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Neuntes Kapitel.

Von Stern zu Stern.


Die Geisterwelt ist nicht verschlossen.

Goethes »Faust«.

Als das Hussitenkind durch den Garten kam, setzte sich ein weißer Königshase erschrocken zwischen den Krautköpfen auf und sah sie erstaunt mit großen roten Augen an, während er mit ängstlicher Eile ein Krautblatt im Maule auf und ab schob. Der griesgrämige Hofhund hob den Kopf, als ihr Rock an seine Hütte schlug und wedelte freundlich.

Diva flog die Treppe des Pfarrhofs empor und klopfte an die bekannte schlichte Thür von weißem Erlenholz.

Adalbert öffnete, sie trat ein.

Es war ein kleines, freundliches Stübchen, das der Kaplan bewohnte, frisch geweißte Wände, ein großer offener Bücherschrank, auf dem eine Erdkugel stand, ein altmodischer Schreibtisch mit Lederbänden, Heften und Schriften bedeckt, ein reinliches Bett, über dem die schönste Madonne mit dem Kinde schwebte, Blumentöpfe im Fenster, ein riesiger Lehnstuhl mit großen blanken Knöpfen.

Diva wollte Adalberts Hand küssen, er zog sie zurück.

»Was führt Dich her?« fragte er sanft.

Sie sah sich neugierig in der Stube um und wendete sich dann wieder zu ihm, sah ihn an, errötete und blickte zu Boden.

»Ich bin gekommen – ich will – ich will Sie um etwas bitten.«

»Du weißt es ja,« entgegnete Adalbert, »ich thue Dir alles gern, alles, was ich darf. Was soll ich also?«

»Ich möchte lernen,« sprach das Mädchen entschlossen, aber den Blick wagte es noch immer nicht aufzuschlagen.

»Lernen?«

»Von Ihnen lernen.«

Adalbert lächelte. »Was möchtest Du denn lernen?« fragte er, während er sich nach rückwärts auf den Schreibtisch stützte. »Ich weiß es selbst nicht,« sagte das Mädchen, »es ist ein Drang in mir, den ich nicht verstehe, der mich bedrängt und ängstigt, ein Drang, mich zu unterrichten, die Dinge zu durchdringen, in die Vergangenheit zu blicken und in die Zukunft; aber glauben Sie ja nicht, daß mich Eitelkeit dazu treibt oder Hochmut, daß ich über meinen Stand hinaus will.«

»Du hast recht, Diva,« erwiderte der junge Priester. »Bleibe in dem kleinen Kreise, in den Dich Dein Schicksal geworfen hat, thue Deine Arbeit, Deine Pflicht wie vorher, aber suche Deine Kenntnis von den Dingen zu erweitern über Deinen Kreis hinaus, dann wirst Du in demselben um so mehr nützen können. Es ist eine Erbsünde des deutschen Volkes: jeder, der lernt, will auch schon lehren, jeder, der sich an dem Geschaffenen freut, selbst wieder schaffen. Lerne, bilde Dich und kehre dann ins Volk zurück.«

»Das will ich, ich will bescheiden bleiben, arbeiten und beten; aber es ist eine Binde um meine Augen, ich fühle sie, und seitdem ich sie fühle, kann ich nicht glücklich sein. Befreien Sie mich von derselben.«

»Wie ist Dir, Mädchen?«

»Wie mir ist? Wie soll ich das erklären oder sagen? Mir fehlen noch die rechten Worte und die rechten Gedanken, aber ich weiß es doch, im Herzen sitzt es und will nicht stille werden und schreit nach Erlösung. Ich lese von Städten und Ländern in der Zeitung und in den Büchern, den wenigen, die mein Vater hat, von alten Königen und wilden Tieren, von versteinerten Blumen und wandelnden Sternen, und alles berührt mich so fremd und ängstlich. Es ist mir wie Stimmen aus einer anderen Welt, die zu mir sprechen, aus einer Welt, welche so gut da ist wie die unsere, aber schöner, besser und merkwürdiger. Diese Welt möchte ich kennen lernen. Ist es vermessen von mir, so verzeiht mir die Sünde, aber meine Seele verlangt nach Offenbarung.«

»Du sollst sie kennen lernen, Diva, diese zweite Welt,« sprach der junge Priester ernst, »und gebe Gott, daß sich Dein Herz rein in ihr erhält, wie es sich in dieser erhalten hat.«

»Giebt es denn in dieser zweiten Welt auch Schrecken und Gefahren?«

»Nein,« entgegnete Adalbert, »wenn man den Mut hat, immer vorwärts zu gehen, immer tiefer einzudringen, aber wehe dem, der nur einen Augenblick still stehen bleibt. Er wird zu Stein, wie Lots Weib, er kann nicht mehr vorwärts, nicht rückwärts, das trauliche Dunkel des Glaubens, der Unschuld ist gewichen und das Licht der Erkenntnis blinkt ihm kaum von fern wie des Bergmanns Grubenlicht, ewige Dämmerung umfängt ihn, furchtbare Zweifel schwirren wie Nachtvögel um sein Haupt.«

»Entsetzlich!« rief Diva, mit den brennenden Augen an Adalberts Antlitz hängend.

