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Sternenbanner auf dem Wege nach Kuba

Der Krieg des Leichtsinns. – Aus Leutnants werden Majore. – Eine kleine Vergeßlichkeit. – Segenswünsche und Vorschußlorbeer. – Von lieben diebischen Mägdelein. – Die Armee in Hemdärmeln. – Das militärische Telegraphenbureau in Tampa. – Die spanische Gespensterflotte. – Admiral Cervera in der Falle von Santiago de Cuba. – Die Depeschenhölle. – Roosevelts Rauhe Reiter ohne Gäule! – Auf dem Meer. – Eine schwäbische Ueberraschung. – Von redenden Tuchfetzen und sprechenden Wolken. – Nachtalarm. – Beginn des Bombardements von Baiquiri.

Das Kriegsfieber schüttelte Amerika.

Ein guter Mann, so sagen kluge Frauen, muß wie ein Kind sein, in seinem Tiefsten, Innersten, Wahrsten. Unter der männlichen Oberfläche, die in der Welt draußen ein einheitliches Gefüge von Kraft und Arbeit scheint, versteckt sich das große Kind mit dem Lachen und Weinen des Kindes, dem aufstampfenden Trotz und der Weichheit, dem Begehren nach Spielzeug, dem begeisterten Haschen nach allem Neuen, dem Leichtsinn, den Ungezogenheiten. Dies Kindsein liegt tief in der Natur der Männer des amerikanischen Reichs; tiefer als in irgend einem anderen großen Volk. Das Draufgängertum, das Jungfrische, das Kindliche. Die Männer, die später die Kosten des Panamakanalbaus um die Kleinigkeit von 500 Millionen unterschätzten, weil sie viel zu begierig nach dem neuen Spielzeug waren, sich bei langweiligem Rechnen lange aufzuhalten, sprangen mit gleichem Unbekümmertsein in Kriegstrubel und Kriegsgefahr.

In Tagen wurde eine Armee aus dem Boden gestampft. Der Miliz mit ihrem ausgezeichneten Menschenmaterial fehlte es an Offizieren. Da beförderten die amerikanischen Kinder ganz einfach fast jeden Offizier der regulären Armee um einen, zwei, oft drei Grade, machten die Leutnants zu Majoren, die alterfahrenen Sergeanten zu Leutnants, und steckten sie in die Milizregimenter. Die Glückssoldaten holte man herbei, die in den südamerikanischen Revolutionen Truppen geführt und Pulver gerochen hatten. Ein Roosevelt pfiff auf sein Ministerportefeuille und wurde aus dem Unterstaatssekretär der Marine ein einfacher Reiteroberst, der Rauhe Reiter warb. Zeltlager erstanden überall im Land. Millionen von Goldstücken wurden mit vollen Händen hinausgeschleudert, den Kriegsbedarf über Nacht zu schaffen. Es fehlte an Torpedojägern, an Depeschenbooten. Da kaufte man für Unsummen die schnellsten Hochseeschlepper und die flinksten Privat-Yachten der amerikanischen Häfen, armierte sie mit Geschützen – und die Flottenergänzung war fertig. Man verschwendete Millionen an die Ausrüstung der Invasionsarmee – und die großen Kinder vergaßen ganz, ihr auch nur eine einzige Feldbäckerei, eine einzige Kaffeemühle zu beschaffen. Schiffszwieback, fetten Chicagospeck, ungebrannten Kaffee gab man ihr mit als Tropenkost! Hätten die Kämpfe um Santiago nur drei Wochen länger gedauert, so wäre auch der letzte Mann von Zwanzigtausend von der Speckruhr gepackt worden. Die leichtsinnigen Kinder, die sich auf die deckende Macht an Menschen und Gold ihres Landes verließen, rechneten ja gar nicht damit, daß der Feldzug länger als einige Wochen dauern könnte. Gelandet – gesiegt – die Spanier über den Haufen geworfen! So rechnete man! Beinahe – beinahe – wäre es anders gekommen!

Ein Krieg des Leichtsinns und des Optimismus.

