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Mutterschaft

Es ist interessant, daß im Weib, das meist den übertriebensten Idealisationen des Liebeslebens am geneigtesten ist, auch dieser Ansatz zum Sozialen am stärksten wirksam heraustritt. An der Mutterliebe, dafür gepriesen und, neuerdings, auch etwas dafür gering geschätzt, daß sie so ganz zwanghaft und wahllos liebe, ohne alle Vorbehalte bezüglich der Beschaffenheit ihres Gegenstandes, findet nämlich beides seinen Zusammenhang. Einerseits läßt allerdings Mutterliebe sich von keinerlei Wirklichkeit stören, beeinträchtigen in ihrem zärtlichen Gefühlsvorurteil, so, als sei ihr das kleine Geschöpf in der Tat nur eine Wunsch-Unterlage dafür. Andrerseits jedoch ist dies ja nur deshalb der Fall, weil Mutterliebe an sich selber gar nichts andres ist, als eine Art von Brutkraft, von weiter fortgesetzter Zeugung gleichsam; nichts als eine über den Keim gesenkte Wärme, eine seine Möglichkeiten verwirklichende Wärme, die ihn als ein Versprechen nimmt, – ein Versprechen, daß sie sich selbst mit ihm gibt! Um deswillen ist ihr Idealisieren so dicht und echt dem Schöpferischen verschwistert, wie es seiner ursprünglichsten und höchsten Bedeutung entspricht; um deswillen sind Taten und Gebete selbst in den kleinen Kosenamen noch, mit denen sie ihr Kind von einem Tag zum andern tiefer hinein in das Leben ruft.

Aus diesem Grunde redet auch schon dem Manne gegenüber bereits etwas andres aus ihrem Überschwang, als nur das Gehirnfeuerwerk unbeschäftigten Sexualüberschusses. Wie sie an ihrem Kinde mit allen sorglosen Verherrlichungen eigentlich nur die eine, die wundervolle Tatsache seines kleinen Lebens feiert, so steht hinter dem Strahlenmantel von Illusionen, die ihr den geliebten Mann zum Einzigen machen, auch immer zugleich das Menschenkind selber, das, wäre es so ungeschmückt und voller Fehl, nackt und bloß, wie es wolle, ihrem tiefsten Leben eingeboren ist. Mit allen Idealbildern, die sie, scheinbar so anspruchsvoll-demutvoll, ihm entgegenschickt, erschließt sie ihm doch nur die ungeheure Wärme, darin einmal gerastet zu haben die Ureinsamkeit des Einzelnen aufhebt, als ob er wieder vom Allmütterlichen umfangen würde, das ihn umfing, ehe er war.

Sie stellt ihn damit für Augenblicke gleichsam wie in den Weltmittelpunkt zurück, in jener Einzigkeit, die, jeglichem zu eigen, eben insofern für keinen einzigen berücksichtigt werden kann, und doch in jedem Geschöpf weiterlebt als das Gefühl, daß selbst dem Geringsten noch, richtig verstanden, allein eine Liebe: »von ganzem Herzen und aus allen Kräften« gerechterweise nur grade genug tun könne. Sie schafft ihm damit diese Art höherer Gerechtigkeit neben der sozial oder sachlich abwägenden, – niemanden verkürzend, weil es ihm nur gilt in ihrem Himmel, der andern nichts wäre als ein wenig Blau über dem Erdenrund.

Nicht nur niemanden verkürzend, sondern zum Menschen als solchem hinleitend dadurch, daß sie aus dem bloßen, etwas lächerlichen, erotischen Wahnbild ein anderes, ein menschlich tiefes Wahrbild aufzurichten weiß, geltend für alle. Bis alle Illusionen dran ihr selber letzten Endes nicht mehr bedeuten können, als kleine blitzende Springfontänen über einer großen, klaren Flut, daraus sie kamen, dahin sie gehen, und bis auch ihrer Frauenliebe noch Menschenliebe sich unterbreitet ohne Rückhalt oder Grenzen. So daß die Verbohrtheit in das Einzige, wie wenn mit solchem winzigen Bruchstäubchen das gesamte All eingeheimst und allem sonstigen unzugänglich gemacht worden sei, sich unmittelbar weitet im Gefühl, als ob auf eine neue Weise jegliches zu ihr rede mit der Stimme seines Lebens, – angefangen von dem, was dem Herzen Nachbar ist, bis zu dem letzten Tier auf dem Felde.

