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16. Kapitel.
Der Triumph der Würger

Die unterirdischen Gänge von Raimangal, die von den Anhängern Kalis bewohnt wurden, dehnten sich weit aus, vielleicht mehr, als die berühmten Gewölbe von Mavalipuran und Ellora.

Endlose Gänge durchfurchten das Erdreich nach allen Richtungen. Einige waren so flach, daß ein Mensch nicht aufrecht stehen konnte, andere hoch und breit, einige gerade, andere gewunden und stiegen langsam an, bis sie die sumpfige Erdoberfläche berührten, oder senkten sich in die Tiefen der Erde.

Tremal-Naik hatte sich nach dem Anschlag unter das dunkle Gewölbe der ersten Galerie gestürzt, die er vorfand, gefolgt von Kammamurri und dem Tiger.

Er wußte nicht, wo er hinkommen würde, aber er stürzte vorwärts, ohne darüber nachzudenken.

Ihm genügte, zu fliehen, zwischen sich und die Würger eine möglichst große Entfernung zu bringen, bevor sie sich von dem Schrecken erholten, den das unverhoffte Vorstürzen des Tigers hervorrief und die Jagd auf ihn begannen. In seinen Armen hielt er das junge, ohnmächtige Mädchen.

Zehn Minuten lief er so, als er heftig gegen eine Wand stieß, die den Weg versperrte. Der Anstoß war so stark, daß er zu Boden stürzte.

Er erhob sich sofort, immer das junge Mädchen zwischen den Armen, und prallte gegen Kammamurri, der sich fast den Schädel an der Wand eingerannt hätte.

»Der Weg ist versperrt!« rief Tremal-Naik, einen wilden Blick um sich werfend.

»Machen wir halt, Herr.«

Tremal-Naik wollte eben antworten, als sie in der Ferne ein wütendes Geschrei hörten. Er tat einen Schritt zurück und stieß einen verzweifelten Wutschrei aus.

»Die Thugs!«

Er wandte sich zur Rechten und nahm den Lauf wieder auf, aber nach zehn Schritten stieß er abermals an. Die Haare standen ihm zu Berge.

»Verdammt!« donnerte er. »Sind wir also eingeschlossen?«

Er bog links ab und rannte gegen eine dritte Wand. Der Tiger, der gegen die Felswand prallte, ließ ein Knurren hören, das bald zu einem gewaltigen Gebrüll anschwoll.

Tremal-Naik wandte sich um. Er hegte einen Augenblick den Gedanken, umzukehren, um eine andere Galerie zu suchen, aber die Furcht, sich unverhofft vor den Würgern zu befinden, hielt ihn.

Wenn er allein gewesen wäre, hätte er nicht gezögert, sich mitten in die Bande zu stürzen, die ihn in der Grotte einschließen wollte, wenn er auch überzeugt war, in dem ungleichen Kampfe verwundet zu werden.

Aber der Gedanke, das Leben aufs Spiel zu setzen, jetzt, wo er die, die er liebte, dem Tode entrissen hatte, jetzt sie dieser Gefahr auszusetzen, wo er sein Ziel fast erreicht hatte, schreckte ihn zurück.

Und doch mußte er um jeden Preis aus dieser Höhle herauskommen, die in kurzer Zeit seine Gruft werden konnte.

Er spähte und lauschte unter der Galerie, ging einige Schritte zurück und legte das junge Mädchen sanft auf den Boden. Er riß seine Pistolen aus dem Gürtel und lud sie.

»Darma!« sagte er.

Der Tiger näherte sich.

»Bleib bei diesem Mädchen,« befahl Tremal-Naik. »Rühr dich nicht von der Stelle, bevor ich dich nicht rufe. Wenn sich jemand nähert, zerfleische ihn ohne Erbarmen.«

»Was willst du tun, Herr?« fragte Kammamurri.

»Wir müssen weg von hier,« sagte Tremal-Naik. »Suchen wir einen Gang, der uns ein sicheres Versteck bietet. Komm, Kammamurri.«

»Und wenn wir die Thugs treffen?«

»Dann ziehen wir uns zurück und geben Feuer.«

Die beiden Indier traten in die Galerie. Tremal-Naik unterdrückte einen Seufzer und ging vor, indem er auf den Zehen lief und mit einer Hand nach der linken Wand tastete. Kammamurri hielt sich fünf Schritte zurück an der rechten Mauer. Einige Minuten rückten sie so vor, dann machten beide halt. Unten, in der Galerie, ließ sich ein schwaches Geräusch vernehmen. Man hätte meinen können, daß eine oder mehrere Personen, wie Schlangen schleichend, herankamen.

