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Zweites Kapitel.

Ein Priester des Herrn.


Der Glaube strahlt wie ein Morgenstern.

Longfellow.

Es war dunkel geworden. Finstere Wolken waren an dem Himmel heraufgezogen, die heiße Luft lag schwer und drückend auf der Erde. Tiefe Stille ringsum. Auf der Schwelle des Waldhofs stand die schlanke, wildschöne Hussitin und blickte gegen Tabor. Plötzlich band sie ihr Brusttuch fester und eilte dann durch Feld und Wiese, Bäume und Gebüsch dem Dorfe zu.

Auf dem Fußpfade, der in allerhand unbegreiflichen Krümmungen von dort aus zu dem Waldhofe lief, ging langsam ein junger Priester.

Er hatte den Hut abgenommen und zeigte ein edel gebildetes Gesicht. Die Stirn eines Denkers erhob sich über ein paar guten frommen braunen Augen voll Glauben, voll Hoffnung, voll Liebe. Sein schlichtes Haar war von dunkler Farbe, die charaktervolle Nase etwas stumpf, der Mund voll und sanft.

Eine Linde stand am Wege; als er sie erreichte, tauchte eine bekannte liebe Gestalt auf.

»Gelobt sei Jesus Christus,« sprach eine Stimme voll Wohllaut.

»In Ewigkeit, Amen.«

Das schöne Mädchen neigte sich, um seine Hand zu küssen, der junge Priester zog sie zurück und strich ihr liebevoll die losen Haare aus der Stirn.

»Bist Du es, meine Wilde?« sprach er mild lächelnd.

»Wäre ich wirklich eine Heidin, Pater Adalbert?« entgegnete Diva.

»So etwas dergleichen. Wenn ich als Knabe die Bücher der Reisenden, der Entdecker, der Missionäre las, da wurde meine Seele weit und es trieb mich fort über das Weltmeer, mit dem Kreuze in der Hand den Heiden zu predigen. Seitdem ich aber hier unter Euch bin, sehe ich, daß ich garnicht über das Meer zu gehen brauche.«

»Ja, Herr, es giebt verstockte Herzen genug unter uns,« sagte die Hussitin nach einer kleinen Pause, »verstockt in Selbstsucht und Mißgunst und Ihr predigt ihnen das Kreuz wie ein Missionär. Ja, mehr noch, was Ihr sagt, geht so von einem zum andern durch das Volk, man merkt es nicht und ist erbaut und bekehrt.«

Diva schlug die großen Augen zu Adalbert auf, er erwiderte den Blick nicht, er bemerkte ihn nicht einmal. Sie setzte sich auf den Stein, der bei der Linde lag, stützte die Arme auf die Knie und vergrub ihr Gesicht in den Händen.

»Herr,« sagte sie auf einmal, »Jan, der Knecht« – sie stockte, errötete und blickte zur Erde.

»Was ist mit ihm?«

Sie rührte sich nicht.

»Was hast Du, Mädchen?«

Wieder flammten die dunklen Augen dem jungen Priester entgegen und sie begann leise zu beben.

»Nun?«

»Er – er liebt mich.«

»Und Du?«

»Ich?« Diva sah ihn erstaunt an. »Ich« –

»Du liebst ihn auch.«

»Herr,« schrie das Mädchen auf, »ich – ich den Knecht!«

»O Du Dorf-Aristokratin!«

»Nicht so, mein hochwürdiger Herr,« sprach Diva ruhig. »Es giebt kein Gebot gegen die Liebe, ich weiß es. Wenn ich Gott lieben darf, warum sollte der Knecht nicht seine Herrin lieben und ich – aber, ich liebe ihn nicht – ich« – Sie verbarg ihr Gesicht wieder in den Händen.

Der junge Priester betrachtete sie lange schweigend, mit inniger Teilnahme.

»Hütet Euch vor Jan,« rief sie plötzlich leidenschaftlich, »er haßt Euch!«

»Mich,« sprach Adalbert, »und weshalb?«

»Weil« – das Blut flammte dem armen Mädchen auf Antlitz und Nacken – »weil ich« – sie wendete das Haupt, nahm eine Hand voll Erde und ließ sie durch die Finger gleiten, dann stand sie auf. »Weil ich Euch jeden Abend hier erwarte.« Ruhig, innig hing ihr Blick jetzt an dem seinen.

