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Das Weib

Das Mütterliche ist nicht das einzige, woran sich offenbart, wie grade im Physiologischen des Weibes die Keime liegen zu dessen überlegenster Entwicklung über das bloß Erotische hinaus in das Menschlichallgemeinere. Ein zweiter Typus, worin ebenfalls im scheinbar übererotischen Charakter das höchste Liebessymbol gefeiert wird, ist festgehalten unter dem Bilde der Madonna. Wenn auch die Besitznahme der Jungfrau durch den Gott in Urzeiten, später zu den Machenschaften der Priesterhierarchie gehören mochte, so ist doch kein Zweifel, daß sie dem Bedürfnis entstammt ist, das Sexuelle dem religiös Sanktionierten zu unterstellen, – selbst, wo sich die orgiastischesten Kulte daran anschlossen, es als geheiligt über die Notdurft des einzelnen hinauszuheben. Allerdings erscheint diese uranfängliche Madonnenauffassung unserer heutigen Dirnenauffassung angenähert: der Hingabe ohne Wahl, selbst ohne Wollust noch, d. h. der Hingabe zu außererotischen Grundzwecken. Dirnen- und Madonnentypus ähneln sich darin ungefähr wie Fratze und Urbild, berühren sich im Extremen; was sie jedoch beide ermöglicht, ist schon das nämliche, was das Weib zum tragenden, zum Muttertier bestimmt: ihr Leib als Träger der Kindesfrucht, als Tempel des Gottes, als Tummelplatz und Vermietlokal der Geschlechtlichkeit, wird zum verkörperten Ausdruck, zum Sinnbild, jener Passivität, die sie gleicherweise befähigt, das Sexuelle zu degradieren wie zu verklären.

Wie aber im Mütterlichen das stärkste Passivwerden des Weibes in dessen äußerste Schaffenskraft sich verkehrt, so ließe sich nicht mit Unrecht auch der Madonnenbegriff in das aktiv Bedeutungsvollste vergeistigen. Denn nicht nur eine Negation bedeutet er, nicht nur die von Lüsternheit freie Frau, sondern die mit allen, auch außererotischen, Kräften dem Empfängniszweck Zugeweihte. Je tiefer ein Weib in der Liebe wurzelt, zu je Persönlicherm sie darin geworden ist, desto mehr verkehrt sich die passive Ausschaltung des bloß Genußmäßigen am Sexuellen in ein Tun, eine lebendige Erfüllung und Wirkung. Sinnlichkeit und Keuschheit, Erblühen und Sichheiligen fallen in eins zusammen: in jeder höchsten Stunde der Frau ist der Mann nur der Zimmermann Marias neben einem Gott. Man könnte sagen: insofern Mannesliebe so entgegengesetzt, aktiver und partieller und ihrer eignen Entlastung bedürftiger ist, läßt sie ihn innerhalb ihrer selbst weit hilfloser werden als das Weib, das, totaler und passiver liebend, in Leib und Seele nach Raumerfüllung drängt und einen ganzen Lebensinhalt zum Aufblühen, Aufglühen bringt, um ihn hineinzuwerfen. Charakteristisch wie es ist, daß es im Männlichen keinen Namen für Dirne gibt, für den rein passiven Sexualmißbrauch, so auch keinen für den Madonnentypus: für die positiv Geheiligte; der Mann kann »Heiliger« immer nur geschlechtlich negativ, im Sinn der Askese, sein.

Die größere Konzentrationskraft auf dem Liebesgebiet, diese zusammenhaltende Gesamtbeziehung auf ein Einziges, die der Mann eher auf andern Gebieten wettmacht, stellt das Weib sicherlich in einem Punkt von gewaltigstem Lebenswert oft hoch über ihn. Allein es ist doch notwendig, das richtig abzuschätzen als ein natürliches Produkt ihrer geringem Differenzierung. So könnte man z. B. finden, daß der Umstand allzu preisend betont wird, wie häufig ein weibliches Wesen grade deshalb ins Unglück stürze, weil selbst nach flüchtigem, sinnlichem Momentrausch die seelische Anhänglichkeit bei ihr nachfolge. Es ist aber doch nicht abzusehn, was sie ethisch vor dem leichtfertigen Mann dadurch voraushat, daß sie, hinterher den Schaden besehend, zu eignem Schrecken ihre Leichtfertigkeit verstrickt findet in allerlei tiefere Affekte. Man kann diese schwerere Löslichkeit der leiblich-geistigen Triebmasse sympathisch nennen, doch mit Unrecht setzt man es dem Mann ins Unrecht, nur, weil in einer Frau so vieles sich mit verführen ließ, was sie gar nicht mit gemeint hatte.

