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Zehntes Kapitel.

Die heilige Nacht.


Unenträtselt blieb die ewige Nacht,
Das ernste Zeichen einer fernen Macht.

Novalis.

Die Sonne war untergegangen, nur ein leiser Schimmer lag noch an dem Rande des reinen tiefblauen Himmels. Einen Augenblick legte sich dunkle Dämmerung in die Landschaft, dann verbreitete sich neues Licht. Der volle Mond schwebte still und glänzend herauf.

Sein Licht ruhte klar und mild auf der Ebene, füllte Teich und Bach mit flüssigem Silber, breitete sich gleich durchsichtigen Schleiern um Wald und Dorf, und zog seine schimmernden Fäden von Ast zu Ast, von Halm zu Halm.

Tiefe Stille. Von Zeit zu Zeit nur bellten die Hunde im Dorfe oder eine Wachtel schlug im Felde und eine andere gab Antwort.

Langsam stieg ein Mann die Lehne empor zu dem Walde von Moldawa.

Er trug die Flinte im Arm, aber kein Hund begleitete ihn. Manchmal blieb er stehen und blickte um sich, ob ihn jemand entdecke, manchmal blickte er in den Mond und schauerte dann leise.

Es war Leon.

Ehe er den Wald betrat, wendete er sich noch einmal gegen die Ebene, wo die stillen Dörfer, die vereinzelten Weiler mit ihrem Lichtschimmer lagen, und schritt dann zwischen den Bäumen hin; das Moos verschlang seine Schritte. Da und dort klatschte eine einzelne Eichel gleich einem großen Tropfen durch das Laub. Eine Schlange raschelte in abgefallenen dürren Blättern. Leon zog den Fuß zurück, gegen seinen Willen, und schritt dann wieder vorsichtig vorwärts. Hoch oben im Aether hing eine große weiße Wolke, von oben herab beleuchtet wie eine Krystallampel. Leuchtkäfer flogen gleich Funken auf und schwammen langsam in der schweren balsamischen Luft. Jetzt leuchteten die Augen eines Marders, der auf Raub ausging, hinter den schwarzen Stämmen. Eine Eule schrie. Leon verließ den Pfad und ging im Dickicht aufwärts von Baum zu Baum. Die Stimmen des Waldes erstarben langsam in der Ferne, bald war es vollkommen still um ihn. Kein Ton in der ganzen Natur. Eine tiefe traurige Spannung, wie vor einem Erdbeben oder einer Sonnenfinsternis, und je weiter er emporstieg, goß sich mehr und mehr eine magische Helle durch Aeste und Blattwerk über ihn.

Die Wiese war nahe, noch zwei Schritte.

Er stand vor dem grauenhaften Geheimnis, das ihm die Ruhe, den Schlaf, die Lebensfreude raubte, an das er nicht denken konnte, ohne daß ihn ein geistiger Taumel erfaßte, der ihn ängstigte wie Wahnsinn.

Er hielt inne, glitt geräuschlos an dem nächsten Stamme nieder und blickte hinüber. Sein Herz zog sich zusammen, seine Schläfen pochten. Ein seltsamer Ton, halb Gesang, halb Lachen, ein Zwitschern junger Vögel, ein leises Weinen, ein wehmütiges Jauchzen drang an sein Ohr. Rätselhafte Schatten, wie riesige Götterbilder, flogen über das feuchte, schimmernde Moos und jetzt schwebten geisterhaft, elfenschön Frauen, Männer mit geschlossenen Augen im rhythmischen Tanze an ihm vorbei. Sie schwebten unhörbar über den Boden, gleichsam in der Luft, ihre nackten Leiber schienen durchsichtig, von dem zitternden Lichte des Vollmonds erfüllt, der ihnen im Rücken stand und die Wiese in den süßen Glanz eines Traums hüllte.

Das Haar floß ihnen mähnenhaft über den Nacken und flatterte leicht, das Antlitz mit den halb geöffneten Lippen war dem Monde zugekehrt. Jetzt schwebte auch sie vorbei, jenes Weib mit den goldenen Flechten, dem Leib einer Bacchantin und den kleinen Füßen; sie hatte wie im Schlafe den einen Arm unter den Kopf gelegt und lachte melodisch wie eine Nachtigall. Sie flog vorbei und weiter, immer weiter, und wie sie davonzufliegen schien, zog sie Leon magnetisch nach, sie zog ihn empor, sie zog ihn in den Kreis.

Ein Schrei, ein wildes Lachen, ein bacchantisches Weinen – und sie stoben auseinander.

Leon stürzte auf die Unbekannte.

