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Erotisch und sozial

Das Erotische nimmt eine Zwischenstellung ein innerhalb der beiden großen Gefühlsgruppen des Egoistischen und Altruistischen, – unmißverständlicher: der Verengerung, Zusammenziehung unseres Einzelwillens von der Gleichgültigkeit an bis zur Fremdheit, Feindlichkeit, oder seinem Weitwerden bis zum Einbegreifen des andern, des ihm Gegenüberstehenden, als eines Teiles seiner selbst. Beide Gruppen ändern im Verlauf der Zeiten auch ihre Stellung zueinander und ihre menschliche Bewertung fortwährend, und auf welche Weise sie ihren Zwist zum Ausgleich bringen, davon wird der Charakter einer Zeitepoche bedingt. Immer bedarf jede Gruppe der andern zu ihrer Ergänzung, jeder hat an ihnen beiden seinen Anteil und müßte durch zu weitgehende Einseitigkeit darin sich auf das Äußerste gefährden, denn um sich hinzugeben, muß man sich besitzen können, und um zu besitzen, muß man erst den Dingen und Menschen entnehmen können, was sich nicht rauben, was sich nur mit offener Seele geschenkt erhalten läßt. Die zwei Gegensätze stehen eben, an der Oberfläche unvereinbar auseinanderwachsend, in der Wurzel in tiefster wechselwirkender Zusammengehörigkeit, und das sich verschwendende: »ich will alles sein!« wie das geizig-gierende: »ich will alles haben!« ergeben, auf ein höchstes umfassendes Verlangen gebracht, den gleichen Sinn.

Aus dieser ihnen noch gemeinsamen Mutterwurzel scheint sich die dritte Gruppe von Gefühlsbeziehungen, die des Erotischen, abzuspalten als eine Mittelform, vielleicht die Urform, zwischen dem Einzeltier und dem Bruderwesen: beider Bestandteile seltsam und um ihre Widersprüche unbekümmert in sich bindend, wodurch sie sich gegenseitig steigern zu gärenderer Triebkraft. So sind es in der ganzen Natur gerade die differenten Protoplasmakörperchen, die sich zeugerisch suchen, allmählich die Geschlechtsunterschiede aus sich entwickeln, die Spezialisierung zum immer Mannigfaltigem ermöglichen. Und so behält unter Menschen wie Tieren der alte Gemeinplatz recht, nach welchem die Liebe der Geschlechter ein Kampf der Geschlechter sei und nichts so leicht ineinander überschlage wie Liebe und Haß. Denn erweitert die Selbstsucht in der Sexualität sich, so verschärft sie sich doch zugleich darin zu ihren heftigsten Eigenwünschen, und geht sie in selbstsüchtigem Angriff vor, so doch wiederum nur, um alles Eroberte auf den Thron, ja hoch über sich selbst zu setzen: überall durch ihre physische Bedingtheit an einer einseitig klaren Herausarbeitung ihrer seelischen Absichten behindert, – und doch tiefer als alles andere mit ihnen deutend auf das All-Eine, das wir in uns selber sind.

Deshalb darf man aus dieser ihrer Gebundenheit nicht schließen, daß ihr die geistigern Egoismen des Menschen oder sogar auch nur die Geistesverbrüderung aller mit allen, an sich schon überlegen sein müßten, und sie im Grunde nicht viel mehr als eine Vorstufe darstelle zu solchen klarern Entwicklungsstadien. Im Gegenteil durchmißt sie innerhalb ihres Bereichs alle Stadien von den primitivsten bis zu den kompliziertesten, von den leiblich begrenztesten bis zu den geistesbefreitesten, auf ihrem eignen Boden. Wo die Vorkommnisse des Lebens anderweitig erwachsene Beziehungen ihr aufpfropfen, seien sie freundschaftlich oder barmherzig gearteter Natur, da veredelt sie sich nicht weiter daran, sondern gefährdet ebenso oft dadurch die von viel tiefer ihr zuströmenden Triebkräfte ihres Wesens. In sich selber voll von schöpferischen Elementen egoistischer wie altruistischer Art, gibt sie sich auch selbständig aus nach beiden Richtungen. Und so wie sie sich, im vorhergehenden, in geflissentlicher Einseitigkeit, betrachten ließ nach Seite ihres eigenen Freudenrausches, ihrer Vermählung aller Kräfte, die zunächst nur für sie selber eine volle, illusionslose Wahrheit geworden war, ihres Egoismus also: so kann man sie auch altruistisch-produktiv ansehn; man kann den andern, den Partner, bisher nur Anlaß ihrer Überschwänglichkeiten, Erreger dankbarer Illusionen, zur Wahrheit und zum Lebensereignis für sie werden sehn. Allerdings erscheint auch der »Egoismus zu Zweien« stark des Egoismus verdächtig, und erst im Verhältnis zum Kinde überwunden, – also erst in dem Punkt, wo Geschlechterliebe und soziale versöhnt aufeinandertreffen, sich gegenseitig ergänzend. Aber für die Geschlechterliebe, die ihr »soziales« Werk im leiblichen Sinn vollbringt, ist es bezeichnend, daß diese physische Betätigung ihrer selbst schon alles mitenthält, was sie auch geistig weiterentwickelt. Zwar läßt sich mit Recht sagen, alle Liebe erschaffe zwei Menschen, – neben dem in der Vereinigung leiblich gezeugten auch noch einen erdichteten: jedoch eben dieser leiblich geschaffene pflegt es zuerst zu sein, was aus der bloßen Liebesbenommenheit hinausführt. Wenigstens soweit es mit dem Naturleben primitiv und von selbst sich ergibt, sozialisiert sich die Brunst in der Brut, die Liebe im Kinde.


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