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15. Kapitel.
Im unterirdischen Tempel

Nachdem sie, ohne Alarm erweckt zu haben, abgestiegen waren, handelte es sich darum, den großen Tempel der Göttin Kali zu suchen, unverhofft die Bande zu überfallen und das Opfer zu rauben, indem sie sich die Verwirrung zunutze machten, die das Erscheinen des Tigers hervorrufen mußte.

Doch es war nicht leicht, sich in der tiefen Dunkelheit in den unterirdischen Gängen zurechtzufinden. Weder Tremal-Naik noch Kammamurri kannten den Weg, noch wußten sie, wo der Tempel lag.

Mit den Händen an der Wand begannen sie einer hinter dem anderen vorzugehen, indem sie mit den Füßen den Boden untersuchten, um in keine Versenkung zu fallen. Dazu wußten sie nicht, ob sie in dem tiefen Schweigen allein waren oder ob nicht irgendeine Wache in der Nähe war.

Bald fanden sie eine weite Öffnung, eine Art Tür, an deren Schwelle sie stehenblieben und lauschten.

»Hörst du kein Geräusch?« fragte Tremal-Naik leise seinen Gefährten.

»Nichts, Herr, außer dem Donner.«

»Das ist ein Zeichen, daß die Marter noch nicht begonnen hat.«

»Ich glaube auch, Herr. Die Indier üben den ›Onugonum‹ Die Feier der Frauenverbrennung. mit großem Tumulte aus.«

»Glaubst du, daß wir den Tempel erreichen werden?«

»Warum nicht?«

Tremal-Naik setzte seinen Fuß auf eine schlüpfrige Stufe und begann mit vorgestreckten Händen den Abstieg, um gegen kein Hindernis zu stoßen. Nachdem er zehn Stufen hinabgestiegen war, fand er die Ebene einer Galerie, die sich leicht senkte.

Je weiter er vorschritt, desto heftiger wurde seine Erregung. Er hörte das Blut in den Ohren rauschen, das Herz schlug immer stärker. Es gab Augenblicke, wo er Stimmen in der Ferne zu hören glaubte, markerschütternde Schreie, wie von gemarterten Menschen. Es schienen Lichter, Flammen, sogar Schatten vor ihm aufzutauchen, die sich vor ihm bewegten und in der Finsternis schwebten.

Jede Vorsicht hatte er außer acht gelassen und lief eilig, sprungartig, mit geballten Fäusten, aufgerissenen Augen, im Banne einer Art von Fieber. Er hörte nicht einmal Kammamurris Stimme, der ihn anflehte, sich zu beherrschen. Zum Glücke übertönte das Krachen des Donners, das fortgesetzt in jenem Gewölbe widerhallte, das Geräusch der Schritte.

Da stieß der Schlangenjäger unerwartet gegen einen zugespitzten Gegenstand, der ihm das Gewand durchbohrte und das Fleisch berührte. Sofort hielt er an und ging einen Schritt zurück.

»Wer da?« fragte er mit durchdringender Stimme, indem er das Messer zog und erhob.

»Was hast du bemerkt?« fragte der Maharatt, der sich vorbereitete, mit Darma loszustürzen.

»Jemand ist in unserer Nähe, Kammamurri. Sei auf der Hut.«

»Hast du Schatten gesehen?«

»Nein, von einer Lanze wurde ich gestochen. Die Spitze berührte meine Brust, fast hätte sie mich verwundet.«

»Kehren wir um?«

»Nie. Mitternacht ist nahe. Vorwärts, Kammamurri.«

Er wollte eben vorgehen, als er dieselbe scharfe Spitze fühlte, die ihm diesmal ins Fleisch drang. Er stieß eine Verwünschung aus, streckte die rechte Hand vor und packte eine Art Lanze, die horizontal in der Höhe seiner Brust stand.

Er versuchte, sie an sich zu ziehen, aber sie widerstand. Ein Ausruf der Überraschung entschlüpfte ihm.

»Was bedeutet das?« murmelte er.

»Nun, Herr?« fragte Kammamurri. »Was ist's für ein Hindernis?«

»Eine unbewegliche Lanze, vielleicht in der Mauer befestigt. Gehen wir vor.«

Er wandte sich zur Rechten und traf nach einigen Schritten eine zweite Lanze, ebenfalls unbeweglich. Seine Überraschung stieg aufs höchste.

