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In der Zeltstadt von Montauk Point.

Die Friedensbotschaft. – Ein brutaler Krieg. – Die böse Lage der amerikanischen Invasionsarmee. – Auf den General folgt der kaufmännische Organisator. – Wie die Zeltstadt von Montauk Point erstand. – Mein letzter Tag in Santiago de Cuba. – Im Gesundheitslager. – Die Komplimente der Trusts. – Wie mir ein Vermögen entging. – Die New Yorker Invasion. – Von begeisterten ladies. – Das Sicherheitsventil. – Wie Leutnant Hobson in der Welle der Hysterie ertrank.

In einer Augustnacht war es.

Wir saßen vor dem Aerztezelt, der Doktor und ich, rauchten eine beschauliche Zigarette und schauten auf die Bai hinaus. Wundersam funkelten und glitzerten im Wasser die Sternenbilder. Da erklang ein dumpfes Brausen, wurde mächtiger, schwoll an zu Getöse. Eine Rakete zischte empor über der Stadt, eine zweite, eine dritte. Drüben über dem Wasser jubelten und schrien viele Menschen.

»Eine Schlacht in Portorico!« rief der Doktor aufspringend.

Ich widersprach ihm. Die letzten Nachrichten von der benachbarten spanischen Insel hatten besagt, daß die Besetzung Portoricos durch eine amerikanische Armee unter General Miles nach unblutigen Kämpfen nun vollendete Tatsache sei. Während wir noch hin und her sprachen, kam das Boot vom Hafenhospital. Der Kubaner, der es ruderte, sprang auf uns zu, aufgeregt mit den Armen in der Luft fuchtelnd.

» Cuba libre!« brüllte er. » Cuba libre, Señores!!«

Und er übergab dem Doktor einen Zettel. Das hektogiaphierte Stück Papier enthielt die kurze Mitteilung des amerikanischen Gouverneurs von Santiago an die einzelnen kommandierenden Offiziere, daß heute, am 12. August, in Washington das vorläufige Friedensprotokoll zwischen den Vereinigten Staaten und Spanien unterzeichnet worden sei. Spanien gab der Insel Kuba ihre Unabhängigkeit, trat Portorico an die Vereinigten Staaten ab und erklärte sich bereit, über einen Ankauf der Philippinen durch die Vereinigten Staaten zu unterhandeln. Die kriegsgefangenen Spanier wurden auf Kosten der Amerikaner nach ihrer Heimat zurückgesandt. Kriegsentschädigung verlangten die Vereinigten Staaten nicht.

» Cuba libre!« brüllte der Kubaner wieder und tanzte schreiend und jubelnd umher.

Doktor Gonzales aber streckte herrisch die Rechte aus, sagte irgend etwas auf Spanisch in scharfem Ton, und der überfreudige Patriot schlich brummend zu seinem Boot zurück.

»Was sagten Sie eben?« fragte ich neugierig.

»Oh nichts!« antwortete Doktor Gonzales und zündete sich eine frische Zigarette an. »Ich sagte ihm nur, er solle sich zum Teufel scheren... Cuba libre! Kuba Blödsinn! Ein freies Kuba, regiert von freien Strolchen, die eigentlich in ein Zuchthaus gehörten! Es tröstet mich nur, daß unser guter alter Onkel Sam der Gesellschaft früher oder später einen gewaltigen Tritt vor den Hintern geben und einen amerikanischen Staat aus Kuba machen wird. Daß er es nicht gleich jetzt tut, ist Schwäche, Verschwendung, Hinauswerfen an Zeit und Geld!«

Da lachte ich leise vor mich hin, denn der Doktor war zwar amerikanischer Bürger und amerikanischer Offizier, stammte aber selber von kubanischen Eltern und mußte es ja wissen! Und dann gingen wir in die Zelte der Damen und in die Krankenzelte und lösten Hurrageschrei aus mit der großen Neuigkeit. Doch der Jubel über den Frieden bei uns in den Zelten hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit dem urgewaltigen, donnernden, brausenden Siegesschrei, der von den Hügeln des Santiagotals gellte, als das Sternenbanner damals an dem Mangobaum emporstieg. Da hatte Mann über Mann triumphiert – jeder einzelne Mann im Santiagotal in die eigenen Hände das Göttergeschenk des schwer errungenen Erfolgs empfangen. Die große politische Friedensaktion aber am grünen Tisch interessierte die Armee sehr wenig.

»Recht nett!« sagte ein typhuskranker Infanterieleutnant der Regulären, als wir ihm die Friedensbotschaft vorlasen. »Nun wollen wir gemütlich sein und nach Hause gehen!«

» Goodbye Cuba! To hell with Cuba!!« riefen die Rekonvaleszenten in den Zelten.

Das war das Leitmotiv des Wiederhalls, den die Friedensklänge in den Männern der Armee von Kuba ertönen ließen:

»Adieu Kuba! Hol dich der Teufel! Wir gehen nach Hause!«

 

So war denn der Krieg beendet.

Dieser wunderschön brutale Krieg mit seinen wunderschön klaren und einfachen Ursachen. Ein Krieg der Macht. Ein brutaler Faustkampf. Unmoralisch über alle Maßen. Der Große fraß den Kleinen – denn ich bin groß und du bist klein. Und doch wieder moralisch im höchsten Sinne. Unter dem starken neuen Herrn wurden in wenigen Jahren auf den Philippinen, auf Kuba, das immer eine Art amerikanischen Protektorats sein und nie ganz selbständig werden sollte, auf Portorico, überall in Westindien, ungeheure Werte geprägt, die in alle Ewigkeit brach gelegen hätten unter der spanischen Mißwirtschaft. Spanien aber, das gedemütigte, zu Boden geschlagene Spanien, das beraubte Spanien, das die Neue Welt entdeckt hatte und zum Dank bis in den Staub gedemütigt wurde von der Neuen Welt, erstarkte nur unter den Schlägen des Krieges. Es lernte. Seine kraftvolle Arbeit in Marokko während der nächsten zehn Jahre erstaunte jeden, der früher spanische Beamte und Gouverneure in spanischen Kolonien bei der Arbeit gesehen und sie höchstens für eine Operette tauglich befunden hatte. So wurde im letzten Ende Unmoral zu Moral.