Sie riß ihre Hand aus der Hand des Tänzers, der traumtrunken zurücktaumelte, und floh in den Hochwald. Das Haar flatterte gleich goldenen Fittichen um ihre Schultern und schien sie emporzuheben und zu tragen. Leon folgte ihr. Sie sprang mit elastischen Sätzen über niederes Gebüsch und gefallene Stämme, jetzt hing sie einen Augenblick an einem Aste und schwang sich über eine tiefe Kluft hinüber. Er folgte ihr.

Rasch blieb die Wiese mit ihrem geheimnisvollen Spuk hinter ihnen zurück, das bacchantische Lachen verklang in der Ferne.

Fort ging die Jagd durch Wald und Büsche, bergauf, bergab, die schwarzen Stämme, Felsen, Bäche flogen an ihnen vorbei, Farnkräuter, Bäume und Gestein schienen tausend nebelhafte Arme nach ihm auszustrecken, um ihn zurückzuhalten, ein Fuchs heulte hoch oben in der Schlucht, ein Raubvogel stieß mit seinen weit ausgespannten Flügeln durch das Dickicht, nur der Mond stand voll und still über ihnen, und fliehend noch kehrte ihm das rätselhafte Weib das Antlitz zu.

Ein Wasser rauschte vor ihr, tief unten, wühlte sich grollend durch den Fels und Geröll und warf seinen weißen Schaum hoch empor. Kein Steg führte hinüber, nur ein junger Tannenbaum lag querüber, nicht stärker als ein gespanntes Seil.

Sie besann sich keinen Augenblick und lief hinüber. Leon setzte den Fuß auf die luftige Brücke, ihm versagte der Schritt. Schnell entschlossen ergriff er die herabhängenden Zweige eines Brombeerstrauchs und ließ sich in die Kluft hinab. Dornen, vorspringende Steine zerrissen ihm Hände und Kleider, er watete durch den wilden Sturzbach, klomm das jenseitige Ufer an Felszacken, Wurzeln und Gebüsch empor, und schon war er wieder hinter ihr und sah ihr Haar leuchten im Mondlicht. Und immer kürzer wurden ihre Schritte, immer tiefer hörte er sie Atem holen. Plötzlich preßte sie beide Hände gegen das Herz, blieb stehen und wendete das Antlitz mit den geschlossenen Augen zu ihm. Er kam näher und näher, noch einmal raffte sie sich auf und floh in wilden Sätzen; auch seine Kraft ließ nach, der kalte Schweiß tropfte ihm von der Stirn; mühsam schleppte sie sich vorwärts, mühsam folgte er.

Unter einer jungen Eiche sank sie endlich nieder, erhob sich, sank noch einmal in die Knie und lehnte sich dann gegen den Stamm zurück mit geschlossenen Augen.

Sie weinte.

Leon hatte sie in diesem Augenblick erreicht und wich zurück. Es war ein Weinen, bei dem ihm das Herz still stand, das verzweifelte Weinen eines Kindes, das sich im Walde in der Nacht verirrt hat, das Weinen eines gefallenen Engels, das Weinen eines Raubtieres, das friert und hungert.

Langsam zogen weiße Wolken über den Himmel, über den Mond und hüllten ihn ganz ein.

Sie schluchzte nur noch leise, dann preßte sie die Hände vor die Augen und lag so lange Zeit. Leon stützte sich auf seine Flinte, in ihren Anblick verloren und versteinert. Dann richtete sie sich auf, seufzte tief, schlug mühsam die goldbefranzten Lider auf, blickte um sich und schauerte.

Noch einmal versuchte sie, das dunkle Auge auf Leon geheftet, zu fliehen, aber sie sank mit einem schmerzlichen Laut zurück.

»Wo bin ich?« fragte sie nach einer Weile.

Die weichen slavischen Laute flossen ihr melodisch von den Lippen.

»Dort, wo Dein Reich ist,« sprach Leon, indem er sich langsam auf ein Knie niederließ. »Du gebietest über den Wald, über mich, der als Dein getreuer Unterthan Dir zu Füßen liegt.«

»Ich verstehe Dich nicht – wer bist Du?«

»Und Du?«

Sie blickte sinnend vor sich hin und schüttelte das Haupt, sie kehrte das Antlitz unwillkürlich wieder gegen den Mond.

»Ich weiß es nicht,« sagte sie leise.

»Du weißt es nicht?«

»Sie ist noch bei mir.«

»Wer?«

»Sie.«

»Wer ist das?«

»Jene andere, welche der Vollmond ruft und emporzieht in den reinen Aether, welche sich in seinem heiligen Lichte badet und auf der Wiese den Reigen tanzt – doch Du verstehst mich nicht.« Sie lachte unschuldig wie ein Kind.