»Vielleicht ein Verteidigungswerk,« dachte er, »oder irgendein Marterinstrument. Biegen wir links ab. Ein Weg wird sich schon finden, um vorzudringen.«

Er ging ein Stück vor, dann stieß er mit dem Kopf an das tiefe Gewölbe und stand mit den Füßen auf einer Stufe. Vier oder fünf stieg er hinab, dann hielt er an. Seine Hand traf sich mit der Kammamurris und drückte sie heftig.

»Hörst du, Herr?« fragte der Maharatt.

»Ja, ich höre es,« antwortete Tremal-Naik leise.

»Was ist das für ein Murmeln?«

»Ich weiß nicht. Schweig und lausche!«

Sie horchten, indem sie den Atem zurückhielten. Es war seltsam; über ihren Köpfen hörten sie eine Art Gurgeln, das das Echo der Galerie wiederholte.

Einen Augenblick danach leuchtete unter dem Gewölbe ein zarter Feuerschein, der fast sofort erlosch. Ein dumpfer Schall folgte.

Kammamurri und Tremal-Naik wurden von lebhafter Unruhe ergriffen und packten die Pistolen.

Es vergingen einige Minuten, dann blitzte der Feuerschein wieder auf und abermals jener geheimnisvolle Knall.

»Verstehst du das?« fragte der Maharatt.

»Ich glaube ja,« antwortete Tremal-Naik. »Dieses Rauschen deutet auf Vorhandensein von Wasser. Vielleicht fließt ein Fluß zu unseren Häupten.«

»Und jener Schein, der aufleuchtet und verschwindet?«

»Vielleicht eine Linse von Glas oder Quarz. Das Leuchten wird durch die Blitze verursacht, und der Knall kommt von draußen.«

»Glaubst du, Herr?«

»Mag es wahr sein oder nicht, keinen Schritt mache ich zurück. Mitternacht ist nahe.«

Sie nahmen den Marsch in der kalten, feuchten Finsternis wieder auf und drangen aufs Geratewohl weiter vor, immer von dem Tiger gefolgt, der noch kein Zeichen von Unruhe gab.

So vergingen noch zehn Minuten, langsam wie zehn Stunden. Schon glaubten die Indier, auf falscher Fährte zu sein und wollten umkehren, als sie plötzlich eine große Flamme inmitten der Galerie sahen. Tremal-Naik gewahrte daneben einen halbnackten Indier, der gegen eine Art Spieß lehnte, der die geheimnisvolle Schlange trug. Ein Freudenseufzer kam über seine Lippen.

»Endlich,« murmelte er. »Ich glaubte schon, mich in der unbewohnten Höhle verlaufen zu haben. Achtung, Kammamurri.«

»Ist der Feind in Sicht?«

»Ja, ein Indier ist dort, er wird uns den Weg vertreten, und wir werden ihn töten.«

Er beugte sich zu dem Tiger herab, der schon Zähne und Pranken zeigte.

»Schau den Menschen an, Darma,« sagte Tremal-Naik.

Der Tiger stieß ein dumpfes Knurren aus.

»Geh und zerreiß ihn!«

Darma sah seinen Herrn an, dann den Indier. Er hatte den Schlangenjäger verstanden.

Er duckte sich, daß er mit dem Leib den Boden berührte, blickte nochmals zu Tremal-Naik, der auf den Indier deutete, und entfernte sich lautlos, indem er leicht mit dem Schwanze wedelte, wie eine Katze im Zorn. Der Indier hatte nichts gehört, noch gesehen, da er dem Feuer den Rücken kehrte. Man hätte meinen können, daß er, an die Lanze angelehnt, eingeschlafen wäre.

Tremal-Naik und der Maharatt folgten, mit dem Karabiner in der Hand, den Bewegungen Darmas, der funkelnden Auges sein Opfer maß und sich vorsichtig heranschlich. Ihre Herzen schlugen heftig. Ein Schrei des Indiers genügte, das kühne Unternehmen zu vereiteln.

»Wird es gelingen?« lispelte der Maharatt Tremal-Naik ins Ohr.

»Darma ist klug,« antwortete der Schlangenjäger.

