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Männlich und Weiblich

Etwas Ordentliches, Tüchtiges im Mann entrüstet sich zeitweise über diese ganze Weibesart, auch Liebesart, die abwechselnd ihn verwirrt, ihm imponiert oder ihn als verächtlich berührt. So sehr man beider Übereinstimmung in Dingen der Liebe auch wünschen muß, läßt es sich dennoch wohl begreifen, daß der Mann, erfüllt von seinen eignen Leistungsansprüchen, dem retardierenden Überschwang der Frau mit einigermaßen ungeduldiger Gebärde gegenüberstehn kann. Sicherlich gab es ja in ganzen Zeitepochen, und gibt es auch noch in der Gegenwart, genug Beispiele von Frauenanbetung, dennoch wäre es immerhin erträglicher, wenn das Käthchen-Vorbild für extremste Weiblichkeit charakteristisch würde, als der Toggenburger »Ritter Toggenburg«, Ballade (Schiller). für den Mann. Denn ohne Zweifel spricht sich eine höchst bezeichnende Übertreibung unsrer Zeit darin aus, allein im Herausarbeiten des Liebesideals in seiner, alles in sich einbeziehenden, Vollkommenheit schlechthin das Wichtigste zu erblicken, die Harmonisierung des Menschentums, das »Eine, das not tut«. Es ist eine weibliche, für Männer-Idealbegriffe etwas weibische, Übertreibung, die übersehn läßt, wie sehr unsre Kräfte überhaupt nur auf wechselseitige Kosten zur Entwicklung kommen, wie höchstmögliche Leistungen den Verzicht schon einschließen auf alle mögliche, liebliche oder geistige, Harmonie, wie vorwärts suchende Selbststeigerung durch vielerlei Selbstverstümmelung geht, und daß es nur Ruhepausen sind, die Raststunden der männlich-lebendigsten Beweglichkeit, worin sie feiernd oder liebend, zur Schönheit sich zusammenfaßt. Und wenn dies zu tun Frauen gemäßer ist als Männern, so legt es den Gedanken recht nahe, ob nicht dafür der Mann, jeder einzelnen seiner Anlagen nach, eben der stärker Veranlagte sei, – in jeder einzelnen sein Wesen weiter erstreckend, den Trieben nach sowohl wie auch dem Geiste. Seine erotischen und egoistischen Affekte sozialisieren sich dadurch anders, er steckt ihnen ihre Grenzen ab nach andern Seiten allgemein-menschlicher Tätigkeiten; der Durchbruch des Gattungshaften, dieser geheimnisreiche Einfluß des Keimplasma auf die ganze Persönlichkeit, wird deshalb häufig grade beim tiefbeschäftigten, tüchtigen oder bedeutenden Mann eher vorkommen als ziemlich akut wirkende Anomalie, als ein zu Kopf steigender Rausch, wie als die neue Normierung, die im Weib Leib und Seele mitschwingen lehrt in den Rhythmen des All-lebens, ihre Einzelentwicklung damit immer wieder in Frage stellend. Um deswillen liebt er das Weib grade am besten, am stärksten, daß sie für ihn gleichsam Gestalt geworden ist dessen, woraus er selber wurde, woraus seine Kinder werden, – liebt das, was im einzelnen das Weib unausgeprägter erhält, ja sogar ihren Körper unausgeprägter weich, ihre Stimme jung erhält: die Erbschaft von Mensch zu Mensch, – den Menschen als das in allem Seienden Mutter-Ewige, als das Kind-Ewige.

Die Geschlechtsdifferenz wird gegenwärtig für so tief begründet angesehn, daß sie, von keinerlei Entwicklung überholbar, überall auf Urgrund zu stoßen scheint. Allein eben hier liegt jedenfalls auch ihre Ergänzung durch sich selbst: denn je tiefer hergeleitet, desto gewisser müssen ihre Linien sich innerhalb des Umrisses von Mann und Weib an irgend einem Punkte kreuzen, – muß Leben, für sich fortwirkende Totalität, gleichsam doppelt gezeugt sein, wie jeder von uns abstammt von Vater und Mutter. In je tiefere Schichten wir in uns hinabsteigen, um so tiefer nur tut sich dieses zeugerische Ineinander von Zweiheit als Einheit, und Einheit als Zweiheit auf; am meisten deshalb bei den geistesschöpferischen Tätigkeiten: als ob sie, wie aus Urfernen der Generationen, heraufholen müßten, was sie zu solcher Zweiheit befruchten kann, um selbsteigen Lebendes aus sich zu entlassen. In Übereinstimmung damit wird gern aufmerksam gemacht auf die verhältnismäßig gegengeschlechtlichen Züge an Künstlern, an der Genialität überhaupt: als eines, sozusagen, stationär gewordenen Zeugungszustandes.

Wo wir uns dagegen liebend verhalten, d. h. wo unsre schöpferische Erregung zu einem leiblichen Außenwerk ihrer ergänzenden Hälfte von außen bedarf, da mildert sich deshalb der Geschlechtergegensatz nicht nur nicht, sondern spitzt sich daran erst zu seiner vollen Schärfe zu. Alles, was sich in uns selber unter dem Einfluß des erotischen Affekts zusammenfaßt, bindet, miteinander vermählt, scheint dies nur zu so einseitigstem Zweck zu tun; ja die Einzelperson erscheint förmlich überladen als Trägerin ihres Geschlechts: nur als die Ergänzung, die »andere« Welt, erhebt sie sich zum geliebten Ein und Alles. Und tatsächlich läßt sich der entscheidende Charakter dieser Zustände und Vorgänge auch nur näher darstellen, feststellen, innerhalb einer solchen gewissen Übertreibung, indem der ganze Begriffsinhalt von »männlich« oder »weiblich« jedesmal unverkürzt aufgehäuft wird auf den einzeln gegebenen Mann, die einzelne Frau.

