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Das Schilf raschelte, die langen Halme schwankten heftig, so daß ihre Kolben aneinander klapperten.

Am feuchten Boden spielte sich ein Kampf ab.

Für die alte Ente war es eigentlich der Todeskampf.

Sie schlug mit den Schwingen, die sie einst hoch durch die Lüfte getragen und die jetzt nur ohnmächtig zu flattern vermochten.

Auf ihren Ständern konnte sie bisher fröhlich, wenn auch watschelnd umherspazieren, konnte stolz im Wasser des Flusses rudern; nun war das vorbei und die kräftigen kurzen Ständer zu nichts mehr nütze als zu hilflosem Zappeln.

Der Fuchsrachen würgte grausam; die Fuchszähne, die scharfen, bissen ein tiefes Loch in die Kehle, zerknackten das Genick der Armen, die jämmerlich verblutete.

Dann hielt der Fuchs gelassen seine Mahlzeit.

Er war derselbe, dem der Reiher ein Auge ausgestochen.

Dafür haßte ihn der Fuchs grimmig, dürstete inbrünstig nach Rache, scheute sich jedoch, das andere Auge zu wagen, und wich dem Reiher sorgsam aus.

Er hatte furchtbare Wochen zugebracht. Die blutige Wunde bereitete ihm so höllische Qualen, daß er den Hunger kaum spürte.

Einsam, unglücklich, im tiefsten Dickicht versteckt, duldete er auf seinem Krankenlager, bis der Schmerz gelinder wurde. Er spürte ihn noch immer; nun peinigte ihn jedoch der Hunger stärker, und er mußte auf Nahrung bedacht sein.

Geschwächt von der Folter, die in der leeren, blutigen Augenhöhle tobte, herabgekommen, weil er so lange keinen Bissen gegessen, war er feige geworden, wuchs in ihm die ganze wilde Bosheit des Feigen und krüppelhaft Kraftlosen. Verbittert duckte er sich.

Zunächst fing er nichts als Mäuse, begnügte sich manchmal mit Käfern, hatte aber wenigstens neben der leeren Augenhöhle keinen ganz leeren Magen mehr.

Hin und wieder glückte es ihm, so viele Mäuse zu erwischen, daß er beinahe Sattheit empfand.

Als er eine der wundgeschossenen Elstern schlug, die ihm nach dem Auge stechen wollte, geriet er in rasende Wut und zerfleischte sie binnen zwei Minuten.

Ihn zog es zu dem Schauplatz seiner Niederlage.

Ungenau, ohne Plan, glühte ein stilles Hoffen in ihm, dem Feind das Böse zu vergelten. Am Fluß, im Schilf entdeckte er die Ente.

Seither holte er da oft und oft schmackhafte Beute, richtete Verheerungen an unter den jungen, schon halb erwachsenen Vögeln, unter den Müttern.

Die Feigheit hatte sich zu äußerster Vorsicht gewandelt, zu Tücke und Arglist. Die Erbitterung blieb ebenso wie das beständig mahnende Stechen der leeren Augenhöhle und machte ihn zum Unbarmherzigsten unter allen, denen Erbarmen fremd war, zum blutgierigsten der Mörder.

Der Reiher nahm keine Notiz von ihm, tat, als sähe er ihn nicht.

Geduckt schlich der Fuchs an dem Sieger vorbei, stellte sich, als ob er ihn auch nicht bemerkte.

Doch jedesmal, angesichts der gleichgültigen Miene des Siegers, schwoll dann kochend der Zorn dem Fuchs in der Brust.

Nun hatte er wieder eine Ente an Ort und Stelle verspeist.

Er wußte, das war die letzte für lange Zeit.

Denn die Enten, erschreckt durch die häufigen Ueberfälle, begannen den Ort zu meiden, suchten am andern Ufer Schilf und Zuflucht. Flüchteten rechtzeitig.

Von jetzt an beschlich der Einäugige Fasane.

Der Fang selbst bot wenig Schwierigkeit, doch war damit erhöhte Gefahr verbunden.