»Und wenn der Sprung fehlginge?«

»Dann setzen wir uns zur Wehr.«

Noch zwei Sekunden vergingen, dann machte der Tiger einen gewaltigen Sprung. Mensch und Tier stürzten beide zu Boden, und man hörte ein leises Krachen, wie von brechenden Knochen.

»Braves Tier,« sagte Tremal-Naik, indem er ihm den Rücken streichelte.

Er näherte sich dem Indier und richtete ihn auf. Der Ärmste gab kein Lebenszeichen mehr und war blutüberströmt. Der Tiger hatte ihm mit den Zähnen den Kopf zerbrochen.

»Er ist tot,« sagte Tremal-Naik, indem er ihn zurückfallen ließ. »Darma konnte den Anschlag nicht besser ausführen. Du wirst sehen, Kammamurri, mit diesem braven Gefährten werden wir noch große Dinge verrichten.«

»Es wird eine schöne Überraschung sein, wenn sich Darma mitten in die Bande stürzt, wir werden sie alle in die Flucht jagen.«

»Und wir benützen die Zeit, Ada zu rauben.«

»Und wohin tragen wir sie?«

»Vorerst zur Hütte. Dann werden wir sehen, ob es besser ist, sie nach Kalkutta oder noch weiter zu führen.«

»Still, Herr! Horch!«

In der Ferne hörte man einen scharfen Ton. Die beiden erkannten ihn sofort wieder.

»Das Ramsinga!« riefen sie aus.

Ein dumpfer, gewaltiger Schlag schallte unter den Gängen und brach sich verschiedene Male an den Wänden. Es klang wie das Donnern, das sie in jener Nacht hörten, als sie auf Raimangal landeten, um Hurti zu suchen, und das sie so überrascht hatte.

Tremal-Naik konnte sich kaum beherrschen und fühlte sich stärker, denn je. Wie ein Tiger sprang er vor und erhob den Karabiner.

»Mitternacht!« schrie er, mit einem Tone in der Stimme, der nichts Menschliches hatte. »Ada! – oh, meine Ada!«

Mehr brachte er nicht hervor. Er unterdrückte einen Schrei und durchlief rasend die Galerie, gefolgt von Kammamurri und dem Tiger.

Das »Hauk« fuhr fort zu donnern, das Echo pflanzte sich in der Höhle fort und rief alle Anhänger der geheimnisvollen Göttin zusammen. In der Ferne vernahm man die scharfen Töne des Ramsinga und ein Durcheinander von Stimmen. Der furchtbare Augenblick nahte; Mitternacht rückte heran.

Ein mächtiger Feuerschein leuchtete im Grunde, lautes Stimmengewirr tönte in den Galerien wider.

»Wir sind am Ziele!« rief Tremal-Naik mit röchelnder Stimme.

Kammamurri warf sich auf ihn und hielt ihn mit ganzer Kraft zurück.

»Keinen Schritt weiter,« sagte er, »wenn dir das Leben deiner Ada lieb ist.«

»Laß mich, Maharatt, laß mich! Hast du den markerschütternden Schrei nicht gehört?«

»Ich habe nichts gehört; du hast dich getäuscht.«

»Ich glaubte, ihre Stimme gehört zu haben.«

»Das ist das Fieber, Herr. Komm mit mir. Begehst du aber eine Unklugheit, so verlasse ich dich. Reich mir die Hand.«

Kammamurri packte Tremal-Naiks Linke und so gingen sie zur Höhle vor. Kurz danach stellten sie sich hinter eine mächtige Säule, von wo aus sie sehen konnten, ohne entdeckt zu werden.

Ein seltsames Schauspiel bot sich bald ihren Augen.

Vor ihnen öffnete sich eine geräumige Höhle, die in rotem Granit ausgehauen war, wie die berühmten Tempel von Ellora. Sie wurde von 24 Säulen gestützt, die bizarre Skulpturen, Elefantenköpfe, Löwen und Götter trugen. An den vier Ecken waren Statuen von Siwa und in der Mitte eine unförmige Göttin, deren rote Zunge aus dem Munde hing, und die einen Gürtel von abgeschlagenen Händen und ein Halsband von Schädeln trug. Sie glich ganz der Göttin, die Tremal-Naik in der Pagode gesehen hatte. Von der Decke, die in Hochrelief den Kampf zwischen Rama und dem Tyrann Ravana darstellte, hingen zahlreiche Bronzelampen herab, die ringsum ein bläuliches, fahles Licht verbreiteten.