Daß Frauen sich um jeden Preis, mit allen Mitteln, weiter differenzieren möchten, und dabei doch Liebende non plus ultra bleiben, ja immer noch mehr werden, in Madonnen- und Mutterhoheit, das ist nicht ganz konsequent. Wohl aber wäre es denkbar, daß klare Erkenntnis sie der eigenen Leiblichkeit etwas anders gegenüberstellte als früher. Eine neue, feine Scham ließe sich denken, die nicht der leiblichen Hingegebenheit so prüde mehr gilt, wie die traditionelle Erziehung es zur zweiten Natur machte, sondern eher im Gegenteil grade deshalb zu jeder Selbstzucht sich erzieht, weil die physiologische Genußfreude seelischen Vorgängen Tür und Tor öffnen müßte: die Pforte zu dem innersten Selbst, das sich nicht preisgeben will, zu jenen kostbarsten Geschenken von Mensch zu Mensch, die, einmal vergeudet, sich nie wieder ganz zurücknehmen lassen, weil sie wir selber sind.

Wird im weiblichen erotischen Affekt so viel Psychisches sogar wider Willen in die Physis mit hineingerissen, so gewahrt man aus den gleichen Ursachen das entgegengesetzte Schauspiel bei geistigen Erkrankungen. In seinem Werk »Die sexuelle Frage« erörtert Forel diese Tatsache, daß die Sexualität, bei den Männern die niedern Hirnzentren affizierend, beim Weibe im Großhirn lokalisiert erscheine, »dem Sitz der Geistesstörungen«. »Wenn man, selbst in weiblicher Begleitung, durch die Männerabteilung der Irrenanstalt geht, ist man über die blöde Gleichgültigkeit und sexuelle Indifferenz fast aller geisteskranken Männer erstaunt«, sagt er, und von den Frauen: »selbst die sittsamsten und sexuell kühlsten Frauen können, wenn sie geistig erkranken, dem wildesten Erotismus verfallen, und zeitweilig sich wie Prostituierte aufführen.« So wird selbst das letzte Wort, selbst das geistiger Zerstörung, selbst das des tragisch ungewollt Dirnenhaften im Weibe, noch zur Bestätigung für das All-eine, das ihr die Liebe ist.

Das Wesenbestimmendere des Sexualcharakters für das Weib läßt die Entwicklung auch des gesundesten in einer gewissen Zickzacklinie schwanken zwischen dem Geschlechts- und individuellen Leben; sei es, daß Frauen und Mütter ihre individuellen Anlagen verkümmern fühlen, sei es, daß sie sie entwickeln müssen auf Kosten des Frauen- oder Muttertums. Trotz der vielen Rezepte, die in dem Punkt empfohlen werden, als handle es sich um eine aufhebbare Störung, gibt es nicht eine allgemeingültige Lösung für diesen Konflikt und kann es keine geben. Aber anstatt in ihm eine Tragik zu bejammern, die damit dem weiblichen Geschöpf anhafte, wäre es besser, des unendlich Lebendigen sich zu freuen, in das die Frau dadurch hineingestellt ist, indem sie ihre Entwicklung nicht in grader Linie abschreiten kann, sondern die Widersprüche ihrer Sachlage sich nur von Fall zu Fall, in höchst persönlicher Tat, schlichten lassen. Denn es ist etwas, was selbst dem kleinsten Frauenschicksal eine große Bedeutsamkeit zu geben vermag, daß es jedesmal von neuem sich so ursprünglich mit dem innern Leben auseinanderzusetzen hat und es bewältigen muß in eigenster Initiative, und nichts Geringeres ist es, als was der Mann in seinen Kämpfen mit dem Dasein »draußen« ausgefochten hat, von den Zeiten der Urwildnis an. Ist er darum, auch jetzt noch, nur gerecht zu beurteilen im Zusammenhang mit seinen Außenleistungen, so liegt für das Weib alles in dem Einen beschlossen, wie sie das Daseinsrätsel in sich selbst zum Austrag brachte, und dies ist der Grund, warum Anmut auch noch im höchsten Sinn das Wertmaß ihr gegenüber bleibt, wie es schon ihre leibliche, natürliche Bewertung bildet. Daß »ethisch« und »schön« auf eine feine Weise das Gleiche bedeuten können, wie »geheiligt« und »sexuell«: darin drückt sich Vorrecht wie Grenze des weiblichen Geschlechts für immer aus.

