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Eine volle Woche ruhte die Büchse des jungen Jägers.

Der Jüngling war außerstande, sich zu erklären, was ihm eigentlich widerfahren. Aus Scham, die Wahrheit zu gestehen, von der er ja nur eines wußte, seinen Schrecken, sein Umgeworfen- und Ueberranntwerden, erfand er eine Geschichte, er sei stolpernd gegen einen Baum gefallen, und der Sturz schmerze ihn sehr im Rücken. Da er sich nur mühselig bewegte, mußte er auf Geheiß des Jägers etliche Tage zu Bett liegen, was er gerne tat.

Der Jäger pflegte ihn; verbot ihm aber auch, bei Nacht und allein zu pirschen, ging selber während dieser Zeit nicht in das Revier.

Eine volle Woche genoß der Wald Ruhe.

Dafür summte das Gespräch über Bambi um so eifriger. Es wollte und wollte kein Ende nehmen.

Der Einäugige fand die Spur Bambis, schnürte ihr so lange und so hartnäckig nach, bis sich ihm eines Tages Bambi stellte.

Drohend, mit zornig gesenkter Krone redete er ihn an: »Warum verfolgst du mich? Du hast von mir nichts Gutes zu erwarten!«

»Doch!« Der Fuchs hob zu einem Lächeln die Lefzen, »doch erwarte ich Gutes von dir! Angst brauchst du keine zu haben ...«

»Angst ... vor dir?« Bambi trat einen Schritt näher, immer die Krone gesenkt.

Zurückweichend lächelte der Fuchs noch stärker: »Du bist sonderbar! Zwischen uns beiden ist doch Frieden! Glaubst du, ich will diesen Frieden brechen?«

»Allerdings«, murrte Bambi, »es würde dir ähnlich sehen ...«

»Ich denke nicht daran!« versicherte der Einäugige und wollte ein treuherziges Gesicht machen, was ihm gründlich mißlang.

»Welche Absicht treibt dich denn, daß du mir nachschleichst?«

»Hebe deine Krone«, bat der Fuchs, »sie stört mich, ich bin auf meinem einzigen Auge sehr empfindlich!« Und als Bambi die Krone ein wenig höher hielt, schmeichelte der Fuchs: »Der ganze Wald redet von dir, bewundert dich! Man spricht Dinge, die unglaublich sind! Bitte, erzähle mir den Hergang ...«

»Da ist nichts zu erzählen ...«

»Bist du wirklich stärker als Er?«

»In dieser einzigen Sekunde war ich's.«

»Wie konnte dir das einfallen?«

»Weil keine andere Möglichkeit blieb«, Bambi ließ sich zu der Antwort herbei, »der junge Er besitzt viele Augen ...«

»Der Glückliche!« seufzte der Einäugige neidisch.

»... viele Augen, mit denen Er die Finsternis durchdringt. Er hat die Feuerhand ergriffen und gezielt ... ich weiß nicht auf wen ... aber Faline stand draußen und meine Kinder auch! Da mußte ich ...«

»Herrlich!« rief der Fuchs, »herrlich! Und Er ist dann gestürzt?«

»Du weißt nun genug«, erwiderte Bambi. Eine unmerkliche Bewegung; er war weg.

Der Einäugige folgte ihm nicht, schnupperte nur hinter ihm her.

»Ein Meister!« staunte er, »ein gefährlicher Meister!«

Er sank in Nachdenklichkeit. »Ob ich wohl auch eine Frau haben werde ...? Und Kinder ...? Man wird stark davon! Wieviel würde ich als Gatte, als Vater leisten, wenn so ein sanftes Reh ...«

Einige Abende nachher war es, da traf der Fuchs mit Geno und Gurri zusammen.

Er lag im Hartriegelgebüsch, lauerte auf Beute, als die Geschwister, die durch das Dickicht zogen, sich näherten.

