Joseph Roth
Die Kapuzinergruft
Joseph Roth

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III

Es mochte etwa sieben Uhr morgens gewesen sein, als wir ins Café Magerl kamen. Die ersten Bäckerjungen trafen ein, schneeweiß und nach reschen Kaisersemmeln duftend, nach Mohnstrizzeln und nach Salzstangeln. Der frisch gebrannte erste Kaffee, jungfräulich und würzig, roch wie ein zweiter Morgen. Mein Vetter Joseph Branco saß neben mir, schwarz und südlich, heiter, wach und gesund, ich schämte mich meiner blassen Blondheit und meiner übernächtigen Müdigkeit. Ich war auch ein wenig verlegen. Was sollte ich ihm sagen? Er vergrößerte noch meine Verlegenheit, als er sagte: »Ich trinke keinen Kaffee am Morgen. Ich möchte eine Suppe.« Freilich! In Sipolje aßen die Bauern des Morgens eine Kartoffelsuppe.

Ich bestellte also eine Kartoffelsuppe. Es dauerte ziemlich lange, und ich schämte mich inzwischen, den Kipfel in den Kaffee zu tauchen. Die Suppe kam schließlich, ein dampfender Teller. Mein Vetter Joseph Branco schien den Löffel gar nicht zu beachten. Er führte den dampfenden Teller mit seinen schwarzbehaarten braunen Händen an den Mund. Während er die Suppe schlürfte, schien er auch mich vergessen zu haben. Ganz diesem dampfenden Teller hingegeben, den er mit starken, schmalen Fingern hochgehoben hielt, bot er den Anblick eines Menschen, dessen Appetit eigentlich eine noble Regung ist und der einen Löffel nur deshalb unberührt läßt, weil es ihm edler erscheint, unmittelbar aus dem Teller zu essen. Ja, während ich ihn so die Suppe schlürfen sah, erschien es mir beinahe rätselhaft, daß die Menschen überhaupt Löffel erfunden hatten, lächerliche Geräte. Mein Vetter setzte den Teller ab, ich sah, daß er ganz glatt und leer und blank war, als hätte man ihn eben gewaschen und gesäubert.

»Heute nachmittag«, sagte er, »werde ich das Geld abholen.« Was für ein Geschäft er habe – fragte ich ihn –, das er zu vergrößern gedacht hätte. »Ach«, sagte er, »ein ganz winziges, das aber den Winter über einen Menschen wohl ernährt.«

Und ich erfuhr also, daß mein Vetter Joseph Branco Frühling, Sommer und Herbst ein Bauer war, dem Feld hingegeben, winters war er ein Maronibrater. Er hatte einen Schafspelz, einen Maulesel, einen kleinen Wagen, einen Kessel, fünf Säcke Kastanien. Damit fuhr er Anfang November jedes Jahr durch einige Kronländer der Monarchie. Gefiel es ihm aber ganz besonders in einem bestimmten Ort, so blieb er auch den ganzen Winter über, bis die Störche kamen. Dann band er die leeren Säcke um den Maulesel und begab sich zur nächsten Bahnstation. Er verlud das Tier und fuhr heim und wurde wieder ein Bauer.

Ich fragte ihn, auf welche Weise man ein so kleines Geschäft vergrößern könnte, und er bedeutete mir, daß sich da noch allerhand machen ließe. Man könnte zum Beispiel außer den Maroni noch gebratene Äpfel und gebratene Kartoffeln verkaufen. Auch sei der Maulesel inzwischen alt und schwach geworden, und man könnte einen neuen kaufen. Zweihundert Kronen hätte er schon sowieso erspart.

Er trug einen glänzenden Satinrock, eine geblümte Plüschweste mit bunten Glasknöpfen und, um den Hals geschlungen, eine edel geflochtene, goldene, schwere Uhrkette. Und ich, der ich von meinem Vater in der Liebe zu den Slawen unseres Reiches erzogen worden war und der ich infolgedessen dazu neigte, jede folkloristische Attrappe für ein Symbol zu nehmen, verliebte mich sofort in diese Kette. Ich wollte sie haben. Ich fragte meinen Vetter, wieviel sie kostete. »Ich weiß es nicht«, sagte er. »Ich habe sie von meinem Vater, und der hatte sie von seinem Vater, und man kauft dergleichen nicht. Aber da du mein Vetter bist, will ich sie dir gerne verkaufen.« – »Wieviel also?« fragte ich. Und ich hatte doch im stillen gedacht, eingedenk der Lehren meines Vaters, daß ein slowenischer Bauer viel zu edel sei, um sich überhaupt um Geld und Geldeswert zu kümmern. Der Vetter Joseph Branco dachte lange nach, dann sagte er: »Dreiundzwanzig Kronen.« Warum er gerade auf diese Zahl gekommen sei, wagte ich nicht zu fragen. Ich gab ihm fünfundzwanzig. Er zählte genau, machte keinerlei Anstalten, mir zwei Kronen herauszugeben, zog ein großes, blaukariertes, rotes Taschentuch heraus und verbarg darin das Geld. Dann erst, nachdem er das Tuch zweimal verknotet hatte, nahm er die Kette ab, zog die Uhr aus der Westentasche und legte Uhr und Kette auf den Tisch. Es war eine altmodische schwere silberne Uhr mit einem Schlüsselchen zum Aufziehen, mein Vetter zögerte, sie von der Kette loszumachen, sah sie eine Zeitlang zärtlich, beinahe herzlich an und sagte schließlich: »Weil du doch mein Vetter bist! Wenn du mir noch drei Kronen gibst, verkaufe ich dir auch die Uhr!« – Ich gab ihm ein ganzes Fünfkronenstück. Auch jetzt gab er mir den Rest nicht heraus. Er zog noch einmal sein Taschentuch hervor, löste langsam den Doppelknoten, packte die neue Münze zu den anderen, steckte alles in die Hosentasche und sah mir dann treuherzig in die Augen.

»Auch deine Weste gefällt mir!« sagte ich nach einigen Sekunden. »Die möchte ich dir auch abkaufen.«

»Weil du mein Vetter bist«, erwiderte er, »will ich dir auch die Weste verkaufen.« – Und ohne einen Augenblick zu zögern, legte er den Rock ab, zog die Weste aus und gab sie mir über den Tisch. »Es ist ein guter Stoff«, sagte Joseph Branco, »und die Knöpfe sind schön. Und weil du es bist, kostet sie nur zwei Kronen fünfzig.« – Ich zahlte ihm drei Kronen, und ich bemerkte deutlich in seinen Augen die Enttäuschung darüber, daß es nicht noch einmal fünf Kronen gewesen waren. Er schien verstimmt, er lächelte nicht mehr, aber verbarg dieses Geld schließlich ebenso sorgfältig und umständlich wie die früheren Münzen. Ich besaß nun, meiner Meinung nach, das Wichtigste, das zu einem echten Slowenen gehört: eine alte Kette, eine bunte Weste, eine steinschwere, stehende Uhr mit Schlüsselchen. Ich wartete keinen Augenblick mehr. Ich zog mir alle drei Dinge auf der Stelle an, zahlte und ließ einen Fiaker holen. Ich begleitete meinen Vetter in sein Hotel, er wohnte im »Grünen Jägerhorn«. Ich bat ihn, am Abend auf mich zu warten, ich wollte ihn abholen. Ich hatte vor, ihn meinen Freunden vorzustellen.


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