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Thema

Ein Doppeltes ist für das Problem des Erotischen kennzeichnend:

Einmal, daß es als Sonderfall innerhalb der physischen, psychischen, sozialen Beziehungen überhaupt betrachtet werden muß, und nicht nur so selbstherrlich für sich, wie es öfters geschieht. Sodann aber, daß es alle drei Arten dieser Beziehungen in sich noch einmal aufeinander bezieht und sie damit zu einer einzigen, und zu seinem Problem, zusammenschließt.

Schon dem Untergrund allen Daseins eingewurzelt, wächst es dadurch aus immer dem gleichen reichen, starken Boden, bis zu welcher Höhe es sich auch erstrecken, zu einem wie machtvollen, den Raum raubenden Wunderbaum es sich auch entfalten mag, – um selbst da, wo ihm der Boden total verbaut wird, mit seiner dunklen, erdigen Wurzelkraft dennoch darunter zu beharren. Eben dies ist sein gewaltiger Lebenswert, daß, wie fähig es auch sei, breite Alleingeltung zu erlangen, oder hohe Ideale zu verkörpern, es doch darauf nicht angewiesen bleibt, sondern sich noch aus jeglichem Erdreich Kraftzuwachs saugen kann, jeglichen Umständen sich lebendienend anpaßt. So finden wir es bereits den fast rein vegetativ ablaufenden Vorgängen unsrer Körperlichkeit beigesellt, sich ihnen eng einend, und wenn es auch nicht, wie diese Funktionen, für das Dasein schlechthin bedingend wird, so doch auch auf sie noch den stärksten Einfluß übend. Daher bleibt ihm auch in seinen eignen höhern Stadien und Arten, ja auf der Spitze kompliziertester Liebesentzückungen noch, etwas von diesem tiefen, einfachen Ursprung unvertilgbar gewahrt: etwas von dieser guten Fröhlichkeit, die das Körperliche im unmittelbaren Sinn seiner Befriedigung als immer wieder neues, junges Erleben, gleichsam als Leben in seinem Ursinn, empfindet. Wie jeder gesunde Mensch sein Erwachen, oder tägliches Brot, oder einen Gang durch die Frische der Luft, immer von neuem lustvoll genießt, als mit jedem Tage junggeboren, und wie man mit Recht beginnende Nervenzerrüttungen manchmal daran erkennt, daß sich in diese Alltäglichkeiten, Urnotwendigkeiten, plötzlich die Begriffe von »langweilig«, »eintönig«, überdrußerweckend hineinmengen, so ist auch im Liebesleben hinter und unter seinen sonstigen Beglückungen, immer die eine mitenthalten, die, unsensationell und untaxierbar, der Mensch mit allem teilt, was mit ihm atmet.

Das Animalisch-Erotische ist schon nicht mehr darauf allein beschränkt, indem das höhere Tier seine geschlechtliche Handlung durch einen Gehirnaffekt begleitet, der seine nervöse Materie in eine exaltierte Erregung bringt: das Sexuelle wird der Sensation, endlich der Romantik, entgegengestoßen, bis hinauf in deren feinst verzweigte Spitzen und Aufgipfelungen im Bereich des menschlich Individuellsten, was es gibt. Aber diese steigende Liebesentwicklung findet von vornherein statt auf einer steigend schwankenden Grundlage: anstatt des Ewiggleichbleibenden und -Gleichgeltenden nun auf Grund jenes Gesetzes alles Animalischen, wonach die Reizstärke abnimmt mit ihrer Wiederholung. Das Wählerischere in bezug auf den Gegenstand und den Moment, – so sehr ein höherer Liebesbeweis, – wird bezahlt mit der Ermüdung an dem um so viel heftiger Begehrten, mit der Begierde also nach dem Unwiederholten, nach der noch ungeschwächten Reizstärke: nach dem Wechsel. Man kann sagen: das natürliche Liebesleben in allen seinen Entwicklungen, und in den individualisiertesten vielleicht am allermeisten, ist aufgebaut auf dem Prinzip der Untreue. Denn die Gewöhnung, soweit sie das Gegenteil, eine dem entgegenwirkende Macht, darstellt, fällt, wenigstens ihrem groben Sinn nach, ihrerseits noch unter die Wirkungen der mehr vegetativ bedingten, wechselfeindlichen Körperbedürfnisse in uns.

