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Sechstes Kapitel.

Die Ruinen von Zawist.


Die kaltblütigen Tiere allein sind die giftigen.

Schopenhauer.

Eine fröhliche Kavalkade zog aus dem Schlosse Tabor, schöne Frauen, ritterliche Männer, prächtige Pferde. Aspasia voran in veilchenblauem Reitkleide, kleinem, grauem, ungarischem Hute mit flatterndem Veilchenschleier, Bärneck auf einem zahmen Araber, der ihn nicht wesentlich in seinem Rebus störte. Die Baronin Violantha von Moldawetz, ein seines Figürchen mit frommem, blassem Gesichtchen, von frommen, weichen, braunen Haaren eingerahmt, großen blauen Sammetaugen, kaum zwanzig Jahre alt, verliebt und geliebt, plauderte mit Leon und dem Jesuiten, die sie in die Mitte genommen hatten, schlug von Zeit zu Zeit mutwillig mit der Reitgerte nach dem seitwärts reitenden Bezirkshauptmann Czerny, von dem sie unaufhörlich geneckt wurde, und beschäftigte sich ernstlich doch nur mit ihrem Manne, welcher, von Herrn von Goldbach in ein industrielles Gespräch verwickelt, etwas zurück geblieben war.

Czerny war einer von den eleganten Beamten des Bachschen Systems, stets jenes liberale Sichgehenlassen auf der glatten Stirn und doch stets zugeknöpft und abweisend, wenn man seine Logik ernsthaft nahm, ein hübscher stattlicher Mann mit intelligenten Zügen, blondem Haare, gesunder Farbe, der immer die feinsten Cigarren seiner Freunde rauchte. Der Sohn eines Bauers, hatte er sich während seiner Studien durch Stundengeben zuerst mühsam das Leben gefristet, war dann, mehr mit Rücksicht auf seine breiten Schultern als seine ausgebreiteten Kenntnisse, Hofmeister in einem adligen Hause geworden und durch die Protektion der großen Dame, deren blöde Jungen er erzog, schnell im Staatsdienst vorwärts gekommen.

Goldbach der Fabrikherr, Goldbach der Gutsbesitzer, Goldbach der Loyale, Goldbach der fromme Sohn der Kirche, des Weisen Salomon Goldbach weiserer getaufter Sohn, war dabei das gutmütigste, schwatzhafteste Männchen, schwatzhaft in deutscher, maßvoll in czechischer, zurückhaltend in französischer und einsilbig in englischer Sprache. Er saß möglichst schlecht zu Pferde, schlenkerte unaufhörlich mit den Beinen, aber er bezog seine Kleider von Paris, er war elegant, er war vornehm, er war Goldbach und hoffte bald von Goldbach zu sein. Klein, rund, den kahlen Scheitel mit dünnen Haaren, das volle, formlose Gesicht mit einem starken englischen Barte eingefaßt, den großen Mund voll blitzender falscher Zähne, den Sack voll unbeschnittener Dukaten, ritt er neben dem Baron und setzte ihm eine neue, von dem Ministerium protegierte Eisenbahnunternehmung auseinander.

Baron Moldawetz, eine schlanke adlige Gestalt, mit seinem schönen Pferde förmlich verwachsen, schien nur ihn zu hören, während seine freundlichen braunen Augen immer wieder seine anmutige junge Gemahlin suchten. Auf seinem wohlgebildeten Gesichte lag sonnige Zufriedenheit, jenes unbewußte Glück, das in Gefahr ist, sobald es nur zu lebhaft empfunden wird. Die Gesellschaft ritt nach der Ruine von Zawist, der schönsten Fernsicht der Umgegend, auf dem Gebiete Goldbachs. Ein Felsen sprang schroff und kahl aus dem Hochwalde, von ihm lösten sich die Trümmer der alten Burg, wie Stein vom Steine, unmerklich los, Epheu rankte sich wild um verfallene Kellerfenster, rote Nelken standen auf dem zerbröckelten Gemäuer. Die reichbetreßte Dienerschaft des Fabrikherrn erwartete hier die Kavalkade mit einem vornehmen Gouter. Damen und Kavaliere stiegen von den Pferden, erkletterten den romantischen Trümmerhaufen, lagerten sich fröhlich vor demselben, blickten mit einem Tubus in die Landschaft, aßen Pasteten und Torten, tranken Champagner und plauderten.

