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Fünftes Kapitel.

Ein böhmisches Bauernhaus.


Dieser versucht es den Schwalben zu predigen,
Jener den Karpfen.

Platens »Wunderliche Heilige

Am Abende saßen sie vor dem Hofe des Raboch, Melnik, der Bürgermeister, Pilny, der Wirt, der Chirurg, der Schulmeister, der Bauer und seine Leute.

Auf einem niedern Erdaufwurf stand eine alte morsche Linde und beschattete mit dichten Zweigen drei schmale hölzerne Bänke, welche um einen kleinen wurmstichigen Tisch eingerahmt waren. Hier saßen sie.

Melnik, der Bürgermeister, ein großer, hagerer Mann mit unendlich langem Halse und kleinem, spitzigem Kopfe. Die glattrasierte Würde seines Gesichtes erhöhte er durch ein systematisches Zusammenziehen seiner buschigen Augenbrauen und den Tabak, der düster seine Oberlippe bedeckte. Ihm zur Seite war Pilny, der Wirt, der angesehendste Mann, der Geldaristokrat des Dorfes; ein Kerl zum Platzen, schnürte er seinen kurzen dicken Hals noch heftig mit einem roten Halstuche zu, sodaß ihm das Blut zu Kopfe stieg. Er trug eine große silberne, starkvergoldete Uhrkette auf der grünen Sammetweste und silberne Ringe, welche scharf in das dicke Fleisch seiner runden Finger schnitten. Gegenüber befand sich, wie eine Spinne in sich zusammengezogen, Herr Wojak, Schullehrer und Meister in der Kunst, jedem seine Meinung gelten zu lassen, niemand zu beleidigen, niemand herauszufordern, ein ängstlicher, schlotternder Mensch, der nie anderswohin als in sein blaues Taschentuch auszuspucken wagte. Die dritte Bank nahm für sich allein die Opposition in Anspruch. Das war Rubacek, der Chirurg, ein kleiner, kräftiger Mann, der sich auffallend gerade hielt, stets laut sprach und lebhaft agierte, ein intelligenter Kopf mit gestutztem englischem Backenbart, städtisch gekleidet, ledergelb im Gesicht.

Raboch, ein kräftiger Mann mit grauem Haare, stand in Hemdärmeln, den Rock über die Schulter geworfen, seitwärts und übersah den Plan, auf dem die Knechte, die Mägde, seine Töchter und sein Weib die Getreidegarben abluden.

»Ihr seid ein liberaler Mann, ein Freigeist, Herr Robacek,« sprach bedächtig der Bürgermeister, »wer zweifelt daran? Man kennt Euren feinen Kopf, auch habt Ihr studiert und lest die deutschen Zeitungen, auch die aus dem Auslande kommen, Ihr lest auch französische Bücher und seid sogar auf Reisen gewesen, aber hier seht Ihr einmal mehr, als wahrhaftig zu sehen ist.«

»Guter Bürgermeister,« entgegnete der Chirurg, »da habe ich Euch einmal ordentlich gefangen. Ich habe immer meine Beweise in der Tasche. Kommt her, Mädchen, das ist was für Euch,« rief er hinüber.

Diva und ihre Schwester, die blonde Marie, verließen den Erntewagen und näherten sich dem Tische, an dem die großen Männer des Dorfes tagten. Der Chirurg hatte indes seine Hand in die Rocktasche versenkt und zog ein kleines Stück abgenagter Käserinde heraus, das er selbstbewußt auf den Tisch legte.

»Das ist der Beweis, den Ihr in der Tasche habt?« rief der Bürgermeister lächelnd.

»Nur Geduld, Herr Melnik.« Der Chirurg legte die Käserinde vor ihn. »Nun, was seht Ihr da?«

»Was werde ich auch sehen!« rief der Bürgermeister ärgerlich. »Ein Stückchen elende Käserinde.«

»Sonst seht Ihr wirklich nichts?«

»Eure Zähne sehe ich daran, wenn es Euch beliebt!«

»Sonst nichts?«

»Bleibt mir zu Hause mit Euren Beweisen.«

»Vielleicht entdeckt Ihr etwas, Herr Pilny, oder Ihr, Schulmeister, oder Du, Diva?«

Alle schüttelten den Kopf. Raboch war dazu getreten, betrachtete die Käserinde und schwieg.

»Nun, Ihr seht also nichts,« sprach der Chirurg, vor Vergnügen leuchtend, »nichts als eine elende Käserinde und meine Zähne. »Ich, Herr Melnik, sehe da unzählige kleine Wesen, welche in dieser Käserinde wie in einer Welt leben und sterben.«

»Chirurg!« rief der Bürgermeister entrüstet.