Um die Enten am Flußufer kümmerte sich der Jäger nicht; dort durfte man allerlei Unfug üben und hatte kaum etwas zu fürchten.

Aber Fasane! Der Raub an ihnen ließ Reste mitten im Revier zurück.

Es hieß sich zehnfach hüten!

Weit auseinander mußten die Mordtaten geschehen, Spuren mußten verwischt, der Verfolger irregeführt und getäuscht werden.

Fortan war ein heimlicher Feldzug im Gange zwischen dem Jäger und dem Fuchs.

Knochen, Fleischfetzen, Schwingen und Stoßfedern der Fasane hatte der Jäger entdeckt, hatte die Fuchsfährte gefunden; nun pirschte er emsig dem schlauen Uebeltäter nach.

Der Einäugige gewahrte bald, wie die Dinge standen; der Verfolger wehrloser Geschöpfe wurde ein Verfolgter.

Er war keineswegs wehrlos; kämpfte mit den Waffen der List, des Betruges, der Täuschung, der sinnvollen Flucht.

Den Fuchsbau, den es im Revier gab, entschloß sich der Jäger auszuheben.

Er kannte ihn lange, versperrte den einen Weg ins Freie, bezog mit Hektor den andern Einschlupf, steckte ein Bündel Reisig in Brand, um den Schädling hervorzuzwingen.

Die Flammen schwelten nur, der Rauch drang nicht in die Tiefe. Also graben!

Mit Axt und Schaufel wurde die Erde aufgewühlt.

Kam der Fuchs zum Vorschein, sollte ihn Axt oder Schaufel töten. Jeder Augenblick konnte entscheiden.

Auch Hektor stand bereit, den Verbrecher zu töten.

Der Fuchs kam nicht zum Vorschein.

Uebler Geruch entströmte in Schwaden der geöffneten Grube; alte Knochen von Hasen, Fasanen, von jungen Rehen lagen massenweise darin umher.

Noch ein paar Röhren wurden aufgedeckt.

Der Bau hatte mehr als zwei Ausgänge.

Und – er war seit langem unbewohnt.

Nach diesem Mißerfolg probierte der Jäger eine Falle. Zwar mochte er Fallen und Tellereisen nicht gerne, vermied überhaupt jegliche Quälerei. Diesmal meinte er freilich: hilf, was helfen kann!

Sorgsam legte er einen Katzenkadaver als Lockspeise aus, vertrieb den Menschengeruch durch eine Heringschleppe.

Alles schien wohlgeordnet, und ging die Sache gut, so saß der Fuchs im Eisen.

Der Einäugige machte auch diesen Plan zuschanden.

Keinen Blick gönnte er dem Köder.

Vielmehr verhöhnte er den Jäger, indem er den Hasen, den er erbeutet hatte, dicht neben der Falle fraß und die Ueberbleibsel gleichsam als Gruß zurückließ.

»Ich hätt mir's beinahe denken können«, der Jäger stand etwas beschämt, »um diese Zeit hat so ein Kerl frisches Fleisch genug.«

Niemand kannte den Wald so gut wie der Fuchs; nicht einmal Bambi, der manchen Partien jahrelang ferngeblieben war und geheime Pfade ging.

Dem Einäugigen und Bambi war eines gemeinsam: sie betraten nie den gleichen Weg. Das hatte beim Fuchs in seiner Natur, besonders in der Art dieses Exemplars, seine Ursache.

Bambi dagegen handelte aus weiser Erfahrung, wenn er keine Straße der Rehe und überhaupt niemandes Pfade wanderte, auch keinen eigenen festen Wechsel trat. Er brach stets quer durchs Gebüsch, dort, wo es am dichtesten war und undurchdringlichsten.

Ebenso schlich der Fuchs, auf Raub bedacht, indessen Bambi einzig seine Sicherheit wahrte.

