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Zwölftes Kapitel.

Das Geheimnis.


Ein groß Geheimnis scheint es, daß du mir verdeckst.

Aeschylos, »Prometheus«.

Leon suchte das Weib, das wie ein Märchen seine ganze Phantasie gefangen nahm, von Wald zu Wald, von Dorf zu Dorf.

Er fand sie nicht.

Sie kam auch nicht.

Oft lag er in stillen Nächten auf der geheimnisvollen Wiese, sah die Sterne heranziehen, die Milchstraße wie einen Strom über den Himmel fließen, Leuchtkäfer gleich Funken aus dem schwarzen Holze sprühen. Sie kam nicht. Und jedesmal blickte er auf den Mond. Noch lag er, ein schmaler glänzender Streifen über den Abendwolken, und wie seine Sichel wuchs, wuchs auch die Sehnsucht, die Hoffnung in ihm. Und als der Mond das erste Mal wieder voll und mächtig über ihm schwebte, da stieg ihm das Blut zu Herzen, da war es die Zeit, da mußte sie kommen.

Und sie kam.

Langsam ließ sie sich aus dem Hochwalde auf die Wiese herab. Sie trug einen bunten Rock, ein Mieder von schwarzem Sammet, ein faltiges Hemd verhüllte ihre Formen. Das Haar trug sie geflochten, mit silbernen Nadeln gesteckt auf dem Haupte.

Sie blieb mitten auf der Wiese stehen.

»Bist Du da?« rief sie. »O! Du bist da. Ich sehe Dich.«

Leon trat aus dem Schatten des Waldes hervor.

»Komm zu mir!« sprach sie. »Ich muß Dich um Verzeihung bitten.«

»Weshalb?«

»Hast Dus vergessen?«

»Ich nicht.«

Schüchtern legte sie den vollen Arm um seinen Hals und berührte seine Lippen leise mit den ihren. »Verzeih,« flüsterte sie, »ich schämte mich. Wie hast Du mich gefunden! Und doch warst Du so gut, so zart! Du hast mich auf Deinen Armen bis zu dem Kreuzweg getragen und hast mich dort verlassen, nur weil ich Dich bat, und ich versprach Dir zu kommen und ich bin nicht gekommen, weil ich mich schämte.«

Leon zog sie an sich und bedeckte ihr Antlitz mit Küssen.

»Schämst Du Dich noch?«

»Nein.«

»Und warum nicht?«

»Weil ich Dich liebe.« Sie verbarg ihr Haupt an seiner Brust, dann erhob sie sich beinahe wild, horchte einen Augenblick und riß ihn dann fort. »Komm,« flüsterte sie, »ich will Dein sein, aber hier nicht – sie kommen, ich höre sie, sie würden mich rufen und ich müßte mit ihnen. Komm! Komm!«

Das schöne junge Weib schlang den Arm leidenschaftlich um ihn und eilte mit ihm in den Wald, den Abhang hinab, bis zu den Erlenbüschen; dort warf sie sich in das feuchte Gras und zog ihn an ihre Brust.

Sabbathstille, dann tönte ein Schrei durch die Nacht, ein zweiter – verworrener Lärm. Ein Weib floh aus dem Walde gegen Tabor zu, dann zwei andere, ein Mann mit wirrem Haare stürzte aus dem Dickicht, blickte einen Augenblick um sich und rannte dann durch die Felder gegen Moldawa.

Das schöne Weib sprang auf, die Flechten waren ihr aufgegangen und fielen ihr wieder wie goldene Schlangen bis auf den Nacken, ihre feinen Nasenlöcher flogen auf und ab.

»Man verfolgt, man tötet sie,« rief sie schreckenbleich, »rette sie, rette mich!«

Zwei schwarze Gestalten traten jetzt aus dem Walde. Leon sah sie deutlich und erkannte sie. Der eine, der gegen Moldawa deutete, war der Jesuit. »Sie sind uns entkommen, aber ich habe sie erkannt, ich finde sie alle,« sprach der andere mit rohem bäurischen Lachen. Das war Pater Hruschka.

»Rette mich,« flüsterte das Weib.

»Werde ich Dich Wiedersehen?« fragte Leon liebetrunken.

