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14. Kapitel.
In Raimangal

Wie der Maharatt gesagt hatte, war die Nacht sehr stürmisch. Wolkenmassen jagten am Himmelszelte entlang, zahlreiche Windstöße stürmten durch die Sunderbunds. Von Zeit zu Zeit zerriß ein leuchtender, blendender Blitzstrahl die Finsternis. Kurz darauf geschah ein furchtbarer Schlag, der sich bis an die Ufer des bengalischen Golfes fortpflanzte.

Die beiden Indier und der Tiger gewannen in wenigen Minuten die Ufer des Mangal, dessen Wasser, von irgendeinem Platzregen angeschwollen, mit größerer Schnelligkeit floß und ganze Bambusbündel und Baumstümpfe, die der Fluß wahrscheinlich in den nördlichen Sunderbunds losgerissen hatte, mit sich schleppte.

Im Schilfe verborgen, verharrten sie einige Minuten und warteten, bis ein Blitz das gegenüberliegende Ufer erleuchtete. Dann, sicher, nicht belauscht zu sein, beeilten sie sich, das Ufer hinabzusteigen und das Boot ins Wasser zu setzen.

»Herr,« sagte Kammamurri, während Tremal-Naik ins Boot sprang, »glaubst du, daß wir längs des Flusses oder in der Umgebung Raimangals Indier treffen werden?«

»Das glaube ich sicher, aber was tut es? Heute nacht fühle ich mich stark genug, um gegen eine Schar von tausend Mann vorzugehen. Die Leidenschaft, die mir in der Brust wühlt, wird mir die nötige Kraft geben, jedes Hindernis zu überwinden.«

»Ich weiß es, Herr, aber man muß vorsichtig zu Werke gehen. Wenn sie uns entdecken, werden sie Alarm schlagen und unsere Landung verhindern.«

»Und was würdest du tun?«

»Sie täuschen.«

»Wie?«

»Überlaß das mir; wir werden durchkommen, ohne gesehen zu werden.«

Der Maharatt ging ans Ufer zurück, packte eine große Anzahl nicht weniger als fünfzehn Fuß langer Bambus und bedeckte das Boot so, daß es wie ein vom Strome mitgerissenes Bambusbündel aussah.

»Es ist dunkel,« sagte er, indem er sich mit Tremal-Naik und Darma darunter versteckte. »Die Indier werden den Verdacht nicht hegen, daß unter dem Bambus ein Boot ist und daß das Boot zwei Menschen und ein wildes Tier trägt.«

»Schnell, Kammamurri, fahren wir los,« sagte Tremal-Naik, der vor Ungeduld zitterte. »Wenn wir zu spät kämen? – Ich würde es nicht überleben.«

»Ruhig, Herr! Sprechen ist unklug.«

»Das ist wahr, Kammamurri.«

Tremal-Naik legte sich auf den Bug zu Seiten des Tigers und Kammamurri ans Hinterteil des Bootes, mit dem Ruder in der Hand, indem er versuchte, das Kanoe zu lenken.

Der Gewittersturm nahm an Heftigkeit zu, und aus der dunkeln Nacht war eine Feuernacht geworden.

Das Boot, vom Sturm und der außergewöhnlich starken Strömung getrieben, flog wie ein Pfeil, schwankte beängstigend über die Strudel und stieß wiederholt an die zahlreichen Inselchen und gegen die Menge Bäume, die durcheinander ans Ufer getrieben wurden.

Kammamurri strengte sich vergebens an, das Boot auf rechtem Wege zu halten, und Tremal-Naik suchte den Tiger zu beruhigen, der, erschreckt von all den leuchtenden Blitzen, wütend brüllte und von einer Seite zur anderen des Fahrzeuges lief.

Gegen zehn Uhr abends erblicke Kammamurri ein großes Feuer, das, weniger als dreihundert Schritte vom Bug des Kanoes entfernt, am Flußufer brannte. Er hatte noch nicht zu reden aufgehört, als man das Ramsinga in drei verschiedenen Tönen blasen hörte.

»Achtung, Herr!« schrie er, mit der Stimme den furchtbaren Lärm übertönend.

»Entdeckst du niemand?« fragte Tremal-Naik, indem er mit der Linken den Tiger fest am Halse hielt und mit der Rechten eine Pistole packte.

»Nein, Herr, aber sicher wurde das Feuer angezündet, um zu sehen, wer kommt und geht. Seien wir auf der Hut; das Ramsinga hat etwas angezeigt.«

Das Kanoe näherte sich schnell dem Feuer, das ein Bund trockenen Bambus verzehrte und die beiden Flußufer tageshell erleuchtete.

»Herr, sieh!« sagte plötzlich Kammamurri.

»Still!« lispelte Tremal-Naik, dem Tiger das Maul verschließend.

Zwei Indier waren plötzlich aus einem Mussendagebüsch hervorgesprungen. Sie trugen den Lasso um den Körper und hielten einen Karabiner in der Hand. Auf ihrer Brust erkannte man deutlich die blaue Schlange mit dem Frauenkopf.