Violantha hatte sich anmutig auf dem steinernen Wappenschilde niedergelassen, das vom zerfallenen Thore herabgestürzt war.

»Sehen Sie drüben Dorf Tabor, wie freundlich das Hussitennest in der Landschaft liegt, seine weißen Hütten ruhen wie Schwäne auf den grünen Wellen des Wiesenlandes,« sprach der Jesuit zu dem Baron.

Moldawetz blickte hinüber und faßte dann den Arm des Paters. »Sehen Sie doch lieber meine Frau an,« sprach er leise. »Ist sie nicht reizend? Wie poesievoll sie zu sitzen versteht, wie sie den kleinen Fuß zeigt, halb frivol, halb unschuldig, und jetzt das süße Lächeln auf dem traurigen Gesichtchen!«

Er verließ den Jesuiten, warf sich vor ihr nieder, faßte leise ihren Fuß in dem niedlichen hellbraunen Stiefelchen, betrachtete ihn einen Augenblick lächelnd und küßte ihn dann. Violantha lachte, gab ihm einen leichten Schlag mit der Reitgerte und beugte sich dann zu ihm herab, um ihn auf die Lippen zu küssen.

»Der Mann ist eitel auf seine Frau, das ist gut,« dachte Pater Loyola; »sie ist ihm zugleich ein Madonnenkopf und der Torso einer heidnischen Göttin, sein ganzes Leben konzentriert sich an einer Stelle, die leicht, sehr leicht verwundbar ist. Wir wollen nun sehen, wie es mit ihr steht. Sie scheint wenig Blut zu haben, sie ist bleich, leicht erregt und leicht ermüdet und sie bildet sich deshalb ein, daß sie nicht glücklich ist.«

Der Jesuit benutzte den Moment, wo der Baron Goldbach eine neue Flasche entkorken half, und näherte sich Violantha.

»Gefüllt Ihnen die Landschaft, gnädige Frau?« fragte er mild.

»Fragen Sie lieber, wie sie mich stimmt – traurig,« erwiderte die kleine Frau. »Ein Weh, das ich nicht nennen, eine Sehnsucht, die ich nie befriedigen kann, zieht durch meine Brust, ich möchte ein paar Flügel entfalten und fortfliegen bis dorthin, wo die blauen Wälder aus dem Duft der Ferne ragen.«

»Sie sind eine passionierte Reiterin, Frau Baronin, eine elegante, eine kühne Amazone, und so weich besaitet Ihre Seele?«

»Ich verstehe mich selbst nicht,« entgegnete Violantha.

»Wenn ich zu Pferde steige, jubelt mein Herz, und dann kommen wieder sonderbare Gedanken über mich, daß ich ein Wesen, lebendig wie ich, halb gefühlvoll und halb vernünftig, gleich einer Sache gebrauche, ja noch schlimmer. Dann denke ich, wie die Sklaverei durch die ganze Natur, die ganze Menschenwelt geht, und nicht die Sklaverei allein.«

»Der Mord, wollen Sie sagen, Frau Baronin.«

Violantha schrak zusammen.

»Ja, Sie haben recht,« sprach sie nach einer Weile, »der Mord. Ich gehe mit meinem Manne auf die Jagd, manchmal, ja oft, so oft er will. Ich liebe ihn so sehr, ich bete ihn an. Er schießt die Hühner so gern und so schieße ich denn mit, und wenn der Hund dann das arme kleine tote Tier mit blutigem Gefieder, gebrochenen Augen, halb offenem Schnabel bringt, thut es mir weh und ich könnte weinen. Haben wir das Recht, andere zu töten, um uns die Zeit zu vertreiben, ja selbst nur um unser Leben zu fristen?«

»Sie nehmen die Welt zu ernsthaft. Der Mord ist in derselben so vollständig etabliert, daß man ihm garnicht ausweichen kann,« erwiderte Pater Loyola. »Man spricht von Recht und Unrecht, wo nur vom Kriege um das Leben, von Sieg oder Niederlage die Rede sein sollte. Man kann sein Dasein nur behaupten, indem man unterdrückt, betrügt, raubt und mordet. Ein jedes Tier, ein jeder Mensch, ein jedes Volk lebt nur von dem Tod eines andern. Wenn Sie so gewissenhaft sind, dürfen Sie keinen Atemzug thun, denn mit jedem Atemzuge verschlingen Sie Millionen lebender Wesen in der Luft, genau so wie Sie Millionen in jedem Wassertropfen trinken.«

Violantha heftete erschrocken ihre frommen Augen auf den Pater.

