Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierzehntes Kapitel.

Das Ordenshaus.


Hier siegte nicht die Kraft, hier siegten
List und Hinterhalt, die kleinsten Künste.

Collin, »Regulus«.

Es war Nacht. Kein Licht brannte im Dorfe, außer im Hause des Raboch.

Die Dienstleute schliefen, auch der Bauer, sein Weib und seine Töchter waren zu Bett gegangen.

Da ging plötzlich die Thür auf, und Raboch kam leise in die große Stube, zündete ein Licht an, kniete nieder, betete, hob einen Ziegel im Boden aus, holte ein Buch hervor und legte den Ziegel wieder an seine Stelle. Dann kamen auch sein Weib und seine Töchter, setzten sich um den langen Tisch, und der Bauer schlug das Buch auf und begann halblaut zu lesen.

Das Buch war alt, seine Blätter, morsch und feucht, zerfielen.

Das Buch war die heilige Schrift in slavischer Sprache und der sie übersetzt hatte, war Meister Johannes Huß.

Diva saß, den Kopf in die Hände gestützt, und beobachtete ihre Schwester, welche in der Ecke lag. So bleich war das Mädchen geworden, sie atmete schwer und bewegte sich so unbeholfen, daß Diva jeden Augenblick vor Entdeckung zitterte.

Das, was der Bauer las, war ohne Bedeutung für ihre Lage, aber der feierliche Ton des Evangeliums schien sie zu beunruhigen. Diva sah ihre Schwester plötzlich aufstehen und rasch mit verhülltem Antlitz die Stube verlassen.

Sie folgte ihr, sie rief draußen ihren Namen – sie war fort.

Eine namenlose Angst faßte das mutige Mädchen, sie erinnerte sich auf einmal, daß ihre Schwester in den letzten Tagen auffallend schweigsam und traurig gewesen war, sie sah ihre thränengefüllten Augen, sie hörte ihre tiefen Seufzer, noch einmal rief sie laut und schmerzlich ihren Namen, dann eilte sie den Erlenbüschen zu, gegen den Bach.

Einen Augenblick glaubte sie zwischen den Büschen eine Gestalt zu entdecken, dann sah sie nichts, aber sie hörte, – sie schrie verzweifelt auf – sie hörte einen Fall, das Wasser schlug zusammen.

Jetzt stand sie ratlos am Ufer, sie beugte sich hinab, da lag ein rotes Kopftuch, das Kopftuch ihrer Schwester; sie stieg in den Bach, sie tappte – vergebens. Das Wasser drohte, sie mitzureißen.

Sie packte einen Ast und kam an das Ufer.

Im Hofe saßen noch der Bauer und sein Weib bei der kleinen Kerze und lasen die heilige Schrift, da wankte Diva in die Stube, bleich wie eine Tote, und winkte mit der Hand.

»In Gottes Namen, was ist?« fragte Raboch entsetzt.

»Wo ist Maria?« rief ahnungsvoll die Mutter.

»Ich weiß es nicht.«

»Du weißt es, Diva!«

Diva deutete hinüber.

»Wo?«

»Im Bach.«

Die Mutter erhob sich und fiel dann nieder wie ein Stück Holz. Raboch rieb sich heftig die Stirn, nahm rasch Hut und Laterne und ging dem Wasser zu.

Diva folgte ihm eine Strecke, dann blieb sie stehen. »Ich gehe nicht mit Dir,« sprach sie mit gebrochener Stimme.

»Du gehst zu ihm,« erwiderte Raboch finster.

»Zu ihm,« rief Diva und wendete sich gegen Moldawa.

Gleich einem strafenden Engel flog sie durch die Nacht, mit Mühe erhielt sie Einlaß, denn der Kammerdiener weigerte sich, sie bei dem Baron zu melden; sie bat und drohte, fluchte und weinte, er schüttelte endlich den Kopf und klopfte leise an die Thür seines Schlafgemaches. Moldawetz öffnete.

Als er halb angekleidet, mit dem Licht in der Hand, auf der Schwelle erschien, drängte ihn Diva mit einer energischen Bewegung hinein und schloß die Thür hinter sich.

»Was willst Du?« fragte er lächelnd.

»Sie haben meine Schwester entehrt,« flüsterte Diva mit wilden, verzweifelten Augen, »Sie haben sich in unser Haus geschlichen, unser Vertrauen betrogen, Sie haben sie gemordet.«

»Gemordet?«

»Suchen Sie Ihre Dirne, suchen Sie Ihr Kind im Taborbach.«

Der Baron trat einen Schritt zurück und bedeckte sein Gesicht mit den Händen.