»Erwartest Du mich, Diva?«

»Wißt Ihr es nicht, hochwürdiger Herr?«

»Ich wußte es,« sagte der Priester leise. »Du hast Zutrauen zu mir,« fuhr er dann fort.

Die Hussitin faßte seine beiden Hände und nickte mit dem Kopfe.

»Und ich komme, um Dich zu sehen,« fuhr er fort, »denn Du bist mir mehr als andere; mich faßt oft eine namenlose Angst um Deine reine Seele, ich will Dich behüten, Dich retten.«

»Ueberlaßt dieses Geschäft den Jesuiten, Herr,« entgegnete die Hussitin und warf stolz den Kopf zurück.

»Wie kommst Du auf die Jesuiten?«

»Es ist eine halbvergessene Geschichte,« erwiderte sie düster, »niemand spricht davon und jeder weiß es. Ich hasse die Jesuiten und habe Ursache dazu. Man singt Lieder bei uns, wie sie in das Land gekommen sind mit den Dragonern des Kaisers, um die Hussiten zu bekehren.«

Befremdet blickte der Priester auf das Mädchen, dessen Brust jetzt heftig arbeitete, dessen Mundwinkel sich zornig verzogen, dessen Augen in der Dunkelheit elektrisch leuchteten. Diva setzte sich wieder und schwieg und der Priester schwieg gleichfalls.

»Glaubt Ihr an das, was Ihr lehrt?« fragte sie unerwartet den jungen Kaplan.

»Ich glaube daran, so wahr mir Gott helfe, Amen,« sprach er weihevoll, fest, sein Antlitz leuchtete, sein Auge blickte zu dem feierlichen stillen Nachthimmel empor. Die Wolken zogen rasch wie dünne Schleier durchsichtig über den vollen Mond. Diva erhob sich und stand auf einmal in seinem bleichen magischen Glanze, sie erhob das Haupt und schauerte zusammen.

»Hüte Dich vor dem Monde!« rief der junge Priester.

Diva erbleichte und wich entsetzt, das Auge flehend auf ihn gerichtet, ein paar Schritte zurück. Sein Blick ruhte still und mahnend auf ihr.

Sie kehrte der hellen Scheibe den Rücken und preßte die Hände vor das Gesicht.

»Kennt Ihr das Geheimnis?« sprach sie leise. Ihre Stimme zitterte.

»Ich kenne es; und Du?«

Sie schwieg.

»Kennst Du die Wiese –«

»Ich nicht,« schrie sie auf. Es war ein häßlicher verzweifelter Aufschrei. Sie warf sich nieder und preßte ihr Antlitz mit den geballten Fäusten gegen die feuchte Erde.

»Ich nicht,« murmelte sie, »ich nicht.«

Der Mond trat eben voll und mächtig aus den Wolken.

»Mich faßt eine tiefe Angst um Dich,« rief Adalbert, »ich will, ich muß Dich retten.«

Diva richtete sich auf, die Flechten fielen ihr zerrissen bis über den Rücken, sie blickte scheu zu dem in weißes Licht getauchten Walde hinüber und floh dann in wildem Sätzen gegen den Hof.

Auf einmal flammte der ganze Horizont, dann spannte sich wieder volle Dunkelheit über den Himmel, schwere, schwarzblaue Wolken zogen darauf, es donnerte in der Ferne.

Vor dem Hofe kauerte ein Mann.

Jetzt rief er Diva an.

»Woher kommst Du?« fragte er noch einmal, als sie keine Antwort gab, zugleich erhob er den Arm und legte die eiserne Faust um ihr zartes Handgelenk. Es war Jan, der Knecht, ein plumper Bursche mit vorsintflutlichen Gliedmaßen, groben Zügen, kurzem schwarzem Haare und tiefliegenden, glanzlosen, wasserblauen Augen.

»Wo warst Du?«

»Laß mich los!«

»Antworte!«

Das Mädchen suchte sich los zu machen.

»Soll ich Dir sagen, wo Du warst?«

Diva preßte ihre Knie gegen den Arm des Knechtes und riß sich los.

»Du bist stark, Diva,« sprach Jan mit ruhiger Bewunderung.

