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Elftes Kapitel.

Die Trappistin.


Ja, Sprenkel für die Drosseln.

» Hamlet

Der Jesuit saß in Tabor wie eine Spinne in ihrem Netze, zog seine Fäden von Ort zu Ort, und von allen Seiten fielen die Fliegen in dasselbe und singen sich selbst, indem sie sich loszumachen suchten.

Eine solche große Fliege war der Bürgermeister Melnik. Der Jesuit besuchte ihn fleißig und vermittelte zwischen den Gemeinden. Dinge, die bisher unerreichbar über den Köpfen schwebten, standen durch seinen Einfluß, seine Ueberredungsgabe auf einmal fertig auf der Erde. Im Handumkehren entstand ein Spital in Tabor. Goldbach, der fromme Goldbach, der edle Goldbach, gab ein gemauertes Haus, das er eben auf gerichtlichem Wege ersteigert hatte, und die Gemeinden schossen das Geld zusammen.

Jeden Sonntag predigte der Jesuit in der Dorfkirche. Das Landvolk strömte dann von allen umliegenden Ortschaften nach Tabor und füllte nach der Predigt die Schenke. So pries auch Herr Pilny, der Wirt, den Jesuiten als einen braven Mann.

Pater Loyola beherrschte bald von der Kanzel herab die Herzen, den Sinn des Volkes so vollkommen, daß Pfarrer Rabatin seinen Einfluß mit einem gewissen Unbehagen, Adalbert mit tiefem Mißtrauen zu betrachten begann.

Noch dichter zog der Jesuit sein Netz um Moldawa zusammen.

Seit jener Unterredung auf der Ruine von Zawist war er der Beichtvater Violanthas geworden. Sie vertraute ihm unbedingt, ihre Seele lag offen vor ihm, er konnte in dieselbe greifen und sie stimmen wie ein Instrument. Die junge schwermütige Frau wagte es nicht, einen Entschluß, ja nicht einmal einen Gedanken ohne ihn zu fassen. Sie begann sich vor ihren unschuldigsten Regungen, vor ihren kindlichsten Einfällen zu ängstigen.

Pater Loyola hatte in einem unbewachten Augenblicke die Nachtseite ihrer Natur entdeckt, er verfolgte sie weiter und beobachtete sie scharf. In kurzer Zeit war sein Plan mit Violantha fertig.

Mit unerbittlicher Konsequenz ging der Jesuit von seinen Prämissen aus und verfolgte sein Ziel, ohne sich durch Nebengedanken, widerstrebende Gefühle oder traurige Zuckungen seines Opfers irremachen zu lassen.

Der Baron von Moldawetz wurde bald an seiner jungen Frau eine merkwürdige Veränderung gewahr, welche ihn zuerst frappierte, dann beunruhigte und endlich erbitterte.

Der düstere Zug ihres Wesens, jene Seite, welche ihr so manchmal wehmütig leise durch Glück und Fröhlichkeit geklungen hatte, tönte immer entschiedener, schriller, klagender, sie wurde zu einem Mißtone, der unaufhörlich vibrierte und die ganze Melodie ihres Daseins zerstörte.

Anfangs, als sie den Haushalt vereinfachte, manchen Luxus einschränkte, sich einfacher kleidete, die Hütten der Armen besuchte, ringsum Wohlthaten spendete, den lustigen Gesellschaften ihres Gatten auswich, stiller, einsilbiger wurde, neckte er sie und nannte sie scherzend die Trappistin. Aber sie sank tiefer und tiefer in eine krankhafte Schwermut, eine weltscheue Frömmigkeit.

Sie zitterte endlich vor dem Vergnügen wie vor einer Sünde, und da Moldawetz in diesem Sinne sehr viel sündigte, zog sie sich immer mehr von ihm zurück. Einige Zeit ertrug er es mit Geduld.

Einmal kam er von einer Jagd zurück, erhitzt vom sonnenwarmen Tage, vom fröhlichen Morden, müde, vergnügt, sehnsüchtig nach Behagen und Liebe.

»Madame soll mich zum Thee erwarten,« sagte er dem Kammerdiener, der ihm beim Umkleiden half.

»Sehr wohl,« sagte dieser, seufzte und ging.

Moldawetz nahm die Kapseln herab, zog die Schüsse aus den Läufen seiner Doppelflinte und stellte sie in die Ecke, putzte dem Jagdhunde die Pfoten, strich ihm den klugen Kopf, klopfte ihm den Rücken, belobte ihn und ging dann hinüber in den Salon.

Der Thee wurde serviert – die Baronin kam nicht.

Moldawetz riß an der Glocke.

Der Kammerdiener erschien.

