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8. Kapitel.
Eine furchtbare Nacht

Tremal-Naik, der durch den Kampfruf der Katze sofort erwacht war, machte eine kurze Bewegung, als wenn er sein treues Messer suche. Der Sterbende war wie neu beseelt, wie der Soldat, der die Trompete hört, die das Zeichen zur Schlacht gibt.

»Kammamurri?« brachte er mit großer Anstrengung hervor. »Der Ti–ger!«

»Beweg dich nicht, Herr!« sagte der Maharatt, der der sprungbereiten Bestie ins Auge sah. »Mach dir keine Sorge um mein Leben!«

Der Maharatt hatte eine Pistole ergriffen und auf den Tiger gerichtet. Aber er wagte nicht abzufeuern, da er fürchtete, ihn nicht beim ersten Schusse zu töten und mit dem Schuß die Feinde heranzuziehen.

Man sah, daß der Tiger einen Angriff vermied, aus Furcht vor dem leuchtenden Pistolenlaufe, dessen tödliche Wirkung er zweifellos kannte. Drei-, viermal schlug er sich mit dem Schweife die Flanken, wie die Katzen, wenn sie gereizt sind, stieß abermals ein Knurren hervor, noch stärker, als das erste Mal, zog sich langsam zurück und warf die Erde mit seinen mächtigen Klauen auf, ohne ein Auge vom Maharatt zu wenden, der unerschrocken seinen Blick aushielt.

»Kam–ma–murri der – Ti–ger!« stammelte Tremal-Naik abermals und zwang sich, sich auf die Arme zu stützen.

»Er macht sich davon, Herr. Den Schlangenjäger und seinen Maharatt wagte er nicht anzugreifen. Sei still, und alles wird gut ablaufen!«

Plötzlich schnellte der Tiger empor, spitzte die Ohren, als wenn er irgendein Geräusch auffangen wollte, stieß ein leises Knurren aus, wandte sich und verschwand in der Dschungel, den bekannten Raubtiergeruch zurücklassend.

Kammamurri hatte sich ebenfalls erhoben und war lebhaft erregt.

»Wer kann den Tiger verscheucht haben?« fragte er sich ängstlich. »Irgendetwas nähert sich!«

Er eilte an die Bäume und spähte in die Dschungel, die ungefähr hundert Schritte entfernt war, sah aber nichts.

Dann kehrte er schleunigst zu Tremal-Naik zurück, der wieder auf sein Blätterbett gesunken war.

»Er schläft,« sagte Kammamurri. »Ein Glück für ihn!«

Er setzte sich, indem er die Beine nach Türkenart kreuzte, legte den Karabiner über die Knie, steckte ein Kügelchen Betel in den Mund, um nicht einzuschlafen und erwartete wachen Auges und lauschenden Ohres die Morgendämmerung.

Ein, zwei, drei Stunden vergingen ohne jede Störung. Kein Tigergebrüll, kein Schlangenzischen, kein Schakalgeheul unterbrach das Schweigen auf der geheimnisvollen Insel. Nur dann und wann ging ein verpesteter Lufthauch über den Bambus und neigte es mit sanftem Gemurmel.

Drei Uhr mußte vorüber sein, als ein mächtiges, seltsames Pfeifen das Schweigen störte. Es klang wie ein scharfes »niff« »niff«.

Überrascht und ein wenig bestürzt erhob sich der Maharatt, hielt den Atem zurück und lauschte. Jenes merkwürdige »niff« »niff« wiederholte sich und kam näher.

»Das ist kein Tiger,« murmelte Kammamurri. »Welche Gefahr bedroht uns noch?«

Er nahm den Karabiner, schlich sich geräuschlos an die Bäume und lauschte.

Dreißig Schritte vor ihm bewegte sich ein großes, nicht weniger als zwölf Fuß langes Tier von schweren, massigen Formen. Die Haut war faltig, der Kopf groß, ein wenig dreieckig, und auf dem knöchernen Nasenrücken befand sich ein langes, spitzes Horn.

Kammamurri erkannte sofort, mit welchem Feind er es zu tun hatte, und fühlte vor Schreck das Blut erstarren.

»Ein Rhinozeros!« rief er leise. »Wir sind verloren!«

Er erhob nicht einmal den Karabiner, da er wohl wußte, daß sich die Kugel an der dicken Haut zerschlagen hätte, die widerstandsfähiger als ein Stahlpanzer ist. Er konnte das Ungeheuer zwar ins Auge schießen, der einzig verwundbare Punkt, aber die Furcht, zu fehlen und von dem gewaltigen Horn aufgeschlitzt oder von den mächtigen Füßen zerstampft zu werden, gab ihm den Gedanken, ruhig zu bleiben, indem er hoffte, nicht entdeckt zu werden.

Das Rhinozeros schien stark gereizt zu sein, was bei diesen merkwürdigen, plumpen, brutalen und wenig intelligenten Tieren öfters der Fall ist. Als wenn es plötzlich verrückt geworden wäre, sprang es mit einer für ein Wesen dieses Baues wahrhaft überraschenden Geschicklichkeit umher und belustigte sich, alles zu zertrümmern und zu zersplittern, den Bambus zu zerstören, indem es weite Lücken in die Dschungel machte.

Von Zeit zu Zeit hielt es inne, schnaufte, wälzte sich wie ein Wildschwein an der Erde, erhob die dicken, kurzen Beine, wühlte mit dem Horn im Gras, richtete sich wieder auf und begann von neuem seinen Angriff gegen den Bambus.