»Mit freiem Auge sehe ich sie allerdings ebenso wenig wie Ihr, aber mit dem Mikroskop, Herr Melnik!« Der Chirurg zog dabei, unverschämt heiter, ein Mikroskop aus der Tasche, legte es auf den Tisch, richtete es, löste ein Stückchen Käse los, legte es auf den Träger und lud, ohne ein Wort zu sprechen, mit einer Handbewegung ein, dasselbe zu betrachten.

Der Bürgermeister gebrauchte seine Autorität und legte sein Auge zuerst an das Glas. »Hol mich der Teufel,« sprach er nach einer Weile und schlug mit den flachen Händen auf seine Lederhose.

»Nun?«

»Ach, die Wissenschaft ist doch etwas Wunderbares, Großartiges,« murmelte Herr Melnik.

»Pompös, Herr Bürgermeister,« siel der gelehrte Chirurg ein, »pompös, und ihre Jünger soll man anstaunen, verehren, und vor allem soll man ihnen glauben.«

Die andern hatten das Mikroskop umringt und wetteiferten in Ausrufungen.

»Nun, meine Freunde, um auf meine frühere Behauptung zurückzukommen,« sprach der Chirurg mit unerbittlicher Logik, »nehmen wir an, daß unser Land so ein Stück abgenagter Käserinde ist, so sind die Infusorien, die Ihr zwar nicht mit freiem Auge seht, die ich aber mit meinem geistigen Mikroskope entdecke, dieses Gewürme, das in demselben wimmelt und dasselbe unsichtbar aufzehrt, die Jesuiten.«

»Ich kenne die Jesuiten,« sprach Raboch ernst, »und erwarte nicht viel Gutes von ihnen, aber Ihr seht überall Jesuiten, Herr Chirurg, seht aller Orten ihre Fäden und Machinationen, und da seht Ihr wohl auch mehr, als mit einem Mikroskope zu entdecken ist.«

»Recht habt Ihr, Raboch,« entgegnete der oppositionelle Chirurg, »wenn ich nur den Orden im Auge habe. Die Jesuiten, welche durch ihren Habit jedem kenntlich sind, das sind noch die besten, meine Freunde; ich meine jene Jesuiten, welche in den Kanzleien, in den Ministerien sitzen, kleine Bänder im Knopfloch tragen und breite Bänder um den Hals, welche kokett lächelnd als farbige Ballons über den Erdboden schweben und ein paar Ellen Seide im Straßenstaub nachschleifen, jene Jesuiten, welche Regimenter kommandieren und auf der Börse spekulieren – und denkt an mich, wir werden hier auch etwas erleben mit unsern Jesuiten.«

»Ihr vergeßt, Herr Robacek,« wendete der Bürgermeister ein, »daß es noch eine Regierung giebt und eine würdige Geistlichkeit, die mit dem Volke geht.«

»Schläft, wollt Ihr vielleicht sagen,« fiel der Chirurg ein und trommelte auf dem Hute des Schulmeisters.

»Nun, Eure Weltverbesserer haben uns auch noch nicht weiter gebracht.«

»Wenigstens erntet man keinen Dank bei dem Pöbel, wie schon unser großer Kaiser Joseph II. erfahren hat.«

»Nun, darin mag er Recht haben,« sprach der Raboch, »wir werden Geschichten erleben.«

»Und was für Geschichten,« bekräftigte Robacek. »Wozu wäre denn das Konkordat abgeschlossen mit dem römischen Stuhle?«

»Ja, das Konkordat,« seufzte der Schulmeister.

Der Chirurg lächelte und trommelte leise weiter.

»Der Jesuit hier in Tabor oben gefällt mir auch nicht,« begann der Wirt.

»Ganz richtig,« lispelte der Schulmeister.

»Was er hier oben suchen mag?« meinte Herr Melnik.

»Fragt ihn selbst,« rief Diva, »dort kommt er.«

Alle blickten halb erschreckt gegen die Straße, auf welcher mit raschen Schritten der Pater herankam. Der Chirurg packte sein Mikroskop zusammen, der Schulmeister bürstete seinen Hut mit dem Aermel und setzte ihn auf.

Der Jesuit ging geradezu auf den Bauernhof los und grüßte von weitem schon die Gesellschaft bei der Linde, welche sich verpflichtet fühlte, ihm einige Schritte entgegen zu gehen. Nachdem sie einige höfliche Redensarten getauscht hatten, nahm der Pater vertraulich den Arm des Bürgermeisters, stieg mit ihm zu den Bänken empor und bat die anderen »Herren«, sich nicht stören oder gar vertreiben zu lassen. Der Chirurg, ein Mann von Welt, setzte sich dem Jesuiten gegenüber und begann ein Gespräch über das Schulwesen. Die anderen saßen wie steife hölzerne Götzen herum, wagten nicht sich laut zu räuspern und befestigten sich in ihrem Respekt vor Herrn Robacek, der so wissenschaftlich und imposant mit einem Jesuiten zu reden wußte.

