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Vom Kaufen

Wie reizend ist das: in den Straßen umherzugehen und Dinge zu kaufen, die man nicht braucht. Nicht bloß die reichen Leute genießen dies Vergnügen. Freilich, sie haben es just in diesem Falle, wie in so vielen Fällen, besser als wir anderen und dürfen sich was erlauben. Aber auch die bescheidensten Menschen gönnen sich's ,... manchmal. An besonderen Feiertagen, um Ostern, um Pfingsten, zu Weihnachten, oder wenn sonst ein frohes Ereignis sie einladet, ausnahmsweise ein wenig üppig zu sein. Doch sind es nicht bloß die Minderbemittelten, die beim Anblick all der lockenden Kostbarkeiten ihren Mangel an klingender Münze am schmerzlichsten empfinden. Das darf man nicht glauben. Den reichen Leuten geht es ebenso. Auch sie erkennen vor der Grenzenlosigkeit all des Schönen, was man haben könnte, ihre begrenzten Kräfte und seufzen gerade in solchen Momenten: »Ach, wenn man nur genug Geld hätte.« Denn mit dem Kaufen der überflüssigen Dinge ist es so beschaffen, daß man niemals genug Geld hat.

Man mag das vorher wissen, mag es immer und immer wieder erfahren, es bleibt dabei: Nichts ist so hübsch, als in den Straßen umherzuspazieren, vor den Schaufenstern all seine Wünsche wie Vorstehhunde auf die Suche zu schicken, um schließlich allerlei überflüssige Dinge zu kaufen. Denn außer dem Notwendigen weiß ich nur eines, was wir noch dringender brauchen, und das ist das Überflüssige. Neben dem Nützlichen gibt es nur eines, was uns noch weniger entbehrlich ist: das Unnütze. Man muß ein Dach über seinem Hause, man muß Kleider und Schuhe, man muß etwas zu essen haben. Das stimmt. Wenn man dies alles hat, dann kann man wohnen, sich anziehen, kann essen, trinken und schlafen. Aber leben ,... leben kann man damit noch nicht! Die Kinder begreifen das am besten, verstehen es ohne Nachdenken in ihrem lieben, kleinen Gemüt, halten sich niemals an die notwendigen Dinge, greifen in ihrer reinen Lebensfreude beständig über das Nützliche hinweg zum Überflüssigen, am Notwendigen vorbei zum Spielerischen. Man kann ein Kind gar nicht schlimmer erschrecken als mit der gräßlichen Erzieherweisheit: Das mußt du nicht haben, das ist nicht notwendig. Wenn die Erwachsenen klug wären, in ihrem Herzen klug, wie die Kinder, sie würden eine kindliche Bitte niemals mit diesen dürren Worten verweigern; nicht mit diesen kalten, deprimierenden und pedantischen Worten, die jeden Glanz des Daseins auslöschen. Es ist ja in den Erwachsenen auch ein Rest von Kindlichkeit noch übrig. Ohne daß sie's wissen. Denn wer kauft nicht lieber ein Veilchensträußchen als einen Laib Brot? Wem macht es Spaß, in einen Laden zu gehen und wollene Unterwäsche, einen Spirituskocher, Mehl, Butter, Streichhölzer, Hosenknöpfe oder sonst irgend notwendige Dinge zu kaufen? Aber wenn's nur der geringste Schmuck und Zierat, wenn's nur ein Lampendeckchen, ein Photographierahmen, ein Aschenbecher, ein Briefbeschwerer, ein Öldruck oder ein Haussegen ist, dann wird das schon ein kleines Fest: dies Fortgehen, den rechten Laden suchen, dies Eintreten und sagen: »Ich möchte ,...« Dies Auswählen, Prüfen, Gustieren.