»Sieh dort unten!« schrie einer von ihnen. »Siehst du?«

»Ja,« antwortete der andere. »Ein Strohbündel, das mitgetrieben wird.«

»Glaubst du?«

»Und warum nicht?«

»Ich fürchte, daß es etwas verbirgt.«

»Ich sehe nichts darunter.«

»Schweig! – Da, ich glaube fast, ein –«

»Ein Knurren, willst du sagen?«

»Richtig. Ob ein Tiger darin steckt? Der Mensch, den Mantschadi würgen soll, hat einen Tiger.«

»Das wußte ich nicht. Und meinst du, daß da unten unser Mann mit seiner Bestie ist?«

»Es wäre möglich. Tremal-Naik ist verschlagen und kühn.«

»Was willst du beginnen?«

»Einen Schuß abgeben. Ziele recht tief!«

Kammamurri und Tremal-Naik hatten das Zwiegespräch ganz deutlich gehört. Als sie die beiden Indier die Karabiner heben sahen, warfen sie sich sofort auf den Boden des Kanoes.

»Nicht antworten, Herr,« sagte der Maharatt, »sonst sind wir verloren.«

Zwei Karabinerschüsse schlugen pfeifend durch, den Bambus. Der Tiger machte einen Sprung und brüllte wütend.

»Ruhig, Darma!« sagte Tremal-Naik, indem er den Tiger hielt.

»Daß der Blitzstrahl der Göttin mich treffe!« schrie einer der beiden Indier. – »Er ist es.«

»Gib das Signal, Huka!« befahl der andere.

Etwas Leuchtendes flimmerte über dem Boote. Kurz darauf vernahm man ein furchtbares Geprassel, das den scharfen Ton des Ramsinga übertönte. Tremal-Naik und Kammamurri, die sich erhoben hatten, wurden heftig zu Boden geschleudert, während der Tiger abermals brüllte, noch wütender als das erstemal.

»Herr!« rief Kammamurri. »Der Blitz!«

Tremal-Naik, noch halb betäubt, erhob sich in die Knie. Ein Wutschrei entschlüpfte ihm.

»Verdammt! Wir verbrennen!«

In der Tat hatte der Bambus, vom Blitz getroffen, Feuer gefangen und brannte lichterloh.

»Wir sind verloren!« rief Kammamurri. »In den Fluß! In den Fluß!«

»Beweg dich nicht, wenn dir dein Leben lieb ist.«

Tremal-Naik packte die Bambuslage und warf sie mit einem verzweifelten Kraftaufwande in den Fluß.

»Er ist es!« schrie eine Stimme.

»Feuer! Huka!«

Zwei weitere Schüsse krachten. Tremal-Naik hörte die Kugeln an seinen Ohren vorbeisausen.

»Gib das Signal, Huka!«

»Wir sind verloren, Herr!« schrie Kammamurri.

»Beweg dich nicht,« sagte Tremal-Naik. »Halt den Tiger!«

Er stürzte ans Schiffshinterteil und nahm den Indier Huka aufs Korn, der eben das Ramsinga an die Lippen setzen wollte. Ein Knall und ein Schrei folgten dem Schusse. Huka, von der unfehlbaren Kugel des Schlangenjägers mitten in der Stirn getroffen, war in den Fluß gestürzt.

Sein Gefährte zögerte einen Augenblick, dann floh er kopfüber quer durch die Dschungel und blies wütend das Ramsinga, das er von der Erde aufgehoben hatte.

Tremal-Naik schoß ihm eine Pistolenkugel nach, aber ohne ihn zu treffen.

»Gefehlt!« schrie er, indem er wütend die Waffe wegwarf. »Wir sind entdeckt!«

»Was tun wir, Herr?« fragte Kammamurri. »Mir scheint, daß jede Hoffnung, Raimangal zu erreichen, verloren ist. Das Ramsinga wird alle Indier in Alarm setzen. Verwünschter Blitz!«

»Gehen wir trotzdem vor, Kammamurri. Rudere mit aller Kraft, vielleicht landen wir, bevor die Elenden sich auf unseren Empfang vorbereiten können. Ich halte die beiden Flußufer scharf im Auge und erschieße jeden, der sich zeigt. Vorwärts!«

Kammamurri packte die Ruder und begann mit aller Kraft zu rudern. Unter den mächtigen Schlägen durchschnitt das Boot mit unglaublicher Schnelligkeit den Fluß und sprang über die Wogen.

Tremal-Naik setzte sich mit geladenem Karabiner ans Hinterschiff und spähte auf die Ufer. Der Tiger lag zu seinen Füßen und knurrte bei jedem Blitze. Plötzlich sah Tremal-Naik im Süden eine Rakete aufsteigen.

»Vielleicht ein Signal?« murmelte er. »Vorwärts, vorwärts, Kammamurri!«

Ein zweite Rakete erhob sich auf dem anderen Ufer und beschrieb eine lange Parabel.