Der unersättliche Große aber atmete erleichtert auf, als der kleine Gegner davonschlich. Teufel – es war doch gar nicht so einfach gewesen, und recht viel Glück hatte man nötig gehabt! Zwar ließ es sich leicht berechnen von Anfang an, daß man am Ende erfolgreich sein mußte. Die Siege der amerikanischen Flotte im pazifischen Ozean wie im westindischen konnten auf dem Papier auskalkuliert werden. Kein Sieg jedoch, kein Gebietszuwachs, keine neue imperialistische Weltmachtstellung hätten es in der öffentlichen Meinung des eigenen Landes gutmachen können, wenn amerikanische Männer zu Tausenden im Tal von Santiago zugrunde gegangen wären, weil der leichtsinnige Krieg sie in leichtsinniger Ausrüstung ins Fieberland geschickt hatte. Die Invasionsarmee war dezimiert von Fieberkrankheiten. In den ersten Tagen des August schon hatten, ein unerhörtes Geschehnis vom militärischen Standpunkt aus, ihre Generale in einem scharfen Schreiben an den Obergeneral Shafter die sofortige Zurückbeförderung der Armee nach den Vereinigten Staaten verlangt. Der Krankheitsstand lasse das Schlimmste befürchten. Das merkwürdige Vorgehen der hohen Offiziere, das wahrscheinlich mit General Shafter verabredet worden war, sollte starken Eindruck auf die obersten militärischen Behörden in Washington sowohl wie auf die öffentliche Meinung in den Vereinigten Staaten ausüben. Daß ein solcher Schritt überhaupt notwendig wurde, beweist die Unsicherheit und Gefährlichkeit der Lage für die Truppen vor Santiago beim Ende des Krieges. Zwar war die spanische Flotte vernichtet, Portorico besetzt, die Provinz Santiago de Cuba erobert, eine spanische Armee von 23 000 Mann kriegsgefangen. Damit hatte man gewaltige Erfolge errungen, war aber auch auf dem toten Punkt angelangt. Eine spanische Armee von über 80 000 Mann, auf die verschiedenen Provinzen verteilt, hielt Kuba noch besetzt. Ein Vordringen der amerikanischen Invasionsarmee auf dem Landwege schien unmöglich – das Angreifen Havannas, des Herzens der Insel, durch die Flotte ein zum mindesten gewagtes Unternehmen.

So ergab sich eine beinahe lächerliche Lage: der tote Punkt. Die amerikanische Armee kampierte noch immer im Santiagotal und litt entsetzlich unter Klima und Fieber. Niemand wußte, was anfangen mit ihr. Der Leichtsinn, die Ueberhastung des ganzen Krieges rächte sich. In den Vereinigten Staaten regte sich scharfe Kritik. Schon zu Beginn des Krieges, als im Süden Amerikas die in rasender Eile zusammengetrommelten Freiwilligenregimenter in Feldlagern untergebracht wurden, in die bei dem völligen Mangel an allem Nötigen rasch der Typhus einzog, war die Regierung scharf angegriffen worden. Und jetzt das Fiebertal von Santiago! Noch sickerte die Wahrheit nicht ganz durch: noch wußte man im Heimatland nicht, daß seit dem Tag der Uebergabe der spanischen Armee mehr amerikanische Soldaten an Krankheiten gestorben waren, als die Gefechte an Menschenleben gekostet hatten. Die militärische Führung war ratlos.

Da kam der Friede.

Und es war, als ziehe der amerikanische Dollarmann jubelnd den Soldatenrock aus, der überall ein wenig drückte und nirgends so recht passen wollte, weil er in solcher Eile hatte zurechtgeschneidert werden müssen. Die Nation des Organisierens entsann sich ihres Berufs. Der Leichtsinn, die Ueberstürzung, das Ueberhasten verschwand im zauberischen Wechsel. Kühle Ueberlegung trat an ihre Stelle. Dem General folgte der kaufmännische Organisator – der echte Amerikaner, der mit Geld nicht knausert, wenn das Ziel der Mühe wert ist, und sich bei Kleinigkeiten nicht lange aufhält.

Das Klima des Santiagotals war unerträglich in dieser Jahreszeit? Dann weg mit der Armee! Sie ersetzt durch Regimenter von Negern und Weißen der Südstaaten, die gegen Fieberkrankheiten immun waren! Die Armee war krank? Dann in ein ungeheures Krankenhaus mit ihr, auf daß sie gesund werde! Ansteckungsstoffe waren zu befürchten in jedem Uniformrock, in jedem Hemd? Weg dann mit der gesamten Ausrüstung der Armee! » Regardless of cost!« hatte Präsident McKinley kurz gesagt. »Der Kostenpunkt ist Nebensache!«

Die Amerikaner waren's zufrieden. Sie die keine direkten Steuern bezahlten und ihre Kriegskosten einfach durch eine Biersteuer und eine Schecksteuer aufbringen konnten, wußten recht gut, daß die über Nacht errungene Weltmachtstellung, die neue Ausdehnung des amerikanischen Reichs, Milliarden an kaufmännischen Dollars wert war. Niemand murrte, als die leitenden Hände in den reichen Yankeesäckel griffen. Ströme von Gold flossen dahin.

Eine ungeheure, kahle, sandige Flache auf der Insel Long Island wurde zum Gesundheitslager der Armee erwählt. Dort war es kühl, jetzt im August schon. In allen Richtungen fegte Tag und Nacht vom Meer her der frische Wind. Der sollte sie wegblasen, die Fieberschlaffheit und das Tropenmüdesein. Die Zeltstadt von Montauk Point entstand. Gassen und Straßen schneeweißer Zelte. Die Gewerbe des Landes arbeiteten wie im Fieber, die Stadt zu erbauen. Jedes Zelt wurde aus neuem Segeltuchstoff neu zurechtgeschneidert, denn kein altes Schmutzstäubchen sollte Raum haben im Gesundheitslager. Jedes Zelt erhielt einen Fußboden aus sorgsam zusammengefügten und geglätteten Brettern, ein jedes einen kleinen eisernen Ofen, ein jedes neue schneeweiße Betten und Stühle und Regale. Die Straßen wurden sorgfältig ausgebaut und ein System von Abgußkanälen angelegt. Aerzte und Krankenpflegerinnen versammelten sich. Die Eisenbahnen schleppten gewaltige Mengen von Uniformen und Wäsche herbei. Um das Lager wurde ein Postenkreis von besonders ausgesuchten Regimentern gezogen, die keinen Menschen hinauslassen durften und keinen hinein, jede neue Ansteckung zu verhüten. Dampfertransporte mit den neuen fiebersicheren Truppen gingen nach dem Santiagotal: Frachtdampfer mit großen Mengen von Lebensmitteln, die sehr sorgfältig ausgesucht wurden; Hospitalschiffe, deren Aufgabe es war, das Schmutznest Santiago nach allen Regeln moderner Desinfektionskunst sauber zu machen. Dann dampften die Schiffe mit den kranken Regimentern heimwärts zum Gesundheitslager.

