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Schenken

Schenken: es ist eine Fähigkeit, die nur wenige besitzen. Güte allein hilft nicht dabei, und Großmut schon gar nicht. Jene menschliche Eigenschaft gehört dazu, die von allen die feinste und in ihrem Wesen die unfaßbarste ist: Takt. Jener wunderbare, aus Gefühl und Verstand wunderbar gemischte Sinn, der den seelischen Rhythmus der anderen mit niemals irrender Sicherheit errät, der das beständige, leise Vibrieren aller menschlichen Empfindungen mitspürt, der die zartesten Harmonien, die verborgensten wie einen lauten Schall vernimmt, und dem es unmöglich ist, die heikle Melodie menschlichen Umganges, menschlichen Beisammenseins irgend einmal zu unterbrechen, zu stören und zu vernichten. Die Güte allein kann sehr plump werden. Und wenn man es recht bedenkt, dann steckt in jeder Großmut irgendwie eine Taktlosigkeit.

Man steht vor allen Schaufenstern, und wenn man Geld hat, kann man die teuersten Dinge kaufen und sie verschenken. Käme es nur darauf an, dann wäre der Reichste, in der Geberlaune, auch gleich der Beste. Aber daß hier Geld überhaupt in Frage kommt, zeigt ja schon, wie empfindlich die Frage ist, und wie wenig Kraft die kräftigste Brieftasche besitzt, dies Problem zu lösen. Das Geld kann freilich unsern Willen freier, kann ihn gelenkiger machen, aber es kann doch die Farbe unseres Willens nicht ändern. Wenn einer was geschenkt kriegt, was hundert Gulden kostet, und es ist ihm nur diese hundert Gulden wert, dann ist er im Verlust. Denn kaufen ,... ja, kaufen kann sich jeder was. Dazu braucht er niemanden. Aber ein Geschenk muß einen Wert mitbringen, der über seinem Kaufpreis ist, der neben ihm existiert, einen Wert, der ganz für sich allein besteht und der dem geschenkten Gegenstand den Anschein verleiht, als sei er überhaupt nirgendwo zu haben.

Denn ein Geschenk ist in seiner besten Art schließlich nur wie ein Echo des eigenen Wesens. Das tönt einem nun von einem anderen entgegen. Und wie gespannt horcht man darauf. Es ist die sichtbar gewordene Meinung, die ein anderer von uns hegt. Er hat einen Charakterzug in uns erlauscht, einen Hang in uns erkannt, eine Vorliebe, eine Leidenschaft, und rührt nun daran mit seiner Gabe. Wie genau spüren wir das in dem Augenblick, in dem wir sein Geschenk empfangen. Wenn jemand bei uns ist und uns mit Worten es ins Gesicht sagt: Ich kenne dich, ich glaube, du bist soundso ,... oder wenn er uns das in einem behutsamen, liebreichen Brief schreibt, wie begierig sind wir, unser eigenes Bildnis im Bewußtsein eines anderen zu sehen, wie reizt es uns, zu erfahren, was denn von unserem Wesen im Freund sich spiegelt, und auf welche Art. Geschenke aber sind eine subtilere Manier, dem anderen sein Urteil, seine Schätzung mitzuteilen; es sind Ansprachen und Briefe ohne Worte und eben deshalb von einer vieldeutigen und erhöhten Beredsamkeit. Indem er uns gerade dieses oder gerade jenes Geschenk sendet, will der Geber zeigen, daß er uns kennt. Doch der Charakteristik, die er derart von uns liefert, fehlt das Kritisierende. Ein Geschenk, das unsere Art errät, hat zugleich das Deliziöse, daß es dieser Art schmeicheln zu wollen scheint, es scheint unserer Art dienen zu wollen, ihr Zustimmung zu erteilen, manchmal sogar sie zu loben. Und es redet zugleich von dem Bemühen des Spenders, uns zu entziffern, in unserem Herzen zu lesen, uns in unseren Regungen unvermutet zu erwischen. Was könnte entzückender sein für das Selbstgefühl eines Menschen als der greifbare Beweis, daß er verstanden wird, und daß jemand sich die Mühe nahm, Verständnis und Zuneigung gleicherweise an den Tag zu legen!