»Herr?« unterbrach Kammamurri.

»Vorwärts, mein tapferer Maharatt.«

»Wir sind signalisiert.«

»Meine Ada läuft Gefahr. Achtung, Darma, die Kampfesstunde naht. Langsam, Kammamurri.«

Der Maharatt verlangsamte den Ruderschlag. Das Boot trat in eine Art Becken ein, das von einem dichten Gewölbe von Tamarinden und Mangieren bedeckt war. Es wurde so finster, daß die beiden Indier keine fünf Schritte weit sehen konnten.

Das Boot stieß gegen Leichen. Ein Ton, wie von Körpern, die in die Tiefe sinken, antwortete dem ersten Zusammenstoße.

»Herr, hast du gehört?« fragte Kammamurri.

»Ja, es ist jemand ins Wasser gesprungen.«

Tremal-Naik bog sich zum Flusse hinab, um zu sehen, ob sich jemand dem Boote nähere, entdeckte aber niemand.

Das Kanoe stieß zum zweiten Male gegen etwas.

»Da fährt jemand,« sagte eine Stimme, die bis zu den beiden Indiern drang.

»Ob sie es sind? Oder welche von den Unseren? Die Verabredung ist Mitternacht.«

Tremal-Naik schauderte, »Mitternacht!« murmelte er mit zitternder Stimme. »Die Verabredung ist Mitternacht! Welcher Verdacht!«

»Holla!« rief eine jener Stimmen. »Wer da?«

»Antworte nicht, Herr,« beeilte sich Kammamurri zu sagen.

»Im Gegenteil, ich werde antworten. Ich muß alles wissen.«

»Du richtest dich zugrunde.«

»Wer spricht da?« rief Tremal-Naik laut.

»Wer fährt da?« versetzte die Stimme.

»Indier von Raimangal.«

»Beeilt euch, denn Mitternacht ist nicht mehr weit.«

»Was soll Mitternacht geschehen?«

»Die ›Jungfrau der heiligen Pagode‹ ersteigt den Scheiterhaufen.«

Tremal-Naik unterdrückte einen Schrei, der ihm eben entschlüpfen wollte. »Tremal-Naik ist also nicht tot?« fragte er weiter.

»Nein, Bruder, denn Mantschadi ist noch nicht zurück.«

»Und die Jungfrau wird verbrannt?«

»Ja, um Mitternacht. Der Scheiterhaufen ist fertig und das Mädchen wird in Kalis Paradies eingehen.«

»Weißt du, wo man die Jungfrau verbrennen wird?«

»In den unterirdischen Gängen, glaube ich. Doch beeile dich, denn Mitternacht kann nicht mehr weit sein. Leb wohl, Bruder.«

»Vorwärts, Kammamurri, vorwärts!« stöhnte Tremal-Naik. »Ada, meine arme Ada!« »Mitternacht wird sie den Scheiterhaufen besteigen – – Vorwärts, Kammamurri!«

Das Boot durchschnitt das Becken schnell wie ein Pfeil. Bald erschien die äußerste Spitze von Raimangal mit seiner riesenhaften Banane, deren mächtige Äste sich unter tausend Windungen in dem gewaltigen Gewittersturme bogen.

Ein Blitz zerriß die Finsternis und zeigte das Ufer vollständig leer.

»Vorwärts, Maharatt, vorwärts!« sagte Tremal-Naik, an den Bug tretend.

Das Boot, das mit größter Schnelligkeit vorwärtsgetrieben wurde, stieß ans Ufer. Tremal-Naik, der in rasender Eile die Munition zu sich genommen hatte, Kammamurri und der Tiger sprangen an Land und erreichten den Hauptstamm der heiligen Banane.

»Hörst du nichts?« sagte Tremal-Naik.

»Nichts,« antwortete Kammamurri. »Die Indier sind alle in den unterirdischen Gängen.«

»Hast du Furcht, mir zu folgen?«

»Nein, Herr,« antwortete der Maharatt mit fester Stimme.

»Wenn es so ist, steigen auch wir hinab. Meine Ada oder den Tod.«

Sie klammerten sich an den Kolonnaden an und erreichten die obersten Äste, indem sie sich dem abgeschnittenen Baumstumpfe näherten. Der Tiger kam ihnen mit einem Sprunge nach.

Tremal-Naik schaute in die Höhlung hinunter. Beim Leuchten der Blitze bemerkte er Einschnitte, die den Abstieg ermöglichten.

»Gehen wir, mein tapferer Maharatt. Ich steige voran.«

Und er schwang sich in den hohlen Stumpf und stieg lautlos hinunter. Der Maharatt und der Tiger folgten ihm unmittelbar.

Fünf Minuten danach befanden sich die beiden Indier mit dem Tiger in den unterirdischen Gängen, in einer Art halbkreisförmigem Schachte, der in dem steinigen Boden ausgehauen war, sechs Meter unter der Oberfläche der Sunderbunds.


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