Und ein so großzügiges, ein so bewunderungswürdig zielbewußtes Arbeiten setzte ein auf der windumbrausten Sandfläche beim atlantischen Ozean, daß es alles wieder gut machte, was der Leichtsinn gesündigt hatte in Kuba. Mann für Mann der kranken Armee wurde betreut, gepflegt, gewaschen, gesäubert, neubekleidet wie ein Kindlein. Man stellte die Kompagnien in langen Linien auf, wenn sie vom Schiff kamen, und ließ sie sich splitternackt ausziehen und verbrannte auf großen Scheiterhaufen jeden Fetzen, den sie am Leibe getragen hatten: man badete sie, gab ihnen reine Wäsche, neue Uniformen, nagelneue Ausrüstung bis zum Tornister, erklärte ihnen, sie möchten sich um Gottes willen nur pflegen. Nichts auf der Welt hätten sie zu tun als ihre Waffen zu reinigen und instandzusetzen. Nicht einmal zu kochen brauchten sie. Dafür sorgten große Feldküchen, und Sachverständige wachten darüber, daß das Soldatenessen ja recht schmackhaft und wohlbekömmlich war. Im Land stritt man sich um die Ehre, Liebesgaben für das Gesundheitslager schenken zu dürfen. Damen der Gesellschaft zankten sich um den Vorzug, die Kranken zu pflegen.

 

Als das Ruderboot an einem der letzten Tage des August den Signalkorpssergeanten von der Gelbfieberinsel nach Santiago brachte, war dieser Sergeant kerngesund und wunderte sich sehr, wie ihm nach diesen Schlemmertagen das Soldatenleben wohl behagen würde. Sie hatten ihn schrecklich verwöhnt auf der Insel, der Doktor und die Frauen in Weiß, die so heroisch ihre Pflicht taten und doch immer Zeit und Lust übrig hatten für manches Gekicher und vielen Uebermut. Sie hatten dem Sergeanten gar noch einen großen Korb zurechtgepackt, in dem Schaumweinflaschen einträchtiglich neben altem Burgunder und allerlei guten Sächelchen in Blechbüchsen lagen, auf daß es Mr. Sergeant wohl ergehe auf dem Heimatsdampfer. Und ich beguckte mir gesättigt und gesund das tiefblaue Wasser und die grünen Berge über der Bai und das Städtchen mit seinen grellen Farbenflecken in rot und blau und gelb und meldete mich beim Gouverneur und empfing den Befehl, mit der »City of Galveston« noch am gleichen Nachmittag die Heimreise anzutreten – als einer der letzten der alten Armee vom Santiagotal.

Es war gerade noch Zeit zu einem kurzen Spaziergang die Piazza entlang und zu kleinen Einkäufen. Und in großer Wut schied ich von Santiago de Cuba!

Die grünen und gelben Scheine, die Billy mir geschickt hatte, knisterten so wunderschön in den Taschen, und eine Stunde nur wurde einem da gegeben, sich die Stadt zu begucken, die Stadt des Feindes, die so viele Wochen lang eine märchenhafte Vorstellung nur gewesen war! Hätte man sich da nicht einen Gaul mieten müssen und den Schlammpfad noch einmal abreiten! Die San Juan-Hügel erklettern! Sich bei der alten Zuckermühle das alte Loch betrachten, das jene Granate gerissen! Oh, zum Teufel mit dieser unanständigen Eile ... Höchst ärgerlich ging ich an Bord.

Der Laderaum des kleinen Dampfers war von oben bis unten vollgepfropft mit Waffen und Munition. Die Mausergewehre, die Bajonette, die Patronenvorräte der kriegsgefangenen spanischen Armee wurden in das Arsenal von New York geschafft. Ein kranker Offizier, den eine Pflegerin begleitete, und ich waren die einzigen Passagiere. Als wir Long Island sichteten, fiel mir ein, daß ein Mausergewehr und ein Bajonett oder zwei recht nette Andenken sein würden.

»Sind die Dinger eigentlich abgezählt?« fragte ich den Kapitän beim letzten Mittagessen. »Ich meine, nimmt man es genau oder nicht so genau? Ich möchte gern ein paar von den spanischen Schießprügeln haben!«

»Ih wo!« antwortete der lachend. »Sie sind ja in meinen Laderaum nur so hineingeschaufelt worden.«

»Dann werde ich ein bißchen stehlen!« erklärte ich vergnügt.

»Meinetwegen,« grinste der Kapitän, »wenn Sie sich durchaus abschleppen wollen mit den alten Dingern. Nehmen Sie sich, so viele Sie wollen. Im übrigen ist's gar kein Stehlen. Das verrostete Zeug ist wenig genug wert. Greifen Sie zu! Auf ein paar hundert Stück mehr oder weniger kommt's nicht an.«

So ging ich an Land mit zwei Mausergewehren und zwei Bajonetten unterm Arm und warf sie irgendwohin im Sergeantenzelt des Signalkorps und verlebte einen langen Abend voller Erzählens mit meinen Kameraden. Die hatten mich ja für tot gehalten.

Ich konnte mich gar nicht fassen vor Erstaunen über die wundersame Zeltstadt –

»Der Soldat ist Trumpf heutzutage!« erklärte Souder lachend. »In der Armee von Kuba gewesen zu sein ist jetzt wertvoller als vier Asse beim Pokern. Menschenkind, 's ist einfach ein Wunder, daß sie uns nicht auch noch in Watte packen!«

Mr. Soldat aus Kuba war tatsächlich Trumpf. Nicht nur die amtlichen Stellen hatten beschlossen, daß er eine Zeitlang leben sollte wie der Herrgott in Frankreich, sondern alle Welt wetteiferte obendrein, ihm gute Sachen zuzustecken. Die bösen Trusts sogar.

