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Erotik und Religion

Daß Religion zu demjenigen gehört, was am verschiedenartigsten definiert, dessen Wesen von jeher auf die widersprechendsten Weisen erklärt wird, mag wohl an diesem Grade liegen, worin sie ihrem Grundaffekt nach eins ist mit unsern intimsten Lebensaffekten überhaupt, – mit solchen innern Tatsachen, durch die wir selber stehn und fallen: die ebendeshalb nicht die Distanz zu sich freizugeben scheinen, welche theoretische Feststellungen erst ermöglicht.

So ist auch das Erotische dem Religiösen zunächst unmittelbar einverleibt und dieses ihm, auf Grund jener Lebenssteigerung an sich schon, der Innen und Außen fruchtbar erregend zum Bewußtsein gelangen, – wobei sich diese vermählende Kraft, diese erhöhte Lust des Lebens, Wollens, zur engern leiblichen oder geistigen Wollust spezialisiert hat. Der Zusammenhang zwischen ihnen wäre demnach der gleiche wie mit allen sonstigen menschlichen Betätigungen, an denen die Umfärbung des Religiösen nur an deren Basis oder deren Gipfel noch die ursprüngliche Grundfarbe erkennen läßt. Besonders eng verknüpft erscheint das Sexuelle den religiösen Phänomenen aber insofern, als das Schöpferische seines Vorgangs so früh, im Leiblichzeugerischen, sich schon durchsetzt und dadurch dem rein körperlichen Taumel bereits seinen Charakter einer Allgemeinsteigerung gibt: etwas wie eine vorweggewährte Geistigkeit. Und hat so, zum sexuell Affektiven, der Geist seine Gehirnreize herzuleihn, so sind andrerseits in der religiösen Inbrunst, wie in jedweder starken psychischen Tätigkeit, die tonischen Reize des Körpers mitwirksam: zwischen beiden liegt die gesamte menschliche Entwickelung ausgebreitet; dennoch klafft nichts, – ihre Vielheit schließt sich von Einheit zu Einheit, und Anfang und Ende umfassen einander darin. Denn auch religiöse Inbrunst existierte nicht ohne die sie tragende Ahnung, daß das Höchste, was wir träumen, aus unserm irdischesten Erdboden hervorkeimen kann. Deshalb verbindet der Religionskult der Vorzeit sich dem Sexualleben noch so viel länger und tiefer als den übrigen Lebensäußerungen, und selbst in den sogenannten Geistesreligionen (»Stifterreligionen«) überlebt dieser Zusammenhang stets noch irgendwo.

Allein religiöse und erotische Inbrunst laufen außerdem noch in einer besondern Art parallel, an der aller beider Wesen sich ziemlich weitgehend verdeutlicht: und zwar nach Seite ihrer gedanklichen Auslassungen.

Wie vom Erhabenen zum Lächerlichen nur ein Schritt ist, so könnte man, mit allem schuldigen Respekt und Staunen vor den Gedankenleistungen der großen Religiösen, finden, daß, der nüchternen Beobachtung der Wirklichkeit gegenüber, die Denkwelt im religiös Affizierten nach einer Richtung hin eine verhängnisvolle Ähnlichkeit aufweist mit den überschwänglichen Vorstellungen in der Phantasie des Liebenden: sowohl ihrer Schaffensmethode wie ihrem wunschhaften Inhalt nach. Mit dem, ihrem Gegenstand angemessenen, ungeheuren Unterschied allerdings in der Wertung davon: denn auch die feurigste Liebe verlangt und erwartet nicht vom unbeteiligten Blick aller, daß er nur mit ihren eigenen, den hellseherisch-blinden, Augen sehen soll, während der religiöse Glaube auf die überwältigende Wahrheit seines Gottesbildes für alle den vollen Nachdruck legt. Nicht etwa, wie man gern hört, aus purer engherziger Unduldsamkeit, sondern aus der innersten Nötigung und dem alleinigen Sinn seines Wesens selber. Und zwar ist es der Fall trotz des zweiten Unterschiedes: trotzdem er aus noch viel ungehemmterer Subjektivität die Umrisse seines Bildes entwirft. Wo der Liebestrieb doch immer noch mit seiner Illusionsbildung gefesselt bleibt an einen Gegenstand der Wirklichkeit, oder wo, im Künstlerschaffen etwa, auch noch die frei-erfundensten Gebilde zugleich doch einen Maßstab abgeben müssen ihrer eigenen Verwirklichung, – da projiziert der Religiöse seine Vorstellungen, ohne sie weder im Ursprung noch im Ziel positiv »bewahrheiten« zu müssen, mit unbehinderter Seelengewalt aus sich heraus und damit so, überlebensgroß wirkend, an alle Himmel.