»Wie gefällt es Euer Hochwürden da in unserer Gegend?« fragte unerwartet der Raboch, der sich aus Jesuiten und Chirurgen nicht viel machte.

»Sehr gut,« entgegnete Pater Loyola; »es ist ein braves, fleißiges Volk hier, es singt bei der Arbeit und betet, ehe es seine Speise nimmt und zur Ruhe geht, es schwebt auch der Segen Gottes über dem Lande, man sieht es deutlich an Halmen und Bäumen.«

»Da bleiben Sie wohl noch einige Zeit bei uns?« fragte der Bürgermeister.

»Oder für immer,« warf der Chirurg ein.

»Wer weiß,« erwiderte der Jesuit. »Es fehlt doch auch an manchem hier, an guten Schulen –«

Der Schullehrer öffnete den Mund, erschrak über seine Kühnheit und klappte ihn wieder fest zu.

»Es fehlt auch an der Wirtschaft, an den Verkehrsmitteln, an Sanitätsanstalten.«

»Da muß ich bitten,« rief der Chirurg.

»Ich sage nicht, daß es an den Personen fehlt, es fehlt an den Anstalten, an den Mitteln vielleicht. Da braucht es Mittelspersonen, welche die Gemeinden bestimmen, sich zu vereinigen zu gemeinsamen Werken, welche die Herrschaften bestimmen, freiwillig an diesen humanen Lasten teil zu nehmen.«

Das gefiel dem Bürgermeister, es gefiel auch dem Wirte und gefiel dem Schulmeister, nur der Chirurg opponierte und Raboch lauschte und sprach kein Wort.

Und wieder kam einer die Straße herauf, diesmal ein Mann des alten Testaments, Rebbes Kniff, der Randar, der Getreidejude. Sein Haus und seine Aecker stießen an jene des Raboch, er hatte sie im Jahre 1848 erstanden und trotz mancher Anfechtungen behauptet. Nur der Schnitt seines Gesichts und seine Sprache verrieten den Juden, er war sonst gekleidet wie ein böhmischer Bauer und benahm sich auch wie ein Feldarbeiter und Ackersmann. Als er den Jesuiten sah, grüßte er, ging still vorbei und sprach mit dem Weibe des Raboch.

»Ist der getauft?« fragte der Jesuit.

»Nein,« beeilte sich der Chirurg zu erklären.

»Und ist ein Bauer?«

»Ein Bauer wie ich, wie wir alle,« sagte Raboch.

»Seltsam!« Der Jesuit blickte vor sich hin. »Bebaut er sein Feld?«

»Er selbst, sein Weib und seine Kinder.«

»Und schachert nicht?«

»Er handelt mit Getreide.«

»Dacht ichs doch,« murmelte der Jesuit wie für sich, »auch hier diese Blutegel, die das beste Blut des Volkes abziehen, und das Volk legt die Hände in den Schoß und läßt sie sich festsaugen.«

»Nun, ich liebe die Juden auch nicht,« fügte Herr Melnik hinzu.

»Schämt Ihr Euch nicht, dergleichen zu sagen?« rief der Chirurg.

»Nun, nun!«

»Respekt sollt Ihr haben vor den Juden!«

»Respekt?«

»Respekt, sag ich Euch,« fuhr der Chirurg hitzig fort. »Seht Euch um in der ganzen Welt und zeigt mir ein Volk, das alles überdauert hat, Revolutionen der Natur, Kriege, Seuchen, Völkerwanderungen, Verwüstung, Not, Verfolgung, wie dieses Volk, das sich zu einem wichtigen Gliede, was sage ich, zu einem unentbehrlichen Organe unseres Staatskörpers, unserer Gesellschaft gemacht hat, trotz aller Hindernisse, nur durch eigene Kraft und Zähigkeit, durch seinen unermüdlichen Geist, seinen Fleiß, seine rastlose Thätigkeit. Geht mir! Respekt vor den Juden!«

»Der Getreidejude ist ein achtbarer Bauer,« sprach Raboch, »wer kann ihm was Böses nachsagen?«

»Niemand,« beschwichtigte der Wirt.

»Der Grundsatz: gleiches Recht für alle, ist von unserer Regierung ausgesprochen, an uns ist es, ihn durchführen zu helfen,« betonte der Chirurg scharf mit einem stechenden Blick auf den Pater. »Es ist eine wahrhafte Freude, zu sehen, wie in unserer Gegend Jude und Protestant mit dem Katholiken in Frieden und Eintracht leben, wie einer dem andern unter die Arme greift und hilfreich ist, eine wahrhafte Freude.«

Der Himmel wurde indes blaßrot, tiefe Dämmerung legte sich um die Landschaft, um die nächsten Gegenstände; ein kühler Wind erhob sich. Der Jesuit knöpfte sein Habit zu.