Insofern muß eine dadurch unberücksichtigter gebliebene Seite der Sache nachbetont werden, die diese erst aus dem allzu Flächenhaften der Gedanklichkeit ins mehrseitig Beleuchtete, Vollwirklichere rückt: nämlich der Umstand, daß auch in bezug auf die Einzelpersonen das Erlebnis der Liebe einen Doppeleinfluß ausüben kann.

Beruht schon alle Liebe auf der Fähigkeit, das Andersartige mitempfindend in sich zu erleben, und läßt sich von ihren stärkeren Äußerungen geradezu sagen, beider Liebenden Erlebnis sei infolgedessen identisch, so trägt sie bereits damit ein doppelmenschliches Antlitz: umfängt, ungefähr wie leiblich in der Empfängnis, das Geschlecht des andern in ihrem Gefühlsausdruck. Das befähigt sie, ungeachtet der Verschärfung des Geschlechtscharakters, dennoch daneben Züge zu gewinnen, in denen sie ihren eignen Geschlechtsgegensatz gleichsam widerstrahlt.« Freundschaft zwischen verschiedenen Geschlechtern, wo sie wirklich ganz unerotisch gefärbt bleibt, wäre möglicherweise herzuleiten von ähnlicher gegenseitiger Wirkung auf solche Wesenszüge, die nur andeutungsweise vorhanden, weil nur Rudimente des Gegengeschlechts sind, – wodurch der Sexualanteil an der Beziehung sich von selbst ausschaltet. Sind jedoch derartige Züge schon von Haus aus abnorm betont, so pflegt sich auch hieraus Erotik zu entwickeln: die der gegenseitig verkehrten Sexualität. Innerhalb dessen sind dann alle Anklänge möglich, an jeden geistigen Hermaphroditismus, bis in sein leibliches Mittönen, und jedes Liebesverhalten endlich zum eigenen Geschlecht.

In solchen Fällen ist es, als ob die Doppelung, die unser aller Wesen mitbegründet, in der Wirklichkeitswelt ihren einseitig eindeutigen Halt verloren hätte, so daß sie sich nicht daran vereinheitlichen kann, gleichsam das erlösende Wort für ihre Entzauberung nicht findet. Dadurch berührt das Problem sich mit dem der zeugerischen Zweiteilung und auch der geistesschöpferischen Tätigkeiten: fast, wie wenn irgend etwas um den Ausweg in diese betrogen worden sei, sich statt dessen in die Leiblichkeit verrannt habe, und, in ihr eingefangen, zur physischen Sinnlosigkeit verkrüppelt, sich in die Welt des Einheitlichen zu befreien suche, indem es umsonst (d. h.: steril) nach dem gleichgeschlechtlichen Partner greift.

Wurde in den leiblichen Vorgängen das Keimplasma zur Ursache, die das am latentesten in uns Gebliebene steigernd auf alles zurückwirken läßt, so wird hier die geistig eingehendste Liebe der gleiche Anlaß, in uns das lebenwirkend zu lösen, was in unsrer eignen Entwicklung nicht mitvorgesehn war. Der Affektrausch, den der physische Erregungsgrund entband, erscheint darin fast völlig aufgebraucht zu solchem positiven Schaffen neuer seelischer Tatbestände. Und durch nichts beweist er, der ursprünglich wahnbildende, sich so als Leben, wie daß er auch dabei noch nicht stehn bleiben mußte, zwei Menschen zu einen in sich und im Kind, sondern in jedem von ihnen sogar wiederum jene Zweiheit hervortreibt, die allem Werden schöpferisch eingesenkt ist, auf daß es über sich hinauswachse. Zum ersten Mal erstrebt er hier selbständig seine geistige Gegenleistung für dieses »über sich hinaus«, für das Kind. Darum, wenn schon physische Liebesekstase, durch ihre alles in uns einigende Kraft, ein Glücksempfinden in sich selber trägt, so kann dies letzte, seltenste Liebeserleben sich innerlich nur als Glück und Erfüllung herausstellen. Ein richtiger Instinkt läßt uns ahnen, daß Liebe, ihrem ursprünglichsten, wie ihrem vollendetsten Sinne nach, ohne weiteres lebenschaffend und beglückend wirke; daß da, wo ihr Außenschicksal sie anstatt dessen in Not und Tod verkehrt, es nicht ihre eigene Stärke ist, die dies so unüberwindlich macht, sondern im Gegenteil etwas Unvollendetes an ihr, das sie im Gefühlsmäßigen, Leidenden, und einer halb eingebildeten Zusammengehörigkeit stecken läßt. Denn grade hier, wo die Liebenden noch einmal, – wie im Anfang fast, – ganz in ihren eignen Innenvorgängen ihr Schicksal tragen, erscheinen sie nun erst ganz fest einander verbunden: in einem Zusammenhang zwar, der sich nicht mehr beschränkt auf die engste Ergänzung zweier Hälften, – und noch weniger diese Gegensätze abzuschwächen sucht durch Hinzufügung ergänzender Fremdbestandteile zur Liebe. Der vielmehr, in einer jener Paradoxien, wie sie nur das schöpferische Walten aller Dinge selbst ersinnen kann, zwei Menschen, Mann und Weib, eben dadurch ineinander auflöst zu überpersonaler Einheit, daß er jeden von ihnen heraushebt zu seiner tiefsten Unabhängigkeit in sich, – seiner all-ewigen Selbstheit.


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