Ueberall in der weißen Stadt hatte die Amerikanische Tabakgesellschaft kleine Zelte errichtet, die große Plakate trugen: »Tabak für die Männer von Santiago! Kommt, Jungens, und greift zu!!« Trat man an das kleine Zeltfensterchen, so erkundigte sich ein liebenswürdiger Verkäufer so beflissen danach, was man zu haben wünsche, als sei man ein wertvoller alter Kunde. Zigaretten? Welche Sorte? Kautabak? Die neue Marke mit dem Champagnergeschmack sei besonders zu empfehlen! Pfeifentabak? Und alles war hübsch eingewickelt und auf jedem Päckchen stand: »Mit den Komplimenten der Amerikanischen Tabakgesellschaft.« Große Brauereien hatten Bierzelte eingerichtet und verschenkten ein besonders leicht eingebrautes »Krankenbier« in reizenden kleinen Flaschen – mit den Komplimenten der oder jener Brauereigesellschaft. Teufel, Teufel! Zwar taten sie's nicht aus Liebe und Begeisterung allein, sondern es mochte auch ein bißchen Sinn für die famose Reklame dabei sein! Es gab Zelte mit Sodawasser; es gab Bonbons und Schleckereien; es gab Streichhölzer, Taschentücher, Bleistifte. Briefpapier, Briefmarken sogar – immer mit den verschiedensten Komplimenten. Auf den Briefmarken hatte der Spender seine Firma eingelocht – mit seinen Komplimenten. Mr. Soldat lebte vom Fetten des Landes.

Doch es sollte noch besser kommen, viel besser.

Am Tag meiner Ankunft war das Lager für seuchenfrei erklärt und die Sperre aufgehoben worden. Eine Stunde später verkündeten große Plakate in New York Vergnügungszüge der Long Island-Eisenbahngesellschaft zur Armee von Santiago. Um elf Uhr morgens am nächsten Tag kam die erste Invasion. Zwischen den Zelten der weißen Stadt flutete es schwarz von Menschen, dollarjagenden New Yorkern, die aber augenblicklich an gar nichts zu denken schienen, als einen Soldaten der Armee von Santiago zu erwischen und ihm die Hände aus den Gelenken zu schütteln. Fünf Minuten nach Ankunft des Zuges konnte man sich in unserem Sergeantenzelt überhaupt nicht mehr rühren, ohne einem eleganten New Yorker auf die Fünf-Dollar-Stiefel zu treten. Es regnete Zigarren, und aus den Fläschchen in den New Yorker Hüftentaschen ergossen sich schnäpsige Getränke.

» Good morning, good morning! fine morning!!« redete ein New Yorker auf mich ein und packte meine Hand. Teufel, wie der Mensch drückte! Während ich mir noch überlegte, ob ich liebenswürdig lächeln oder ihm einen Stoß vor den Magen geben sollte, fiel sein Blick auf meine beiden Mausergewehre in der Zeltecke.

»Oh! Spanish guns!« rief er entzückt.

»Jawohl: Mausers!« antwortete ich.

Ich sah ihn verblüfft an, aber da hatte der Mann aus New York das Gewehr schon gepackt und mir einen Zwanzigdollarschein in die Hand gedrückt, und während ich noch nach Worten suchte, war das andere Gewehr auch schon weg und ein zweiter Zwanzigdollarschein da.

Teufel! Ich drängte mich durch die händeschüttelnde Gesellschaft und warf mich auf mein Bett und schalt mich siebenundzwanzigmal hintereinander den fürchterlichsten Esel seit Erschaffung der Welt. Eselhaft, begriffstützig, blödsinnig über alles erlaubte Maß hinaus. Niemals würde ich ein Amerikaner werden! Niemals würde ich Hornochse den Wert der Dinge und den Wert des Geldes wahrhaft begreifen lernen!

Welch ein Geschäft ging hier zum Teufel! Hundert Mausergewehre hätte ich an Land schleppen können, umsonst, zollfrei, geschenkt! – Hundert Stück zu zwanzig Dollars macht zweitausend Dollars – hundert Bajonette obendrein zum allermindesten – hundert Stück zu fünf Dollars macht fünfhundert Dollars, macht zusammen zweitausendfünfhundert Dollars.

Verdammt, verdammt, verdammt nochmal!

Ueber zehntausend Mark – heiliges Donnerwetter!

Durch die Hände schlüpfen lassen hatte ich mir mein erstes wirkliches »Geschäft« auf amerikanischem Boden. Den idealen amerikanischen business-job – den Humbugschlager – mit Intelligenz – ohne Kapital – – – Ich Esel – ich Hornochse!

Doch nicht einmal ein junger Teufel frisch aus der Hölle hätte es übers Herz bringen können, inmitten dieser überliebenswürdigen, überfrohen, übergütigen Menschen auf längere Dauer zu fluchen. Sie, die harten New Yorker mit dem harten Dollarsinn, waren in der Laune, das Hemd vom Leibe wegzuschenken. Der sentimentale Romantiker kam zum Durchbruch, der in jedem richtigen Amerikaner steckt in merkwürdigem Gegensatz zu dem rohen Kampf ums Dasein in der Neuen Welt. Kein Südfranzose, kein italienischer Heißsporn, kein spanischer Leidenschaftsmensch hätte naiver und kindlicher begeistert sein können als diese gewitzten Männer aus der matter of fact Dollarwelt. Man sah es ja förmlich, wie diese Leute ihr Hirn anstrengten, einem etwas Gutes zu tun. Wie jungenhaft einfach und natürlich sie sich gaben – wie der warmblütige Mensch hervorguckte unter der abgeworfenen kühlen Geschäftsmaske – und wie doch wieder die Gewohnheit so stark war, daß sie nur in klingender Münze begeistert sein konnten, diese Männer New Yorks. Der leiseste Vorwand genügte ihnen, mit Geld um sich zu werfen. Sie ersannen sich ständig neue Vorwände, den Wohltäter zu spielen. Und im Grunde war das heilsam für die New Yorker Dollarmenschen, denn sie begriffen nun, daß man mit dreizehn Dollars Einkommen im Monat ein ganzer Mann sein konnte! – Sie wurden daran erinnert, daß es noch andere Werte auf der Welt gab als business!!