Kleine Kinder fragen jeden aus ihrer Umgebung, der zu ihnen ins Zimmer kommt: »Was hast du mir mitgebracht?« Reizend ist die Spannung, der naive Egoismus, die aufgeregte Sehnsucht, womit sie diese Frage stellen. Ihnen ist es das Natürliche, daß man nur ausgeht, um für sie was zu holen, daß man zu ihnen nur heimkehrt, um ihnen etwas mitzubringen. Sie empfinden es als etwas Einfaches, daß man sich nur mit ihren Wünschen beschäftigt, daß alle unsere Gedanken ihnen gehören, und sie sind unermüdlich, das süße kleine Fest des Beschenktwerdens immer wieder zu genießen. Aber wenn man die Kinder deshalb habsüchtig nennt, macht man sich's gar zu leicht. Bei jedem Kind läßt es sich erleben, daß es ein Spielzeug bald wieder beiseitelegt, eine Gabe gleich wieder vergißt. Man kann sie wegnehmen, nach zwei Tagen von neuem »mitbringen«, dann wieder von neuem, und wird immer dieselbe Freude erwecken. Ein Kind will gar nicht seinen Besitzstand vermehren, es will nicht viel »haben«, sondern es will immer nur das Fest des Beschenktwerdens genießen. »Da hab' ich was für dich ,...« Diese Worte sind es, die das Kind entzücken, und dazu die Gebärde des Darreichens. Dieser Vorgang hat etwas Bezauberndes: »Da hast du ,... ich schenk' dir was ,...« Und er ist irgendwie einem Wunder verwandt. Alle Menschen, die in den Weihnachtstagen einhergehen und sich auf Geschenke freuen, haben diese Kinderfrage in ihrem Herzen: »Was hast du mir mitgebracht?« Und sie haben dieses warme, zuversichtliche Kindergefühl, daß andere an ihre Wünsche denken. Wenn einer von ihnen sich's vorstellt, das Geschenk, das er kriegt, sei eben noch in einer Auslage gewesen, dann sei man in den Laden getreten, habe gefragt: »Was kostet das?« und so weiter, dann ist ihm die Gabe auch schon völlig entzaubert. Ein richtiges Geschenk muß immer den Eindruck wecken, muß immer die Illusion zulassen, als sei es vom Spender selbst erfunden, eigens zu diesem Zweck erfunden und ein für allemal gemacht worden. Der Geber hat's nicht leicht. Viel schwerer aber noch hat's der Empfänger. Denn der Geber hat das befriedigende Gefühl, ein Rebus gelöst zu haben, wenn ihm sein Geschenk eingefallen ist. Er hat eine Art Machtbewußtsein in dem Gedanken, daß er jetzt für den oder jenen eine Freude beschlossen hat. Er spielt, was immer ein bedeutender Luxus und ein großer Genuß ist, er spielt ein wenig Schicksal, denn er weiß, was dem und jenem bestimmt ist, er weiß es, er könnte es sagen, er spricht mit ihnen und weidet sich an ihrer Ahnungslosigkeit. Er ist auch ein bißchen wie das Schicksal, denn er trägt in seiner Tasche kommende frohe Stunden von Menschen. Und das Vergnügen, das er bereitet, genießt er schon lange vorher, schmeckt es, kostet es aus, viel länger als derjenige, dem es vermeint ist. Und oft genug viel reiner. Weil er ja auf alle Fälle unerschütterlich davon überzeugt ist, seine Aufgabe glänzend erfüllt zu haben.