 

General Shafter, der kommandierende General des Departements der pazifischen Küste, war zum Höchstkommandierenden der Invasionsarmee ernannt worden. Mein Oberleutnant Green zum Oberst und Chef des Signaldienstes. Zwölf Stunden nach Eintreffen der Marschorder zogen der Stab des Kommandierenden und das erste Infanterieregiment durch das flaggenwimmelnde, jubelnde San Franzisko, und auf der Southern Pacific ging es gen Süden und Osten, vom Stillen Ozean zum Atlantischen Meer, nach Tampa in Florida. Dort konzentrierte sich die Invasionsarmee.

Im Schlafwagen fuhren wir! Selten wohl ist eine Armee so teuer, so bequem, so schnell befördert morden. An den Hauptstationen hatten die begeisterten Bürger riesige Tische aufgestellt und sie mit guten Sachen beladen, und wenn der Zug hielt, dann konnte man sich einfach nicht retten vor händeschüttelnden Männern, die einem Zigarren in die Taschen stopften, und alten Damen, die einen mit Delikatessen und frommen Segenswünschen überschütteten. Es war wie eine Fahrt durchs Märchenland inmitten von lauter Knusperhäuschen, die man nur anzubeißen brauchte. Von den Karten kriegerischer Zeiten hat in jenen Tagen gewiß kein einziger Mann der Zwanzigtausend, die auf Schnellzügen nach Florida eilten, auch nur das Geringste verspürt. Nichts war zu gut und zu teuer für die blauen Jungens.

Es gab Vorschußlorbeer in gehäuften Massen. Wer eine Uniform trug, wurde verhätschelt – besonders von der jungen Weiblichkeit. Onkel Sams Töchter hatten es sich in ihrer glühenden Begeisterung in die Köpfchen gesetzt, sich wenigstens kriegerische Trophäen unter die Kopfkissen zu stecken und vom Krieg zu träumen, konnten sie selbst nicht kämpfen. In Scharen überfielen sie unseren Zug an jeder Haltestelle und geizten nicht mit Küssen und Versprechungen, für uns zu beten. Das war sehr angenehm. Ich bin leider nie wieder in meinem Leben von so vielen holdseligen Mägdelein geküßt worden.

Weniger angenehm jedoch war, daß die Frauenzimmerchen dabei stahlen wie die Raben! Sie mausten die Patronen aus den Gürteln und schnitten einem beim Küssen heimtückischerweise die blanken Knöpfe von der Uniform. Am zweiten Tag hatte ich überhaupt keine Knöpfe mehr am Rock und mußte mir Sicherheitsnadeln erbetteln, meine Blöße zu decken. Die farbiggestickten Flaggen an den Aermeln, das Abzeichen des Signalkorps, und die Messingflaggen an der Mütze gingen schon am ersten Tag heidi. Aber es war dennoch sehr schön. Knöpfe konnten ja telegraphisch nachbeordert werden.

So zogen wir gegen Tampa, den berühmten Winterbadeort der amerikanischen Millionäre, und – schnappten entsetzt nach Luft. Tampa mochte ja ein Traum von Schönheit sein im Winter – jetzt, im Sommer, konnte man es ein Vorgemach der Hölle nennen. Wir zogen uns schleunigst die Röcke aus und nahmen sie so bald nicht wieder in Gebrauch. Sobald – das heißt, vier Monate lang, denn kurz darauf in Kuba trug man erst recht keinen Rock. Man nannte uns schwitzende Gesellen die Armee in Hemdärmeln! Feuchtheiß war die Luft und heiß der gelbe Sand und lauwarm das Wasser des Meeres am Strand. Sengende Hitze lagerte über den Tausenden von Zelten, die das Städtchen umrahmten, und es mag ungemütlich genug gewesen sein in den winzigen Segeltuchhütten. Dagegen hatten wir vom Signaldienst das große Los gezogen. Wir wohnten vornehm im Tampahotel, das sonst nur Millionäre beherbergte.

Im Privatbureau des Hotelbesitzers war der militärische Telegraphendienst eingerichtet worden.

Dort hauste der Teufel der Aufregung.