»Ich will Gerechtigkeit an Ihnen haben,« fuhr Diva fort, »oder Rache. Das Gericht wird Sie nicht strafen, ich gehe zu Ihrem Weibe.«

»Du hast recht, geh zu meinem Weibe,« rief der Baron und brach in ein wildes Lachen aus. Dann kleidete er sich hastig an, warf seine Flinte über die Schulter und verließ das Schloß.


Der stürmischen Nacht folgte ein feuchter, düsterer Morgen. Der Nebel lag dick auf der Erde. Graue Wolken bedeckten den Himmel. Der alte Raboch ging noch immer am Ufer des Taborbaches und suchte sein totes Kind. Da kam der Chirurg geschäftig über den Steg.

»Es hat ein großes Unglück gegeben heute nacht.«

»Ein großes Unglück,« erwiderte der Bauer und nickte mit dem greisen Haupte.

»Der Baron liegt tot im Walde.«

»Der Baron?« rief Raboch, starrte einen Augenblick in die Wellen und ging dann still gegen seinen Hof. Der Chirurg ging neben ihm. »Ich war bei ihm,« erzählte er weiter, »er ist erschossen, die Kugel ging ihm durch die Lunge.«

Wie sie in die Stube traten, saß Diva auf der Bank und hielt den Kopf ihrer Mutter an ihrer Brust. Beide weinten.

»Bist Du da?« fragte der Bauer mit einem seltsamen Blick.

»Wo soll ich sein,« entgegnete Diva.

»Es ist gut,« sprach Raboch, setzte sich, nahm das heilige Buch und verbarg es an seiner Brust.

Als der Chirurg mit der großen Neuigkeit weitergerannt war, nahm Raboch sein Kind beiseite.

»Er ist tot,« sprach er leise.

»Der Baron?«

Raboch nickte.

»Du hast ihn getötet, Diva.« Der Bauer hatte in diesem Augenblicke ihre Hand ergriffen, und seine Hand zitterte leise in der ihren.

»Nein, Vater.«

»Diva!«

»Nein, Vater.«

Raboch sah ihr streng in das Auge, und sie erwiderte den Blick mit finsterem Stolz. Dann lächelte er schmerzlich, drückte ihr leise die Hand und ging.

Gegen Abend kam Jan, der Knecht, und trug die bleiche, tote Maria in seinen Armen.

Sie warfen sich über sie und küßten sie und legten sie auf den Tisch in der Kammer.

Und wie es Nacht war, und Jan saß draußen in der Finsternis im Thorweg, beugte sich Diva plötzlich zu ihm, schlang den Arm um seinen Hals und sagte leise: »Ich danke Dir, Jan.«

Er schrak zusammen.

»Wofür dankst Du mir?«

»Hast Du nicht meine Schwester gebracht?«

»Das ist nicht alles.«

»Jan!« schrie Diva entsetzt.

»Ich habe ihn erschossen,« sprach der Knecht ruhig.

»Du, und weshalb?«

»Er hat Deine Schwester entehrt, er hat sie in das Wasser gejagt, und ich, ich liebe Dich, Diva, ich habe Dich gerächt.«

Diva preßte die Hände vor das Gesicht und schluchzte.

»Verachte mich deshalb nicht, Diva,« sprach der Knecht, seine Stimme bebte, »er war den Schuß Pulver wert und ich will es gut machen. Ich kann nicht bereuen, was ich thue, das kann ich nicht, aber ich will hingehen und dem Kaiser dienen. Leb' wohl!«

Er kniete vor ihr nieder und küßte den Saum ihres Kleides.

»Leb' wohl!« Diva beugte sich zu ihm herab, und ihre Lippen berührten die seinen zum ersten, zum letztenmal.

»Leb' wohl!«


Violantha war durch den gewaltsamen Tod ihres Gatten tief erschüttert, bis in das tiefste Herz verwundet durch die Anklage, welche Diva gegen ihn erhoben und der Jesuit bestätigt und ausgebeutet hatte.

Noch vor Sonnenuntergang war ihr Entschluß gefaßt.

Sie trat das Schloß und ihre Güter, ihr Vermögen, ihre Juwelen, ihr Gold und Silber dem Orden Jesu ab und verließ noch in derselben Nacht Moldawa, um sich in ein Kloster zurückzuziehen.

Der Orden beeilte sich, Besitz zu ergreifen.

Es kam ein Wagen voll Jesuiten, es kamen Arbeiter, Maurer, Zimmerleute. Es wurden Gerüste aufgeschlagen und Kalkgruben gegraben. Das Geld gab Goldbach.

In nicht einem Monat hatte das Schloß seine Physiognomie ganz verändert.

Moldawa war ein Ordenshaus.


 << zurück weiter >>