Es ist jedoch das durchaus geistigere, will sagen: lebenskompliziertere, Prinzip, das zur Änderung und zu wählerischem Aufbrauch der Reize drängt, – es ist das sinnvoll gesteigerte Verhalten, das eben darum nichts weiß von jener Altersstetigkeit, Stabilität, der primitivem Prozesse, die diese für uns in manchen Beziehungen zu einer Basis machen von beinahe dem Anorganischen ähnlicher Sicherheit, – fast wie soliden Erd- oder Felsgrund. So ist es weder Schwäche noch Minderwertigkeit des Erotischen, wenn es seiner Art nach auf gespanntem Fuß mit der Treue steht, vielmehr bedeutet es an ihm das Abzeichen seines Aufstiegs zu noch weitern Lebenszusammenhängen. Und darum muß auch da, wo es in solche schon weiter einbezogen wird, ihm von dieser ungenügsamen Sensibilität vieles erhalten bleiben, grade so, wie es seinerseits sich nur begründet auf den ursprünglichsten Vorgängen des Organlebens. Ja, wenn schon diese, das »Allerleiblichste« in uns, nicht anders als mit ehrfürchtiger Unbefangenheit betrachtet werden sollen, so gebührt wahrhaftig eine gleiche Hochachtungsbezeugung auch dem Erotischen noch in seinen draufgängerischen Windbeuteleien: trotzdem man an ihnen nur das zu sehen gewohnt ist, was sie zum Sündenbock für jegliche Liebestragödie gemacht hat.

Derjenige Zusammenhang, worin das Erotische, zum mindesten im günstigen Fall, seine schlimmsten Unarten ablegt, ist in unserm geistigen Verhalten gegeben. Wo wir etwas in unsre Einsicht und Bewußtheit aufnehmen, anstatt nur in unser physisches oder seelisches Verlangen, da erleben wir es auch nicht bloß in der abnehmenden Reizstärke der Sättigung dieses Verlangens, sondern im steigenden Interesse des Verstehens, also in seiner Einzigkeit und menschlichen Unwiederholbarkeit. Daraus erst ergibt sich der volle Sinn dessen, was in der Liebe den Menschen zum Menschen drängt, als zum Zweiten, zum andern unwiederholbaren Ich, um in der Wechselwirkung mit ihm als Selbstzweck, nicht als Liebesmittel, sich erst zu erfüllen. Tritt erst damit die Liebe nun auch in ihre soziale Bedeutung ein, so ist doch klar, daß dies nicht für die Außenseite der Sache gilt: denn ihre Abfindung mit deren äußeren Konsequenzen, ihr unumgängliches Verknüpftsein mit dem Interessenkreis der Allgemeinheit, enthält ihre soziale Kehrseite auch schon auf ihren früheren Stufen. Hier aber liegt ihr innerster Lebenssinn frei: der geistige Grad von Lebendigkeit, dem gegenüber selbst der Trieb nach Wechsel noch als ein Mangel an innerer Beweglichkeit erscheint, da er solcher Anstöße von außen bedarf, um frisch ins Rollen zu kommen, während sie hier viel eher stören, ja aufhalten würden. Damit gewinnen Treue und Stetigkeit einen veränderten Hintergrund: in dieser Überlegenheit des Lebensvollsten, Lebenserschließendsten, liegen neue organisatorische Möglichkeiten nach außen vor, – eine Welt des Beharrendem wird wieder realisierbar, ein erneuter sichrerer Boden für alles Werden des Lebens, – analog unserer physischen Basis und dem, was unser Organismus als das leibhafte Liebesendziel aus sich herausstellt im Kinde.

Mit seinen drei Stadien an sich ist jedoch das Wesen des Erotischen noch nicht vollständig umschrieben, sondern erst mit der Tatsache ihres gegenseitigen Aufeinanderbezogenseins. Aus diesem Grunde lassen sich Rangordnungen in seinem Bereich nur überaus schwer abgrenzen, und nicht als der klare Stufenbau, der sich theoretisch draus herstellen läßt, erscheint es, sondern als die immer wieder in sich gerundete, lebendig unzerteilbare Ganzheit. Mögen wir sie jeweils als größer oder kleiner abschätzen, wissen wir dennoch von Fall zu Fall nie, ob sie nicht auch da ihren vollen Gehalt umschließt, wo er ihr selber nicht einmal bewußt werden kann: etwa wie physiologisch das Kind dem vollen Liebeszweck entspricht auch da, wo noch dumpfe Unbewußtheit der Urzeiten es statt dem Sexualvorgang den fremdartigsten Dämonenursachen zuspricht. So muß hier die bisherige Erörterung insofern ergänzt werden, als auch das physische Moment im Erotischen, bis zuletzt alles beeinflussend, schon ebenfalls seinerseits von vornherein beeinflußt ist von den weiteren Momenten, die sich exakten Feststellungen entziehn: erst mit der Totalergriffenheit des Wesens ist das Problem gekennzeichnet.


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