Während der Tage des Wartens auf das Einschiffen lebten wir Telegraphisten in ständigem Hasten. Das Signaldetachement bestand aus Oberst Green, dem Major Stevens, vom Artillerieleutnant drei Grade höher befördert, dem Leutnant Burnell, vom Signalsergeanten befördert, sieben Sergeanten und vierzig Mann. Ich gehörte zu der Stabsabteilung von sechzehn Mann unter Major Stevens. Die übrigen, von denen wir völlig getrennt waren, bildeten das Ballon-Detachement. Wir Signalleute waren sehr selbständig, denn die Offiziere wurden durch den geheimen Nachrichtendienst, die Verhandlungen mit kubanischen Insurgenten, das Dechiffrieren ganz in Anspruch genommen. Die Verantwortung des eigentlichen telegraphischen Dienstes war uns ganz allein aufgehalst. Das Arbeiten mit den vorzüglichen Apparaten und der gut funktionierenden Linie bot freilich äußerlich keine Schwierigkeiten. Aber man lebte in einer Luft furchtbarer Aufregung. Wir sechzehn Mann, drei Sergeanten darunter, hatten vier Morseapparate und vier long distance Telephone zu bedienen. Die Arbeit hetzte. Es schwirrte von Depeschen aus Washington. Die Rapportmeldungen jagten sich, wurden doch alle Telegraphenleitungen, nach dem Norden sowohl wie besonders nach den kleinen Floridainseln, militärisch überwacht, um ein Anzapfen des Drahtes durch Spione zu verhindern, und die Führer der Patrouillen mußten sich in bestimmten Zeitabständen melden. Ein unbeschreiblicher Wirrwarr von Ausrüstungsfragen, Personalangelegenheiten, Chiffretelegrammen huschte über den Draht. Tag und Nacht arbeiteten wir im Schweiße unserer Angesichter. Kaum Zeit zum Schlafen fanden wir. Jeder Einzelne von uns war gewarnt worden, daß jede Nachlässigkeit im Aufnehmen von Meldungen durch ein Kriegsgericht schwer bestraft werden würde. Verrat von Telegrammen wurde mit Erschießen bedroht. Aber mit keinem Zeitungskönig hätt' ich getauscht!

Denn keiner in der Armee außer den höchsten Offizieren konnte dem Pulsschlag der Ereignisse so lauschen wie wir Signalleute.

Unsere gierigste Neugier galt den Telephonen. Ueber sie kamen die wichtigsten Depeschen, telegraphisch abgeklopft zur Vorsicht, mit einem Bleistift am Schallbecher, im Armeecode, der sich vom üblichen Morse etwas unterschied. Die Meldungen der Flotte.

In den Tagen des Hangens und Bangens in Tampa galten alle Hoffnungen und alle Befürchtungen den Nachrichten vom Meer. Die spanische Flotte in Westindien war verschwunden. Man wußte, daß kurz vor Ausbruch des Krieges in den kubanischen Gewässern nur einige Stationsschiffe gewesen waren, ein starkes Geschwader aber unter Admiral Cervera auf hoher See kreuzte. Nach diesem spanischen Geschwader suchten seit vielen Tagen in nimmerendender Jagd die gesamten atlantischen Seestreitkräfte der Vereinigten Staaten. Torpedoboote und Torpedojäger huschten von kubanischem Hafen zu kubanischem Hafen. Die Linienschiffe patrouillierten den Ozean weithin ab. Cervera und seine Flotte blieben verschwunden – und waren doch wieder gegenwärtig wie ein aus dem Nichts drohendes Gespenst. Die Kenntnis ihrer Stellung, ihre Vernichtung war der Angelpunkt, um den alles sich drehte. Schien doch ein Transport von zwanzigtausend Mann in ungeschützten Schiffen selbst unter stärkster Flottenbedeckung ein va banque Spiel, solange die Gefahr bestand, daß Cervera die in sich selbst wehrlosen Truppenschiffe angreifen würde. Bis eine Seeschlacht geschlagen war, konnten alle Transportschiffe gesunken sein!

Tag für Tag kamen und gingen die Gerüchte und die falschen Meldungen. Da telephonierte ein Torpedojäger von einer der winzigen Floridainseln, siebzig Seemeilen südlich seien starke Rauchwolken gesichtet worden: Bericht folge. Drei Stunden später kam zum Herzbrechen enttäuschend die Aufklärung: Englischer Kohlentramp! Beschlagnahmt! Oder es hieß: Gestern gemeldeter Radius abgesucht. Erfolglos ...

