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Schluß

Innerhalb des Lebensbündnisses scheint auf diese Weise sich beinah – wie in einer Rekapitulation – noch einmal alles ebenso untaxierbar gleichwertig ineinander zu verbinden, wie es für das Ganze des Liebesproblems selber charakteristisch ist. Und ähnlich wie man den primitivsten Sexualvorgang schon, – die Totaleinigung zweier Zellen, – gewissermaßen als ein Bild vorwegnehmen konnte für die feurigsten Liebesträume, so scheint auch hier ein Bild nahezuliegen, – eine Umschreibung der Lebensgemeinschaft, ebenfalls als reines Symbol erst, ohne Inhalt noch: in den äußern Formen ihrer Sanktion als Ehe. Und geht jenes einfachste Sexualereignis nach eigenen Gesetzen zu immer reichern Zusammenhängen über, deren innere Bewertung sich immer mehr uns entzieht, so lassen sich auch hier zwischen der leeren Formgebung und dem Gehalt des innern Erlebens darin nirgends die Werte messen, nur ratend ablesen von den verschlossenen Außenzeichen. Wie aber das Geschlechtsleben nicht erst durch seine höhern Kundgebungen zugänglich wird und überall seinen Grundboden unter sich behält, so öffnet sich auch die sozial anerkannte Gemeinschaft jedem Paar und seinem Kinde, gleichviel wie wenig tief es von diesem Außen in das Innere des Verhältnisses zueinander eingehen mag. Auf beiden Gebieten, leiblichem wie geistigem, affektivem wie sozialem, wird der unbegrenzte Reichtum der Dinge immer nur von einigen ganz zu erfassen sein, und im Lieben, wie in allem, bleibt das Höchste das seltene Werk der dazu geborenen Ausnahmemenschen. Was indessen deren Genialität darin verkörpert, das hat immer wieder das Wegweisende darzustellen, die Hilfe und Hoffnung für alle, die auf den tausend Wegen gehen von unten hinan, wie von außen hinein in das Reich des Geschlechterbundes. Denn nicht das ist das Höchste und Seltenste: das Niedagewesene zu finden, das Unerhörte zu künden, sondern das alltäglich Gewordene, das allen Gegebene, aufzutun zur ganzen Fülle seiner Möglichkeiten im Menschengeist. So, wie wir im Morgennebel jedesmal meinen, in Flachland dahinzuwandern, bis die Sonne ihn berührt und Bergesgipfel darin aufglänzen läßt, oft von unserm Erdboden so nebelgetrennte, daß sie gleich Phantasmagorien wirken, – immer höhere noch, immer fernere, – und doch auch die unerreichbarsten unser noch, in unser Leben mit hinein gehörig: unsere Landschaft.

Derjenige Liebes- und Lebensmut jedoch, der sich zu neuen Träumen in uns erhebt durch den Blick auf solche Gipfel und unsern Schritt beflügelt, läßt sich nicht mehr in das Spezialisierte und in das Wort hinein weiter verfolgen; außerhalb einer gewissen Vergröberung und tag-scharfen (auch banal-scharfen) Belichtung der Dinge werden sie nur in so schemenhaften Allgemeinheiten für uns noch deutbar, so sehr ohne sich ins Bestimmte zu teilen und zu sondern, wie man etwa an einer Engelschar nur helle Schwingen und Gesichte unterschieden dächte, und wüßte ihrer Namen keinen. Ist wirklich auch noch diese verschwiegenste, kraftbeanspruchendste Innenarbeit ebenfalls ein Erleben geworden zu Zweien, so ist sie schon wie eine Religion zu zweit: der Versuch, sich und einander in Beziehung zu setzen zum Höchsten, was man noch eben mit dem Blick erreichen kann, um es zu wandeln zu einem Erlebnis des Täglichen. Damit aber ist es auch gleichzeitig ganz und gar ein Werkschaffen geworden, und nur als ein solches zugänglich: und so in einer viel tiefern Heimlichkeit stehend, unbefugten Augen noch viel sicherer entrückt, als selbst die heimlichsten Geheimnisse der Liebe. Denn während diese sich entweder absichtsvoll verstecken, d. h. sich hinter Fremdes stellen muß, oder sich laut, d. h. pathetisch, äußern muß entsprechend ihrer überschüssigen Gefühlsfülle, ist hier gleichsam kein Gefühl mehr ledig, sondern verkörpert in seinen selbsteignen Handlungen und Gedanken: gar nicht mehr als Gefühl unterwegs, sondern seinerseits allen Dingen in sich Obdach gebend, – ja nun grade in allem ganz, und auch im Geringsten anwesend, wie der ganze Gott noch durch den brennenden Busch 1: 2. Mose 3,2. spricht.

So gewiß, wie sich die leeren Formen, Hülsen und Sanktionen der Lebensgemeinschaft unüberführbar mit einem Inhalt brüsten können, der gar nicht in sie eingegangen sein mag, so gewiß, umgekehrt, versinnbildlicht er sich fortwährend in Lebensergebnissen, denen wir ihn um ihres Alltagscharakters willen nicht ansehn können. Und tausendmal wohl gehn wir auf diese Weise unter dem grob Sichtbarsten, banal »Wirklichsten« wie unter den Außensymbolen darin schlafender Träume, verzauberter Innerlichkeiten, umher, ohne zu ahnen, daß wir in der Gesellschaft von Erlauchten sind und dem Lebensvollsten am unmittelbarsten nahe. Denn alles Leben ist nur als das Wunder, das sich fort und fort seines Wunders begibt.

Diese Worte selber, mit ihrem notgedrungenen Oberflächengriff, vermögen nur, an einem Innenvorgang herumzutasten wie an einem sehr groben Außending, hoffend, daß darunter dennoch, symbolhaft, etwas von dem anklinge, was in ihm ist.

   


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