»Du wirst mich wiedersehen.«

»Nun, so flieh – die Erlen verbergen Dich – ich schütze Dich.« Leon hob seine Flinte vom Boden. Die Hähne knackten. Sie schlang noch einmal die weichen Arme um ihn, noch einmal sogen sich ihre feuchten glühenden Lippen an den seinen fest, dann warf sie sich mit einem Satz in die Erlenbüsche und war verschwunden.

Der Jesuit und der Kaplan ließen ihre Blicke nach allen Richtungen schweifen und kehrten dann in den Wald zurück. Leon folgte ihnen langsam, die Flinte im Arm. Wie er den Waldrand erreichte, tauchten plötzlich schwarze Gesellen, vermummt wie die Diener der heiligen Hermandad, ringsum aus dem Boden, warfen sich auf ihn, entwaffneten ihn, banden und knebelten ihn, alles in einem Augenblicke, ehe er nur Zeit gehabt hatte, einen Schrei auszustoßen.

Am Waldrande erschien in demselben Augenblick eine majestätische Frauengestalt, gleich den Vermummten in einen schwarzen Mantel gekleidet, das Haupt mit einer schwarzen Kappe umhüllt, aus der nur zwei gebieterische Augen blitzten. Sie stieß ein dämonisches Lachen aus, das der Wald höhnend zurückgab, und winkte ihren Leuten, welche Leon einen schwarzen Sack über den Kopf zogen, ihn auf ihren Armen emporhoben und mit ihm im Walde verschwanden.

Es dämmerte kaum, als Pater Loyola und Kaplan Hruschka im Pfarrhofe erschienen und den Pfarrer aus dem Bette jagten.

»Wir haben Ihnen eine Eröffnung von höchster Wichtigkeit zu machen,« begann der Jesuit ernst. »Ein düsteres Geheimnis schwebt über dieser Gegend, es ist uns gelungen, dasselbe diese Nacht zu lüften. Eine entsetzliche Sekte hat sich aus den Zeiten der Hussiten hier erhalten und hält ihre frevelhaften Zusammenkünfte in Vollmondsnächten auf der Wiese und im Walde von Moldawa.«

»Was für eine Sekte?« sprach der Pfarrer starr.

»Die Adamiten.«

»Entsetzlich! Entsetzlich!« rief der würdige Pfarrer, rang die Hände und ging erregt auf und ab. »Und sollte das wahr sein, wahrhaftig wahr und keine Täuschung?«

»Wir haben sie heute nacht bei ihrem Sabbath überrascht,« erwiderte der Jesuit, »sie stoben auseinander.«

»Aber ich habe sie erkannt,« fiel Hruschka ein, »ich kann den und jenen nennen, vor allen den Holstin, den lungensüchtigen Schneider aus Moldawa, die junge Lissa, des Janek Tochter, hier aus Tabor, den Hawelik und Katharina Popel, Nebesky« –

»Tabor und Moldawa sind ein neues Sodom und Gomorrha und das Strafgericht Gottes wird nicht ausbleiben,« sprach der Jesuit feierlich. »Was ist da zu thun?« rief der Pfarrer Rabatin einmal über das andere und rannte durch das Zimmer.

Pater Adalbert trat ein.

»Der hat es mir gesagt, der hat mich gewarnt,« sprach Rabatin, auf den jungen Kaplan deutend.

»Nicht in dem Sinne dieser beiden,« entgegnete Adalbert ruhig. »Ich kenne lange schon den traurigen Wahn –«

»Wahn nennen Sie das?« rief der Jesuit scharf.

»Wahn,« erwiderte Adalbert, »ja eine Krankheit, einen unheilvollen Wahnsinn. Ich habe mich redlich bemüht, durch Belehrung und Ueberredung auf diese Menschen zu wirken, ich bin ihrem Fanatismus bis auf den Ursprung nachgegangen und habe Nachtseiten der Natur entdeckt, gegen die es keine Hilfe giebt, denen gegenüber wir alle machtlos sind, die mich mit Schauder und Entsetzen erfüllt haben, und doch habe ich gerettet, wo noch zu retten war, und kann von mancher Seele sagen, sie ist mein, ich habe sie der Nacht entrissen und der Sünde.«

»Und was erscheint Ihnen als der Ursprung dieses Wahnsinns?« fragte der Jesuit gespannt.

