eine Seuche grassierten, und die uns nun, wie es scheint, wiederkehren sollen. Frauen mit scharfen, markanten Gesichtern, von denen jede Naivität entwichen war, zögerten nicht, sich die naiven Simpelfransen in die allzu kluge Stirn zu kämmen. Frauen mit geistreichen Mienen, Frauen mit überreifen, von allerlei Lebenserfahrungen beschriebenen Gesichtern trugen die kindlichen Ponyfransen und lieferten ihre Züge ahnungslos der Karikatur aus. Was für Verheerungen richtet doch der Prunk und Pomp unserer jetzigen Modefrisuren an. Die aufgesteckten Löckchen, die von farbigen Bändern und Schleifen durchflochtenen Haargebäude, die goldenen und silbernen Häubchen und die Turbanversuche mit Reiherschmuck. Es ist zu bemerken, daß gerade die häßlichen Frauen der verziertesten und kompliziertesten Frisuren mit einer wahren Wut sich bemächtigt haben. Ein Wahn, der nur in einem vollkommenen Mangel an Geschmack wurzeln kann, gaukelt ihnen vor, sie würden hübscher erscheinen, wenn sie auf ihrem Haarboden Prunk- und Prachtorgien veranstalten. Sie glauben, wenn sie sich vom Stirnrand aufwärts schön machen, müsse dies unbedingt die Wirkung haben, sie auch von der Stirn abwärts zu verschönern. Und sie ahnen nicht, daß sie ihre Häßlichkeit wie mit dem Meißel nur stärker und plastischer und quälender noch hervortreiben. Wie arg sind diese hochgetürmten, breiten, nach allen Richtungen hin ausladenden Frisuren auf dem Scheitel von Frauen, die ein nüchternes, von praktischer Vernunft prosaisch gewordenes Antlitz haben. Alle Illusionen, die längst nicht mehr im Herzen einer solchen Frau ihren Platz finden, scheinen da hinaufgekrochen zu sein und nun fremd und gleichsam obdachlos auf ihrem Kopfe zu sitzen. Wie arg ist es, wenn eine Frau, in deren Gesicht ein unfestlicher, von allerhand Sorgen beschwerter Alltag sich eingegraben hat, auf ihrem Haupte solch einen buntbewimpelten Sonntag einherschwenkt. Beinahe überall kann man es merken, daß die Frauen die Festlichkeit dieser Frisur mißverstehen. Verstehen sie es denn im allgemeinen, daß die Gold- und Silberhäubchen à la Chodowiecki und à la Biedermeier, daß die à l'Empire durchs Haar geflochtenen Bänder oder die nach der Art Botticellis und der florentinischen Frührenaissance um die Ohren gewundenen Zöpfe einen ganz besonderen Stil des Gesichtes, ein ganz besonderes und nur für diese oder jene Tracht geschaffenes Profil verlangen? Man sieht Frauen mit langen, spitzen Nasen, mit scharfem Kinn, Frauen mit kleinen, verkniffenen Augen, Frauen mit fetten Wangen ihr Angesicht vom Rahmen jener Häubchen umschließen, die nur für junge, zarte Mädchengesichter mit großen, schönen Augen passen. Man sieht Frauen an der Botticelli-Frisur festhalten, obwohl ihr Wuchs und ihre Mienen, wenn sie schon durchaus malerisch sein sollen, eher an Rubens oder gar an Breughel erinnern als an Botticelli. Diese frühlinghafte, elfenmäßige, durchaus ins Poetische strebende Frisur wird gerade von Frauen bevorzugt, die so emanzipiert, so ernst, so trocken, so wissenschaftlich-literarisch-preziös aussehen, daß man bei ihnen überhaupt nicht mehr an den Frühling, nicht mehr an Poesie, ja nicht einmal mehr an eine Frisur denkt, sondern meint, daß sie eine Art von Brillen an den Ohren statt vor den Augen tragen. Wenn man sich nur ein bißchen besinnt, wird man draufkommen, wie selten, wie ungemein selten eine Frau und ihre Frisur zueinander passen.