Der Empfänger ist abhängig: von der Intelligenz, von der Menschenkenntnis, von den Manieren, von dem Geschmack, von dem Taktgefühl des Gebers. Wenn man bedenkt, daß der Empfänger alles willenlos dulden, daß er mit bedingungsloser Unterwerfung, lächelnd sogar, alles hinnehmen und extra noch »Danke« sagen muß, kann man ihn beinahe einen Sklaven nennen. Er kann durch ein Geschenk plötzlich wahrnehmen, daß er in seinen Neigungen völlig mißverstanden wird, und muß schweigen. Ein Geschenk vermag ihm zu zeigen, daß man ihn für töricht, für eitel, für oberflächlich, für geckenhaft, für verlogen, für weiß Gott was hält. Er muß dazu lächeln. Ein Geschenk kann, von einem Fernstehenden kommend, wie eine Zudringlichkeit oder wie eine Keckheit wirken, und er ist nun sehr verlegen, wie er sich des einen oder des anderen erwehren mag. Es kann wie eine unerlaubte Vertraulichkeit wirken, und er ist so hilflos dagegen wie gegen jemanden, der statt »Guten Tag« plötzlich leichthin »Servus« sagt. Ein Geschenk kann wie eine Protzerei knallen: »Revanchier' dich, wenn du das imstande bist,« und da steht man da und muß es an sich verüben lassen, daß jemand sich aufspielt. Dann kann ein Geschenk eine unverschämte Art haben, einen daran zu erinnern: »Ich bin reich und du hast nichts.« Wie ein Attentat kann es sein, über einen herfallen, wenn man ganz wehrlos ist, und in aller Gemütlichkeit sagen: »Ich will dir was bieten, was dir in deinen kleinen Verhältnissen praktisch von Nutzen ist.« Und es kann eiskalt sein, ganz erfüllt von Gleichgültigkeit. Eben weil es nichts gibt, was so zu bezaubern und so zu schmeicheln vermag wie ein Geschenk, darum kann auch nichts mehr beleidigen, verletzen und erbittern.

Manche Leute sagen: »Diese ganze Schenkerei ist ein kindischer Unfug.« Das sind die Vernünftigen, und sie haben unrecht, wie ja die nur-vernünftigen Leute immer unrecht haben. Die Kinderei darf man ihnen zugestehen, muß aber gleich hinzufügen, wie notwendig und wie liebenswürdig es ist, daß die Menschen in ihrer Erwachsenheit noch einige Kindereien bewahren. Und was so ein herzliches, oft ein so frommes Bedürfnis ist wie das Schenken, darf man nicht Unfug nennen. Sein tiefster Sinn bleibt doch immer, daß wir uns gegenseitig unser Abbild zeigen, so wie wir einander mit diesem Brauch auf eine gütige Weise die Wahrheit sagen. Manche wieder vereinbaren: »Wir wollen uns nicht überraschen. Sag' mir, was du dir wünschest, was Praktisches, etwas, was du nötig hast, und ich schenk' es dir halt.« Und das sagen Leute, die einander ganz nahestehen. Es ist die törichteste und die grausamste Manier, das Schenken völlig zu entzaubern. Hier bleibt von einem Kinderbrauch nur mehr die Gebärde; alles Festliche, alles, was Illusion gibt, ist fort. Das ganze Schenken gleicht nur mehr einer Schale ohne Kern, einer vereitelten Überraschung, einer Anekdote ohne Pointe. Es ist wie eine entseelte Melodie auf einem Werkel. Und es ist ein Mißklang darin wie in allen Versuchen, das zwecklos Schöne mit dem Alltags-Nützlichen zu verquicken. Was am Schenken das Köstlichste ist, fällt weg. Das Überraschende, und daß es nicht die praktischen, nicht die notwendigen Dinge bringt, sondern gerade die entbehrlichen und die überflüssigen. Der ganze Duft geht verloren, und es bleiben nur wollene Unterkleider, Taschentücher, Krawatten, Handschuhe und dergleichen nutzbare Gegenstände.

Andere wieder gibt es, die einfach erklären: »Ich lasse mir nichts schenken.« Das sind meist die Empfindlichen, die es am stärksten spüren, daß ein richtiges Schenken nur wenigen gelingt. Und es ist nicht der Brauch, der sie verdrießt, sondern die Talentlosigkeit seiner Befolger. Aber Konvention, gesellschaftliche Anschauungen, hundertfache Rücksichten halten das große Schenken einstweilen noch aufrecht. Und die breite Menge, die Einfachen, die Arglosen, die das Banale nicht fühlen, freuen sich daran, sind gleichermaßen leicht befriedigt, als Geber wie als Gebende. Später aber, wenn das allgemeine Zartgefühl mehr vorgeschritten ist, der allgemeine Geschmack mehr durchgebildet, wird man einsehen, daß eigentlich nur solche Menschen, die einander wirklich nahestehen, sich etwas schenken sollen.

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