»Die Macht des Mondes über Menschenseelen, die rätselhaft ist, unergründlich,« erwiderte Adalbert. »Es giebt Naturen, die dieser Macht, wie Sonnenblumen der Sonne, entgegenblühen, es sind Naturen, die nicht einfach sind wie wir, die, wie es scheint, zwei Seelen in sich tragen. Die eine dieser Seelen schlummert oft ein ganzes Leben, oft lange Zeit, oft bei Tage nur, sie erbt sich von den Ahnen auf die Enkel, von der Mutter auf die Tochter fort. Bei vielen allmählich, oft aber plötzlich ruft der Vollmond ihre zweite Seele wach.«

»Sie glauben an Somnambulismus?« fragte der Jesuit.

»Ich glaube so fest an ihn wie an ein Dogma,« entgegnete Adalbert.

»Ich auch,« sprach der Jesuit ernst.

Pater Hruschka, der zuerst ein pöbelhaftes Lachen ausgestoßen hatte, erschrak, als der Jesuit so entschieden zustimmte, und drehte sich verlegen auf dem Absatze um.

»In unserer Landschaft,« fuhr Adalbert fort, »tritt dieser seltsame Zustand in Verbindung mit einem religiösen Wahne auf, welcher in Böhmen zuerst in der Hussitenzeit aufgetaucht ist und sich seitdem im Volke fortgepflanzt hat bis auf unsere Tage –«

»Sie halten das Adamitentum für eine Blüte des Somnambulismus?«

»Für nichts anderes, und eben deshalb soll man es nicht verfolgen.«

»Aber auch nicht dulden und fortwuchern lassen,« sagte der Jesuit entschieden. »Wir müssen vor allem Gewißheit haben, das Geheimnis vollends lüften. Ich fordere Sie deshalb auf, Herr Pfarrer, sofort ein Inquisitionsgericht zusammen zu setzen und die Schuldigen zu verhaften.

»Bedenken Sie, was Sie thun!« rief Adalbert.

»Ich habe es bedacht,« erwiderte der Jesuit.

»Können Sie es aber auch verantworten?«

»Ich werde es verantworten.«

»Auch das Unglück von Tausenden, den Aufruhr einer ganzen Gegend.«

»Ich nehme alles auf mich,« entgegnete der Jesuit.

»Dann nehmen Sie auch die Ausführung auf sich,« sprach der Pfarrer.

»Ich gehorche,« erwiderte Pater Loyola. »Kommen Sie, Pater Hruschka, gehen wir an das Werk.«

Der Jesuit eilte mit Pater Hruschka in das Dorf, stöberte den Bürgermeister Melnik auf, bewaffnete einige Bauern, die zu ihm hielten, und zog dann gegen Moldawa. Am Eingange des langgestreckten Ortes stand eine windschiefe, halbverfaulte Hütte.

Der Bürgermeister deutete auf dieselbe und nickte mit dem Kopfe.

Der Jesuit winkte seinen Begleitern, Fenster und Thüren zu besetzen, und trat dann mit dem Kaplan und Herrn Melnik ein.

Als er die Thür öffnete, tönte ihm ein monotoner heiserer Gesang entgegen. Auf einem schmalen Tische saß ein Mann, halb Kind, halb Greis, mager, mit eingefallener, dünner Brust, langen Armen und Beinen, einem weißen, totenhaften Gesichte, tiefliegenden, verschwommenen blauen Augen, langen weißblonden Haaren. Er lächelte die Eintretenden seltsam an und nähte dann unbekümmert an dem Frauenrocke weiter, den er über die Knie gelegt hatte.

»Guten Tag, Meister Hostin,« sprach der Kaplan.

»Guten Tag, Bruder Hruschka,« erwiderte der Schneider gleichgiltig.

»Ich komme, eine Frage an Euch zu richten.«

»Fragt nur zu!«

»Wo seid Ihr diese Nacht gewesen?«

»Das weiß Gott,« entgegnete Hostin.

»Wir wollen es aber auch wissen,« fiel der Jesuit ein.