»Ach! die Sache ist am Ende nicht so schlimm, wie sie aussieht,« fuhr der Jesuit fort, »man denkt einfach nicht daran. Das ist ein einfaches und probates Mittel. Denken Sie überhaupt so wenig als nur möglich, Frau Baronin, Sie ersparen sich dadurch viel Kopfschmerzen und viel Verdruß. Wozu auch bei dem Zobelpelze, in den Sie behaglich Ihre schönen Glieder schmiegen, an den polnischen Verbannten denken, welcher fern von seiner Heimat im Schnee watet und mit halb erstarrten Händen Fallen stellt? Wozu bei den märchenschönen Blumen, in denen Ihr Negligee gestickt ist, an die lungensüchtige Frau denken, die ihre eingefallene Brust an den Stickrahmen preßt und jedesmal, wenn sie die Nadel durchzieht, trocken hüstelt?«

Violantha drückte die feinen, durchsichtigen Finger vor die Augen. »Wenn man das Leben aufmerksam betrachtet,« flüsterte sie, »ängstigt es uns, ja flößt uns Ekel und Schauder ein. Sie haben recht, fort mit diesen Gedanken! Ich habe einen Mann, der mich liebt, den ich anbete, meinetwegen sollen sich alle polnischen Verbannten die Füße erfrieren und alle Stickerinnen zu Tode husten, wenn meine Toilette mich nur gut kleidet, wenn ich ihm gefalle. Ich will ja nichts anderes. Ihm genügen, seine Augen immer klar, immer fröhlich sehen.« Die Baronin nahm lebhaft ein Glas Champagner aus der Hand des Jesuiten und leerte es auf einen Zug. »Aber ist dies recht,« sprach sie nach einer Weile etwas verdüstert, »fordere ich nicht diese Welt des Elendes heraus? Werde ich nicht für meine Selbstsucht gestraft werden, vielleicht gerade da gestraft, wo ich sündige? Robert! Robert!«

Sie rief den Namen so ängstlich, so befremdend, daß die ganze Gesellschaft sich überrascht gegen sie wendete.

»Was hast Du?« fragte Moldawetz, sich seiner jungen Frau nähernd.

»Komm! Komm!« rief diese, ihm die Hände entgegenstreckend, und indem sie ihn sanft an sich zog, flüsterte sie leise: »Hast Du mich noch lieb?«

»Ueber alles.«

»Du lügst nicht?«

»Niemals.«

»Küsse mich!«

Und ehe er sie küssen konnte, brannten ihre Lippen auf den seinen.

Der Jesuit lächelte still in sich hinein. Sein Plan auf die kleine Frau mit den frommen schwärmerischen Augen, auf den armen eitlen Mann war fertig.

Die Gesellschaft vereinigte sich immer wieder vor der Ruine. Man trank Champagner, plauderte, kokettierte, neckte sich gegenseitig, dann stiegen die Damen das Gerölle empor. Goldbach lieferte die Fortsetzung seines Eisenbahnprojektes, während Moldawetz ihn auf die graziösen Bewegungen seiner Frau aufmerksam machte, welche ausgelassen zwischen den moosüberzogenen Trümmern herumhüpfte und sich von Zeit zu Zeit bückte, um eine Steinnelke oder Anemone zu pflücken.

Plötzlich stieß sie einen gellenden Schrei aus, wankte nach rückwärts und drohte bei dem nächsten Schritte von dem schroffen Gemäuer herabzustürzen. Aspasia faßte sie mit starker Hand und riß sie zurück, Während Moldawetz mit raschen Sätzen zu ihr emporeilte.

»Was hast Du?«

»Was haben Sie?« rief es von allen Seiten.

»Ich bin auf eine Natter getreten,« sprach Violantha »dort – sieh, dort verschwand sie eben im Gerölle.« Sie lehnte sich beruhigt an die Schulter ihres Mannes, umschlang ihn und blickte in die weite Landschaft, welche im trockenen Sonnenbrande zu glühen schien. Bäume und Pflanzen senkten schmachtend ihre Blätter, auf der nahen Fichte saß ein Fink im Schatten dichter grüner Nadeln und zwitscherte müde. Der Himmel war tiefblau und färbte sich immer dunkler. Plötzlich richteten sich Halme, Blumen, Gräser und Blätter gleichsam horchend auf, von Norden strich ein Luftzug über die Fläche und wirbelte die trockene heiße Erde empor und wuchs mit jeder Minute und blies endlich eisig und heftig große schwarze Wolken heran. In der Ferne grollte der Donner. Staubwolken standen in der Ebene wie Säulen, die den Himmel zu tragen schienen, Korn und Weizen wurden zu Boden gelegt, der Wald rauschte gleich einem Meere.