Von Stunde zu Stunde stieg die Aufregung in Tampa. In dem kleinen Vorzimmer des Telegraphenraums warteten ständig Offiziere des Generalstabs auf die neuesten Drahtmeldungen, und selten verging ein halber Tag, in dem nicht die unsinnigsten Gerüchte umherschwirrten. Bald sollte ein spanisches Torpedoboot unweit Tampas gesichtet worden sein – bald gar eine entscheidende Seeschlacht geschlagen ... Draußen aber in Port Tampa an den riesigen Kais harrten in langen Reihen die schwarzen Kolosse der Transportdampfer, ständig unter Dampf.

Bis das Gespenst beschworen wurde.

An einem heißen Sonnenmorgen kam, wieder von einer der kleinen Inseln bei Key West, eine Depeschenboot-Meldung der Flotte übers Telephon:

Gesuchtes Santiago!

In den Hafen von Santiago de Cuba hatte sich die spanische Westindienflotte geflüchtet, um zu kohlen und zu reparieren. Und saß in der Falle! Jener Hafen lag weit inland, und seine Einfahrtstraße war so schmal, daß zwei Schiffe sie nicht gleichzeitig passieren konnten – vor dem Hafen aber lag nun das starke atlantische Geschwader der Vereinigten Staaten. Die spanische Flotte konnte nicht heraus. Die amerikanische nicht hinein. Die Spanier durften den Durchbruch kaum wagen, hätten sie sich doch einzeln Schiff für Schiff angreifen lassen müssen: die amerikanische Einfahrt hinderten Seeminen und die Kanonen des Morrokastells am Hafeneingang.

Sergeant Souder hatte die Depesche dem Kommandierenden gebracht. Eine Viertelstunde später stürmte ein Generalstabsoffizier herein, schloß vorsichtig die Türe und erklärte uns halblaut, daß derjenige um seinen Kopf rede, der auch nur den Namen Santiago de Cuba erwähnen würde. Als er gegangen war, sahen wir uns mit glänzenden Augen an, und der alte Sergeant Hastings ließ eisige Limonade bringen mit sehr viel Sodawasser und sehr wenig Sherry, denn er und wir alle wußten, daß jetzt harte Arbeit kam. Es dauerte auch nur Minuten, bis Oberst Green erschien und den telegraphischen Befehl an alle Hauptstationen gab: Draht nach Washington frei bis auf weitere Order! Damit war aller Privatverkehr und jeder amtliche Verkehr der Zwischenstationen ausgeschaltet. Eine Depesche konnte wenige Minuten nach Abgang von Tampa schon im Weißen Haus in Washington vom Präsidenten und vom Kriegsminister gelesen werden.

Während der nächsten zwanzig Stunden war das Telegraphenzimmer eine Hölle. Schweißtriefend saßen wir vor den Apparaten, uns jede halbe Stunde ablösend, und sandten und empfingen die endlosen Chiffretelegramme.

Die Würfel der Entscheidung waren im Rollen.

 

Shafters Armee sollte Santiago de Cuba angreifen. Wenn diese Festung fiel, war die spanische Flotte den vereinigten amerikanischen Streitkräften zu Wasser und zu Lande ausgeliefert.

Revolver umgeschnallt, den Krag-Jörgensen Karabiner zur Hand, Tornister neben uns, so arbeiteten wir bis zur letzten Minute, während die Armee sich einschiffte. Als die letzten gingen wir an Bord. Je zwei von uns waren auf ein Transportschiff zum Signaldienst während der Fahrt kommandiert worden. Den Namen meines Dampfers habe ich vergessen, das Schiff aber und seinen Kapitän nicht. Es war eines der kleinsten, vollbepackt mit Maultieren, die zum Lastentransport verwendet werden sollten; den einzigen Vierfüßlern der Invasionsarmee außer ganz wenigen Pferden für den Stab.

Die Pferde der Kavallerie mußten auf Shafters Befehl in Tampa zurückgelassen werden, weil unsere Kundschafter gemeldet hatten, daß Kavallerie in dem Kriegsgelände keine Verwendung finden könne. Teddy Roosevelt und seine Rauhen Reiter von Cowboys stellten sicherlich ein Kavallerieregiment dar, nach dem jeder Kavalleriegeneral sich die Finger geschleckt hätte, und ihren Weltruhm haben er und sein Regiment ehrlich und ernsthaft verdient. Aber komisch bleibt es doch, daß der berühmte Rauhe Reiter Name mit Gäulen so gar nichts zu tun hat. Als Infanteristen kämpften sie und fluchten sehr, weil der kurze Karabiner viel schlechter schoß als das Infanteriegewehr.