»Es ist spät, ich werde gehen müssen,« sagte er leise, »auch ist mein Zweck erreicht, die würdigen Herren von Tabor kennen zu lernen. Ich hoffe, wir werden freundliche Nachbarn bleiben und gute Freunde werden. Wenn jeder Nachsicht hat mit dem andern und auf sein Wesen eingehen will, vereinigt man sich leicht.«

Die Männer schüttelten sich die Hände und gingen. Der Bürgermeister, der mit dem Wirte voranschritt, fand den Jesuiten gar nicht übel und seine Ideen ausgezeichnet praktisch. Der Chirurg pfiff das »Gaudeamus« dazu und kniff dem Schulmeister in den mageren Arm. Der Jesuit ging an den leeren Erntewagen vorbei gegen Tabor. Die anderen saßen drinnen bei der dampfenden Schüssel, nur Jan, der Knecht, war bei den Wagen geblieben und schob sie, einen nach dem andern, langsam in den Hof hinab.

Diva kehrte zurück und sah ihm eine Weile zu.

»Komm, Du wirst müde sein, willst Du nicht essen?« fragte sie freundlich.

»Ich will nicht!«

»Hast Du keinen Hunger? Komm doch!«

»Mach' mir kein freundliches Gesicht,« rief der Knecht, »Du machst mich toll.«

»Nun, so geh' hinein, ich befehle es Dir,« rief Diva zornig, indem sie mit dem Fuße stampfte.

»So ist es recht,« sprach Jan, während ein Lächeln über seine plumpen Züge glitt, »ich bin Dein Knecht. Befiehlst Du sonst noch etwas?«

»Geh hinein.«

Er schloß das Thor.

»Ich will Dir was sagen,« sprach er dann, »darf ich?«

»Sprich.«

»Ich hätte neulich den Adalbert beinahe ermordet.«

»Jan!« schrie das Mädchen auf.

»Es ist doch so,« fuhr der Knecht fort, »aber ich habe es nicht gethan. Wir sind am Ende doch alle recht erbärmliche weiche Seelen.« Er wischte sich die Nase mit dem Hemdärmel und ging hinein. Diva stand kurze Zeit still, dann trat sie an das erleuchtete Fenster und blickte in die Stube. Da saß ihr Vater mit heiterem, leuchtenden Antlitz, neben ihm zur Rechten saß der Jude und erzählte, und neben ihm zur Linken saß die Hausfrau und horchte. Ihr Antlitz war ernst, manchmal schmerzlich, und wenn der Jude lebhafter gestikulierte und der Raboch mit offenem Munde lachte, lachte sie auch, aber ihre Lippen zuckten dabei. Die Tochter verstand dieses Zucken. Sie zog sich leise zurück, ging auf den Fußspitzen durch den Hof und eilte dann fort über die Ebene.

Sie fand ihn nicht, den sie erwartete. Sie suchte ihn vergebens bei den Bäumen, sie fand ihn nicht auf dem Pfade, der zum Dorfe führte, nicht am einsamen Rande des Waldes. Den Kopf gesenkt, kehrte sie zurück. Da rief es ihren Namen unweit des Hofes.

Indem sie zusammenschrak, stand auch schon Leon vor ihr und blickte ruhig in ihr flammendes Antlitz.

»Was wollt Ihr?« herrschte sie ihm zu. »Etwa noch einmal bieten, die Kaufsumme erhöhen? Spart Euch die Mühe.«

»Ich komme, Dich um Verzeihung zu bitten.«

Diva sah zu Boden, sie war bleich geworden und zitterte.

»Verzeihst Du mir nicht?« Leon hatte ihre Hand erfaßt, sie blickte auf, die Augen voll Thränen, machte sich los und winkte ihm zu gehen.

Eben trat ihr Vater mit dem Juden auf die Schwelle. »Das ist doch gut, daß Ihr die Zeitung haltet,« sprach Rebbes Kniff, die letzten, halb zerfetzten Nummern der » Narodni listy« in die Brusttasche schiebend, »man weiß doch, was im Lande und in der Welt geschieht.«

»Und hat auch gleich die Getreidepreise dabei,« lachte der Bauer, indem er den Juden scherzend mit der Faust in den Rücken stieß.

In diesem Augenblick ergriff Leon noch einmal Divas rauhe Hand, preßte sie an die Lippen und verschwand rasch hinter dem Vorsprung des Hofes.


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