Kammamurri wagte nicht einmal zu atmen, um die Aufmerksamkeit des wilden Tieres nicht auf sich zu ziehen. Aber nach wenigen Minuten schon kam das Ungetüm geradeswegs auf die beiden Menschen los. Der Maharatt, der vor Schreck zitterte, sah das dreieckige Maul des Rhinozeros zwischen dem Laubwerk zum Vorschein kommen. Er glaubte sich verloren.

»Großer Siwa!« rief er und ergriff den Karabiner.

Das Rhinozeros betrachtete die beiden mit seinen kleinen, funkelnden Augen, aber mehr mit Überraschung als Wut.

Der Maharatt, tollkühn durch die nahende Gefahr, zielte kaltblütig mit dem Karabiner auf das Auge und feuerte ab. Aber schlecht gezielt, zerschlug sich die Kugel an der Stirn des Tieres, das das Horn zum Angriff senkte.

Glücklicherweise verlor Kammamurri sein kaltes Blut nicht. Als er das Tier sprungbereit erblickte, ließ er die wertlos gewordene Waffe fallen, hob Tremal-Naik auf, lief zum Weiher und sprang hinein, bis an die Schultern versinkend.

Das Rhinozeros packte eine unwiderstehliche Wut. Mit vier Sprüngen durchmaß es die Entfernung und stürzte ins Wasser, daß Schmutz und Schlamm aufspritzte. Kammamurri versuchte zu fliehen, aber er konnte nicht. Seine Beine waren in klebrigen Sand gesunken. Jede Anstrengung, sie herauszuziehen, war vergeblich. Der Ärmste, halb erstickt, zitternd, bleich, stieß einen herzzerreißenden Schrei aus.

»Hilfe! Ich bin des Todes!«

Ein fernes Bellen antwortete seinem verzweifelten Rufe. Kammamurri fuhr zusammen. Eine freudige Hoffnung durchzuckte ihn.

»Punthy!« rief er.

Ein schwarzer, kräftiger, großer Hund sprang aus der dichten Bambusmasse und lief wütend bellend zum Weiher. Es war wirklich der treue Punthy, der sich gegen das Rhinozeros warf und versuchte, ein Ohr mit den Zähnen zu packen.

Fast gleichzeitig hörte man Aghurs Stimme.

»Halt fest, Kammamurri!« rief der brave Bursche.

Mit einem Sprunge übersetzte der Bengalese einen Busch, verschwand hinter dem Bambus und erschien dann am Ufer des Weihers. Er lud das Gewehr, setzte sich in die Knie und feuerte auf das Rhinozeros, das, ins Hirn getroffen, auf die Seite fiel und halb unter Wasser verschwand. Dann löste er den Strick, der sein Gewand umgürtete, und warf ein Ende Kammamurri zu, der es fest packte.

Aghur begann zu ziehen. Langsam wurde Kammamurri aus dem klebrigen Sande ans Ufer gezogen, an das er sich hastig anklammerte.

»Nun?« fragte Aghur gespannt, indem er erregt seinen Herrn musterte. »Was ist ihm zugestoßen?«

»Man hat ihn verwundet!«

»Ah! – Wer denn?«

»Dieselben, die Hurti ermordeten! Später werde ich dir's erzählen. Beeile dich, bauen wir eine Tragbahre und setzen wir uns in Marsch. Wir werden verfolgt!«

Mehr wollte Aghur nicht wissen. Er zog das Messer aus der Scheide, schnitt einige Äste ab, band sie mit festen Stricken und häufte auf jene Bahre einige Hände voll Blätter. Kammamurri erhob langsam seinen Herrn, der noch nicht wieder zu sich gekommen war, und legte ihn darauf.

»Hast du das Boot mit,« fragte Kammamurri.

»Ja, ich habe es am Ufer befestigt!« antwortete Aghur.

»Sind die Pistolen geladen?«

»Beide!«

»Vorwärts denn und Augen offen!«

»Spürt man uns nach?«

»Vielleicht, ja!«

Die beiden Indier brachen auf. Der Hund lief voran und folgte einem langen Pfade, der mitten durch die Dschungel ging. In fünfzehn Minuten erreichten sie den Fluß, auf dem das Boot schwamm. In dem Augenblicke, als sie einstiegen, bellte Punthy.

»Still, Punthy!« sagte Kammamurri, indem er die Ruder ergriff.

Statt zu gehorchen, setzte der Hund seine Pfoten auf den Rand des Kanoes und bellte noch wütender. Er schien sehr erregt zu sein.

Die beiden Indier schauten nach der Dschungel, erblickten aber niemand. Sie legten die Pistolen auf die Bänke, packten die Ruder und fuhren den Fluß wieder hinauf. Sie hatten noch keine hundert Meter zurückgelegt, als der Hund wieder wütend anschlug.

»Halt da!« rief eine gebieterische Stimme.

In der Rechten die Pistole, drehte sich Kammamurri um.

Am Ufer, von dem sie abgestoßen waren, stand, mit Lasso und Dolch bewaffnet, ein riesiger Indier.

»Halt da!« wiederholte er.

Anstatt zu gehorchen, feuerte Kammamurri ab. Der Indier warf die Arme in die Luft und verschwand im Gestrüpp.

»Beeile dich, beeile dich, Aghur!« rief der Maharatt.


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