Der Einäugige spitzte die Lauscher, schnupperte, und seine Zunge netzte die Lefzen.

»Das sind Bambis Kinder«, dachte er, »wie wär's, wenn ich ihm eines schlagen würde?«

Der Trieb, sich an dem Hochmütigen zu rächen, stritt mit der Scheu vor Bambis zorniger Kraft, und dessen Warnung fiel ihm ein.

Er zögerte, während seine Rute sich erregt leise bewegte.

Aber Gurri verhielt den Schritt.

Ihr war der Geruch des Einäugigen um die Nase geweht.

Sie zitterte.

Im selben Augenblick empfing auch Geno die verhaßte Witterung, doch merkwürdigerweise blieb er ruhig, besaß er doch jetzt eine seltsame Festigkeit.

»Was fürchtest du?« fragte er Gurri.

»Fliehen wir, eh es zu spät ist!« drängte sie atemlos.

Lächelnd trat Geno, der Vorsichtige, der sonst immer Fluchtbereite, zum Hartriegelstrauch und rief: »Komm hervor!«

Gurri hatte schon kehrt gemacht. Jetzt war sie wie festgebannt, denn Genos Stimme klang mit einemmal tiefer, seltsam entschlossen und männlich.

Verblüfft sah sie den Bruder mit drohend gesenkter Krone dem Fuchs gegenüber.

»Ich kenne dich!« zischte der Fuchs, »dein Vater ist Bambi ...«

»Auch du bist mir bekannt!« erwiderte Geno, der das noch schwach, aber spitz gekrönte Haupt nicht hob, »ich bin dabei gewesen, wie du vom Reiher ... na, du weißt ja ...«

Der Fuchs duckte sich wie unter einem schmerzhaften Hieb.

Geno scharrte ungeduldig mit den Vorderläufen: »Soll ich dir einen Rat geben ...?«

Allein der Einäugige wartete diesen Rat nicht ab. Ein kurzer, giftiger Japplaut entfuhr seinen gefletschten Zähnen, dann wendete er sich rasch und wischte davon.

Als Geno jetzt zur Schwester ging, erinnerte seine Haltung an den Vater.

»Warum warst du so ängstlich, Gurri?«

»Ich weiß nicht«, antwortete sie, »manchmal jagt ein Fuchs mir Todesschrecken ein.«

»Sogar dieser Armselige?«

»Vielleicht«, meinte Gurri, die sich langsam erholte, »vielleicht, weil ich die Narbe auf dem Rücken trage ...«

»Nicht immer«, sprach Geno, »nicht immer müssen wir flüchten! Wir sind wehrlos, freilich, wir sind auf Flucht und Wachsamkeit aus guten Gründen angewiesen! Zuweilen jedoch ist es Rettung, der Gefahr die Stirne zu bieten!«

Gurri schwieg.

Jetzt erwachte nachträglich in Geno ein frohes Staunen über sich selbst. Das wunderlich frohe Gefühl, selbständig, erwachsen zu sein, berauschte ihn stärker und stärker.

Er schwieg gleichfalls.

Mit den Kindern Bambis hatte sich viel geändert; langsam zuerst, kaum merkbar, dann jedoch rascher und auffallend.

Noch wurde nicht darüber gesprochen, weder von Faline noch von Geno oder Gurri. Keiner erwähnte das neue Verhältnis zwischen Mutter und Kindern.

Die Neuheit ihres Zustandes erregte sie. Keineswegs deutlich. Das glitt vorüber, und sie fügten sich, so wie sie sich immer in alles Natürliche gefügt hatten.

Nur bei Geno, seit dem Zusammentreffen mit dem Einäugigen und seit sich nachher in ihm Ungeahntes geregt hatte, sich mehr und mehr regte, nur bei Geno schien es, die Stellung des Mutterkindes fiele ihm schwer.

Nichts wollte er sich merken lassen, denn er war sich seiner beginnenden Reife selbst kaum recht bewußt, aber man merkte es trotzdem.