»Wer aber immer vorwärts geht,« sprach dieser weiter, »unbekümmert um die Stimmen, die ihn rechts und links schmeichelnd vom Wege ablocken, die ihn klagend, herzzerreißend zurückrufen, vor dem geht es wie jene Feuersäule vor dem erwählten Volke und weist ihm den Weg zur Klarheit und zu dem ewigen Frieden. Und glaube mir, Mädchen, am Ende giebt es doch keine Freuden, keine Genüsse in dieser jämmerlichen Welt, welche den geistigen gleich kämen; sie bieten die größte Abwechselung und haben allein etwas Unzerstörbares an sich, ja sie allein sind wahrhaft unser, sie können uns nicht geraubt werden, weder durch Menschen, noch durch Zufälle des Lebens, noch durch die Zeit. Der Mensch hängt bei weitem nicht so sehr von den Außendingen ab, als es den Anschein hat. Jeder trägt sein Maß von Glück von Anbeginn mit sich in seiner Persönlichkeit und wie sie sich in derselben bespiegelt, entsteht jedem die Welt vollkommen neu und eigenartig. Deshalb ist jedem der größte Reichtum das, was einer ist, und eines jeden vornehmste Sorge sollte sein, dies zu erweitern durch Wissenschaft, soweit es nur möglich ist.«

»Und das will ich,« sprach Diva fest.

Adalbert strich ihr ein paar lose Härchen aus der reinen Stirn. »Beginnen wir,« sprach er mild, »aber womit?«

Er stand still und legte die Hand über die Augen, in diesem Moment ergriff Diva seine zweite Hand und preßte dankbar die Lippen auf dieselbe.

»Diva,« rief er beinahe erzürnt.

Sie zog sich zurück und senkte das Haupt.

»Womit sollen wir beginnen?« fragte er dann. »Was willst Du zuerst kennen lernen?«

»Diese Erde, auf der wir leben, hochwürdiger Herr,« sprach das Mädchen ernsthaft, »welche rund sein soll wie eine Kugel und frei in der Luft schwebt wie eine Seifenblase.«

»Jawohl, wie eine Seifenblase.« Adalbert nahm den Globus herab, stellte ihn auf den Schreibtisch und setzte sich in den Lehnstuhl, das Mädchen auf das breite Fußbrett des Stuhles zu seinen Füßen.

»Soll man die Juden dulden?« fragte die Hussitin plötzlich.

»Eine echt weibliche Wendung,« erwiderte der Kaplan, »von der Erdkugel auf die Judenfrage! Höre mich, Diva. Ich glaube, daß Juden und Lutheraner irren, aber deshalb soll man sie nicht verfolgen. Sie mögen behaupten, was sie wollen, im Katholizismus hat sich das Christentum doch noch am reichsten und großartigsten erhalten und gerade in dem, was sie so heftig bekämpfen, in den Ceremonien liegt die Macht der Poesie, in den Kircheneinrichtungen die Freiheit des Glaubens und der Meinung. Nur eine allgemeine Kirche, welche über Staaten und Monarchen steht, kann eine freie Kirche sein, die anderen sinken in der Hand der Regierungen zu Polizeianstalten herab. Die Menschen fragen aber am Ende wenig um Prinzipien, die Personen entscheiden bei ihnen. Wo eine Priesterschaft angesehen ist, ist es auch die Kirche und umgekehrt. Die Willkür eines Joseph II. läßt man sich gefallen, gegen jene eines Nero empört man sich. Bei uns gewinnt der Protestantismus keinen Boden, weil unser Pfarrer ein Mann ist, ein Priester Gottes.«

»Und Sie!« rief das Mädchen begeistert.

Adalbert wollte sie nicht hören, er blickte zum Fenster hinaus und schwieg.

»Kennen Sie den Baron, den von Moldawa meine ich?« fragte Diva schüchtern.

»Welchen?«

»Den jungen.« »Leon?«

Diva nickte.

»Ich kenne ihn,« sprach der Kaplan.

»Und lieben Sie ihn,« fragte die Hussitin, die dunkeln Augen seltsam auf ihn heftend.

»Ich nicht,« sprach Adalbert mit einem schmerzlichen Lächeln, strich ihr die braunen Flechten aus der Stirn und sah sie lange an. Dann nahm er rasch die Erdkugel zwischen die Beine.

»Doch Du willst lernen, Diva! Ich will Dich langsam über die Erde führen und dann von Stern zu Stern bis in jene Welt, wo sich die Geister lieben und die Seelen küssen.«


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