»Ich lasse die Frau Baronin herüberbitten.«

»Sehr wohl.«

Einige Minuten verstrichen. Moldawetz klopfte in immer rascherem Takte mit dem kleinen Löffel auf die Theetasse. Endlich rauschte die Portière, Violantha trat ein, blaß, das braune Haar schlicht gescheitelt, in einem einfachen Ueberrock von grauer Wolle, ohne Schmuck, ohne jede Zierde. Ihr Gatte erhob sich, ging ihr entgegen, legte den Arm um ihre Taille und küßte sie auf die Stirn.

»Du hast befohlen,« flüsterte Violantha.

»Ich befohlen! Gebeten habe ich, und muß ich nicht? Ungebeten kommst Du mir ja nicht.«

Violantha machte sich sanft los und ging zu dem Divan.

»Violantha!«

»Robert!«

»Was hast Du?« begann Moldawetz ernst. »Du bist seit einiger Zeit verändert. Habe ich Dich beleidigt, Dir weh gethan? Klag mich an, oder noch besser laß mich um Gnade bitten, ehe ich verurteilt bin.«

Er kniete vor ihr nieder und schlang noch einmal den Arm um sie.

»Du bist so gut,« erwiderte sie, nahm ihn um den Hals und küßte ihn herzlich auf die Lippen.

»Nun, was hast Du?«

Sie schüttelte das Haupt.

»O! Du hast etwas! Sprich! Ich bitte, ich beschwöre Dich. Warum lebst Du seit einiger Zeit klösterlich, kleidest Dich nonnenhaft und beobachtest ein tiefes Schweigen gleich einer Trappistin?«

»Du willst mich nicht verstehen, Robert,« sprach die junge Frau mit einem Seufzer. »Ich habe leichtfertig, gewissenlos in den Tag hineingelebt, ich war blind für das Unglück meiner Mitmenschen, meiner Brüder, jetzt habe ich das Leben erkannt! Ich sehe es vor mir, wie es ist. Es ist recht traurig, Robert, und das Jämmerlichste daran ist, man möchte helfen und kann nicht.«

Moldawetz sah sie erstaunt an und erhob sich langsam.

»Ach!« es giebt viel Unglück auf der Erde,« entgegnete er, »und ich freue mich, wenn Dein edles Herz Dich drängt zu lindern, zu heilen, zu trösten, aber kannst Du es rechtfertigen, indem Du das Unglück anderer zu heben suchst, mich unglücklich zu machen?«

»Ich mache Dich unglücklich!« rief sie junge Frau entsetzt und warf sich an die Brust ihres Gatten. »O mein Robert! Das will ich nicht, nein, nein! O! lieber will ich freveln, sündigen, täglich alle zehn Gebote verletzen.«

»Was phantasierst Du da!« beruhigte sie Moldawetz. »Verlange ich das? Du sollst fromm sein, gut und edel, aber mich ein wenig glücklich machen dabei, und wie wenig macht mich schon glücklich ein Blick Deiner guten Augen, ein Kuß –«

Violantha hing an seinen Lippen. »Still, still!« flüsterte sie, »ich will alles einbringen. Bin ich nicht Dein Weib, hat nicht der Priester unsere Liebe gesegnet und Gott selbst?«

Wieder saß sie auf seinem Schoße, wieder zupfte sie ihn beim Ohrläppchen, wieder durfte er sie auskleiden und ihre bloßen Füßchen küssen.

Neue Wochen vergingen. Moldawetz fuhr für einige Tage nach der Stadt. Als er zurückkehrte, fand er Violantha in einem Zustande krankhafter Exaltation, welcher in beängstigte. Sie hatte ihr Haar abgeschnitten und trug ein Kleid von grobem Stoff.

»Wie bist Du wieder?«

»Laß mich meine Wege gehen, Robert, wie ich Dich die Deinen gehen lasse,« erwiderte sie erregt. »Verbiete ich Dir, Tiere zu töten, die Dich nie beschädigt, nie beleidigt haben, verbiete ich Dir, den Schweiß anderer Menschen in Champagner zu verprassen?«

»Violantha!«

Sie wendete sich ab und weinte.