Faline merkte das und suchte es vor sich zu verbergen.

Die Geschwister merkten die Veränderung Genos, ohne sie zu begreifen.

Doch Bambi merkte und begriff alles.

Jetzt begab es sich immer wieder, daß Geno und Gurri des Nachts irgendwo umherwanderten, daß sie nicht mehr regelmäßig auf der Wiese die Mutter trafen; auch der gemeinsamen Schlafstätte blieben sie mitunter fern.

Auch Nello ging seine Wege; von ihnen gesondert Membo.

Doch die beiden bewahrten Faline Treue. Ebenso fiel ihnen gegenüber kein ermahnendes Wort.

Faline hatte sich ohne die Kinder zum Schlummern niedergetan, als Bambi bei ihr stand.

Er hielt sich nicht wie sonst im Gesträuch verborgen, redete nicht wie früher oft vom Blattwerk verdeckt.

Frei und sichtbar tauchte er plötzlich auf.

Faline erhob sich sofort.

»Du bist allein?« redete er sie an, heiter, mild und ruhig.

»Ich bin allein ...«, entgegnete Faline, »... ein Zufall ... der ab und zu vorkommt ...« Sie sprach gleichfalls ruhig, um Heiterkeit bemüht.

Das gelang ihr nur halb; aber sie zwang die leise Wehmut ihres Herzens, sich nicht zu melden.

»Es wird Zeit, Faline!« Sein Ton klang um einen Schatten ernster.

»Ja ... ich weiß, daß es Zeit wird ...«

Teilnehmend fragte er: »Wie stellst du dich dazu?«

»So wie ich muß ...«, antwortete sie fest.

»Das habe ich erwartet ...«, nickte er, »... kostet dich dein Entsagen viel Leid?«

»Nicht so viel, wie du glaubst, Bambi! Nicht so viel, wie ich anfangs fühlte! Was sein muß, muß eben sein! Wer darf oder kann das aufhalten?«

»Gut so, Faline! Es ist ein Gebot der Natur!«

Jetzt durchbrach ein winziger Ton von Schmerz Falines Stimme: »Daß ich die Kinder geboren habe, war ein Gebot der Natur ... daß ich sie aufzog, sie behütete – ein holdes Gebot ... aber nicht alle Naturgebote sind beglückend. Manchmal schmerzt es auch.«

»Willst du es ihnen sagen ...?«

Faline stockte: »Sprich lieber du ...«

»Du bist die Mutter, bist ihnen näher ...«

»Ach, Bambi, neben dir ... wer wäre ihnen da näher ...?«

»Nein ... das ist falsch ... in diesen Dingen bleibt die Mutter am allernächsten, bleibt die einzige, die das Rechte findet! Willst du es ihnen sagen?«

»Gönne mir Zeit«, bat Faline, »noch fällt es mir nicht leicht ... ich zögere noch ...«

»Zögere keine Stunde! Die Kinder könnten sonst selber reden!«

»Bambi!« Faline erschrak.

»Siehst du?« Er lächelte: »Was die Mutter lind und gütig ausspricht, von den Lippen der Kinder hört es sich bitter an, bitter und hart!«

»Nie wird das geschehen dürfen!« Faline war entschlossen.

Er nickte: »Du hast dich immer als brav erwiesen ...«

»Laß mich nicht allein ...«, flehte sie.

»Sei ruhig, Faline, ich komme sehr bald zu dir! Ich werde dir Hilfe leisten nach meinen Kräften!«

Demütig empfing sie seinen Kuß.

Diesmal verabschiedete er sich: »Leb wohl ... auf Wiedersehen ...«

Faline flüsterte nur: »Leb wohl ...«

Er verschwand diesmal nicht wie sonst; gemessenen Schrittes, hocherhobenen Hauptes ging er fort.

Sie schaute ihm beruhigt nach.