Sergeant Souder und ich kletterten über den schmalen Laufsteg an Bord unseres Dampfers und suchten, wie das selbstverständlich war, sofort den Kapitän auf. Während wir die Treppe zur Kommandobrücke hinaufstiegen, gellten die Dampfpfeifen, und die Transportflotte setzte sich in Bewegung.

»Runter mit euch!« schrie der Kapitän. »Hab keine Zeit! Auf der Kommandobrücke habt ihr überhaupt nichts zu suchen!«

»Ein nervöser Herr!« lächelte Souder, und wir stiegen wieder auf Deck.

Eine Stunde später – wir beobachteten durch unsere Feldstecher das majestätische Schauspiel der dahindampfenden Truppenschiffe und Kreuzer, über fünfzig an der Zahl – kam Mr. Kapitän auf Deck und sprach uns ungnädig an:

»Signalkorps?«

»Jawohl.«

»Auf meiner Kommandobrücke habt ihr nichts zu suchen – mein Signalisieren kann ich selber besorgen. Verstanden?«

Souder grinste.

»Ich fürchte, Sie irren sich,« sagte er gelassen. »Ich und mein Kamerad sind für den militärischen Signaldienst auf diesem Schiff verantwortlich und müssen schon bitten, auf die Kommandobrücke zugelassen zu werden. Vom Deck sind Flaggen nicht sichtbar. Sie haben doch sicherlich entsprechende Befehle erhalten, Herr Kapitän?«

»Hier kommandiere und signalisiere ich!« schrie der cholerische Herr.

In mir aber war ein großes Lachen, hatte ich doch den deutschen Akzent herausgehört und freute mich über den deutschen Dickschädel.

»Weshalb sind Sie eigentlich so wütend, Kapitän?« fragte ich ganz ernsthaft in deutscher Sprache.

»Jesses noi!« schrie er. Das kleine Männchen war wie umgewandelt. »Jetzt isch der Aff von 'm Signaliste au no deutsch – noi! Wo kommet denn Sie her?«

»Das ist eine furchtbar lange Geschichte,« sagte ich, wieder sehr ernsthaft. »Aber seien Sie doch friedlich. Wir tun hier nur unsere Pflicht. Es wäre Ihnen doch sehr unangenehm, wenn wir uns mit dem Flaggschiff in Verbindung setzen und uns beschweren müßten. Sie sind doch benachrichtigt worden, daß das Signalkorps den Signaldienst übernimmt?«

»Ha – freili! Wisset Se, i ha' ja auch nix dagege'! I bin nur aus 'm Häusle g'wese, weil die Offizier' mi chikaniert habe. Ha! Signalisiere Se, soviel Se wöllet! Ha! 's freut mi!«

Um die Geschichte kurz zu machen – Mr. Kapitän war ein Württemberger, auf allerlei Umwegen in die Dienste einer New Orleans'er Reederei und jetzt als Kapitän des gecharterten Dampfers in die Dienste Onkel Sams geraten. Fortan aber schliefen Souder und ich in der besten Kabine und wurden genährt wie zwei Herrgötter in Frankreich – einschließlich gelegentlicher Flaschen Sekt. Der Lausbub hatte wiederum Glück gehabt!

Souder entweder oder ich, alle beide meistens, waren Tag und Nacht auf der Kommandobrücke. Wären wir nicht so begeistert, so aufgeregt, so gierig nach Nachrichten gewesen, so hätten wir wahrscheinlich furchtbar geflucht über das Unwesen des Signalisierens der Marine. Nie ließen die Flaggen einem Ruhe! Ich weiß nicht, wie das bei anderen Flotten gehalten wird, aber die Amerikaner jedenfalls waren darin ekelhaft. Entweder wollte man von uns wissen, wie's um die Gesundheit der Maultiere stünde, oder man wiggwaggelte unter dem dringenden Alarmsignal, der Dampfer habe wenigstens fünf Meter zu wenig Kielabstand, oder irgend jemand sandte seine Komplimente und wünschte zu erfahren, weshalb das Antwortssignal auf die Depesche vorhin nicht prompter gegeben worden sei. Außerdem sausten beständig die flinken Torpedoboote um uns herum und trompeteten alle Augenblicke irgend etwas Ueberflüssiges durch ihre Megaphone, um auch ihren Senf dazu zu geben. Der cholerische Schwabe wurde beinahe verrückt vor Wut. Wir aber lernten Geduld und Humor und ärgerten gelegentlich das Flaggschiff, indem » Souder, 1st class sergeant U.S. Signalcorps im Auftrage des Kapitäns in Kommando des Truppenschiffs so und so« Anweisungen für die Behandlung eines fiktiven kranken Maulesels erbat, dem wir natürlich die scheußlichsten Symptome andichteten. Dann lachte die gesamte Flotte und signalisierte (durchaus unoffiziell zwar) schlechte Witze und gänzlich unausführbare Ratschläge. Die Kinder, die gute Männer doch sein sollen, wollten ihr Spielzeug haben, selbst in ernstesten Zeiten.