Tremal-Naik zitterte vom Kopf bis zu den Füßen und drehte sich nach der Grotte um. Die Augen des Tigers leuchteten nicht mehr. Eine lebhafte Unruhe bemächtigte sich seiner. Er packte Kammamurris Hand und drückte sie heftig.

»Nichts?« murmelte eine Stimme.

»Nein,« antwortete kaum hörbar eine andere.

»Haben wir den Weg verfehlt?«

»Ich fürchte es.«

»Weißt du, wo wir uns befinden?«

»Ich glaube, ja.«

»Sind Ausgänge hier?«

»Ich weiß nichts davon.«

»Verstecke?«

»Ein Brunnenschacht, wenn ich mich recht erinnere.«

»Ob sie dort unten sind?«

»Das kann man nicht wissen.«

»Willst du mir folgen?«

»Umkehren wäre mir lieber.«

»Wer folgt uns?«

»Niemand, aber dreihundert Schritte von hier, an der Ecke, haben wir Brüder.«

»Sie können also von hier nicht ins Freie gelangen?«

»Nein, denn unsere Brüder wachen.«

»Kehren wir um und durchsuchen später die Höhlen.«

Man hörte ein leichtes Rauschen, das immer leiser wurde und endlich verstummte.

Tremal-Naik packte abermals Kammamurris Hand. »Hast du gehört? Jeder Ausgang ist gesperrt.«

»Das beste, wir kehren um, Herr.«

»Später werden sie aber wiederkommen und uns entdecken.«

»Und wenn wir in den Brunnen stiegen? Vielleicht hat der einen Ausgang ins Freie. Laß uns umkehren, Herr.«

Tremal-Naik ließ sich das nicht zweimal sagen. Er tastete nach der Mauer, ging an ihr entlang und kam wieder zur Grotte. Der Tiger knurrte leise.

»Ruhig, Darma,« sagte er.

Er näherte sich dem Mädchen und legte ihm die Hand aufs Herz. Ein tiefer Seufzer entfloh seinen Lippen.

»Es wird nicht schlimm sein,« sagte er. »Sie kommt wieder zu sich.«

»Glaubst du, Herr?« fragte Kammamurri.

»Ja, in wenigen Minuten. Auf, suchen wir den Brunnen, Kammamurri.«

»Überlaß das mir, Herr. Denke du an deine Ada und verwehre jedem den Eintritt in die Grotte!«

Er begann zu suchen, ging nach rechts und links, suchte oben und unten und kam wieder. Viermal untersuchte er die Mauer, ohne etwas zu finden, und viermal kehrte er zu seinem Herrn zurück. Schon zweifelte er daran, den Brunnen ausfindig zu machen, als er sich vor einer Wand befand, die sich seiner Ansicht nach mitten in der Grotte erhob.

»Das muß der Brunnen sein,« murmelte er.

Er betastete mit den Händen die Mauer und fühlte, daß diese sich nach etwa zwei Metern bog. Er ging rundum, schwang sich auf die Biegung, die nach oben zu offen war, und schaute hinunter. Er sah nichts in der Finsternis.

Er nahm eine Karabinerkugel und ließ sie fallen. Nach zwei Sekunden hörte er ein dumpfes Geräusch.

»Gut, der Brunnen ist nicht tief und hat kein Wasser. »Herr!« rief er.

Tremal-Naik hob das Mädchen vorsichtig auf und kam zu ihm.

»Nun?« fragte er.

»Das Glück ist mit uns. Wir können hinabsteigen.«

»Ist eine Treppe da?«

»Ich glaube nicht. Ich werde zuerst hinuntersteigen.«

Er band sich einen Strick, den er bei sich hatte, um den Leib, gab das Ende Tremal-Naik in die Hand und rutschte an der Mauer entlang in den Brunnen. Der Abstieg dauerte höchstens eine viertel Minute. Kammamurri befand sich auf glattem Boden.

»Achtung, Herr,« sagte er.

»Hörst du nichts?« fragte Tremal-Naik, indem er sich über die Öffnung bog.

»Ich sehe und höre nichts. Reiche mir das Mädchen und springe dann herunter! Es sind nicht mehr als acht Fuß.«

Tremal-Naik reichte Kammamurri das Mädchen, das unter den Achseln festgebunden war, dann sprang er hinunter, indem er das Seil in der Hand hielt.