Auf einmal aber traten die Männer in dem dunkeln Grau oder Braun oder Blau der Herrenkleidung völlig und gründlich in den Hintergrund. Die wandelnden Träume im duftigen Weiß und den leuchtenden Farben in den Zeltstraßen nahmen die Zügel in die Hand. Das duftige Weiß regierte. Die Männer waren weg. Schlanke Frauengestalten erschienen.

» Goodbye, Johnny!« hauchte ein blauer Märchenhut. »Geh und amüsiere dich, Männchen! Um vier Uhr (das war geschlagene drei Stunden vordatiert) treffen wir uns bei der Station. Weißt du, ich muß mir von den Jungens alles, alles erzählen lassen und da kann ich dich doch nicht brauchen dabei. Goodbye, Johnny!!

Und die zweite Invasion begann.

Die zweite Form von amerikanischer Begeisterung. Diese Mädchen und Frauen empfanden erstens das Bedürfnis, diesen unglaublichen und ihnen ganz ungewohnten Helden vom Santiagotal, an deren Ohren wirkliche, echte Todeskugeln vorbeigepfiffen waren, ihre dankbare Reverenz zu erweisen. Zweitens wollten sie sich aber amüsieren. Sie saßen auf unseren Betten, wippten mit allerliebsten Füßchen.

Rische-Rasche machten die seidenen Unterröckchen.

»Hast du dich gar sehr gefürchtet in der Schlacht vom San Juan-Hügel?« fragte mich ein Dinglein in roter Seidenbluse.

»Ach nein,« antwortete ich verlogen.

»Das Schwarz und Weiß deiner Sergeantenstreifen steht dir ausgezeichnet!« meinte das Dinglein in sonderbarem Gedankensprung – sonderbar für mich – damals ...

Ich war paff.

»Was bedeuten denn die komischen Flaggen auf deinen Aermeln?«

»Weißt du,« sagte der Lausbub (das war auch ein Gedankensprung) »– – – wenn hier nicht so viele Leute wären, so möchte ich dir einen Kuß stehlen!«

»Oh pfui!!« hauchte sie. Aber ihre Augen sagten gar nicht pfui.

Es war ein Idyll. Es war eine Orgie in Begeisterung. Es war praktischer Humor ersten Ranges, wie die gutgezogenen New Yorker Männer ihre Dollarfrauen dem Flirt überließen – und ich wunderte mich mehr als einmal, ob nicht mancher gute Ehemann das verfluchte Heldentum verdammt ungemütlich empfand. Sie sahen auf unseren Betten, die Mädelchen und die Frauen, und sie naschten mit großen verwunderten Augen Soldatenessen von unseren blechernen Soldatentellern. Sie waren sehr nett. Sie küßten wohl auch einmal – in dem erhebend moralischen Bewußtsein, daß sie durchaus unpersönlich küßten. Sie küßten Helden fürs Vaterland. Die Männer wollten ihre Dollars los werden. Die Frauen ihre Liebenswürdigkeit.

Ich plauderte lange mit dem Dinglein in der roten Bluse. Das war ein kluges Mädchen. Auch sie wollte Andenken haben, aber es fiel ihr nicht im Traum ein, mit teuren Dollars zu operieren wie die Männer. Sie machte süße Augen – und drehte mir einen vergoldeten Sergeantenknopf ab. Sie machte noch süßere Augen – und holte ein Scherchen aus der Handtasche hervor, um mir kaltblütig die kostbaren seidenen Sergeantenabzeichen von den Aermeln zu trennen. Sie schenkte einen Kuß – und stopfte sich alle Taschen voller Patronen und Messingflaggen, wie wir sie an den Mützen trugen, und den verschiedenen Dingen im allgemeinen, wie sie überall umherlagen.

»Hast du denn auch ein liebes kleines Mädel?« fragte die rote Bluse.

»N – nein!« flüsterte ich, mit tiefem und ehrlichem Bedauern, denn rote Blusen und die lieben kleinen Mädchen darin schienen mir gerade jetzt etwas besonders Reizendes.

»Ach du armer Junge!!« (bums dich – war wieder ein vergoldeter Knopf weg!) »Weißt du – ich möchte sehr gut zu dir sein!«

Und da führte ich sie durch unsere weiße Stadt und zeigte ihr all die Zelte und sah sie erschauern vor der Bedeutung des riesigen seidenen Sternenbanners, das vor dem Zelt des kommandierenden Generals im Windgebrause flatterte. Erschrecklich viel Limonade trank sie. Erschrecklich viele kleine Paketchen von Tabak und winzigen Bierfläschchen und Soldatenbonbons nahm sie mit als Andenken und versprach hoch und heilig, sie in Ehren zu halten für alle Ewigkeit. Ich aber wunderte mich, wie das kleine Persönchen es fertig brachte, all die gemopsten und geschenkten Sächelchen zu verstauen. Des Rätsels Lösung fand ich nicht. Und wir verzehrten noch mehr Süßigkeiten und tranken noch mehr Limonade und gingen eine lange Nachmittagsstunde am sandigen Strand spazieren, weit von der Zeltstadt, aber keineswegs in Einsamkeit, denn wo man auch hingeriet irgendwo um Montauk Point herum, ergingen sich reizende Frauen mit den Männern der Armee vom Santiagotal. Sie mußten sich Helden nennen lassen, die armen Männer, bis sie erröteten wie Backfische.

Es war eine Orgie.

»Adieu, lieber Junge!« sagte das Dinglein bei der Station, und ich hätte darauf geschworen, daß der feine vielsagende Händedruck sieben verschiedene Wahlverwandtschaften zum mindesten bedeutete. Doch im gleichen Augenblick schoß das gleiche Dinglein in der gleichen roten Bluse auf einen mageren Jüngling in korrektem Schwarz und allerneuestem korrekten New Yorker Hut zu und warf sich, jawohl, warf sich, an seinen Hals!