Infolgedessen kehrt sich bei diesem Gefühlserfüllten, bei dem man es als am wenigsten angemessen empfindet, am allermeisten grade die theoretische Seite seiner Glaubensunterstellungen so stark in den Vordergrund, ganz besonders weithin sichtbar, ganz besonders anspruchsvoll. Seine verschiedenen Annahmen, unkorrigierbarer als irgendwelche andren, weil unassoziierbarer irgend etwas anderm, müssen sich zuletzt immer starrer ausbauen zu einer Welt völlig außerhalb aller übrigen Dinge.

Allein es liegt doch nur ein scheinbarer Widerspruch darin: um sich so souverän auszusprechen, muß das Religiöse seine Denkwelt freilich so von allem isolieren; – dennoch ist diese seine Souveränität selber doch nur ein Reflex jener Allseitigkeit und Ursprünglichkeit seiner praktischen Bedeutung für alles, wonach nichts ohne sie ist, und sie selber gleichsam mitwirkend in jedem, jegliches in der Tiefe begründend, in der Höhe des Erreichten krönend. Das scheinbar Widerspruchsvolle ergibt nichts, als nur die Tatsache, wie wenig Leben sich in seiner eignen Theoretisierung einfangen läßt, wie am allerschiefsten, allerverzeichnetsten es grade in dem Bilde herauskommen muß, dem es in seiner höchsten Lebendigkeit zu Modell gesessen hat. Der Glaube hat dafür die tiefsinnige Formel, daß Gott nur erkannt werden könne im unmittelbaren Erleben seiner selbst, und ein Wahrheitsgrad, wie er ihm etwa anderweitig zugesprochen würde, ihn um nichts »wahrer« für uns zu machen imstande sei. Ist im Grunde schon jegliches, was der Gedankenabtastung stillhält, eben insofern bereits dem Leblosen vergesellschaftet (wie am vollständigsten im wissenschaftlich sezierbaren Objekt), so wird das quellennaheste Leben am unerfaßbarsten durch die engsten Gedankenmaschen noch hindurchrinnen. Was immer wieder neu ist, neu da ist, muß alles Fixierte immer wieder hinter sich zurücklassen, es von sich selber sondernd: nicht nur, weil es ihm nur noch teilweise entspricht, sondern weil es von vornherein abgefallene Hülse, überlebte Schlacke, gleichsam Petrefakt schon im Entstehen ist.

Darum ist der Wahncharakter der Vorstellungen, wie beim Religiösen, so auch im Erotischen, an sich kein zu vertilgender Fehler dran, vielmehr ein Ausweis für den echten Lebenscharakter selbst. Nur daß der physisch bedingte Überschwang des Liebenden gewissermaßen dem vollen geistigen Erleben seine Bilder vorauswirft: bizarr, drollig, rührend, erhebend, eine nebelhaft flüchtige Widerspiegelung, – während der Fromme, äußerstes Geisteserleben formen wollend, in das minder Geistige zurückgreifen muß und dadurch immer das Ewig-Vergangene greift. Wahrlich, eine gewaltige, granitne Welt, von der ungeheuren Lebendigkeit der innern Anlässe in das tot Beharrende hinausgeschleudert! Und deshalb auch ein so dauerndes Obdach Denen, die in des Daseins Unbill nach Schirm und Schutz suchen. Denn dieser Doppelcharakter bleibt freilich aller Religion: daß sie ein anderes ist in der Glut des Erlebenden wie in der Bedürftigkeit der Für-wahr-haltenden, ein anderes als Flügel wie als Krücke.

Sich des Denkmoments im Ablauf ihrer Vorgänge enthalten, vermöchten Religion und Liebe so wenig, wie irgend etwas im Bereich unsres menschlichen Erlebens dessen entraten kann: denn nichts geschieht, was nicht Innenereignis wäre und Außensymbol zugleich. Doch die Formen dieser Symbole haben genau in dem Maße was zu besagen, als sie weniger prätendieren: am meisten also grade da, wo sie nicht beanspruchen, spontanste Ekstasen oder unanrührbare Allgültigkeit zu verkörpern, sondern im Gegenteil in möglichst vielfache, nachprüfbare Zusammenhänge untereinander treten, sich gegenseitig so stützend und bedingend, daß sie fast ohne merkliche innere Beteiligung unsrerseits fortwährend sich selbst bestätigen können, – oder, wie wir es zu nennen pflegen: die äußere Wirklichkeit darstellen.

Dies aber ist die große Lehre, die für das religiöse wie für das erotische Erleben daraus folgt: daß sein Weg hier umzubiegen hat in das Leben selbst zurück. Daß dem Lebendigen der andere Weg, der in die gedanklichen Bewahrheitungen und Bestätigungen, nach einer kurzen Zwischenstrecke verbaut ist, hoffnungslos zugerammelt, weil nur Leben das Leben voll widerspiegeln kann. Das bedeutet für das religiöse Verhalten schrankenloses Eingehen in alles was ist, – denn was gäbe es, das ihm nicht zum Thron und zum Schemel seiner Füße würde, wie das Weltall dem Gott! Für die Liebe bedeutet es ihre Erfüllung im Sozialen.


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