Das richtige Fest aber ist es, wenn man nur so umherschlendert, wenn man gar nicht genau weiß, was man eigentlich will; wenn man sich von jedem Schaufenster herbeilocken und verführen läßt, und wenn man selber die ganze Zeit neugierig ist, was man eigentlich kaufen wird. Natürlich hat man eine ganze Menge Wünsche, aber die funkeln und glänzen nur so ineinander; die sind allzusammen in unserem Innern nur wie ein heller Schimmer. Sie verdrängen, sie steigern einander, sie laufen einander den Rang ab, schlagen sich gegenseitig mit tausend Argumenten nieder und werden nur immer munterer davon. Wenn man uns aber auf den Kopf fragen würde: »Was ist es also? Was wünschest du dir?« Da wüßten wir nur die eine Antwort: »Was Schönes!« Natürlich hat man zu all den vielen Wünschen auch den festen Vorsatz in sich, diesmal standhaft zu bleiben, kein Geld auszugeben, nichts zu kaufen. Den festen? ,... Ja, du lieber Gott, das ist nun auch so ein reizendes kleines Spiel. Es gehört mit dazu, und man möchte es nicht missen. Der Vorsatz also gebärdet sich, als ob er ganz fest wäre ,... unumstößlich! Aber alle die Wünsche lachen ihn aus. Der gute Vorsatz erklärt, er sei »nicht nur so«. Aber die Wünsche reden über ihn weg und lassen ihn gar nicht zu Worte kommen. Dabei ist dem Vorsatz bang, denn er fängt schon sacht zu zweifeln an, ob er nicht auch heute wie sonst immer erliegen werde. Und dabei ist den Wünschen bang, ob der mürrische Mahner nicht gerade diesmal hart bleiben und recht behalten könne. Und dabei ist man selber, zwischen Wunsch und Vorsatz, neugieriger Zuhörer seiner inneren Stimmen, gespannt darauf, wie die Sache endigen mag. Dabei steht man plötzlich vor einem Schaufenster, sieht plötzlich etwas, worüber man in Entzücken gerät, ist schon an der Ladentür und denkt sich regelmäßig, beschwichtigend, entschuldigend, treuherzig verlogen: »Ich will ja nur fragen ,...«

Drinnen, im Kramladen, aber hebt das delikate Spiel erst recht an. Bis der höfliche junge Mann oder das nette Fräulein den Gegenstand, nach dem man ,... nur fragen wollte, aus dem Schaufenster holt, hat man schon drei Dutzend andere Gegenstände gesehen. Eine prachtvolle blaue Elster aus Kopenhagener Porzellan, einen Spazierstock, der ganz aus Schildpatt gegossen ist, ein Zigarettenetui aus russischem Email in herrlichen, byzantinischen Ornamenten, einen Mahagoni-Paravent mit eingelassenen Altwiener farbigen Stichen, ein Mokkaservice, das eine bestrickende Vermählung von weißem Nymphenburger Geschirr und glattem englischem Sterlingsilber ist, ein Reisenecessaire aus Saffianleder mit Kristallflakons: ein Traum von einem Reisenecessaire. Und nun beginnt man sich blitzschnell drei Dutzend Träume auszumalen, Träume, die von all den reizenden Dingen hier hervorgerufen werden, an ihnen sich entzündet haben. Man hat plötzlich eine Sammlung von herrlichem Kopenhagener Porzellan. Die blaue Elster wäre freilich nur der Anfang davon, sozusagen der Grundstock, aber man sieht schon ganze Schränke voll dieser köstlichen Figuren. Man hat zu diesem Spazierstock aus Schildpatt noch andere Stöcke, hat blendende Anzüge, vom ersten Schneider dazu, hat jedesmal neue Handschuhe, hat ein Automobil ,... na, und überhaupt ,... Man hat zu dem Mahagoni-Paravent ein Herrenzimmer aus Mahagoni, man hat das russische Zigarettenetui auf einem Rauchtischchen liegen, und in dem Mokkaservice wird jeden Tag der schwarze Kaffee kredenzt. Ein Leben ,... was? Wie man aber ohne Reisenecessaire aus Saffianleder existieren kann, begreift man nicht.

Es kommt gar nicht einmal so sehr darauf an, was man schließlich gekauft hat, wenn man den Laden verläßt. Sondern es ist der feinste, leichteste, süßeste Schaum solcher Stunden, daß man all die reizenden Dinge genossen hat, von denen man umgeben war. Sie lagen offen vor uns ausgebreitet, sie gehörten niemandem, nicht dem Geschäftsmann, denn er hielt sie ja feil, gab sie ja preis; und auch sonst keinem anderen Menschen, denn der hätte sie ja mit sich hinweggenommen. Sie lagen da und warteten, daß jemand von ihnen Besitz ergreife, und es gab Augenblicke, in denen sie alle zusammen unser Eigentum waren. In diesen Augenblicken haben sie uns ihre ganze Pracht erschlossen, haben uns den Reichtum ihrer Formen gegeben, die Anmut ihrer Linien, den Akkord ihrer Farben, den Duft von Wohlleben, von Luxus, von Freude, den sie ausströmen; die Unendlichkeit von Ideenverbindungen, die in ihnen ruht, ist mit unendlichen Möglichkeiten unseres Daseins verknüpft gewesen, und ihr vielgestaltiger Prunk hat unsere Existenz geschmückt wie ein Fest.