»Ich habe lange genug zugesehen,« rief Moldawetz zornig; »ich sehe jetzt die schmutzige Quelle Deiner unglücklichen Phantasien, ich kenne jetzt den Propheten dieser Lehre, der Dich und mich unglücklich macht und entzweit, ich werde diesen falschen Propheten aus dem Hause werfen.« »Das wirst Du nicht.«

»Das werde ich. Dieser Jesuit ist in mein Haus gekommen wie ein Fuchs, ich werde ihn mit Hunden hetzen wie einen Fuchs.«

»Frevle nicht, Robert,« schrie die junge Frau auf, »frevle nicht an dem Manne, der das Licht meines Lebens geworden ist. Was willst Du denn von mir? Bin ich nicht Dein Weib? Gehöre ich nicht Dir, Deiner Leidenschaft, Deinem Vergnügen? Fragst Du darnach, ob mein Herz zuckt, während Du mich an Deine Brust schließest, fragst Du darnach, daß der Genuß mich anekelt wie die Sünde?«

»So weit ist es gekommen – mein Gott!« Moldawetz preßte die Hände vor das Gesicht und warf sich in einen Stuhl.

Violantha schwieg, ging auf und ab, kniete in ihrem Betstuhl nieder, betete und erhob sich dann gefaßt.

»Ich will Dir alles sagen, Robert,« begann sie ruhig. »Ich habe das Leben immer anders angesehen als Du. Jetzt noch weit mehr. Du jagst dem Glücke, der Freude nach, ich weiß es, daß es kein Glück giebt, als den Frieden des Herzens und die Einkehr in sich selbst. Ich habe es zu spät erkannt. Ich bin Dein Weib und kenne meine Pflichten. Verlange nicht mehr! Eine wahrhafte Liebe ist nur zwischen reinen Seelen; so, Wie Du mich liebst, lieben sich die Tauben im Walde, die Tiere auf dem Felde; und dann bist Du eitel auf mich. Du hast mich angezogen wie eine Puppe, zu Pferde gesetzt –«

»Genug!«

Der Baron erhob sich kalt, pfiff ein Schelmenlied und verließ das Gemach seiner Frau.

Einige Tage schloß er sich in sein Zimmer ein, verkehrte mit niemand, dann nahm er plötzlich Hut und Stock und ging in den Pfarrhof von Tabor hinüber, zu Pater Adalbert.

Der junge Priester erschien an demselben Abende unerwartet bei Violantha. Als er sie verließ, stand der Baron im Korridor.

»Nun, was habe ich zu erwarten?« fragte er fieberhaft erregt.

»Nichts,« erwiderte Pater Adalbert und senkte traurig das Haupt.

Moldawetz kam fortan nur noch nach Hause, um sich totmüde auf sein Bett zu werfen.

Er ritt von einem seiner Nachbarn zu dem andern. Er begann zu wetten und zu spielen, aus Verzweiflung machte er sogar Frau von Bärneck den Hof. Am frühen Morgen nahm er die Flinte, pfiff seinem Hunde und ging mit Leon in das Holz.

Wenn es Abend wurde, saß er oft in der Schenke mit den Bauern oder unter der Linde beim Raboch. Dann fuhr er auf den Jahrmarkt, kaufte bunte Tücher, wohlriechende Seifen, silberne Ringe und beschenkte die Frauen und Mädchen im Dorfe. Diva flößte ihm Respekt ein, aber ihre Schwester Maria sah ihn so schelmisch mit ihren guten blauen Augen an, sie verstand es so hübsch, ihr gelbes Haar mit blauen Kornblumen zu schmücken, sie hatte zwei so hübsche runde Arme.

Einmal traf er sie im Walde und half ihr Beeren suchen, ein andermal ging sie mit ihm auf die Jagd und apportierte ihm mit Blak um die Wette die geschossenen Rebhühner. Und als sie in einer warmen klaren Herbstnacht – das Heu duftete ringsum – ihr Fenster öffnete, stand der Baron da. Sie erschrak, er winkte ihr, still zu sein.

»Darf ich zu Dir?« fragte er.

Das gute Mädchen legte den vollen Arm vor das blutrote Gesicht und gab keine Antwort.

Moldawetz stieg darauf in ihre Kammer und schloß das Fenster.

»Meine Schwester schläft daneben,« flüsterte sie.

»Um so stiller wollen wir sein,« erwiderte der Baron leise und zog sie auf seinen Schoß. Sie sträubte sich etwas, aber sie gab ihm die leidenschaftlichen Küsse nach ihrer Art zurück. Und jede Nacht blieb das Fenster jetzt offen, und wenn der Baron durch das Holz schritt, die Flinte im Arme, da tauchte sie plötzlich im Gebüsche auf und warf sich an seine Brust.

Niemand sah das offene Fenster, niemand ging durch das Holz, aber eine böse Ahnung flog durch Divas Seele, wenn sie den Baron und ihre Schwester Blicke wechseln sah. Einmal kam sie des Nachts in ihre Stube und warnte sie. Das arme Mädchen versuchte nicht sich zu rechtfertigen, es warf sich auf sein Bett und weinte.

Das war auch eine Antwort.


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