»Ihr seid sehr neugierig,« sagte der Schneider, hustete, sah alle der Reihe nach an und nähte dann lächelnd weiter.

»Werdet Ihr uns Antwort geben?«

»Nein, Bruder Hruschka.«

»Dann will ich Euch sagen, Hostin, wo Ihr diese Nacht wart,« sprach der Jesuit, das Auge fest auf den lungenstichtigen Schneider heftend, und legte die Hand auf dessen Schulter.

»Nun, wo war ich?«

»Auf der Waldwiese oben, Prophet, im Vollmond, beim Tanze,« sagte der Jesuit kalt.

»Warum fragt Ihr mich dann,« entgegnete Hostin ruhig, »wenn Ihr das wißt?«

»Weil wir Dein Geständnis wünschen,« erklärte der Kaplan, »weil Einsicht, Reue und Buße Deine Seele noch retten können.«

Hostin zuckte verächtlich die Achseln, sang und nähte weiter.

»Mach' Dich bereit, Du gehst mit uns, Adamit,« rief der Jesuit gebieterisch.

Hostin richtete sich auf, sah den Jesuiten an, dann blickte er zum Fenster hinaus, sah die Heugabel des wachehaltenden Bauern blinken und ließ sich langsam vom Tische herab.

»Ich bin bereit,« sprach er sanft.

Der Bürgermeister faßte ihn beim Arme.

»Komm,« rief der Kaplan.

Hostin trat aus der Hütte, die andern folgten, draußen hielt er den Bauern die Hände hin.

»Da bin ich,« sprach er, »bindet mich!«

»Was fällt Euch ein!« polterte Herr Melnik.

»So that Jesus Christus,« erwiderte der Schneider, »er hielt den Häschern die Hände hin.«

»Ihr seid nicht Jesus Christus.«

»Ich folge ihm nach,« sprach Hostin.

»Wo ist der Schlüssel?« rief der Bürgermeister. »Sperrt das Haus!«

»Wozu?« rief der Adamit.

»Damit man Euch nicht bestiehlt.«

»Wer soll mich bestehlen?« Die wahrhaftigen Kinder Gottes kennen kein Eigentum.«

»Aber ich kenne eins, ich, Melnik, der Bürgermeister. Sperrt das Haus!«

Hostin lächelte mitleidig.

Als sie ihn durch das Dorf Tabor führten, stürzten die Leute aus den Hütten, seine Anhänger drängten sich an ihn und küßten seine Kleider.

Ein junges, hübsches Mädchen fiel vor ihm nieder und umfaßte seine Knie.

»Das ist Lissa, des Pawel Tochter,« rief der Kaplan. »Verhaftet sie, Bürgermeister!«

»Darf ich mit ihm?« fragte sie, mit fanatischer Freude den Arm um den lungensüchtigen Propheten schlingend.

»Vorwärts!« schrien die Bauern.

Sie führten beide in den Pfarrhof und sperrten sie dort bis auf weiteres in die Totenkammer. Ein Mann mit einer schlechten Flinte hielt Wache vor derselben.

Dann durchstreiften der Jesuit, Pater Hruschka, der Bürgermeister, jeder für sich von bewaffneten Dorfleuten begleitet, die ganze Gegend, die Dörfer und füllten bis gegen Abend die große Totenkammer mit verhafteten Adamiten.

Das Volk rottete sich vor derselben zusammen, guckte durch die Fenster hinein, flüsterte, schimpfte für und wider.

Diva lief atemlos herbei, drängte sich bis an die Thür und verlangte Einlaß. Man verweigerte ihr denselben, ließ sie aber endlich durch das Luftloch blicken. Sie überflog die seltsame Versammlung und atmete auf. Jene, die sie suchte, die sie zu finden bebte, waren nicht darunter. Sie blieb seitwärts auf einem Steine sitzen und musterte erregt die Neuankommenden.

Gegen Abend kamen der Bürgermeister, der Kirchendiener, die Bewaffneten und führten die Adamiten vor Gericht.

In der großen Kanzleistube des Pfarrhofs war ein langer Tisch mit einem roten Kirchentuche bedeckt. Auf demselben standen ein Kruzifix und zwei brennende Kerzen.

