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Lebensbund

Daß aber unsere Liebesträume uns nur so hoch entrücken, um, wie von einem Sprungbrett, diesen Sprung zu tun von ihrem Himmel auf die Erde hinab, das bekommt ihnen desto besser, je machtvoller sie als Träume waren. Denn als ursprünglich bloße Begleiterscheinungen, Überschüsse, an den leiblich bedingten Vorgängen, und dadurch ins Wahnhafte verflüchtigt, sind sie ja schon ihre eignen Wirklichkeitsvorläufer, Lebensverlanger, Zukunftszeichen, Versprechen; ihr Lebensinstinkt muß in die ganze Breite des »Wirklichen«, Simplen, Grobgegebenen greifen, wie ein ins Gespensterhafte Verzauberter nach seinem Leibe greift, und war es die unscheinbarste Leibhaftigkeit, um daran zu sich selbst zu kommen.

Aber es ist nicht unverständlich, warum Leute im Liebesrausch, und mit ihnen Sensitive jeder Art, den Kontakt mit dem Außendasein dennoch als Enttäuschung empfinden können: und nicht allein eine mißratene Verwirklichung ihrer Träume, sondern auch die bestgeratene schon, – ihr Sicheinlassenmüssen mit dem groben Material an sich. Ist doch, was ins Leben tritt, damit gleichsam ein Sterbeakt dessen, was es war, – als Tod um so fühlbarer, je mehr es eine geistig gegebene Einheit war, – äußert es sich doch in einem Auseinanderfallen in Teilungen, Vermischungen, an denen die Erstgestalt so sicher zerbricht, wie der Keim im Mutterleibe unter dem lebenvermählenden Anstoß, der ihn furcht und gliedert. So ist auch zuzugeben, daß Liebesrausch und Lebensbund einander nicht ähnlich bleiben, daß der Hohn nicht total unrecht hat, der von ihnen behauptet, das eine finge ungefähr da an, wo das andre aufhörte, – und daß es auch hier nicht nur an einem mangelhaften Gelingen liegt, vielmehr bereits enthalten ist in zwei grundverschiedenen Methoden des Erlebens der Liebe.

Denn der erotische Affekt vollendet sich darin in der Tat nur in dem Sinn, wie der Fluß im Meer, und sieht damit seine besondere Art von Gefühlsethik, – wonach er allein eine Gemeinsamkeit adelte oder aufhob, – zunichte werden, – von breitern außererotischen Zusammenhängen miteinbegriffen werden. Ein Lebensbund ist erst in dem geschlossen, was das Hinschwinden eines frühern Affekts, das Hinzukommen eines spätem zu überdauernden Willen hat, – was sich wertvoll genug weiß, um auch auf solche Opfer einzugehn: weil ein Leben darin ausgetragen werden will, das der gleichen Sicherung und Schonung, des gleichen Opferwillens bedarf, wie die leiblich gezeugte Frucht. Im Grunde ist das zwar nichts andres, und auch um nichts mehr, als was man ohne weiteres von jedem erwartet, der sich einem Dienst, einer Sache, auf jede Gefahr hin verpflichtet hat, und sich grade da am meisten schämen würde, an ihr zum Überläufer zu werden, wo er selbst sie in Gefahr gebracht hätte. Dieser männlichere Begriff der Treue muß dem gefühlsmäßigen, oder dem auf weiblich-instinkthaftem Triebzusammenhang beruhenden, hinzugefügt werden: das rein persönliche Belieben, das manchmal auslangt, aber letzten Endes alles auf eine Temperamentsfrage basiert, muß darin überwunden sein. Erst das Hinaussein über das Subjektive allein (als wie »sittlich empfunden« es sich auch gab), – ja, wenn man so will, erst das Einbegreifen eines asketischen Moments, unterscheidet Liebesrausch und Lebensbund, und es unterscheidet sie prinzipiell. Wie es eine altväterische Äußerlichkeit wäre, sich dabei nach der bürgerlichen oder kirchlichen Sanktion zu richten, so bleibt es eine moderne Weichlichkeit, diese innere Sanktion und Bindung möglichst ins Unklare gerückt zu lassen und sich vor dem Wort »Askese« zu bekreuzigen, als ob irgend ein übersubjektiver Zweck überhaupt erreichbar sei ohne prinzipielles Zugeständnis an sie als Mittel.