Einige Tage und Nächte dauerte es, bis alle Kinder beisammen waren.

Faline hatte sich inzwischen gefaßt; sie fühlte sich nun fähig, alles in schonender Art vorzubringen.

»Es trifft sich gut«, begann sie, »daß ich euch wieder einmal bei mir habe ... ich danke dem Zufall.«

»Soll das ein Vorwurf sein, Mutter?« Geno meldete sich kleinlaut.

»Kein Vorwurf, mein teurer Geno«, antwortete Faline. »Keiner von euch verdient den leisesten Vorwurf ...«

Zärtlich schmiegte sich Gurri an sie: »Du bist die Güte selbst, Mutter ...«

»Ihr macht es mir leicht, euch Güte zu zeigen! Wie könnte ich zu euch anders sein?«

»Wir lieben dich, Mutter!« beteuerte Nello.

Enthusiastisch stammelte Membo: »Vo...von ... Her...Her...Herzen!«

»Hört mich an, Kinder, ihr seid jetzt erwachsen! Ihr sollt und ihr wollt nicht immer an mir hängen! Löst euch von mir! Ich verlange keinesfalls, daß ihr wie früher bei mir bleibt!«

»Ich habe gewußt, daß so etwas kommt ...«, sagte Geno ergriffen.

»Es mußte kommen«, entgegnete Faline, »... ihr seid ja schon eigene Wege gegangen ...«

»Verzeih uns, Mutter!« unterbrach Gurri.

»Was wäre da zu verzeihen? Das Selbstverständliche?« lächelte Faline, »weil ihr von eurem Recht Gebrauch macht? Verzeiht ihr mir, wenn ich euch erst heute freigebe und euch erst heute sage, geht eure Wege ...«

»Du schickst uns fort?« Gurri blickte der Mutter traurig in die Augen.

»Ich gebe euch das, was ihr euch nehmen würdet. Ihr habt euch ganz von selbst entfernt, habt euch schon darauf bereitet, euer eigenes Leben zu leben, wie sich's gehört. Wenn ich euch nun das Schuldbewußtsein nehme, wenn ich euch erkläre, ihr seid mir zu nichts verpflichtet, zu gar nichts, dann erfülle ich nur meine Pflicht ...«

Geno näherte sich: »Vielen, vielen Dank, Mutter«, er sprach ganz schüchtern.

Ebenso Faline: »Ich danke dir, mein Sohn. Du bist nett gewesen, mehr als nett. Dein Abenteuer bleibt mir im Sinn. Dein Verhalten zu Boso war deines Vaters würdig ...«

»Wir nehmen doch nicht Abschied?« fragte Gurri leise.

»Nein«, sagte Geno, »von der Mutter gewiß nicht. Aber von unserer Kindheit! Die ist jetzt zu Ende!«

»Du meine kleine Gurri«, wendete sich Faline zu ihr, »du mußt schon erlauben, daß ich dich, selbst als Erwachsene meine kleine Gurri nenne ...«

»Das bleibe ich ja für dich, so wie du meine Mutter bleibst.«

»Gurrikind, du hast viel Schlimmes erlebt, hast viel Gräßliches, hast sogar schmerzlichen Verlust erlitten ...«

»Ate ...!« hauchte Gurri.

»Um dich ist mir nicht bange! Dir ist die Gabe verliehen, alles gut und heiter zu tragen, was dir im Leben beschieden sein mag. Halte dich an deinen Bruder ...«

»Und wir?« bat Nello.

Membo, keines Wortes mächtig, nickte bloß eindringlich.

»Ihr zwei«, redete Faline zu ihnen, »ihr seid mir, als hätte ich euch zur Welt gebracht. Ihr spürt, wie ihr zu mir gehört und ich zu euch ...«

Zum Erstaunen aller wendete sie sich und machte Miene, fortzugehen. Keiner wagte eine Silbe zu sagen.