Nach und nach gewöhnte sich der Einäugige, Tag für Tag sein ausgiebiges Mahl zu halten: einmal einen Hasen, das anderemal einen Fasan, zuweilen auch eine Ente.

Daß er über jeden Fleck, über jede Bodenfalte, über jeden Strauch Bescheid wußte, kam ihm zustatten.

Mäuse fing er nur noch zum Zeitvertreib, nur aus Jagdlust und Gier, zu töten.

An den Salzlecken erwischte er gelegentlich Holztauben, die ihm trefflich mundeten.

Junge Rehe schonte er, so heftig er auch nach ihnen verlangte. Doch waren sie jetzt für ihn schon zu erwachsen, und auch aus Klugheit ließ er sich nicht mit ihnen ein. Ihn warnten irgendwelche, ihm selber rätselhafte Bedenken von solch einem Angriff auf Rehe. Gleichviel, ob er gelang oder nicht, ein solcher Angriff konnte schlimme Folgen haben.

Bei seiner üppigen Ernährung gedieh der Fuchs glänzend. Sein Leib rundete sich, wurde feist; das Fell war lückenlos glatt, die Rute ein pompöser Wedelbusch. Nur sein verschmitztes, unglaublich gescheites Antlitz erhielt durch die leere Augenhöhle eine zwar charakteristische, aber häßliche Entstellung.

Uebrigens hatte der Reiher diese Zukunft gut erraten, als er sagte, der von ihm Besiegte werde auch mit einem einzigen Auge genug Schaden anrichten.

Jetzt lauerte der Fuchs hinter einem Hartriegelstrauch und blickte zu Perri hin, die tiefer und tiefer herniederturnte.

Perri war seit dem Verschwinden des Marders sorglos, ja dreist geworden. In ihrer Vergeßlichkeit dachte sie nicht an den Fuchs, wollte den Haselstrauch untersuchen und ein paar lustige Sprünge am Boden riskieren.

Schon berührte sie die Erde.

Zeichnung: Hans Bertle

Schon setzte der Einäugige zum mörderischen Fang sich in Bereitschaft.

Da klang eine tiefe Stimme: »Der Fuchs!«

Wirr vor Schrecken raste Perri unbeholfen am Boden umher, erreichte glücklich den nächsten Baum und hastete blitzschnell zum Wipfel empor.

Ohne sich umzuschauen, mit heftig pochendem Herzen, wirbelte sie dahin von Wipfel zu Wipfel.

Der Einäugige aber fuhr wild herum, nach dem Störenfried zu sehen, der über ihn hinweg gesprochen.

Ganz nah fand er sich Bambi gegenüber. Dieser hielt ihm tief gesenkten Hauptes die starke Krone entgegen.

Sofort schwand dem Fuchs der Zorn.

»Du bist's?« knurrte er freundlich, »hebe deine Krone. Ich tu dir nichts!«

»Ich lasse mir nichts tun ...«, erwiderte Bambi ruhig.

»Warum hast du mir das Eichhörnchen mißgönnt? Mir wär's ein Leckerbissen gewesen.«

»Mich kümmern deine Leckerbissen wenig. Perri ist die Freundin meiner Kinder.«

»Und das soll mich hindern?« Der Fuchs fletschte die Zähne.

»Du bist ja gehindert worden«, lächelte Bambi, »viele meiner Freunde fallen dir ohnedies zur Beute, du Unersättlicher ...«

»Tja!« Der Fuchs blinzelte zu ihm auf: »Ich muß essen! Du vielleicht nicht?«

»Gewiß ... auch ich esse. Doch niemand stirbt, wenn ich Hunger spüre ... Ich verfolge und töte nicht.«

»Das ist der Unterschied zwischen uns zweien«, mit hochgezogenen Lefzen mühte sich der Fuchs, gleichfalls zu lächeln.

»Mag sein«, sagte Bambi, »doch rate ich dir, schone Perri und ihre Verwandten.«

»Sind alle Eichhörnchen die Freunde deiner Kinder?«

»Und meine Freunde«, nickte Bambi, »ebenso wie jedes Geschöpf, das nicht mordet.«

»Nicht zu glauben, wie ihr alle miteinander befreundet seid«, spottete der Fuchs.