Leon fühlte sich von einem unheimlichen gespenstischen Wirbel wollüstig erfaßt.

»Du sprichst, als seist Du nicht ein Wesen unserer Art,« begann er mit bebender Stimme, »als hättest Du zwei Seelen, die eine der Sonne, die andere dem Monde zugekehrt, gleich Tag und Nacht.«

»Kümmerts Dich?«

»Sprich nur ein Wort, erkläre mir –«

»Du kannst sie nicht verstehen.«

»Wen?«

»Sie.«

»Sie?«

»Sie, die jetzt zu Dir spricht.« Dabei zuckte sie die Achseln und kräuselte die Lippen verächtlich.

»Hauche meine Augen an,« sprach sie dann ernst, »und sprich dreimal: Wach auf! und ich will zu Dir reden, wie Menschen reden. Nun, besinne Dich nicht!«

Leon erhob sich, beugte sich zu ihr nieder, hauchte ihr dreimal auf die sanft geschlossenen Augenlider und sprach: »Wach auf! Wach auf! Wach auf!«

Sie dehnte die Glieder, rieb sich die Augen, sah ihn erstaunt an und lächelte. Dann schrak sie zusammen, schrie auf, zog die Füße an sich und hüllte sich in ihre üppigen blonden Haare wie in einen Mantel. Sie zitterte vor Kälte, während ihre Wangen in tiefster Scham erglühten.

»Wer bist Du?« fragte sie zornig mit bösem funkelndem Blick. »Rühr' mich nicht an, sonst erwürg' ich Dich. Was hast Du vor mit mir, wie hast Du mich hierher gebracht, in diesem Zustand?«

»Ich habe Dich gefunden.«

»Du – mich?«

»Im Walde, auf der Wiese, im Vollmondlicht.«

»Du lügst!«

Die Wolken zogen vorbei, der Mond trat klar und mächtig aus ihnen hervor. Die Unbekannte wurde unruhig, blickte scheu zu ihm empor, wendete sich ab und bebte wie im Fieber.

»Nein, Du lügst nicht,« sprach sie leise, gesenkten Blickes; »im Walde, auf der Wiese – sie hat mich hingeführt zum Tanze.« Zugleich begann sie zu weinen, warf sich vor Leon nieder und umfaßte seine Knie.

»Verrat' mich nicht! Kennst Du das Geheimnis? Verrate es nicht, sie würde mich töten und die andern! Entsetzliches, unberechenbares Unglück könnte entstehen und käme vernichtend über sie und mich und Dich. Du selbst würdest Dir und dieser Stunde fluchen. Ich bin schön – ich will Dein sein – Dein – nur Dein – aber verrate mich nicht.«

»Ich verrate Dich nicht,« sprach Leon feierlich.

»Schwöre mir!«

»Ich schwöre. Steh' auf.«

Sie erhob sich.

»Komm, ich will Dich nach Hause bringen.«

»Nein, nein.«

»Willst Du allein gehen,« sprach er sanft, »sollen Dich fremde Menschen finden, Holzknechte, Jäger, schlagen und verhöhnen?«

»Du hast recht,« rief sie lebhaft, »Du wirst mich schützen.« Dabei schlang sie zwei weiße schwellende Arme um ihn und küßte seinen Mund. »Jetzt zitterst Du,« sprach sie schelmisch.

»Wie soll ich nicht, Du bist so schön.«

»Nun?«

»Mit Deinen blonden Flechten nimmst Du mich gefangen, mit Deinen dunklen Augen vergiftest Du mein Blut.«

»Ich will ja Dein sein, ich will Dich lieben!« Sie küßte ihn wieder und schmiegte sich dann beinahe ängstlich an ihn. »Nur jetzt bringe mich fort, mich ängstigt der Wald, der Mond, bringe mich fort.«

Leon führte sie, nach einigen Schritten knickte sie zusammen. »Ich kann nicht!« seufzte sie, zu Boden gleitend.

»So trage ich Dich.«

»Ja, thue das, ich will dafür –«

»Was willst Du?« Er hob sie auf.

»Alles, was Du willst,« flüsterte sie, das schöne Haupt an seine Schulter gelehnt. Dann schwiegen sie beide.

Leon trug seine herrliche Last vorsichtig, Schritt für Schritt durch das Dickicht. Von Zeit zu Zeit zeigte sie mit ihrem weißen Arm, der im Mondlicht leuchtete, den Weg.


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