»Wohin, Mutter?« rief Gurri. Sie erholte sich zuerst.

»Unser Dank ...«, rief Geno.

Faline blieb eine Sekunde stehen: »Dank? Wenn ihr glaubt, mir Dank abstatten zu müssen, werdet ihr das am besten bei euren Kindern tun.«

Damit ging sie.

»Unsere Kinder ...?« Gurri konnte nicht anders, sie lachte.

Die Stimmung war überhaupt mehr zu sanfter Heiterkeit geneigt.

»Prächtig ist die Mutter!« äußerte Nello anerkennend.

»Wu...wu...wunderbar!« lobte Membo.

»Unsere Kinder ...?« Gurri fand Spaß an diesem Hinweis wie an einem fröhlichen Märchen.

»Sie hat sich echt und klug gezeigt, die Mutter«, schloß Geno, »das Notwendige hat sie im richtigen Augenblick ausgesprochen!« Er atmete auf: »Wir sind zwar schon frei gewesen, jetzt aber sind wir völlig befreit!«

Nachdem sie frohlockend gesagt hatte: »Wir werden die Mutter oft sehen!« sprang Gurri als erste davon.

Geno entfernte sich bedächtig.

Nello und Membo blieben noch eine kleine Weile, dann eilten auch sie, die alte Heimstätte zu verlassen.

Gurri traf Lana in einer Eichenschonung.

»Zum Gruß!« sagte Lana, »ganz allein?«

»Du bist ja auch allein«, erwiderte Gurri.

»Oh, ich bin jetzt viel allein«, antwortete Lana, »wo meine Mutter ist, ahne ich nicht und schon gar nicht, wo sich Boso herumtreibt.«

Gurri erzählte ganz genau, was sich begeben hatte.

Staunend bekannte Lana: »Das ist bei uns ganz überflüssig gewesen! Ich und mein Bruder wurden von selbst frei. Wir sind einfach davon ... wir haben nicht auf Erlaubnis gewartet ...«

»Erlaubnis hätten auch wir keine gebraucht«, wollte Gurri auseinandersetzen, »aber es war doch schön, es hat uns wohl getan, daß die Mutter ...«

»Du redest umsonst«, sagte Lana übermütig, »das Getue verstehe ich nicht!«

Nello und Membo wußten lange nichts mit ihrer Freiheit anzufangen. Sie waren in letzter Zeit wiederholt selbständig umhergezogen, doch waren sie meistens entweder mit Gurri oder Geno zusammen gewesen. Nun hatten sie plötzlich ihr eigenes Leben vor sich und starrten dieses ratlos an.

»Ohne Geno ist es nichts«, meinte Nello verzagt.

Membo fügte hinzu: »U...u... und o...o...ohne Gu...Gu...Gurri!«

Sie wagten nicht, Geno oder Gurri zu suchen. Sie langweilten sich.

Boso erlöste sie.

Er kannte schon durch Lana die kleine Abschiedsfeier und verstand alles, ja er bewunderte Faline.

Jetzt nahm er sich der zwei Brüder gerne an.

Geno wanderte einsam. Er hatte Boso flüchtig gesehen, ihm jedoch nichts mitgeteilt. Von allen ging er als erster, eine kleine Zeitlang als einziger zur Mutter, ruhte an ihrer Seite und war zärtlich mit ihr.

Nun suchte er sich einen Schlafplatz, wählte sorgfältig, bis er einen gefunden hatte und zufrieden war. Er hielt diesen Ort für passend. Tief im Dickicht versteckt, eine enge Stelle, die knapp für ihn Raum bot, ihm jedoch unbedingte Sicherheit gewährte.

Als er sich zum dritten- oder viertenmal dorthin begab, stand der Vater da und sah ihn wohlwollend an.

