Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünfzehntes Kapitel.

Der Gefangene der Kirche.


»Er ist gefangen, armer Tropf,
Ich sein Despot und er mein Sklav'!«

G. A. Bürger.

Aspasia lag auf ihrer Ottomane und unterhielt sich damit, Fliegen zu fangen, ihnen die Flügel auszureißen und sie dann Leon, der zu ihren Füßen lag, ins Gesicht zu werfen.

»Mache mich nicht wahnsinnig,« rief Leon; »wenn Du mich liebst, so erbarme Dich und öffne Deine Arme. Drei Tage und drei Nächte schmachte ich, liege wie ein Hund auf Deiner Schwelle.«

»Nun?«

»Wenn Du mich nicht küssen willst, so quäle mich. Deine Gleichgiltigkeit macht mich toll, ich bitte Dich auf meinen Knieen, quäle mich.«

»Ich finde es nicht der Mühe wert.«

»Aspasia!«

»Du langweilst mich. Geh!« rief sie plötzlich zornig und stieß ihn mit dem Fuße von sich.

»Laß mich diesen Fuß küssen,« bat Leon.

Aspasia schnellte aus ihren Polstern empor.

»Du langweilst mich, hörst Du? Geh! Du bist frei, für immer, geh!«

»Um Gotteswillen,« rief Leon, »das ist nicht Dein Ernst, ich werde gehen und wiederkommen, wenn Du gnädig bist.«

»Ich will Dich nicht mehr sehen,« murmelte das schöne herzlose Weib, »ich liebe Dich nicht, ich habe Dich nie geliebt, was sollst Du mir also?«

»Verachte mich,« erwiderte Leon mit bebenden Lippen, »aber ich kann nicht von Dir lassen; nicht Deine Gunst will ich, gewähre mir nur Deine Nähe, mißhandle mich, verrate mich an einen andern, mache mit mir, was Dir nur Dein Uebermut eingiebt, aber stoße mich nicht hinaus in diese öde Welt, denn nur bei Dir ist Poesie, ist Glück, ist Leben.«

»Und wenn ich es nicht einmal der Mühe wert finde, Dich zu mißhandeln?« unterbrach sie ihn mit ruhigem Hohn.

»Dann muß ich verzweifeln,« schrie Leon auf, »und Verzweiflung macht wahnsinnig, vergiß das nicht.«

»Meinst Du, ich fürchte mich vor Deinem Wahnsinn?«

»Nein, nein, Du sollst mich nicht fürchten,« rief Leon, ihre Knie umfassend, »Du sollst mir nur erklären –«

»Ich hasse lange Auseinandersetzungen,« sprach Aspasia kalt. »Da Du mich nicht verstehst, will ich deutlicher sein.«

Sie klingelte. Vier Vermummte traten ein.

»Werft diesen vor das Thor,« rief sie gebieterisch, »und hetzt ihn mit den Hunden fort.«

»Erbarmen, Aspasia,« schrie Leon, ihre Knie umfassend.

»Du langweilst mich,« entgegnete sie kalt. »Fort mit ihm!« herrschte sie ihren Leuten zu.

In diesem Augenblick riß Leon, seiner selbst nicht mehr mächtig, den Dolch der herzlosen Frau aus der Scheide und stürzte auf sie los, aber zugleich trat der Jesuit, von einem schwarz gekleideten Mann mit blauer Brille gefolgt, durch eine Tapete in das Gemach und fiel dem Wütenden in den Arm, während ihn die Vermummten rückwärts zu Boden rissen.

Leon setzte sich vergebens wütend zur Wehre.

»Erbarmen, Aspasia!« rief er immerfort. »Erbarmen, ich werde toll.«

»Er ist es schon,« sprach der Jesuit kalt. »Bindet ihn!«

Leon schrie und geberdete sich wie ein Wahnsinniger.

»Zweifeln Sie einen Augenblick, Herr Doktor,« wendete sich der Jesuit an den Schwarzgekleideten mit der blauen Brille, »daß wir einen Wahnsinnigen vor uns haben?«

Der Arzt, ein treues Werkzeug der Kirche, legte schweigend die Hand auf Leons Stirn, dann prüfte er seinen Puls. »Da wir keine Zwangsjacke haben,« sagte er endlich, »müssen wir ihn binden lassen.«

Auf einen Wink Aspasias war es geschehen, dann schleppten ihre Diener Leon fort und warfen ihn in den Turm.

»Ihn haben wir,« sprach Aspasia mit dem Ausdruck des höchsten Triumphes, »es interessiert mich nun, wie wir sein Vermögen bekommen.«

»Lassen Sie das meine Sorge sein,« entgegnete der Jesuit, »die Hauptsache ist, Sie haben ihn satt und er gehört also jetzt mir.«

»Ich habe mein Wort gelöst.«

»Ich beuge mich vor Ihnen,« sprach Pater Loyola, »Sie übertreffen Ihren Meister.«

Leon lag lange wie in einer Betäubung. Dann erwachte er, kam vollkommen zu sich, erkannte seine Lage und schlug die geballten Fäuste gegen seine glühende Stirn.