Wer nur mit einem einzigen Wunsch, nur mit dem Begehren nach einem einzigen Gegenstand in einen Laden tritt, ist eigentlich ein armer Mann; selbst wenn er viel Geld in der Tasche hat. Seine Phantasie ist in diesen einen Wunsch eingesperrt wie in eine Kapsel. Seine Seele ist ohne Schwung, sein Gemüt ohne Festlichkeit. Er schließt einen Handel ab und überlegt nachher, ob er nicht übers Ohr gehauen wurde. Nur derjenige kennt die wirkliche Stimmung des Kaufens, schmeckt das Abenteuer daran, erlebt den Genuß und das Spannende solcher Stunden, der sich ein wenig hinreißen läßt, der den kleinen Taumel spürt, den es verursacht, wenn alle Wünsche mit uns durchgehen wollen, und der eine Sekunde lang fähig ist, den Irrsinn ernsthaft zu erwägen, ob es nicht möglich, nicht doch auf irgendeine Weise möglich sei, gleich alles zu kaufen. Er ist in einem Buchladen, und sein Verlangen umschlingt gleich alle diese köstlichen Werke; er errichtet sich ganze Bibliotheken, träumt von seltenen Erstausgaben, delektiert sich am Goldglanz der Einbände, fühlt sich angerufen von tausend berühmten Namen, fühlt sich ergriffen vom Bewußtsein versäumter Lektüre, möchte das einholen, möchte überhaupt die nächsten Monate nur lesen, nichts als lesen ,... und kann sich vielleicht nur ein Reclam-Büchel kaufen. Er ist in einer Blumenhandlung und vermag sich von dem Prangen der Azaleen nicht zu trennen, mag dabei auf die ganzen Reihen bunter Hyazinthen nicht verzichten, will dazu in meterhohen Vasen Riesenbündel von Nelken, weil es ihm an einem solchen Nelkenstrauß klar wird, daß nur die schwere Masse von Nelken wahrhaft schön ist; er möchte aber auch diese Zyklamen nicht im Stich lassen, weil ihr violettes Rot ihn bezaubert, und er wünscht die Araukarie dazu, weil ihre Äste wie gute Hände sind, die sich darreichen. Er tritt beim Antiquitätenhändler ein, und all der verwaiste Hausrat, dem die Herren gestorben sind, all dies hinterbliebene Gut vergangener Zeiten ergreift ihn. Ihn verführt die tiefbraune Tönung alter Elfenbeinschnitzerei, der blaß gewordene Schimmer von Brokaten, die einst geleuchtet haben, die Köstlichkeit geschliffener Kristallgläser und gebrechlicher Porzellanpuppen, die nach langem Dienst und Dasein nun hier stehen, wie durch ein Wunder gerettet und erhalten. Kaufen gehen ,... das muß man ungefähr auf dieselbe Weise tun, wie man eine Reise unternimmt, neugierig, aufgeregt, unverhoffter Begegnungen gewärtig, ein wenig ins Ungewisse, ein wenig ins Abenteuerliche, und von der Ahnung aller Fernen, aller Möglichkeiten umwittert.