»Glaubst du, daß sie uns hier finden werden?« fragte der Maharatt.

»Vielleicht, die Verteidigung wird aber leicht sein.«

»Ob hier Ausgänge sind?«

»Ich glaube kaum, jedenfalls können wir uns aber später davon überzeugen. Du bleibst mit dem Tiger hier; ich zünde eine Wachsfackel an, die ich bei mir habe, und versuche, Ada zu sich zu bringen.«

Er nahm das Mädchen und trug es einige Schritte weiter weg, während der Tiger mit einem mächtigen Sprunge in den Brunnen sprang und sich neben dem Maharatt niederlegte.

Dann zog er sein weites Obergewand aus, legte es auf den Boden, hob das Mädchen darauf und kniete neben ihr nieder. Dann brannte er eine kleine harzige Fackel an.

Ein bläuliches Licht erleuchtete den unterirdischen Brunnen. Dieser war sehr geräumig und hatte Steinwände, die hier und da gesprungen waren. An der Decke waren Elefantenköpfe und indische Götter angebracht, und in der Mitte, nach der Öffnung des Brunnens zu, lief sie in eine Spitze aus, wie ein mächtiger, umgekehrter Trichter.

Tremal-Naik, äußerst erregt, blaß und zitternd, bog sich über das Mädchen und lockerte den Goldpanzer, dessen Diamanten im Lichte sprühten. Sie war eisig kalt und leichenblaß. Man hätte meinen können, daß sie tot wäre.

Tremal-Naik strich sanft die langen schwarzen Haare aus der schneeweißen Stirn und betrachtete sie einige Augenblicke. Dann legte er die Hand auf ihre Stirn, und bei dieser Berührung stieß das Mädchen einen leichten Seufzer aus.

»Ada! – Ada!« rief der Indier.

Der Kopf des Mädchens, der an eine Schulter gelehnt war, erhob sich langsam, dann öffneten sich die Augenlider, und ihr Blick fiel auf Tremal-Naik. Ein Schrei entfloh ihren Lippen.

»Erkennst du mich, Ada?« fragte Tremal-Naik.

»Du – du hier, Tremal-Naik!« rief das Mädchen heiser. »Nein – nein, das ist nicht möglich – Gott gebe, daß es kein Traum ist!«

»Ja, Ada, ich bin es, zur rechten Zeit gekommen, um dich zu retten.«

Sie erhob ihr in Tränen gebadetes Antlitz. Ihre Händchen drückten innig die des tapferen Indiers.

»Nein, es ist kein Traum!« rief sie lachend und weinend zu gleicher Zeit. »Ja, du bist es, wirklich du! – Aber wo bin ich? – Warum diese feuchten Wände? – Warum jene Fackel?

– Ich habe Furcht, Tremal-Naik.«

»Du bist bei mir, Ada, sicher vor den Feinden. Hab keine Angst, denn ich verteidige dich.«

Sie schaute ihn einige Zeit seltsam an, dann wurde sie leichenblaß und zitterte an allen Gliedern.

»Habe ich geträumt?« murmelte sie.

»Du hast nicht geträumt,« sagte Tremal-Naik, der ihre Gedanken erriet. »Sie wollten dich eben ihrer furchtbaren Göttin opfern.«

»Mich opfern – ja, ja, ich erinnere mich. Sie hatten mich betäubt, mir Glückseligkeit in Kalis Paradies versprochen – ja, ich erinnere mich, sie schleiften mich durch die Gänge – betäubten mich mit ihrem Geschrei – Feuer brannte vor mir – wollten mich eben in die Flammen werfen – furchtbar! – Ich fürchte mich! – ich fürchte mich, Tremal-Naik!«

»Zittere nicht, du bist bei mir, bei dem Schlangenjäger, der nie Furcht hatte, verteidigt vom starken Arme Kammamurris und von den Krallen des treuen Darma.«

»Nein, an deiner Seite werde ich keine Angst haben, tapferer Tremal-Naik. Aber wie kamst du zu rechter Zeit, um mich zu retten? Ich glaubte, die Elenden hätten dich getötet, und jede Hoffnung, dich wiederzusehen, dich, der du mir die Rettung versprochen, hatte ich verloren.«

»Und ich, glaubst du, ich habe nicht gelitten in meiner Dschungel, weit von dir? Glaubst du, ich habe keine Qualen ausgestanden, während ich, vom Dolche der Mörder in der Brust getroffen, unfähig in meiner Hängematte lag?«