Diese Umdeutung der Affekte vollzieht sich immer unwillkürlicher durch den Verlauf der Elternschaft. Indem im Elterntum sich auch wieder die gleiche Tragik kundgibt, wonach die Geschöpfe, je differenzierter sie sind, desto gewisser, nur in Teilprozessen sich weitergeben können: denn wie im körperlichen Liebesakt nur punktuell eine Verschmelzung Zweier stattfindet, so auch im Kinde lediglich eine Übertragung dessen, was die Liebenden selber schon von den Voreltern übernommen. Der schwerste und kostbarste Erwerb, der persönlich errungene, bleibt außerhalb des Vorgangs stehen, und damit die Individualität in ihrer unwiederholbaren Ganzheit, des Lebens Lebendigstem: Verwalterin ist sie nur, eine bessere oder schlechtere, dem geschlechtlichen Erbstück. Wieder also öffnet sich auch hier der große ratlose Überschuß, der in keine Einheit mehr hinübergenommen wird, der nur hinterher, von innen her, auf eigene Faust und nach selbsterfundenen Methoden sozusagen, dem mangelhaften Tatbestand abzuhelfen, ihn zu ergänzen suchen muß.

Deshalb ist Mutterschaft ein lebenslänglicher Akt, nicht zu Ende mit der Versorgung der Brut des Tierweibchens, sondern ein Versuch, ihre Seele hinzugeben, wie sie den Körper gab. Und deshalb entwickeln sich dann von hier aus die animalen Instinkte zu noch weiterer Geistigkeit, gerade wie es in der sexuellen Liebe zwischen Mann und Weib geschieht: sie gelangen dazu, sich nicht nur selbst daran zu berauschen und zu feiern unter dem Vorwand eines andern, – des andern gleichsam als eines leibhaften Stückes von sich, – sondern in ihn, in sein Eigenleben einzugehn, als in das des wirklich »andern«. Nicht um im Kinde selber physisch fortzuleben, nicht einmal mehr um es psychisch zu prägen nach dem Selbstbildnis, gibt sich die Mutter endlich dem von ihr geborenen Menschenleben hin, – sie gewinnt zuletzt jene feinste und letzte Hingebung, die sich gern davon ihrerseits beschenken, bereichern, größer machen lassen möchte. Die ihm als einer Totalität, als einer unantastbaren Ganzheit für sich, Ehre erweist, als etwas, dem man sich nicht mehr einen kann, es sei denn grade infolge der ausgesprochenen Zweiheit, d. h. auf Grund eines ganz neuartigen Bündnisses. Die Krönung der Mutterschaft vollzieht sich erst in dieser bewußten Hinausstellung des Eigensten von sich, als eines Fremden für sich; – in einer letzten schmerzhaften Freiwilligkeit, einem höchsten Selbstloswerden daran, hat sie ihre Frucht erst ganz zur Welt geboren, hat sie von ihren Zweigen sinken lassen, und darf herbsten.

Allein dieser Herbst wandelt sich zum Beginn ungezählter Frühlinge für die daran erst ganz mütterlich Gewordene: sie dem Leben einend mit der Wärme dessen, der es nicht nur liebte, der es aus sich gebar, es vom Herzen lösend in seiner Vollwirklichkeit, und der es darum immer wieder neu, als Welt, an sich selber erlebt. Unter allen menschlichen Verhältnissen ist es darum nur die Mutterschaft, der es gestattet ist, eine Beziehung vom tiefsten Ursprungsquell bis zum letzten Höhepunkt voll zu verwirklichen: vom eignen Fleisch und Blut an bis zum fremden geistigen Selbst, das ihr wiederum zum Weltbeginn wird. Denn wie keine sonstige Beziehung diesen ursprünglichsten Ausgangspunkt haben kann, so kann auch keine sich in diesem Sinn vollenden: endet sie nicht gewaltsamen verfrühten Todes, so bleibt sie gewissermaßen ewig unterwegs, endlos, ziellos, worin der menschliche Begriff der »Treue« sich zusammenfaßt. Keiner totalen Einheit entsprungen, mündet sie auch nicht in die Möglichkeit immer erneuter Zweiheit, – in diese Vollständigkeit des Abschlusses, des Absterbens, die fast nur wie ein andrer Name ist für Neubeginn, Lebensaufschluß, Unsterblichkeit.


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