Vierzig halbnackte Indier, auf der Brust die symbolische Schlange, den Lasso eng um die Hüften, bildeten einen Kreis, indem sie wie die Muselmänner mit untergeschlagenen Beinen dasaßen und nach der ungeheuren Bronzegöttin starrten. Einer von ihnen hatte ein mächtiges »Hauk« neben sich, das mit Federn und Haaren geschmückt war. Zuweilen schlug er dagegen, und laut tönte das Donnern von den Wänden der Höhle wider.

Tremal-Naik war hinter einer mächtigen Säule stehengeblieben, überrascht und bestürzt zu gleicher Zeit; aber die Waffen hielt er krampfhaft fest.

»Ada!« murmelte er, indem er mit einem Blick die ganze Höhle übersah. »Wo ist meine Ada?«

Ein Freudenstrahl funkelte in den Augen des armen Indiers.

»Das Opfer hat noch nicht begonnen!« rief er. »Siwa sei gelobt.«

»Sprich nicht so laut, Herr,« sagte Kammamurri, der den Tiger am Halse hielt. »Wenn das alle Indier sind, die diese unterirdischen Gänge bewohnen, wird es so unmöglich nicht sein, deine Ada zu rauben.«

»Ja, ja, wir werden sie retten, Kammamurri!« rief Tremal-Naik begeistert.

»Still!«

Das Hauk schlug zwölfmal, und die vierzig Indier hatten sich wie ein Mann erhoben.

Tremal-Naik fühlte einen Herzkrampf und klammerte sich an die Säule, als wenn er fürchtete, sich nicht halten zu können.

»Mitternacht!« sagte er halb erstickt.

»Ruhe, Herr,« sagte Kammamurri zum letzten Male, indem er ihn am Gürtel hielt.

Mit großem Geräusch öffnete sich eine Tür, und ein großer, magerer Indier mit langem schwarzen Barte, stechenden Augen, bekleidet mit einem reichen »Dootée« aus gelber Seide, trat in die Höhle.

»Heil Suyodhana, Sohn der heiligen Gangeswasser!« riefen die vierzig Indier im Chore.

»Heil Kali und ihren Söhnen,« antwortete der Indier mit hohler Stimme.

Als Tremal-Naik diesen Menschen sah, stieß er eine leise Verwünschung aus und war im Begriff, sich in die Höhle zu stürzen. Kammamurri hielt ihn zurück.

»Beweg dich nicht, Herr,« flüsterte er.

»Schau diesen Menschen!« rief Tremal-Naik mit zusammengepreßten Zähnen.

»Ja, ich weiß, das ist ihr Häuptling.«

»Derselbe, der mir den Dolch in die Brust stieß.«

»Ah, der Elende!«

Suyodhana trat schnell in den Tempel ein, kniete vor der ungeheuren Bronzegöttin nieder, wandte sich dann zu den Indiern und schrie mit donnernder Stimme:

»Die letzte Stunde der ›Tempeljungfrau‹ hat geschlagen, Brüder. Mantschadi ist tot.«

Ein drohendes Gemurmel durchlief die Reihen der Indier.

»Man blase die ›Tareh‹,« befahl der schreckliche Häuptling der Würger.

Zwei Indier nahmen lange Trompeten und entlockten ihnen einige durchdringende, laute Töne.

Hundert mit Holz beladene Indier erschienen in der Höhle und richteten vor der Göttin, am Fuße einer Säule, einen riesigen Scheiterhaufen auf, den sie mit wohlriechenden Ölen begossen.

Ein Trupp »Devadasi« trat in den Saal, ließ kleine Glöckchen ertönen und sprang mit silbernen Reifen rund um die Göttin Kali.

Ihre Kleidung war pomphaft, graziös und erhöhte auf nur denkbare Weise Schönheit und Anmut. Leichte Goldpanzer mit prächtigen Diamanten glitzerten auf ihrer Brust, kurze rosaseidene Röcke fielen über ihre weiten Gewänder, die ihre Hüften umschlossen, und weiße Beinkleider gingen bis zu den Füßen. Silberne Ringe und Glöckchen trugen sie an den Armen und Beinen. Leichte Schleier von lebhafter Farbe bedeckten ihre Köpfe.