»Es zieht ein tüchtiges Gewitter herauf,« rief Moldawetz; »wir haben alle Zeit, zu Pferde zu steigen.«

Die Gesellschaft eilte den Abhang herab. Schon fielen die ersten warmen Tropfen, es wurde rasch dunkel, Blitz auf Blitz zerriß die finstere Wolkendecke. Während die Tiere vorgeführt wurden, jeder den Sattel zu gewinnen suchte, schrie Goldbach: »Wir haben am nächsten zu mir. Ich bitte, mir zu folgen.«

Ein Blitz, ein Donnerschlag, der die Erde beben machte, und der Regen strömte herab.

»Vorwärts! Vorwärts!« ertönte es von allen Seiten. Alle hieben zugleich in ihre Pferde und suchten Goldbachs Besitzung zu gewinnen, bis auf Aspasia, welche Leon in den Zügel fiel.

»Sie langweilen sich,« begann sie im gleichgiltigsten Tone von der Welt.

»Eine Frau von Ihrem Geiste ist doch auch nicht imstande, sich in dieser jämmerlichen Welt zu unterhalten,« entgegnete Leon.

Aspasia antwortete, aber der Donner verschlang momentan ihre Worte. Sie beugte sich über den Sattelknopf herüber.

»Gewiß nicht,« rief sie. »Ich mache Ihnen also den Vorschlag, daß wir den Versuch wagen, uns zusammen zu langweilen.« Frau von Bärneck peitschte zugleich Leons Pferd und setzte das ihre in Galopp.

Sie sprengten gegen Tabor dem Gewitter entgegen und ließen die Gesellschaft in einer Regenwolke zurück.

Vom Wasser gepeitscht, von Kot bespritzt, erreichte dieselbe Goldbachs Landsitz, sprengte durch dessen Gitterthor und stieg unter den prächtigen italienischen Arkaden von den Pferden. Violantha, der eine Flechte losgegangen war, lachte wie ein mutwilliges Kind, riß den Amazonenhut herab, in dem sich das Wasser wie in einer Rinne gesammelt hatte, und nahm ihr Kleid auf, das vor Nässe schwer geworden war. Goldbach stellte den Herren seine ganze Garderobe zur Verfügung, während seine Wirtschafterin, ein derbes böhmisches Bauernweib, die Baronin einlud, sich bei ihr umzukleiden. In einer Viertelstunde war der Umzug beendet und der kleine muntere Kreis versammelte sich in dem weitläufigen Speisesaal. Man musterte sich gegenseitig und lachte über die kostbaren Karikaturen, welche der Garderobenwechsel hervorgebracht hatte. Czerny hatte ein paar großquadrillierte Pantalons an, sie reichten ihm nicht weit über das Knie. Ein Paletot Goldbachs wurde an ihm zur Jacke. Moldawetz stak in roten Türkenstiefeln und trug einen Sommerrock Goldbachs wie einen Dolman um die Schultern, Bärneck kam wie der Gouverneur im »Don Juan« in einen weißen Reitermantel gehüllt, während der Jesuit, welcher alle Versuche, seine langen himmlischen Beine in irgend einem niedlichen Garderobestück des Hausherrn unterzubringen, aufgegeben hatte, in dem feuerroten Unterrocke und dem großgeblümten Shawl der Wirtschafterin erschien. Dagegen wurde die Baronin in dem kurzen schmucken Rock, dem Tuchmieder einer böhmischen Bäuerin, die langen braunen Zöpfe über den Rücken, mit einem Ausruf des Entzückens empfangen und ihr Gatte beeilte sich, ihre bloßen Arme mit Küssen zu bedecken.

»Wo bleibt nur Ihre Frau?« sagte der Jesuit zu Bärneck.

»Ja, wo bleibt sie,« erwiderte dieser gleichgiltig. Weiter wurde um sie nicht mehr gefragt.