»Wie? – Gestochen haben sie dich?«

»Ja, aber jetzt trage ich nur noch die Narbe davon.«

»Und trotzdem bist du wieder auf diese verwünschte Insel gekommen?«

»Ja, Ada. Ein Elender gestand mir, daß du Gefahr liefst, der Gottheit jener Menschen geopfert zu werden. Konnte ich da in der schwarzen Dschungel bleiben. Ich machte mich auf, fand den Tempel und warf mich mitten unter die Bande. Kaum hatte ich mich ihren Klauen entrissen, entfloh ich und verbarg mich hier mit meinen Gefährten.«

»Wir sind also nicht allein?«

»Nein, der tapfere Kammamurri und Darma sind bei uns.«

»Oh! die will ich sehen, deine Gefährten.«

»Kammamurri! Darma!«

Der Maharatt und der Tiger kamen herbei.

»Da ist Kammamurri,« sagte Tremal-Naik, »ein wirklicher Held.«

Der Maharatt fiel dem Mädchen zu Füßen und küßte die Hand, die sie ihm entgegenstreckte.

»Dank, mein guter Freund,« sagte sie.

»Herrin,« sagte Kammamurri, »ich bin dein Sklave. Ich werde glücklich sein, mein Leben für deine Freiheit zu verlieren und –«

Er hielt plötzlich inne und sprang auf die Füße. Ein fernes Geräusch ließ sich plötzlich vernehmen, das rasch näherkam.

»Kommen sie?« fragte Tremal-Naik, der mit der Linken Adas Hand drückte und mit der Rechten eine Pistole packte.

Der Tiger knurrte leise.

Das Geräusch kam immer näher. Dann ging es über ihre Köpfe, indem es die Decke des Brunnens erschütterte. Plötzlich verstummte alles.

»Herr,« murmelte Kammamurri, »löscht das Licht aus!«

Tremal-Naik gehorchte, und alle vier vergruben sich in die Finsternis.

Dasselbe Getöse wiederholte sich, ging über ihre Köpfe und verstummte plötzlich, wie vordem.

Ada zitterte so stark, daß es der Indier bemerkte.

»Was ist das nur?« fragte Kammamurri.

»Dieses Geräusch habe ich schon gehört,« antwortete das Mädchen leise. »Ich habe aber nie erfahren, was es zu bedeuten habe, noch wie es entsteht.«

Der Tiger knurrte abermals und starrte nach der Öffnung des Brunnens.

»Kammamurri,« sagte Tremal-Naik, »irgend jemand nähert sich. Bleib bei Ada! Ich will nachsehen, ob sie herunterkommen.«

Das Mädchen klammerte sich an ihn und zitterte vor Furcht. Er befreite sich aus ihren Armen und näherte sich mit geladenem Karabiner und dem Messer zwischen den Zähnen der Brunnenöffnung. Der Tiger folgte ihm knurrend.

Er hatte noch keine zehn Schritte getan, als er oben ein leichtes Geknister hörte. Er legte seine Hand auf Darmas Kopf, um den Tiger zu beruhigen, näherte sich mit größter Vorsicht und blieb unter der Brunnenöffnung stehen.

Er schaute hinauf, aber die Finsternis war zu dicht, um etwas unterscheiden zu können. Er lauschte scharf und hörte ein leichtes Geflüster. Einige Personen schienen am Mauervorsprung zu reden.

»Sind sie da,« murmelte jemand. »Achtung, Suyodhana.«

Ein Lichtschein leuchtete auf. Tremal-Naik sah sechs oder sieben Indier an der Brunnenöffnung kauern. Er legte schnell den Karabiner an und richtete ihn nach der Öffnung, vor der er stand.

»Sie sind hier unten,« sagte eine Stimme.

»Ich habe unseren Mann entdeckt,« versetzte eine andere.

Tremal-Naik drückte ab. Der Knall wurde von einem furchtbaren Schrei übertönt.

Ein Prasseln ertönte über der Öffnung, dann hörte plötzlich jedes Geräusch auf.

Tremal-Naik feuerte eine Pistole ab. Ein Wutschrei entfuhr ihm.

»Ah, die Elenden!« schrie er.

Kammamurri und Ada sprangen zu ihm.

»Tremal-Naik!« rief das Mädchen, indem sie ihn bei der Hand nahm. »Bist du verwundet?«

»Nein, Ada, verwundet bin ich nicht,« antwortete der Indier, indem er sich zwang, ruhig zu scheinen.