»Du hast gut gewählt, mein Sohn«, sprach Bambi, »du machst deine Sache überhaupt sehr gut!«

»Dein Lob ist mir ...«

Bambi unterbrach ihn: »Komm, mein Sohn, es ist noch früh ...« Und da er das kurze Zaudern Genos merkte, lächelte er: »Dein Zögern gefällt mir. Es ist noch früh! Du darfst mir glauben! Für dich wäre es freilich Zeit. Aber ich will dich führen!«

Willig folgte ihm Geno.

Er lernte vom Vater durch die Sträucher schlüpfen, lernte das Blattwerk ohne leisestes Geräusch zu durchqueren.

»Das Verschwinden möchte ich lernen«, bat Geno, »dein zauberhaftes Verschwinden!«

»Alles werde ich dir zeigen«, sagte Bambi, »alles! Du mußt nur Geduld haben! Denn die Sache ist nicht leicht! Ich habe Jahre gebraucht, bis ich das und noch manches andere zu meistern verstand!«

»Geduld? ... Geduld, Vater, daran soll's bei mir nie fehlen.«

»Wir beide lieben die Einsamkeit ...«

»Ja, Vater ...«

»Warte also ... von Zeit zu Zeit hole ich dich ...«

Ehe sich Geno dessen versah, ließ ihn Bambi allein.

Allein war auch Faline.

Sie empfand eine seltsam befreite Ruhe im Herzen.

Denn sie sah Bambi öfter als sonst; sie erhielt auch, wenngleich immer seltener, den Besuch ihrer Kinder. Die Gespräche mit ihnen waren unbefangen, freundlich und heiter.

Jetzt ging sie bei anbrechendem Tag an einem Baum vorüber.

»Er kommt nicht! Er kommt nicht!« klagte eine feine Vogelstimme. »Ich weiß jetzt, er wird nicht kommen!«

»Sei nur ruhig! Warte nur geduldig!« antwortete eine andere.

Faline blickte hinauf.

Ein Finkenpaar saß da oben nebeneinander.

»Unser Sohn!« jammerte der Fink, »unser Sohn hat uns verlassen!«

Das Finkenweibchen erläuterte: »Mein Mann glaubt nicht, daß unser Sohn zurückkehrt! Ich aber hoffe es noch immer!«

»Hoffe nicht!« widersprach der Fink, »er ist fort! Ach, was für ein herrlicher Sohn war das! Viel größer als wir zwei zusammen! Der bedeutendste Fink, der je gelebt hat ...«

»Wir sind beide stolz auf ihn ...«, meinte das Finkenweibchen.

»Stolz, jawohl! Aber wir lieben ihn, und Liebe ist mehr als Stolz! Ich sehne mich so sehr nach ihm!« Der Fink schien außer sich.

»Plötzlich war er nicht mehr da ...« Das Weibchen wurde gleichfalls weinerlich.

»Er muß, er muß doch wiederkommen!« rief der Fink.

Faline sagte: »Die einen kommen, die anderen nicht ... Kinder verlassen uns! Das ist immer und überall so!«

»Verlassen! Ich will nicht verlassen sein«, schluchzte der Fink.

»Man muß sich fügen ...«, sprach Faline, »Elternschicksal! Ihr seid nicht die einzigen! Elternschicksal!«

Schnell ging sie weiter.

Etliche Wochen später war Faline wieder mit einem kleinen Söhnchen auf der Wiese zu sehen. Neugeboren.

Der junge Ferto hatte noch einen taumelnden Gang, sein Leib zeigte noch die hellen Sprenkeln früher Jugend.

Bambi schaute, wie einst, vom Laub verborgen, den Sprößling an.

Wieder ein Sohn!

Faline dachte nicht mehr an das törichte Finkenpaar. Sie hatte sich gefügt, sie wird sich neuerdings fügen.

Die Reihe setzte sich fort. Das Leben ging weiter.

Durch den Wald scholl der Ruf des undankbaren jungen Kuckucks.

 

* * *


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