Joseph Roth
Die Kapuzinergruft
Joseph Roth

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XXXI

Im April des folgenden Jahres bekam Elisabeth ein Kind. Sie brachte es nicht in der Klinik zur Welt. Meine Mutter verlangte, forderte, befahl, daß sie zu Hause gebäre.

Ich hatte das Kind gezeugt, verlangt, gefordert, befohlen. Elisabeth hatte es gewünscht. Ich liebte damals Elisabeth, und also war ich eifersüchtig. Ich konnte – so bildete ich mir damals ein – die Frau Professor Jolanth Szatmary aus der Erinnerung Elisabeths nicht anders verdrängen oder auslöschen als dadurch, daß ich ein Kind zeugte: das sichtliche Zeugnis meiner Übermacht. Vergessen und ausgelöscht war die Frau Professor Jolanth Szatmary. Aber auch ich, der alte Trotta, war halb vergessen und halb ausgelöscht.

Ich war nicht der Trotta mehr, ich war der Vater meines Sohnes. In der Taufe nannte ich ihn Franz Joseph Eugen.

Ich darf sagen, daß ich mich vollends verändert habe seit der Stunde, in der mein Sohn geboren wurde. Chojnicki und alle Freunde, die in unserer Pension wohnten, erwarteten mich in meinem Zimmer im Parterre so aufgeregt, als wären sie selbst im Begriffe gewesen, Väter zu werden. Um vier Uhr morgens kam das Kind zur Welt. Meine Mutter kündigte es mir an.

Es war mein Sohn, ein blutrotes, häßliches Lebewesen, mit viel zu großem Kopf und Gliedmaßen, die an Flossen erinnerten. Dieses Lebewesen schrie ohne Unterlaß. Im Nu gewann ich es lieb, dieses Lebewesen, meinen Lenden entsprossen, und sogar des billigen Stolzes konnte ich mich nicht erwehren, daß ich einen Sohn und keine Tochter gezeugt hatte. Ja, ich beugte mich, um besser zu sehen, über sein winziges Geschlecht, das aussah wie ein geringer roter Beistrich. Kein Zweifel: es war mein Sohn. Kein Zweifel: ich war sein Vater.

Viele Millionen und Milliarden von Vätern hat es gegeben, seitdem die Welt besteht. Ich war einer unter den Milliarden. Aber in dem Augenblick, in dem ich meinen Sohn in die Arme nehmen durfte, erlebte ich einen fernen Abglanz jener unbegreiflich erhabenen Seligkeit, die den Schöpfer der Welt am sechsten Tag erfüllt haben mochte, als Er sein unvollkommenes Werk dennoch vollendet sah. Während ich das winzige, schreiende, häßliche und blutrote Ding in meinen Armen hielt, fühlte ich deutlich, welch eine Veränderung in mir vorging. So klein, so häßlich, so rötlich das Ding in meinen Armen auch war: von ihm strömte eine unsagbare Kraft aus. Es war mehr: es war, als hätte sich in diesem weichen, warmen Körperchen all meine Kraft aufgespeichert und als hielte ich mich selbst in den Händen und das Beste meiner selbst.

Die Mütterlichkeit der Frauen ist ohne Grenzen. Meine Mutter nahm ihren eben angekommenen Enkel so auf, als hätte sie ihn selbst ausgetragen, und auf Elisabeth übertrug sie den Rest ihrer Liebesfähigkeit, der ihr noch verblieben war. Erst da sie einen Sohn von mir, von meinen Lenden bekommen hatte, war sie ihre Tochter geworden. In Wirklichkeit war Elisabeth niemals mehr als die Mutter ihres Enkels. Es war, als ob sie nur diesen Enkel abgewartet hätte, um sich zum Sterben bereitzumachen. Sie begann zu sterben, darf ich wohl sagen, langsam, wie die Zeit ihres Lebens gewesen war. Eines Nachmittags erschien sie nicht mehr in unserm Zimmer im Parterre. Eines unserer beiden Dienstmädchen berichtete, meine Mutter hätte Kopfweh. Es war kein Kopfweh: Meine Mutter hatte der Schlag getroffen. Sie war rechtsseitig gelähmt.

Also blieb sie, jahrelang, uns allen eine geliebte, treu behütete Last. Dennoch freute ich mich noch jeden Tag, wenn ich sie des Morgens am Leben traf. Es war eine alte Frau, wie leicht konnte sie sterben!

Meinen Sohn, ihren Enkel, brachte man ihr jeden Tag. Sie lallte nur: »Kleiner«. Sie war rechtsseitig gelähmt.


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