»Freddy,« jubelte sie – »ach, du lieber guter Freddy, es war ja so süß!«

Da begriff ich, daß ich im Erleben der roten Bluse eine ganz gewöhnliche Episode war. Ein Röhrchen war ich, ein lächerliches Sicherheitsventil, eine mechanische Vorrichtung, dem Hochdruck der Begeisterung der amerikanischen Frau Luft zu verschaffen. Er wäre sonst gefährlich geworden.

»Du verflixter kleiner Fratz!« murmelte ich.

Es dauerte aber gar nicht lange, so erreichte der Hochdruck der Begeisterung in Amerika das überspannte Stadium. Es wurde allerorten und in allem gewaltig übertrieben im Siegesjubel. Man war wie ein glücklicher Spieler, der im ersten Taumel des Gewinnens nicht weiß was tun vor Freude und links und rechts mit vollen Händen die Goldstücke hinausschleudert. Ein solches Schleudern war es im Dollarland damals!

Und bald wurde das echte, starke, wahre Gefühl der Begeisterung zum sentimentalen Gefühlskitsch.

Die Frauen vor allem machten lächerliche Dummheiten.

Eine Flutwelle der Hysterie ergoß sich über das Yankeeland. Zuerst natürlich erreichte die Welle das nahe New York. Die Zeitungen berichteten, lächelnd anfänglich, dann entrüstet, daß mit den Jungens in Blau eine Abgötterei getrieben werde, die in ihren Formen schon ein Unfug genannt werden müsse!

»Mann! Bringe mir heute abend zehn Helden zum supper!« befahl die New Yorker Ehefrau. Und Mr. Ehemann, wohldressiert von Kindesbeinen an, ging los, ob's ihm nun besonders gefiel oder nicht, und gabelte gehorsam zehn Helden auf. Frisch von der Straße weg.

Heidi, es war lustig!

Mrs. Ix, die New Yorkerin und Milliardärin, gab schleunigst einen Soldatenball. Mrs. Ypsilon, gleichfalls Milliardärin, trumpfte über und erließ prestissimo die Einladungen zu einem Sergeantenball, bei dem es märchenhaft wohlhabend herging. Mrs. Zett, auch sie natürlich Milliardärin, fuhr von morgens früh bis abends spät mühsam überredete Helden in ihrem vornehmen Landauer in den Straßen New Yorks spazieren. Die großen Blumengeschäfte erhielten Anweisungen von Damen der Gesellschaft, jedem Soldaten Blumen zum Begeisterungsgeschenk zu machen – was reizend gewesen wäre, wenn die gütigen Spenderinnen nicht gar so deutlich dafür gesorgt hätten, daß ihre Namen in allen Zeitungen und an allen Blumenladenfenstern recht laut und kräftig in Erscheinung traten.

Die nervöse Welle lief weiter – wuchs an. In Washington wurde sie zur Sturmflut.

Eines Tages meldete sich in der Stadt des Kapitols ein junger Leutnant beim Marineminister. Er hieß Hobson und war ein Held. Hatte mannhaft Leib und Leben darangesetzt mit offenen Augen und war nur wie ein Wunder dem Tode entgangen, als er in der Santiago-Felsenenge den Merrimac in die Luft sprengte. Nun war der junge Leutnant der Held des Tages in Washington. Seine Kommandeure, der Marineminister, der Präsident der Vereinigten Staaten überschütteten ihn mit Glückwünschen und Danksagungen. Man gab einen Ball zu seinen Ehren.

Und damit fing das Unglück an.

Als Hobson den Ballsaal betrat, schritt eine junge Dame der Washingtoner Gesellschaft auf ihn zu, überreichte ihm einen großen Blumenstrauß und bestätigte ihm in wohlgesetzten Worten, daß er ein Held sei und sein Name unvergänglich auf den Tafeln des Vaterlandes leuchten werde. Dann kam ihr besonderer Dank. Im Namen der amerikanischen Frau; im Namen der fraulichen Gesamtheit; im Namen der Weiblichkeit: Schlanke, weiße Arme legten sich um des Leutnants goldbestickten Uniformkragen und ein amerikanischer Frauenmund küßte ihn lang und innig.

Vor versammeltem Mannsvolk und bewundernder Frauenschar.

Am nächsten Tag wurde das weihevolle Ereignis in vielen Zeitungsspalten geschildert. Die Gesellschaftsreporter fanden mühelos die richtigen Töne. Sie lachten sich zwar wahrscheinlich halbtot dabei im Redaktionssanktum bei Bier und Zigarette – aber die Töne fanden sie!

Sie sprachen ernsthaft und gediegen von allerhöchster Ehre. Sie flöteten zart vom symbolischen Weihekuß. Sie nahmen gedankenvoll das Konversationslexikon zur Hand und fanden auch glücklich klassische Vorbilder, die sich prachtvoll zu Vergleichen eigneten und die ganze sentimentale Geschichte auf ein anständiges Niveau hoben. Am nächsten Tag durcheilte die wichtige Nachricht Amerika.

Ueber das weibliche Amerika brauste ein Sturm der Begeisterung.

Das war groß. Edel. Ungeheuer. Das war Heldenlohn. Schöner und reicher als alle Schätze an Gold und Ehren.

Man gab einen zweiten Ball in Washington, wiederum zu Ehren des Leutnants, und wiederum begann er mit einem Weihekuß. Diesmal jedoch schlossen sich die anwesenden Damen der ersten Weiheküsserin ziemlich vollzählig an. Es schien ihnen wohl Anstandsgebot, einem wirklichen Helden wahrhafte Ehren auch reichlich genug zu erweisen. Es hagelte Küsse auf Hobson herab – und der arme Leutnant wurde verrückt! Der mannhafte Mann, der Held, der Todeskämpfer wurde zum Schwächling und eitlen Toren. Er wurde hysterisch, genau so hysterisch wie die »Küsserinnen«. Er ließ sich überallhin einladen, zu Dutzenden von Bällen in Washington allein, in Boston, in Baltimore, und wurde überall geküßt.

Es war tragikomisch. Nein, tragisch mehr als komisch. Der Amerikaner verträgt und ermutigt sogar sentimentale Dinge, wenn sie mit Frauen zusammenhängen, namentlich bis zu einem gewissen Punkt. Dann aber schnappt irgend etwas bei ihm.