Und wie selten passen eine Frau und ihr Hut zusammen. Frauen und Hüte, das wäre ein besonderes Kapitel. Welch ein Chaos von ungeheuren Mißverständnissen, welch ein Wirbel von grotesken Lächerlichkeiten, welch ein Tumult, welch eine Verwirrung von Anmaßung, von kläglichen Versuchen, sich aufzuschwingen, sich zu maskieren, und welch eine Fülle von unfreiwilligen Selbstentlarvungen! Was für ein Unheil haben die Pleureusen angerichtet, die ausschließlich für die Theaterloge oder für den Fond einer Equipage bestimmt waren. Was geschah dann wieder mit den koketten Schuten, die man aus den vierziger und fünfziger Jahren hervorholte. Und wer hat sich nicht die flachen Wagenräder aufgesetzt, die nur für hochgewachsene, gertenschlanke American Girls taugen. Es wäre ein besonderes Kapitel. Und darin ließe sich zeigen, daß den meisten Frauen nicht bloß die Erkenntnis ihrer persönlichen Art und ihrer individuellen Notwendigkeiten mangelt, sondern auch das Gefühl für ihre sozialen Grenzen.

Ein besonderes Kapitel: die engen Röcke. Jene Röcke, die am letzten Ende des Rumpfes eingezogen sind, die so dicht um den Körper sich schmiegen, daß der Säulenbau der Beine durchmodelliert wird, und daß die ganze Gestalt einer Frau zur Deutlichkeit gelangt, als sei sie entkleidet. Jene Röcke sind entstanden, weil der ganz schlanke Frauenwuchs, der seine Formen knapp nur andeutet, einer sportgeübten Generation als Schönheitsideal galt. Nun aber trugen Frauen diese Röcke, ohne schlank zu sein. Wie schwellende Sofakissen, glatt überzogen und gewölbt, gaben sie ihre Hüften preis, und noch mehr als ihre Hüften. Frauen, die in ihrem tiefsten Wesen anständig und schamhaft sind, zeigten sich ohne Bedenken in Kleidern, in denen sie an die trikotierten Chordamen der Operettentheater erinnern. Diese Kleider sind nicht für sie erdacht, in diesen Kleidern müssen sie lächerlich, absurd erscheinen, müssen sie älter, dicker, ungraziöser, herausfordernder aussehen, als sie wirklich sind. Tut nichts, sie tragen solch ein Kleid, weil es modern ist, und weil die wenigsten Frauen auf den Gedanken geraten, sich auf eine wahrhaft persönliche, wahrhaft freie und überlegene Weise mit der Mode auseinanderzusetzen.

Diejenigen, die es am nötigsten hätten, wären die Schauspielerinnen. Aber welch ein geringes Verständnis, welch ein Mangel an Geschmack, wie wenig Sinn für die eigene Wirkung und für die Harmonie mit dem Ganzen, welches Unvermögen, sich ins rechte Licht zu setzen, findet man da oft, bei allem Aufwand, bei aller Anstrengung, hervorzutreten und zu glänzen. Oft hab' ich's gesehen, daß eine Dame in einem rosafarbenen Kleid einen rot tapezierten Salon betrat, daß eine andere ein blaues Kleid trug, wenn die Hauptszene, in der sie zu tun hat, in einem Zimmer mit blauen Wänden spielt. Nicht bloß bei ersten Vorstellungen, wo der Zufall oder verspätete Dekorationsproben daran schuld sein können, sondern später noch. Und diese Darstellerinnen flossen dann so platt in den Hintergrund hinein, daß sie an den Wänden der Kulissen zu kleben schienen, statt frei im Raum zu stehen. Es ist auffallend, daß wir fast gar keine Schauspielerinnen haben, die einen bestimmenden, erzieherischen, vorbildenden Einfluß auf die Mode nehmen; auffallend, daß von einer, der solch ein Einfluß gelang, bis zur anderen, der er wieder gelingt, solch weite Abstände klaffen. Die Odilon war die letzte, die derartige Wirkungen auf den mondänen Geschmack ausgeübt hat. Und auch sie ist von einem begabten Schneider erst geleitet, angeregt und beraten worden.

