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Idealisation

Die Frage läßt sich hier aufwerfen, welche Bewandtnis es eigentlich hat mit diesem ganzen Idealisationsdrang, der so zutiefst zu stecken scheint grade in den schöpferischen Vorgängen. Und ob er nicht in der Tat ein wesentliches Moment ihrer Verwirklichungen bildet, sofern sie als Synthese anzusehen waren von außen und innen, Entferntestem mit Nächstem, Weltinhalt und Selbstgehalt, Urgrund und Gipfelung.

Auch wo es sich nicht um solche ausnahmsweisern Vorgänge handelt, sondern um unsre Alltagsexistenz, beruht die bloße menschliche Tatsache unsrer Bewußtheit auf einer ähnlichen Unterlage: dem gleichen Zusammenfassenmüssen einer Gegenüberstellung von Welt und Selbst, außen und innen, die darin bereits mitgegeben ist. Die Spannweite dieses Zusammenfassens allein unterscheidet das menschlich Erreichbare von dem des Tieres. Soweit sich das Lebensbewußtsein steigert, tut es gleicherweise dieser Prozeß: entsprechend Tiefergelegenes, Fernwirkenderes umgreifend, und angenähert damit dem von uns im engeren Wortsinn schöpferisch genannten Verhalten. Bis dann ein Gegenüber von so durchschlagender Bedeutung überwunden, bis es zu so fruchtbarer Einheit entladen wird, als würden gewissermaßen noch einmal Weltwerden und Ichgeburt erfahren, durchlebt, – was allein dem von uns Geschaffenen seinen eigenlebenden Kern einsenkt, anstatt bloß abgeleiteten Scheindaseins und Oberflächenwesens.

In demselben Maße nun, als dergleichen geschieht, bemerken wir die idealisierende Tätigkeit in vollem Gange. Der Liebende wie der Schaffende, der im Kinde wie im Geisteswerk Schöpferische, sind kenntlich an ihren naiven, sachlich ganz untaxierbaren Entzückungen. Das erwähnte Gegenüber, um je Bedeutsameres es vertritt um desto mehr, kann sich sichtlich nur infolge einer solchen gegenseitigen Erhöhung auf gemeinsamem Boden finden, nur auf so gesteigertem Niveau seine Ansprüche und Fremdheiten ausgleichen, und die Veranlassung: das erhöhte Lebensgefühl selber, bedingt ein solches Vorgehn auch schon ganz unmittelbar. Es ist, als müßte dadurch eine Art Zuweihung stattfinden dessen, worin beide Parteien zum Bündnis zueinandertreten, so daß sie, geeint, dazustehn scheinen wie auf »heiligem Grund«. Als wäre, was wir »Idealisieren« nennen, sozusagen ein primärster Schöpfungsakt der Geschöpfe, etwas von ihrer allerersten selbständigen Wiederholung, Fortsetzung allen Lebens, – und auch daher nur so früh, sogar im körperlichen Paarungstrieb schon, vorauswirkend mit den ersten Spuren von Hirntätigkeit überhaupt. Und als entstiege um deswillen daraus der große Jubelrausch des Daseins, wie Vogeljubelstimmen am Morgen, wenn die Sonne aufgehn will über einem neuen Schöpfungstag, – denn keine drei Dinge weiter auf Erden gibt es, die so tief miteinander zu tun hätten wie diese drei: Schaffen, Anbetung und Freude.

Tastet man sich an das Dunkel der menschlichen Ursprünge heran und der Menschheit Vorzeit, dann stößt man als auf die letzten erkennbaren Punkte auf religiöse Äußerungen. Das, worin ihr soeben erwachtes Bewußtsein, plötzlich einer Außenwelt gegenübergestellt, sich mit dieser zusammenschließt, ist immer in irgend einer Form der Gott. Er ist es, der die Einheit von neuem gewährleistet, aus der sich dann die unterschiedlichen Bestrebungen der beginnenden Kultur erst ergeben können. Das Bewußtwerden an sich aber ist, gegenüber der mangelhaft geweckten bloß tierischen Selbstbesinnung, eine dermaßen hohe Lebenssteigerung, daß man begreift, wie es aus allen, sich damit plötzlich auftuenden Nöten und Hilflosigkeiten, dennoch als erste menschliche Urschöpfung eine gotthafte hob. Denn das bedeutet nichts Geringeres, als daß die entscheidende Waffe im Lebenskampf nicht mehr lediglich die rein stoffliche der vielfach an Kraft so überlegenen Tierheit war, sondern ein Phantasieakt. Nicht zwar als entwaffnende Unterschätzung des faktisch gegebenen Fremdfeindlichen, eher als seine Überschätzung ins Ungreifbare zauberstarker Wirkungen, – aber doch nur, insofern gleichzeitig auch die menschliche Kraft vertiefter sich bewußt werden fühlt: sich fühlt, als nicht gleichdeutig mit der bloßen Stofflichkeit des Sichtbaren. Und deshalb, in allem Drang der Gegnerschaft, ist der Kampf nicht mehr nur das momentane Beutesuchen, sondern, damit zugleich, auch ein Erfassen der Einheit mit dem Umlebenden, darin das Tier noch ohne weiteres wurzelt; – ein Versuch, diese Einheit im Gotthaften, Zaubererhöhten zu erfahren. Ja, noch im Blut, das vergossen, im Fleisch, das verschlungen wird, schließt der Mensch, Kräfte tauschend mit dem Feinde, etwas von einem solchen Bund, von einer religiösen Vermählung; indem er Tatsachen als vorhanden voraussetzt, doch eben damit sie als seine Zukunft setzt, feiert er, zum erstenmal hungernd und dürstend auf eine neue Weise, das Abendmahl seiner geistigen Erlösung vorweg.

Nur weil dieser innere Zwang, die Dinge zu steigern, zu idealisieren, schon im primitivsten Sinn: »schöpferisch sich verhalten« bedeutet, nur deshalb finden wir ihn auf den Gipfelpunkten menschlicher Betätigungen überall wieder zurück, auslaufend schließlich in die feinsten Spitzen menschlichen Erlebens. Aus diesem Grunde trägt unsre höchste Produktivität den eigentümlichen Charakter, daß sie sich fast mehr wie Empfängnis anfühlt, als wie die letzte Zuspitzung unserer Selbsttätigkeit, und daß unsern äußersten Leistungen ein Hingegebensein innewohnt an Werte über uns hinaus. Wo wir ganz Herrscher über das Leben sind wie niemals sonst, sind wir am allernächsten einer Weihestimmung und Andacht: denn dies sind nicht so sehr Arten eines besondern Erlebens, als letzte Akzente seiner Intensität an sich. So, als würde, auf dem Weg zu immer fruchtbarerer Entladung, immer schaffenderm Sein, unser Selbst steril, wenn es sich nicht auf seinen Gipfelpunkten geheimnisvoll von neuem geteilt fühlte in die ursprüngliche Zweiheit seiner Basis, die allein seine Einheit verbürgte. So, als ob etwas von den Sinnbildern uranfänglicher Gottheit, unter tausend wechselnden Verkleidungen und Verfeinerungen, hindurchginge durch alles noch, Weggenosse allen Menschen und Zeiten: als ob die Schöpferkraft selber nur sei die Kehrseite einer Anbetung, – und das letzte Bild für alles Geschehen eine vermählende Befruchtung und Empfängnis.


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