Goldbach schoß wie ein Eichkätzchen auf und ab, schrie mit heiserer Stimme, stellte selbst den Theekessel auf die Tafel, welche die Mitte des Saales einnahm, und begann, von Frost geschüttelt, mit zitternder Hand Butterbrötchen zu streichen. Violantha trat an die Glasthür des Balkons, von der aus sich ihr ein weiter Ausblick in die Gegend bot, und verfolgte das Zucken der Blitze auf der finstern Wolkendekoration, die Regenströme, die sich durch Felder und Wiesen Bahn brachen. Der Jesuit hatte indes die biblischen Scenen, die Heiligen betrachtet, mit denen alle Wände des Speisesaals bedeckt waren, meist schlechte Kopien nach guten Gemälden der italienischen Schule. Lächelnd wendete er sich zur Baronin.

»Da sehen Sie einen Mann, der von keinem Zweifel geängstigt wird,« sagte er leise, auf die heilige Galerie deutend.

»Kein Mensch genügt sich selbst, niemand reicht mit seinen Kräften aus, ein jeder sucht nach Ergänzung, nach einem Halt außer sich,« erwiderte Violantha, ohne ihr Gesicht von den in kurzen Intervallen aufflammenden Scheiben abzuwenden.

»Nun, Sie haben diesen Ankergrund gefunden.«

»Und ich halte ihn fest. Wenn er mich aber täuscht? Wenn ich ihn verliere? Was dann?«

»Dann wenden Sie Ihren Blick nach oben,« sprach der Jesuit mit tiefem Ernste.

Die junge Frau seufzte.

»Wir werden doch nur von unseresgleichen verstanden,« sagte sie schüchtern nach einer kleinen Pause, »nur in einer Menschenseele finden wir Verständnis und Harmonie. Mir scheinen Naturen, die sich an ein höheres Wesen wenden, ebenso gestört wie jene, welche ihre Freunde unter Tieren und Pflanzen suchen.«

»Ich bitte, der Thee wird kalt, ich bitte,« kreischte Goldbach.

Man nahm Platz an der fürstlich gedeckten Tafel, nur er blieb aufrecht wie eine Schildwache vor seinem Sessel stehen, faltete die Hände und sprach, die Augen andächtig zu den Nymphen, welche in einer lustigen Gruppe den Plafond schmückten, erhoben, das Tischgebet. Die Blitze, durch den Glanz der Kerzen zuckend, gaben dem Saale eine fremdartige Beleuchtung. Der Donner grollte unaufhörlich. Immer neue Gewitter stiegen herauf. Der Boden zitterte von Zeit zu Zeit leise bei den furchtbaren Schlägen.

»Es ist ein Sturm in der Natur, als sollte die Erde bersten,« sagte Violantha, indem sie sich sanft an ihren Mann schmiegte. »So mögen die großen Umwälzungen begonnen haben, welche die Gestalt unseres Planeten für Millionen Jahre veränderten.«

»Ja, es ist eine förmliche Revolution,« sagte der Bezirkshauptmann; »sie ist jedoch notwendig, wenn wir für lange Zeit der Ruhe versichert sein wollen. So ist es auch im Leben der Völker.«

»Nur wird der Friede der Natur, welcher diesem Orkane folgen wird,« warf der Jesuit ein, »von dem Landmann besser benutzt werden, als wir die Jahre tiefer Ruhe, welche uns jetzt geschenkt sind, auszubeuten wissen.«

»Glauben Sie?« erwiderte Goldbach betroffen.

»Durch materielle Mittel allein,« sprach Pater Loyola, »werden heute keine nachhaltigen Wirkungen mehr erzielt. Geistige Waffen entscheiden. Die neue Ordnung kann nur durch die Religion, die Macht des Throns durch die Kirche allein befestigt werden.«

»Sie können nicht sagen,« antwortete der Bezirkshauptmann mit einem feinen Lächeln, »daß unsere Machthaber dies nicht begreifen. Das beweist das Konkordat. Wenn wir hier von einer Schuld sprechen können, so wäre sie nur auf Seite der Kirche, welche seit beinahe drei Jahrhunderten still gestanden ist, welche es verschmäht hat, die neue Zeit mit ihren eigenen Waffen zu bekämpfen. Nur mit Mächten kann man Allianzen schließen. Die Kirche muß sich vor allem wieder als eine Macht zeigen.«

»Das wird sie,« sprach der Jesuit ruhig, »zweifeln Sie nicht daran. Und die Zeit ist nicht so fern, wo man in uns jene Stützen finden wird, welche man bisher vergeblich in Bajonetten und Kanonen gesucht hat.


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