»Jenes Geprassel?«

»Sie haben die Öffnung verschlossen, aber wir werden hinauskommen, meine Ada, ich verspreche dir's.«

Er brannte die Fackel an, trug das Mädchen weiter fort und setzte sie auf sein Gewand.

»Du bist müde,« sagte er sanft. »Versuch, ein wenig zu ruhen, während wir einen Ausgang suchen. Solange wir hier sind, bedroht dich keine Gefahr.«

Das junge Mädchen wickelte sich in das Tuch. Tremal-Naik und der Maharatt betasteten die Wände und untersuchten sie genau, ob sie nicht irgendwo einen Ausweg finden könnten, der die Flucht gestattete.

Seltsam, unverständlich; jenseits der Mauer hörte man von Zeit zu Zeit ein dumpfes Geräusch, das wie das frühere klang. Der Tiger knurrte.

Seit einer halben Stunde suchten sie und bohrten mit dem Messer in den Felsen, als sie merkten, daß die Temperatur der Grotte sich änderte und wärmer wurde. Tremal-Naik und der Maharatt schwitzten, als wenn sie in einem Ofen wären.

»Was bedeutet das?« fragte sich der Schlangenjäger unruhig.

Eine weitere halbe Stunde verging, die Hitze wurde unerträglich.

»Wollen sie uns vielleicht braten?« fragte der Maharatt.

»Ich verstehe nichts mehr,« antwortete Tremal-Naik und zog das »Dubgah« aus.

Sie nahmen ihre Untersuchung wieder auf, konnten aber keinen Ausweg aus der Grotte finden. In einer Ecke jedoch klang der Felsen hohl. Man konnte mit den Messern arbeiten und ein Loch graben.

Die beiden Indier kehrten zu Ada zurück; sie schlief. Sie berieten sich kurz, was zu machen sei, und entschieden sich, sofort zur Befreiung zu schreiten.

Sie packten die Messer und bearbeiteten tapfer die Felswand. Bald mußten sie jedoch davon abstehen. Die Temperatur wurde glühend.

»Sollen wir in dieser Höhle sterben?« fragte sich Tremal-Naik, indem er einen verzweifelten Blick auf die Felswand warf, die zu glühen begann.

In diesem Augenblick ließ sich ein geheimnisvolles Gemurmel über ihren Köpfen vernehmen. Ein großes Felsstück brach aus der Decke los und stürzte krachend zu Boden. Kurz nach dem Krache brauste ein starker Wasserstrahl herunter.

»Wir sind gerettet!« rief Kammamurri.

»Tremal-Naik!« murmelte das Mädchen, das von dem Geprassel aufgewacht war.

Der Indier eilte zu ihr.

»Was wünschst du?« fragte er.

»Ich ersticke. Was ist das für eine furchtbare Wärme? Einen Schluck Wasser, Tremal-Naik, gib mir einen Schluck Wasser!«

Der Schlangenjäger hob sie auf seine kräftigen Arme und trug sie an den Wasserfall, wo der Maharatt und der Tiger in langen Zügen tranken.

Er legte beide Hände aneinander, füllte die so entstandene Höhlung mit Wasser und legte sie an Adas Lippen.

»Trink, Ada, es ist für alle da.«

Er gab ihr einige Male zu trinken, dann stillte auch er seinen Durst.

Plötzlich stieß der Tiger ein rauhes Knurren aus, stürzte zu Boden und schlug wütend um sich. Kammamurri lief erschrocken zu ihm, aber auch er brach zusammen, verdrehte die Augen und krampfte die Hände. Blutiger Schaum bedeckte seine Lippen.

»He – – rr!« stammelte er, halb erstickt.

»Kammamurri!« schrie Tremal-Naik. »Großer Siwa! – Ada! – Oh, meine Ada!«

Das Mädchen verdrehte wie Kammamurri und der Tiger die Augen, sie hob die Hände und versuchte, sich am Halse des Indiers anzuklammern, öffnete die Lippen zum Sprechen, dann schloß sie die Augen und streckte die Arme von sich. Tremal-Naik hielt sie und rief markerschütternd:

»Ada! – Hilfe! – Hilfe!«

Das war sein letzter Schrei. Ihm wurde schwarz vor den Augen, ein Zittern durchlief seinen Körper, er schwankte, raffte sich wieder auf, dann stürzte er wie vom Blitze getroffen auf die glühenden Steine der Grotte, indem er Ada mit sich schleifte.

Fast in demselben Moment brauste ein Getöse über dem Brunnen, eine Schar Indier stürzte in die Grotte und warf sich über die vier.


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