Fast als Entgelt für solche einseitig-allseitig getragene Geschlechtsbetonung, Überbetonung, sollte es wirken, wenn früher als beim Mann in dem Weibe die Sexualität im physiologischen Sinn außer Tätigkeit tritt: wenn vor dem Eintritt in eigentliches Greisenalter dies ein Sich-Ausblühn all dessen gewährt, was das Leben an Liebe zu köstlichem Wachstum großgezogen hat. Denn – anders wiederum als beim Mann – kennzeichnet es auch hier nicht ein Negatives nur, nicht den Mangel gegenüber Neu-Ausgaben, sondern der Wert gesammelter Einnahmen gelangt daran zu seiner Sichtbarkeit, – hat sich mit seiner Fülle erst dran auszuweisen, gleich einem Hamsterbau vor beginnendem Winter. So liegt eine feinste Liebesnachwirkung grade über diesem Reinmenschlichsten, Geschlechtslosesten des Weibtums noch, etwas, worin des Daseins Inhalt zu so feierlicher Ganzheit sich abrunden soll, wie sie nur dem Blick von Kind und Greis sich auftun könnte, würde er nicht durch Unreife oder Tod beirrt. Ähnlich wie nur in der Mutterschaft eine menschliche Beziehung voll, in ihrer Ganzheit, ausgelebt werden kann und eben deshalb in ewig-neuem Beginn, so gilt dies dadurch dem Weibe auch vom Leben selbst, in einer dem Mann unwiederholbaren Weise. Und um so mehr gilt es, um so größer ist ein Weib als Weib, in je größern Dimensionen ihr dies möglich ist, – je breitere Möglichkeiten, je stärkere Kräfte sie darin umgriff, ihrem Gesamtwesen organisch einzugliedern wußte, wie fern sie ihr als Weib auch gelegen haben, wie entgegengesetzt sie ihr gewesen sein mochten. Nie und nirgends in Einzelzügen oder Sonderrichtungen, mag man sie dem Inhalt nach noch so laut als spezifisch »weiblich« ausrufen, unterscheidet sie sich vom Manneswesen: lediglich in dieser Aufeinanderbeziehung ihrer aller zum Lebensinbegriff.

Hierauf beruht wohl die Hoffnungslosigkeit und Endlosigkeit von Diskussionen, in denen, ziemlich gleichberechtigt, bald die ganze Schärfe des Weibgegensatzes zum Mann geltend gemacht wird, bald grade die Überwindung davon als Fortschritt gepriesen; in denen dem Weibe hintereinander so ziemlich alle Eigenschaften, die es gibt, zu- und abgesprochen werden, so daß sie, immer mit ungefähr gleichem Recht, als Leichtsinn und Ernst, Tollheit und Nüchternheit, Unruhe und Harmonie, Laune und Tiefsinn, Klugheit und Dummheit, Zartheit und Derbheit, Erdgeist und Engel, darin auftritt. Denn in der Tat, unter den Weibbegriff fallen, aufs einzelne besehn, ohne weiteres die unvereinbarsten Eigenschaften, – das Weib ist immer der Widerspruch selber: insofern, ihrem schöpferischen Tun nach, das Lebendige selber in ihr an seinem Werke ist.


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