Reiche Frauen, die sich's erlauben dürfen, in den vornehmen Ateliers arbeiten zu lassen, werden freilich leichter vor den ärgsten Entgleisungen bewahrt. Dort hält man sie schonend von allem Putz zurück, der ihrer Art gar zu sehr widerspricht, lenkt ihre Wünsche behutsam, klug, sanft, überredend in mögliche Bahnen, bringt Beispiele vor und warnt und lobt und argumentiert, bis ein leidliches Ziel erreicht ist. Aber Frauen, die sparen müssen und dennoch Aufwand treiben wollen, die sich mit einem Kleiderkünstler zweiter Güte oder mit einer Hausschneiderin ihren Kopierversuchen und ihren phantastischen Entwürfen hingeben, zeigen am deutlichsten, was sie können, und was sie nicht können; wieviel Takt sie haben, und wie wenig Takt ihnen eigen ist; wieviel Geschmacksicherheit sie besitzen, und wieviel ihnen davon fehlt. Da ist es denn merkwürdig, bei den reichen wie bei den weniger reichen Frauen, daß die wenigsten von ihnen, so oft und so lange sie alle ihr Lebtag auch in den Spiegel schauen, imstande sind, sich selbst in ihrer richtigen Gestalt, in ihrem wirklichen Wesen zu sehen und zu erkennen. Es ist ferner merkwürdig, daß die Frau, die nicht in den festen Überlieferungen und Gesetzen der großen Dame lebt, so leicht die festlichen und die unfestlichen Anlässe untereinander verwechselt. Und es ist weiter merkwürdig, daß die Frauen eine so geringe Empfindlichkeit gegen alle falsche, vorgetäuschte, unechte Pracht haben, der doch immer ein bißchen Lüge, ein bißchen Traurigkeit und ein bißchen Trivialität innewohnt. Wenn die Männer an der Frau, die ihnen gefällt, oder an den Frauen, die ihr Gefallen erregen, jeglichen Putz und Zierat, ohne zu prüfen, billigen, ja davon entzückt und betaumelt sind, ist's nicht weiter verwunderlich. Aller Schmuck und Staat, den eine Frau anlegt, ist zuletzt eben für denjenigen, der's auf sich bezieht, nur eine frohe Botschaft ,... Jedes Bändchen, jede Schleife wird zum Ruf, wird zur Lockung, zur Karesse. Aneinander aber spüren Frauen mit dem feinen, verräterischen Instinkt der Verwandtschaft all die mißglückten, all die hilflos listigen, all die verborgenen Bestrebungen und Mühen aneinander auf. Spüren sie auf bis in ihre letzten, geheimsten Wurzeln, so blind sie auch, jede einzelne, gegen sich selbst sein mögen. Den anderen gegenüber werden sie Seherinnen, Psychologinnen, Meisterinnen im Durchschauen. Man sagt, Frauen seien erbarmungslos gegeneinander; man sagt, sie seien es aus Neid oder Eifersucht oder Mißgunst. Ich glaube viel eher, sie sind es aus einer tiefen inneren Beunruhigung, aus Selbstsucht, aus einer Art von aggressiver Scham.

Die wahrhaft elegante Frau: man wird sie nicht überschätzen, wenn man sie für eine starke Persönlichkeit hält. Ein fest in sich beruhendes Wesen, von einer mühelosen, durch nichts zu störenden Harmonie des Herzens. Eine seelische Kraft, der denn auch die Selbsterkenntnis von Anfang an das Natürliche ist. Sie hat Lebenserfahrung. Denn außer einem sicheren Geschmack, einer feinen, unwillkürlichen Kultiviertheit, einem subtilen Takt muß man auch Lebenserfahrung haben, um eine wahrhaft elegante Frau zu sein. Sie hat Lebenserfahrung aus Intuition. Hat sie schon als achtzehnjähriges Mädchen, wie jeder, der überhaupt das besitzt, was man Lebenserfahrung nennt, sie von Anfang an oder niemals hat. Diese Frau wird immer die Frisur tragen, die zu ihr paßt, immer den Hut, der zu ihr gehört, immer das Kleid, das sie schön macht. Sie wird niemals altmodisch aussehen, aber sie wird von jeder neuen Mode nur dasjenige auswählen, was ihrem Wesen harmonisch ist. So wird sie beständig den Eindruck erwecken, daß jede neue Mode eigens für sie erfunden wurde, ja sie wird uns glauben machen, sie selbst sei die Schöpferin jeder neuen Mode. Wenn sie hübsch ist, werden wir sie für die Vollendung und für den Inbegriff aller irdischen Schönheit halten. Wenn sie häßlich ist, werden wir nur selten, und nur von ganz unwissenden Leuten, zu hören kriegen, sie sei häßlich. Aber wir selbst werden uns vergeblich fragen, ob sie anders sein könne als lieb und angenehm. Wenn sie reich ist, werden wir ihren Luxus für märchenhaft und für unerschöpflich ansehen. Und wenn sie arm ist, werden wir nicht glauben, daß es eine Armut gibt. Denn auch eine arme Frau kann wahrhaft elegant sein. Man hat Beispiele, daß ein Bureaufräulein in seiner vollendeten, verzichtenden Einfachheit eine Prinzessin in den Schatten stellte.

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