Bei der Hobson Küsserei schnappte es! Noch einige Male berichtete die amerikanische Presse in nicht ganz echt klingender Begeisterung über die Hobsonbälle und die Weiheküsse. Dann war es aus. Eine New Yorker Zeitung machte den Anfang:

»Mr. Hobson läßt sich schon wieder küssen! Die Sache wird zur üblen Gewohnheit!!« überschrieb sie einen lustigen Bericht.

Und nun donnerte ein nimmer endenwollendes Gelächter herab auf den armen Hobson. Man nannte ihn den geküßten Hobson – den küssenden Hobson. Man erwog ernsthaft, ob eine Veränderung seiner Mundlinien zu befürchten sei durch die starke Inanspruchnahme der Lippen – man hieß ihn den bestgeküßten Mann der Welt – man zeichnete ihn in bissigen Karikaturen umdrängt von kußlechzenden Frauenantlitzen – man riet ihm ernsthaft, auch den Westen Amerikas abzugrasen. Ein besonders niederträchtiger Schreibersmann empfahl ihm das Erheben von Eintrittskußgeld. Ganz Amerika lachte drei Wochen lang.

Das Unglaubliche, das Brutale, das Tragische war geschehen. Ein braver Mann, der sich den Dank seines Vaterlandes ehrlich verdient hatte, war für alle Zeiten zu einer lächerlichen Hanswurstenfigur geworden. Heute noch löst der Name Hobson in Amerika ein vergnügtes Schmunzeln aus. Der Held der Santiagofelsenenge ist vergessen – der Vielgeküßte unsterblich geworden.

So ertrank Leutnant Hobson von der amerikanischen Marine in der Welle der Hysterie.

Im Sergeantenzelt türmten sich die Zeitungen. Sie lagen in Haufen in allen Ecken: sie stapelten sich in Ballen auf gegen die Zeltwand, da, wo mein Bett stand; sie bedeckten oft genug sogar den Fußboden, daß man so recht im knisterigen, raschelnden, dünnen Zeitungspapier watete. Die Kameraden schimpften.

»Du bist verrückt!« erklärte Souder.

»Werft ihn doch hinaus mitsamt seinen alten Zeitungen!« schlug Hastings gemütlich vor.

»Geht weg – geht doch weg – schert euch nur ja zum Kuckuck!« war gewöhnlich meine Antwort, brummend in knurrigem Ton gegeben, aber lachend gemeint.

Und doch wieder sehr ernsthaft. Die Mitbewohner des Zeltes wußten recht genau, daß es nicht erlaubt war, den Sergeanten Carlé beim Zeitungslesen zu stören (man mochte reden soviel man wollte, aber nicht mit ihm), oder gar auch nur eine einzige seiner kostbaren Zeitungen aus dem Zelt fortzunehmen, sofern man sich nicht Ungemütlichkeiten aussehen wollte. So ließ man ihn gewähren. Wenn die New Yorker Invasion einen einmal nicht plagte, wurde Poker gespielt im Zelt, unglaublich viel und unglaublich hoch, denn männiglich hatte Geld in Menge und kein Mensch etwas zu tun, oder viel Bier getrunken, viel geplaudert, viel gelacht. Der Zeitungssergeant aber – so nannten sie mich – lag auf seinem Bett und las und las. Er war eben ein bißchen verrückt.

Das Zeitungsfieber hatte mich wieder gepackt.

Ich las und las. Spalte auf Spalte verschlang ich, und Stunde auf Stunde verrann. Für nichts hatte ich Sinn und alle Dinge waren mir gleichgültig seit dem Morgen, an dem die Post die bestellten Zeitungen gebracht hatte. Zwei gewaltige Pakete waren es gewesen. Alle Nummern des New York Journal und des New York Herald vom allerersten Beginn des Krieges bis zum heutigen Tag. Die Zeitungen des Krieges. Lückenlos. Und ich lag langgestreckt auf meinem Bett und kicherte selig, wenn in den Zeitungsspalten lustige Teufelchen der Uebertreibung tanzten, und atmete keuchend in heller Begeisterung, wenn ich die glänzenden Kriegsbilder las, die große Zeitungsmänner gemalt hatten. Murmelte in Gedanken wohl auch einmal irgend etwas vor mich hin.

»Er ist ohne Zweifel blödsinnig geworden!« behaupteten dann lachend die Sergeanten. Dabei stibitzten sie aber eifrig die Nummern, die ich gelesen hatte.

Begeistert war ich, gebannt. Gefangen im Zauberkreis der Zeitung. Ich suchte nach Namen, die ich kannte, nach Federn, die Meister waren in jener Zeit. Wie ein Kolossalgemälde entstand vor den lesenden Augen aus den Zeitungsspalten die Geschichte des Kriegs. In leuchtenden Farben. In kleinsten Einzelheiten gemalt. Und doch wieder in wunderbar großem Zug. Ein Irrtum war zwar da und dort einmal unterlaufen, ein gar zu greller Farbenfleck einmal hingekleckst. Im ganzen aber – welch ein Bild! Mit wenigem Aendern, mit Streichen, mit Ausscheiden und Zusammenziehen, bedeuteten die vielen Aufsätze mit den schreienden Ueberschriften in den Papierstapeln da neben meinem Bett die Geschichte eines Krieges, wie sie glänzender, lebendiger, wahrhafter nicht geschrieben werden konnte. Sie waren überall dabei gewesen, die Männer der Feder mit ihren sehenden Augen, die das Große stets vom Kleinen zu unterscheiden wußten. Lückenlos war der Krieg beschrieben von der fieberigen Aufregung in Tampa bis zum Flaggenhissen am Friedensbaum; vom Treiben in der Santiagostadt bis zum Elend in den Hospitälern. Kriegskorrespondenten waren auf Dampfyachten ständig hin und her geeilt zwischen Siboney und der nächsten Kabelstation auf Jamaica – McCulloch war mit unter den ersten gewesen beim Sturm auf den San Juan-Hügel – Richard Harding Davis hatte sich einen unsterblichen Namen errungen in der amerikanischen Zeitungswelt durch seine Schilderungen des Santiagotals. Ich sah die Einzelleistungen in diesen wunderbaren Schwarzdruckspalten und in ihnen die ungeheure Arbeit, die Begeisterung, die Energie, die vor nichts zurückgeschreckt war. Sah aber auch, als wäre ich dabei gewesen, die Arbeit der Zeitung selbst: das Sammeln der wichtigen Nachrichten aus vielen Quellen, das Ausscheiden, das Sichten, das Zusammenstellen – das Malen des Bildes von der reichen Farbenpalette.