An dem Tische saßen der Pfarrer Rabatin, der Jesuit, Pater Hruschka und Adalbert.

Längs der Wände standen Bänke für die Angeklagten.

Man führte sie herein und hieß sie sich niedersetzen. Bewaffnete bewachten sie. Das Volk füllte das Vorhaus, Treppen und Gänge und umlagerte das Haus.

»Ehe wir beginnen, mache ich Euer Hochwürden darauf aufmerksam, daß wir kein Recht haben, diese Leute vor unsern Richterstuhl zu ziehen,« sprach Adalbert.

»Lesen Sie das Konkordat nach –«

Adalbert zuckle die Achseln. »Ich verwahre mich mindestens dagegen, an dieser ungesetzlichen Handlung Teil zu nehmen.«

»Wie es beliebt,« erwiderte der Jesuit kalt. Adalbert erhob sich und trat beiseite.

»Ich glaube, ein Verhör ist uns gestattet,« sprach der Pfarrer, »worauf wir die Schuldigen der weltlichen Gerechtigkeit übergeben werden.«

Der Jesuit nickte.

»Meister Hostin,« begann der Pfarrer, »Ihr seid das Haupt dieser Leute, tretet vor und gebt uns Antwort.«

Hostin erhob sich.

»Man hat Euch heute nacht im Walde betreten, entkleidet mit diesen andern in sodomitischen Tänzen.«

»Sucht Sodom bei Euch,« sprach der Adamit ruhig.

»Ihr leugnet –«

»Ich leugne nichts, was war oder ist oder sein wird,« erwiderte Hostin.

»Ihr gesteht also?« fiel der Jesuit ein.

»Ihr wart diese Nacht auf der Wiese?« fragte der Pfarrer.

»Ja.«

»Und –«

»Und wir haben im Mondlicht getanzt, wie Gott es uns befiehlt.«

»Lästert Gott nicht!«

»Wer sagt Euch, daß Ihr ihn nicht lästert?«

»War das die erste Nacht?«

»Nein.«

»Wann wart Ihr das erste Mal versammelt?«

»Nicht jeder war gleich erleuchtet. Das Licht schwebt vor mir seit sieben Jahren,« sprach Hostin; »die andern erschienen, wie der Geist über sie kam.«

»Woher habt Ihr Eure Lehre?«

»Von Gott.«

»Wer hat sie Euch geoffenbart?«

»Ein anderer.«

»Wie nennt er sich?«

»Ich kenne ihn nicht.«

»Was hat er Euch gelehrt?«

»Durch den Glauben und die Enthaltsamkeit den Stand der Unschuld herzustellen,« erwiderte der Adamit, die Hand auf das Herz gelegt, mit leuchtenden, begeisterten Augen.

»Weshalb werft Ihr dann schamlos Eure Kleider ab?« rief der Jesuit.

»Weil die Unschuld ohne Versuchung keinen Wert vor Gott hat.«

»So straft Ihr jenen, der die Prüfung nicht besteht?« inquirierte Pater Hruschka.

»Es liegt etwas Berauschendes im Menschenleib, doch wehe dem, der ihn entheiligt! Wir stoßen ihn aus, wie Adam ausgestoßen wurde aus dem Paradiese.«

»Ihr verwerft also die Ehe?« fragte der Pfarrer.

»Wir verwerfen sie,« erwiderte der Adamit, »wir verwerfen das Eigentum, wir verwerfen auch das Abendmahl, und vor allem verwerfen wir die Lüge.«

»Wer sind Euere Mitschuldigen, Euere Genossen?«

»Nennt sie, ich werde sie nicht verleugnen.«

»Sind es diese da?« Der Jesuit deutete auf die übrigen Angeklagten.

Hostin wendete sich denselben zu und betrachtete sie aufmerksam einen nach dem andern.

»Ja,« sagte er endlich leise und sanft.

»Sind dies alle?«

»Nein.«

»Tretet ab!«

Hostin setzte sich auf seinen Platz und hüstelte.

»Lissa!« rief der Pfarrer.

Das Mädchen erhob sich lebhaft und blickte auf Hostin. Es war eine schlanke Gestalt voll Energie, ein Kopf mit schwärmerischen Augen und charakterscharfem Schnitt.