»Rühr' mich nicht an!«

»Ich rühre Dich nicht an, aber ich werde Dir sagen, wo Du warst. Du hast wieder mit dem Priester gesprochen.« »Nun?«

»Habe ich es Dir nicht verboten?«

Diva lachte. »Du mir!« sprach sie höhnisch.

»Habe ich Dich nicht gewarnt?« fuhr Jan mit heiserer Stimme, leise, verbissen fort. »Ich kenne die Schwarzröcke – lasse Dich nur mit ihm ein. Ich sage Dir, wie Du endest.« Er näherte seinen dicken Kopf dem Ohre des Mädchens. »Im Flusse endest Du und vor Dir Dein Kind.«

»Jan,« sprach das Mädchen drohend, »als Du noch mit mir in die Schule liefst, hast Du einmal ein Heiligenbild besudelt von denen, die dort am Wege stehen. Ich habe es nicht vergessen. Es scheint in Deinem Geschäft zu liegen, heilige Gestalten zu beschmutzen. Beschmutze mir den Adalbert nicht, es könnt' Dich reuen!«

Die Augen des Mädchens bohrten sich dabei unbarmherzig in das käseweiße Gesicht, die verstockte Seele des Burschen. Der aber blickte blöde vor sich hin und schnitt mit dem Brotmesser in seinen Stiefelabsatz.

»Ich bin Dein,« sprach er dann halblaut, dazwischen hustend, »Du gebietest und ich gehorche. Nicht weil Du meine Herrin bist, oder weil dies Deines Vaters Hof ist,« fuhr er laut und lebhaft fort, »das ist eine andere Sache. Du hast mich wie den Hund an der Kette. Und jetzt geh hinein, sie warten auf Dich – die Schüssel dampft – geh!«

Diva sah ihn forschend an und verschwand dann in der frisch gezimmerten Hofthür. Jan, der Knecht, blieb einige Augenblicke sitzen und horchte ihren Schritten nach, dann stellte er sich ziemlich ungeschickt auf die Beine und schritt langsam über das Feld nach Tabor.

Die ersten warmen Tropfen fielen vom Himmel, zwei Blitze zerrissen die Wolken, zwei heftige Donnerschläge machten die Erde leise zittern und der Regen stürzte rauschend herab.

Ein Weib, das den Rock nach vorn über den Kopf gezogen hatte, überholte den Knecht. »Wohin, Alte?«

»In die Pfarre – der alte Patek stirbt.«

»Laß ihn ruhig sterben.«

»Er verlangt den Adalbert, ich muß ihn holen.«

»Den Adalbert,« erwiderte der Knecht, indem er stehen blieb. »Ja, den – den hol nur – laufe, laufe, Alte, – Du kommst sonst zu spät.«

Der Knecht kehrte dem Dorfe wieder den Rücken und eilte eine Gruppe von Weidenbäumen zu gewinnen, welche ihre Aeste wie Arme klagend über den Taborbach breiteten. Dort lehnte er sich an einen Stamm und begann mit seinem breiten Messer dessen Rinde zu zerschneiden. Wie er so stand, zog es sich nebelhaft, düster um ihn zusammen und Gestalten tauchten aus der Nacht, bekannte heilige Gestalten standen stumm in der Luft, lösten sich langsam in graue Schleier auf und verschwammen, und ein paar große dunkle Augen blickten auf ihn und leuchteten drohend jedesmal, wenn ein Blitz den düsteren Nachthimmel zerschnitt; jetzt kam eine Gestalt über den Steg am Taborbache, es war ein Weib, zwei andere folgten, der junge Priester mit dem Leib des Herrn, der alte morsche Kirchendiener mit den schlottrigen Beinen und dem großen roten Schirm, den er ängstlich gegen den Regen hielt. Sie eilten vorwärts, der Wind schlug ihnen in das Gesicht, das Wasser floß nur unter ihren Füßen, ein heftiger Stoß zerriß den Schirm.

Der Priester senkte sein blasses Haupt und barg den Leib des Herrn an seiner Brust.

Da kniete auf einmal ein Mann an dem Wege und beugte seine Stirn bis zur Erde. Der Priester hielt und hob das Hochwürdigste über ihn.

Es war Jan, der Knecht.

Vom Dorfe her läutete die Sterbeglocke, wehmütig, leise klagend, weltversöhnend.


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