Und oft lag ich stundenlang da in diesen Tagen und starrte träumend zur Zeltdecke empor.

Ich sah wieder die alten zerschnitzelten Tische im Reporterzimmer und die Männer an ihnen, zum Greifen deutlich, und roch frische Druckerschwärze und hörte dumpf und dröhnend gewaltige Rotationsmaschinen stampfen. Ich erlebte wieder im Traum die Hast und die Hetze, das berauschende Arbeitsstürmen und den stillen schweigenden Erfolgsjubel, die des Zeitungsmannes Teil sind. Große Sehnsucht kam über mich. Davonlaufen hätte ich mögen. Lächerlich schien mir die Uniform jetzt in den Zeiten des Friedens. Sie drückte mich. Sie wollte so gar nicht passen. Firlefanz waren die breiten Sergeantenstreifen in Schwarz und Silber nun; Tand die grellbunten Flaggen in weiß und roter Seide auf den Aermeln. Ein erledigtes Stück Leben schienen mir diese fünf Monate im Soldatenrock. Sie waren reich gewesen an farbigem Schauen und köstlich würden sie einst sein in der Erinnerung, aber sie durften beileibe nicht verlängert werden zu den langen drei Jahren, die der Pakt eigentlich vorschrieb. Eines Morgens ging ich zu Major Stevens ins Offizierszelt. Der Major war nur wenige Tage früher als ich im Gesundheitslager eingetroffen, nachdem er im Santiagoer Hospital eine bösartige Malariaerkrankung überstanden hatte.

»Was gibt's, Sergeant?« fragte er knapp, gemessen, dienstlich, ganz Offizier. Mit der Gemütlichkeit war es jetzt vorbei.

»Ein persönliches Anliegen, Herr Major!«

»Oh!« Sein Ton veränderte sich. »Nehmen Sie Platz, Sergeant, was kann ich für Sie tun?«

»Ich möchte Sie bitten, Herr Major, meine Entlassung aus der Armee zu befürworten.«

Er kaute auf seinem Schnurrbart. Dann schüttelte er energisch den Kopf. »Geht jetzt nicht, Sergeant!« sagte er.

Die Worte trafen mich schwer.

Der Major lachte ein wenig. »Sie haben doch nicht etwa Grund zur Unzufriedenheit?«

»Nein. Aber –«

»Ich weiß, ich weiß. Sergeantenstreifen locken Sie wohl nicht besonders! Es war ein sehr gefährliches Experiment, Mr. Carlé, den Kopf in die reguläre Armee zu stecken, denn unter drei Jahren wird so leicht keiner losgelassen. Es wird aber gehen. Einige Monate jedoch müssen Sie warten. Ich würde mich lächerlich machen, wenn ich gerade jetzt ein derartiges Gesuch befürwortete. Außerdem würde es ohne Zweifel abschlägig beschieden werden. Also in Ihrem eigenen Interesse –« Und er erklärte mir, daß der Krieg die Notwendigkeit gezeigt habe, ein Signalkorps in größerem Stil zu organisieren. Wir würden in wenigen Tagen nach Fort Myer bei Washington kommandiert werden, um dort als Stammtruppe Hunderte von neuen Signalisten heranzubilden. Da nur gelernte Telegraphisten angeworben werden sollten, so würde diese Ausbildung sehr schnell gehen und die Leute bald nach den Philippinen und Kuba gesandt werden können, wo man sie brauchte.

»Unter diesen Umständen wird es dem Chef nicht einfallen, einem Sergeanten die freiwillige Entlassung zu gewähren. Wird Ihr Gesuch aber abschlägig beschieden, so können Sie es sobald nicht wieder einreichen. Sie müssen warten. In drei, vier Monaten, dann wird's gehen. Solange werden Sie es recht gut aushalten können. Wir bauen eine Ballonhalle – wir beschäftigen uns mit dem Problem der Lenkbarkeit eines Luftschiffs – wir experimentieren mit der neuen Marconi-Telegraphie ohne Draht – wir bekommen elektrische Automobile – interessant genug wird's werden. Ich bin übrigens zum Kommandeur des neuen Signalforts ernannt worden. Sie werden vorläufig mein Sekretär sein. Good morning, sergeant

Da ging ich zum Strand hinunter und lief lange auf und ab. Nicht zu ertragen schien mir mein Unglück ...

Ein lustiges Lächeln stiehlt sich über mich im Erinnern an jenen Abschnitt in den jagenden Lausbubenzeiten. Ich war in Wirklichkeit über alle Maßen unglücklich damals, daß ich den Sergeantenrock nicht abschütteln konnte – mit einem Halloh und einem Heidi, wie ich alles Unbequeme abgeschüttelt hatte in der Vergangenheit und abschütteln sollte in der Zukunft. Kreuzunglücklich bin ich gewesen. Und das Lächeln wird zu einem großen Lachen, wenn ich mich daran erinnere, wie prachtvoll die vier Monate meines Sergeantentums in Fort Myer bei Washington werden sollten. Und wie alles ineinandergriff. Wie ich durch das Signalkorps wieder zur lieben alten Zeitungsarbeit kam und wie es wieder dahinging in Hast und Hetze über den amerikanischen Erdteil, ein neues Wanderleben...

Zeiten kamen und Verhältnisse, in denen kein Mensch geahnt haben würde, daß der Mann der Feder je ein simpler Sergeant der Regulären gewesen sein konnte – und Zeiten kamen wieder, da der Sergeant von dereinst sich auf das Soldatenblut besann und in einer der Venezuela-Revolutiönchen Glückssoldaten kommandierte. Wie sich das alles zutrug – ja, das ist eine andere Geschichte und so umständlich, daß sie leider noch in einem dritten Band geschrieben werden muß.

Ende des zweiten Teils.


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