Bambi fragte ruhig: »Wer sind deine Freunde?«

»Wozu Freunde? Ich brauche keine!«

»Das ist der Unterschied zwischen uns beiden«, sehr hochmütig war nun Bambi.

Der Einäugige duckte sich vor dieser gelassenen Würde. »Wir reden heute erstmals miteinander!«

»Allerdings, es ist das erstemal«, gab Bambi zu, »aber ich kenne dich schon länger ...«

»Woher? Ich hab dich nie gesehen! Woher kennst du mich?«

»Du bist in meinem Bett gelegen ...«

»Welches meinst du? Ich habe viele Betten; schlafe beinahe jedesmal woanders!«

»Das meine hast du öfter benützt. Es ist dieses heimliche Lager in der Mulde, unter morschen Baumstämmen, bedeckt von dürrem Reisig ...«

»Oh, Farne wachsen drüber und Lattich«, fiel ihm der Einäugige ins Wort, »ja! Dort ist mir immer sehr wohl!«

»Es ist mein Bett«, erklärte Bambi.

»Deines? Jetzt gehört es eben mir!« Der Einäugige grinste unverschämt: »Du hättest gewiß nicht den Mut, mich zu vertreiben!«

»Von Mut wollen wir nicht sprechen. Du warst nie drinnen, wenn ich hinkam. Dein Gestank hat mir genug erzählt ... ich rate dir gut ... meide mein Bett!«

»Stinke ich denn so arg?«

»Einmal sah ich dich herauskommen«, fuhr Bambi unbekümmert fort, »wärst du drin von mir ertappt worden ...«

»Nun? Was dann?« rief der Fuchs herausfordernd.

»Du hast noch das andere Auge zu verlieren ...« Bambi senkte warnend seine Krone.

Der Einäugige hegte vor spitzen Waffen große Scheu. Er wich zurück. »Gut! Dieses Bett gehört dir! Ich schenke es dir!«

»Du kannst mir mein Eigentum nicht schenken!« Leise Entrüstung klang aus dieser Antwort.

»Ich wollte sagen«, lenkte der Fuchs ein, »daß ich dein Bett nicht mehr ...«

Bambi unterbrach ihn: »Grabe dir doch einen Bau und hause drin, wie alle deine Verwandten leben ...«

»Leben?« Kläglich widersprach der Fuchs: »Das wäre für mich nur ein kurzes Leben und ein elendes Sterben!«

»Dich plagt dein schlechtes Gewissen ...«

»Gewissen? Was ist das? Ein Gewissen kenne ich nicht, ahne nicht, was das sein soll! Ich bin nichts als ein armer Flüchtling!«

»Wir alle hier im Wald sind Flüchtlinge, wenn Er kommt«, sagte Bambi.

»Euch jedoch gönnt Er lange Schonung; euch läßt Er durch Monate Ruhe genießen! Für euch sorgt Er im Winter! Aber ich, ich bin immer gehetzt, immer verfolgt! Ich werde nie geschont! Nie! Ich habe niemals Ruhe!«

»Das ist der Unterschied zwischen uns zweien«, Bambi lächelte wieder.

»Wir zwei!« Der Einäugige fauchte: »Ich hasse dich!«

Immer lächelnd entgegnete Bambi: »Da ist ja wieder ein Unterschied. Du kennst das Gewissen nicht und ich keinen Haß.«

»Nie werden wir einander verstehen!« zischte der Fuchs.

»Da berührst du den einzigen Punkt, in dem wir einig sind, du und ich ...«

Bambi verschwand.

Verblüfft blieb der Fuchs zurück, schnupperte, suchte, stöberte. Umsonst. Ihm wurde unheimlich zumut. Er klemmte die Rute zwischen die Keulen, schlich davon, schneller und schneller, zuletzt fegte er im Eiltempo hinweg.

 

* * *

 


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