Wie sehr ist das aber auch miteinander verwandt: Kaufen und Reisen. Nie ist man so unaufhörlich zum Kaufen gelaunt als in fremden Ländern, Kaufen ,... das Wort sagt es nicht. Die Engländer, die sich am längsten und am besten aufs Reisen verstehen, haben denn auch für diese Art von Kauflust ein eigenes Wort: shopping; die Auslagen anschauen, die Läden besuchen. Das ist's; ist das Wesentliche. Das Kaufen rechnet in Wahrheit nicht als Hauptzweck, folgt nur als Begleiterscheinung, so nebenher. Was für entzückende Stunden, wenn man in fremden Städten die Schaufenster entlang spaziert. Man weiß nicht, was man sucht, aber man glaubt fest daran, daß man irgend etwas Besonderes, irgend etwas Merkwürdiges und Wunderbares finden wird. Und wie verschieden vollzieht sich dieses Gesellschaftsspiel: Kaufen in den verschiedenen Städten. Was ist das für eine nette, amüsante und zierliche Unterhaltung in den Pariser Läden. Immer mit der Fiktion gegenseitiger Freundschaft und Zuneigung. Wie gleichgültig behandeln sie einen in Holland; als ob sie sagen wollten: Es ist deine Sache, was dir hier gefällt; ich denke nicht daran, dir dreinzureden. Und wie drollig ist die knappe, hochmütige Sachlichkeit in Berlin. Aber nur in Italien wird das Kaufen wirklich zu einem Spiel. Die meisten Leute sind ja leider pedantisch und humorlos und ärgern sich über den italienischen Geschäftsmann und schelten ihn und sagen ihm nach, er wolle die Fremden berauben. Ich weiß nicht, ob er im Ernst so böse Absicht hegt; traue es ihm nur selten zu und finde ihn jedesmal von neuem nur komisch und unterhaltend. Er ist entzückt, wenn ein Kunde hereinkommt; er gerät sogleich in Feuer, denn für ihn beginnt nicht bloß jetzt das Geschäft, sondern das Vergnügen, la commedia, das Spiel. Er nennt den Preis, nach dem er gefragt wurde, aber er meint's gar nicht ernst. Er weiß, jetzt geht die Sache erst los. Während er irgendeine Zahl ausspricht, verrät sein Gesicht die Spannung und die Erregtheit eines Hasardeurs. Er ist neugierig, was man antworten wird, er ist neugierig, wie die ganze Sache abläuft, wer das Spiel gewinnt. Und wenn man ihm einmal spaßeshalber sofort bezahlen würde, was er verlangt, wäre er freilich zufrieden, aber doch zugleich ein wenig enttäuscht.

Die meisten Leute haben leider keinen Humor und halten es für ein Unglück, halten es für eine Schande, betrogen zu werden. Man muß sich betrügen lassen, wenn man seine Freude in der Welt haben will; nur mit sehenden Augen, mit lachendem Zuschauen, mit heiterem Wissen. Man soll sich nicht dumm machen lassen ,... Dies ist ganz etwas anderes, gehört auf ein ganz anderes Blatt. Aber es ist plump, die kleinen liebenswürdigen Täuschungen, die an einem verübt werden, die charmanten Versuche, unsere Illusion zu erregen, mit Superklugheit zu zerstören und zu vereiteln. Man muß auch an die Dinge, die man gekauft hat, glauben. Man muß sie freilich nicht kaufen. Dazu ist ja niemand gezwungen. Wenn man sie aber einmal erstanden hat, dann muß man auch anständigerweise zu ihnen halten.

Es gibt Menschen, die jeden Kauf gleich hinterher bereuen. Sie kriegen Gewissensbisse, Bedenken, Zweifel. Das tropft nun und tropft auf den gekauften Gegenstand, er ist ganz bekleckert davon und macht ihnen in diesem Zustand auch kein Vergnügen mehr. Man muß überzeugt sein, daß es unumgänglich notwendig war, gerade das zu kaufen. Man muß denken, es sei ein wahres Glück, daß man gerade dieses Ding da gefunden hat. Wie leicht hätte es uns jemand anderes wegschnappen können ,... nicht wahr? Man geht spazieren, man tritt in einen Laden, man schaut hundert Dinge an und trifft plötzlich auf irgendeines davon, das man nun um keinen Preis wieder hergeben, das man nicht mehr entbehren möchte, das man viel zu lange schon entbehrt zu haben glaubt. Vor fünf Minuten hat man noch nicht daran gedacht, hat es weder gekannt noch vermißt, noch gewünscht. Und jetzt gehört ihm unsere Sehnsucht. Es ist beinahe wie die Liebe. Man muß auch von der Überraschung solcher Begegnungen entzückt sein, muß ihren Reiz genießen können.

Und im allgemeinen: Man müßte eben viel mehr Geld haben; viel, viel mehr Geld. Dann könnte man sein Wesen froher entwickeln. Wenigstens nach dieser Seite hin. Denn auch im Kaufen zeigt sich der Charakter. Was einer kauft, und für wen er kauft, und wo er kauft, und wann er kauft, all dies sind lauter Schlüssel zu seinem Innern.

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