Auch wo es auf das Entscheidendste erotische Liebe war, was den Lebensbund begründete, lernt sie doch darin erst sich so zu verhalten, wie es ihrem intermittierenden Charakter eigentlich in höherm Sinn entspricht: nämlich raumgebend. Denn der Geist, der sie ja selber emporgehoben hatte aus bloßem Sexualtrieb zu einem Fest und Glanz der Seele, bleibt ihr auch da, wo er sie seinem Arbeitstag einordnet, seinem ihr abgewendetesten Tun, doch der ihr einzig mögliche Erfüller. Und Schutzherr auch: indem die Treue ihr gegenüber, nun nicht mehr das überschätzte Einzige, dafür gleichsam verknüpft erscheint allen Treuen im Lebensverhalten, und indem deren Bruch aus einer bloßen Liebeskränkung zu einem Antasten des Lebendigen wird, woran zwei gemeinsam schufen, zu einer Art von Vergehen wider keimendes Leben. Wäre deshalb der Liebesrausch auch vor dem eingegangenen Bunde schon ein ganzer Blütenbaum gewesen, der lange blüht, ehe er welkt, so würde er diesem Boden doch ganz neu eingesenkt zu einem ganz neuen Wachstum. Aus dem, was sein Blühen bestimmte, der Sensation, wäre er herausgehoben und in das, was ihn zu verwelken pflegte, die Gewöhnung, eingepflanzt: denn für die Lebendigkeit der vollen, in allem gleichbetätigten Gemeinsamkeit ist das Aufreizende und Aufrüttelnde im Kommen und Gehen der Sensationen nicht mehr maßgebend. Liegt in solchem Auf und Ab der physiologischen Funktionen, und der von ihnen bedingten Affekte, direkt einer ihrer Lebenswerte ausgedrückt – scheint das Dasein uns daraus zuzurufen: »halte dich nicht wie an einem Endziele auf! Hier mußt du hindurch!« so verlangt der Geist, weil bei sich selber am Ziel, ein Dienstbarwerden des Vorübergehenden, den Bestand. Wo deshalb das Erotische sich so konzentriert ausgibt, als gelte es, sich in diese Momentewigkeit zu retten, um die Vergänglichkeit dennoch zu übertrumpfen, an die es gefesselt ist, – da breitet der Geist es wieder ins Zeitliche aus, in das Nacheinander der Dinge, an denen er zur Tat wird. Denn während in der aufdringlich zusammengefaßten Vollendung das Affektive, – wenn auch sozusagen mit geistigen Allüren, – es noch dem Physischen nachmacht, dessen Einzeldinge sich uns einmalig für allemal in ihrer gröbern Wahrheit vor Augen stellen, bewahrheiten geistige Vorgänge sich entgegengesetzt: nur als ein fortgesetztes Sich-zur-Tat-erneuern, das angelegt erscheint auf endlose Zeit und unerschöpfliches Material. Das Geistige, als die lebendigste Steigerung, kann eben ihrerseits ihre Ganzheit gar nicht mehr anders darstellen, als indirekt, sinnbildlich, als Initiative, als fruchtbare Zergliederung in die gegebenen Einzelheiten.

Aus diesem Grunde ist ein gewisses immer wieder Hineinführen in das noch zu Vollendende allem geistigen Verhalten eigen, und ist das, was der Geist berührt hat, ungeachtet seiner Steigerung, von außen am unfertigsten anzuschauen. Auch für den Lebensbund der Geschlechter wird dies stets bezeichnend sein, und, gerade in den idealsten Fällen, wird drin Höchstes mit Trivialstem so durcheinandergehn dürfen, daß nichts mehr sich vornehm davon zurückhalten kann, sich erneuern zu lassen bis zur Unkenntlichkeit seiner ehemaligen selbstgenügsamen Vollendung. Dieser Mischmaschcharakter, den man mit großem Unrecht aller Ehe zum Vorwurf macht, ist ihr keineswegs nur aus äußerlich naheliegenden Gründen aufgeprägt, vielmehr der innere Gesichtspunkt von dem aus sich alles in ihr umorganisierte, ergibt diese gleichmäßigere Bewertung, den verhältnismäßigen Wert selbst noch des simpelsten oder sprödesten Materials. Wenn es in jeder Eheformel irgendwie heißt: »for better and worse«, so liegt darin nicht nur ausgedrückt, auch im Ertragen des minder Angenehmen müsse sich die Liebe beweisen: es darf tatsächlich besagen, daß ganz anders als im Liebesrausch Gutes wie Schlimmes wertvoll geworden sei, verwendbar, für den Endzweck der vollen Lebensgemeinsamkeit. Und so gilt es auch für die Beziehung der zwei Menschen zueinander, daß sie gewissermaßen alles umfaßt. Fast könnte man meinen: wiederum, wie in der erotischen Verhimmelung, fänden sie sich gegenseitig in jede Gestalt, jede Wirkung hinein, die der Wunsch phantastisch eingab. Nur ist der Sinn nicht mehr derselbe, weil herausgeboren diesmal aus dem tiefsten Eingehn in die Bedürftigkeit des Wirklichen; nicht auf eine Schönfärberei am andern geht er, sondern auf eine Arbeit an sich selbst, die mit ungeahnten Kräften begabt und wandelt, wo es gilt, ihm hinzuhalten, wessen er bedürftig ist, – und, je nach dem Maß der Liebe, gibt es keine letzte Grenze da. Gatten einander sein, das kann gleichzeitig heißen: Liebende, Geschwister, Zufluchten, Ziele, Hehler, Richter, Engel, Freunde, Kinder, – mehr noch: voreinander stehen dürfen in der ganzen Nacktheit und Notdurft der Kreatur.


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