Plötzlich hörte der Tanz auf. Die »Devadasi« stellten sich vor die Göttin, berührten die Erde mit der Stirn, und in einer prächtigen, malerischen Gruppe vereint, zogen sie sich zurück.

Die Indier, die sich wieder gesetzt hatten, erhoben sich auf ein Zeichen. Tremal-Naik begriff, daß die Marter sogleich beginnen würde.

»Kammamurri,« stammelte er, indem er sich an der Säule anklammerte, »Kammamurri!«

»Ruhe und Mut, Herr,« sagte der Maharatt, der mit den Zähnen klapperte.

In der Ferne ertönte ein Trommeln. Tremal-Naik richtete sich auf. Seine Augen brannten, und mit den Fäusten umklammerte er die Pistolen.

»Da sind sie!« röchelte er mit haßerfüllter Stimme.

Die Trommeln näherten sich, ihr Schall rollte durch das dunkle Gewölbe der Höhle und durch die finsteren Gänge. Kurz darauf hörte man kreischende, wilde Stimmen, die vom Tamtam begleitet wurden.

»Da sind sie!« rief Tremal-Naik abermals.

Der Tiger knurrte leise und bewegte den Schwanz.

Eine breite Tür öffnete sich. Zehn Würger traten ein mit großen, fellüberzogenen Vasen aus gebrannter Erde, die die Indier »Mirdengs« nennen. Hierauf zwanzig weitere Indier mit großen »Gautha,« mächtigen Bronzeglocken, und zuletzt zwölf Männer mit Ramsinga, Taré und Tamtam.

Hinter diesen Menschen, die mit furchtbarem Lärm die Mirdengs und Tamtams schlugen, die Gautha schwenkten, Ramsinga und Taré bliesen, erschien die unglückliche Ada. Sie war mit ihrem Goldpanzer bekleidet, der mit Diamanten von unschätzbarem Werte geschmückt war. Die Haare hingen ihr lose über die Schultern.

Das Opfer, das jene grausamen Menschen auf den Scheiterhaufen zu werfen sich vorbereiteten, war leichenblaß, erschöpft vom langen Fasten und halb besinnungslos vom Opium, das ihr vorher eingeflößt worden war. Zwei Würger, die ein langes Gewand aus gelber Seite trugen, stützten sie.

Der furchtbare Moment war nahe. Schon hatte Suyodhana den Scheiterhaufen angezündet, in Schlangenwindungen züngelten sich die Flammen gegen das Gewölbe der Höhle, schon hatten die Würger unter betäubendem Gebrüll das Opfer gepackt, schon stimmten Trommeln und Taré den Todesmarsch an.

Da kam plötzlich das Opfer zu sich. Es sah den Scheiterhaufen, der vor ihm prasselte, und erkannte die Gefahr. Trotz des Opiumrausches erinnerte sich Ada des Urteils, das der grausame Suyodhana über sie verhängt hatte. Ein herzzerreißender Schrei entrang sich ihrer Brust.

»Tremal-Naik! – oh, Tremal-Naik!«

Am Ende des dunkeln Ganges ertönte ein wilder Ruf:

»Zerreiße, Darma! – Zerfleische!«

Der große bengalische Tiger hatte nur auf diesen Befehl gewartet. Mit geöffnetem Maule und gespreizten Pranken kam er aus seinem Verstecke hervor, dehnte sich, duckte sich nieder, stieß ein leises Knurren aus, dann stürzte er sich in gewaltigem Sprunge mitten unter die Würger.

Ein Schreckensschrei entfloh allen beim Anblicke des wilden Raubtieres, das schon mit zwei gewaltigen Prankenschlägen zwei Männer zu Boden geworfen hatte.

»Zerfleische, Darma! – Zerreiße!« wiederholte dieselbe Stimme.

Dann krachten vier Schüsse, die vier Indier zu Boden streckten. Die anderen warfen sich auf die Knie. Und inmitten der Rauchwolke erschien der Schlangenjäger der schwarzen Dschungel, mit verzerrtem Gesicht und dem Messer in der Faust.

Die Reihen der bestürzten Indier mit unwiderstehlichem Ansturme durchbrechen, das junge Mädchen, das ohnmächtig zu Boden gefallen war, packen, sie in die Arme drücken und mit Kammamurri und dem Tiger unter der Galerie verschwinden, war Sache eines einzigen Augenblicks.


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