Man ließ ihn mehrere Stunden in seinem Kerker, bis die Nacht anbrach, dann kamen die Vermummten, knebelten ihn, schleppten ihn in den Schloßhof und hoben ihn in einen Wagen. Einer stieg auf den Kutscherbock, die andern setzten sich zu ihm hinein, um ihn zu bewachen. Er sah noch Aspasia ganz in schwarzen Sammet gekleidet zu Pferde steigen, dann rollte der Wagen davon.

Als der Schlag wieder geöffnet wurde, sah sich Leon erstaunt im Schloßhof von Moldawa. Man brachte ihn in ein Zimmer des ersten Stockwerks, dessen Fenster vergittert waren, und bereitete ihm ein Lager. Dann kam Pater Loyola und stellte ein Licht auf den Tisch; mit ihm war ein athletischer Mann mit dem Bulldoggkopf eines Henkers eingetreten.

»Nimm ihm den Knebel, Thomas,« sprach der Jesuit sanft, »löse ihm auch die Stricke. Du bist stark genug, ihn jeden Augenblick zu bändigen.«

Thomas befreite Leon von seinen Fesseln.

»Sie sind wahnsinnig, lieber Leon,« fuhr der Jesuit fort, »aber vielleicht haben Sie einen lichten Augenblick und verstehen mich. Verhalten Sie sich ruhig, hüten Sie sich Lärm zu machen oder einen Ruf auszustoßen oder sich gar zu widersetzen, es würde mir leid um Sie thun, denn Thomas kennt seine Pflichten; und nun gute Nacht, mein Sohn.«

Leon warf sich verzweifelt auf sein Lager und vergrub sein Gesicht in den Polstern.

Mehrere Tage vergingen. Thomas kam, brachte ihm Speise und Trank. Keiner sprach ein Wort.

Dann kam eine Vollmondsnacht.

Das Fenster seines Kerkers ging in den Garten. Leon lehnte an dem Gitter und ließ die Zweige, welche sich zu ihm neigten, durch die Finger gleiten. Dazu sang er leise ein halbvergessenes Lied, hielt inne, sann nach und sang wieder weiter.

Auf einmal fiel ein kleiner Stein in das Fenster. Leon hob ihn auf, um den Stein war ein Stück Papier gewickelt. Er las auf demselben: »Seid Ihr es, Leon? Wenn Ihr es seid, werft den Stein zurück ohne das Papier.«

Leon gehorchte.

Wenige Augenblicke war es ganz still, dann rauschte es stärker in den Zweigen, immer näher, ein Kopf tauchte auf, es war Diva.

»Seid Ihr es?«

»Ich bin es, Diva.«

»Und Ihr seid nicht wahnsinnig?«

»Nein, aber ich fürchte, es zu werden.«

»Nein, nein! Ich will, ich werde Euch retten,« flüsterte die Hussitin, ihr Antlitz leuchtete in unbeugsamer Entschlossenheit.

»Sie sagen, daß Ihr toll seid,« fuhr sie fort, »daß sie Euch verwahren müssen. Es gilt Euer Vermögen. Wir wissen es. Es ist nichts Neues. Verhaltet Euch ruhig. Ich habe Euch gesucht und gefunden. Ich werde Euch immer nahe sein, ich werde Euch befreien.«

Leon faßte durch das Gitter ihre Hand. »Und was führt Dich zu mir?«

»Menschenliebe.«

»Liebst Du die Menschen, Diva?«

»Ich liebe sie.«

»Und mich?«

»Euch mehr als viele andere.«

»Hab' ich Dich nicht beleidigt?«

»Ich habe Euch vergeben.«

»Darf ich Deine Hand küssen?«

Das schöne Mädchen zog sie rasch zurück.

»Diva!« flüsterte Leon, »Diva!« immer inniger, immer verzweifelter. Da reichte sie ihm die Hand durch das Gitter und sprach: »Küßt sie.«

Leon preßte diese braune, rauhe, aber wohlgebildete Hand leidenschaftlich an die Lippen und küßte sie immer wieder.

»Ich muß nun fort,« sagte die Hussitin leise, »man könnte mich entdecken und alles wäre verloren. Lebt wohl!« Sie nickte mit dem Kopfe, noch einmal leuchtete ihre Hand im Mondlicht, im nächsten Augenblicke war sie verschwunden. Lange Zeit hörte Leon ihre Schritte im Sande knistern, dann war alles still.


 << zurück weiter >>