»Willst Du mir antworten?« fragte der Pfarrer mild. Das Mädchen blickte auf Hostin.

»Was habe ich Dich gelehrt?« sprach dieser mit weicher gebrochener Stimme.

»Die Wahrheit.«

»Nun, so antworte, wie ich Dich gelehrt.«

Lissa trat bescheiden bis an den Gerichtstisch vor und legte die fünf Finger der rechten Hand leicht auf den Rand desselben.

»Wie kamst Du zu der Lehre der Adamiten?«

»Ich war im Hause meines Vaters und that meine Arbeit wie die andern. Manchmal, wenn ich im Felde stand und das Korn schnitt, sprach aus einmal eine Stimme zu mir, und wenn ich den Kopf wendete, war niemand da. Und dieselbe Stimme sprach zu mir, wenn ich im Walde Erdbeeren suchte, und sie sprach zu mir auf dem Tanzboden oder wenn ich in meiner Kammer auf den Knieen lag und betete. Und immer rief es mich hinaus aus den engen Wänden, empor zu dem ewigen Lichte. Einmal kam ich zu Hostin, dem Manne, der hier sitzt. Ich erzählte ihm von der Stimme und von der unnennbaren nie gestillten Sehnsucht, die meine Brust erfüllte. Da sprach er: »Der Geist wird über Dich kommen und der Vollmond wird Dir den Weg des Lichtes zeigen.« Und in einer stillen Sommernacht, wie ich in tiefen Gedanken aufsaß in meinem Bette, trat der volle Mond in mein Fenster, lag auf einmal die Straße des heiligen Lichtes vor mir; ich stand auf und ging ihr nach und immer nach und sie führte mich zu der Waldwiese, wo ich die andern fand.«

»Haben Sie alles genau zu Protokoll gebracht?« fragte der Jesuit.

Hruschka nickte vertraulich.

Adalbert trat jetzt vor. »Zweifelt Ihr noch, daß Ihr es mit einem rätselhaften Zustand menschlicher Natur, mit einem unseligen Wahn zu thun habt?« sprach er mild. »Entlaßt die Unglücklichen und rettet durch Milde und Güte ihre Seelen.«

Der Jesuit wollte erwidern, als verworrener Lärm herauftönte. »Was ist das?« fragte er streng den Kirchendiener, der demütig hereinschlich.

»Der Jude, der Randar,« lispelte dieser, »hetzt das Volk auf. Sie murren unten laut und drängen die Wache.«

»Hebt das Gericht auf,« rief der Jesuit, »ich will selbst hinab und zu ihnen reden.«

Pater Loyola eilte die Treppe hinab, drängte sich durch den Menschenstrom, der ihm entgegenwogte, und faßte den Juden heftig bei der Schulter.

»Was suchst Du hier, Jude?« fragte er mit erhobener Stimme.

»Meine Brüder,« entgegnete der Randar ruhig, löste mit seiner starken Hand die Finger des Jesuiten von seiner Schulter und ließ sie dann sanft los.

»Sind die oben Deine Brüder?«

»Alle, die Gott ehren und zu ihm beten.«

»Geh von hinnen, Jude,« rief der Jesuit, »such Dein Schacherbündel –«

»Ich bin ein Bauer, ich gehöre zur Gemeinde wie die andern,« sagte der Randar, »aber uns wäre besser, wenn Ihr Euer Bündel schnüret.«

»Das sollst Du mir büßen,« drohte der Jesuit.

Der Jude zuckte die Achseln, die Menge drängte unruhig in den Pfarrhof, einzelne schoben sich in die Gerichtsstube und verlangten Freilassung der Angeklagten. Vergebens sprach der Pfarrer zu ihnen, vergebens Pater Hruschka, vergebens der Bürgermeister. Da sprach Adalbert zu ihnen und beschwichtigte sie.

Sie gaben Raum und ließen die Adamiten ruhig in ihr Gefängnis abführen.

In der Nacht erschien der Jesuit mit dem Bezirkshauptmann und Gendarmen. Er ließ die Sektierer fesseln und noch in derselben Nacht dem Gerichte übergeben.


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