In hetzender Fahrt jagte die Transportflotte gen Süden.

Vier Tage lang dauerte die Meerfahrt, und jede Stunde der vier Tage war Aufregung und nichts als Aufregung. Mit jeder Minute geizten Souder und ich, die wir nicht oben auf der Brücke zubringen konnten; mit Essenszeit und Schlafensstunden. Jede Flagge, die an den Signalleinen emporstieg, war ein nervös erregendes Ereignis, das von unbeschreiblicher Wichtigkeit sein konnte, und jeder bloße Dienstrapport stellte eine bittere Enttäuschung dar, weil man ständig in atemraubender Gier auf das Große wartete.

Märchenhaft schienen mir die bunten Tuchfetzen der Signalflaggen. Sie sprachen und erzählten. Sie befahlen und lachten. Sie waren es, die den starren Schiffsmassen Leben einhauchten und der schwimmenden Stadt auf dem Meer die Gesetze diktierten. In den Nächten aber leuchtete und funkelte und glitzerte es tageshell in Fluten von Licht. Kein dunkles Fleckchen ließen die gewaltigen Scheinwerfer der Kriegsschiffe auf dem weiten Wasserkreis, in dem wir schwammen, und in unablässiger Bewegung hoben und senkten und kreuzten sich die weißen Lichtbündel, um dann auf einmal kerzengerade nach oben sich auf eine Wolke zu richten. Dann sprach die Wolke. Sie blitzte grell auf – lang – kurz – – – kurz ... kurz ... lang ... – und aus dem Aufleuchten formten sich, so leicht lesbar wie Schrift, die Buchstaben, die Worte, die Sätze, die Depeschen. Und wir starrten in das Licht um uns und suchten angstvoll nach dem tiefroten Aufglühen an den Schiffsmasten, das nach dem Geheimcode Gefahr bedeutete. Nur einmal während der Fahrt wurde das nächtliche Alarmsignal gegeben. Souder schlief und ich hatte die Wache, als spät nach Mitternacht plötzlich fünfhundert Meter etwa vor uns die drei Gefahrlaternen wie winzige glühende Punkte aufflammten.

»Alarm!« schrie ich, und der Kapitän stürzte aus dem Steuerhaus.

Da begann der Scheinwerfer zu reden:

»Langsamste Fahrt – Indiana – Ponton verloren – Kollisionsgefahr –«

»Teufel –« schrie der Kapitän, und gellend hallten seine schrillen Kommandos in die Nacht, den Ausguck zu verdreifachen, während der erste Offizier auf der Brücke den Befehl zum Abstoppen der Maschinen hinunterklingelte.

Lange Minuten des Harrens. Wir alle wußten, um was es sich handelte. Der Kreuzer Indiana schleppte einen ungeheuren Landungsponton aus schweren Balken, der zum Ausschiffen der Geschütze benützt werden sollte. Oft genug hatten wir über das ungefüge Anhängsel des Kriegsschiffes gelacht. In dem hohen Seegang war die Schlepptrosse gerissen, und irgendwo inmitten der Flotte trieb nun die Holzmasse des Pontons, mächtig genug, im Zusammenprall ein Schiff leck zu stoßen. Die Truppenschiffe kamen zum Stillstand, und die Torpedojäger und Depeschenboote sausten im Scheinwerferlicht umher, nach dem Durchgänger zu suchen. Die Minuten vergingen. Dann auf einmal wimmelte es wieder von Signalen: Dem Befehl zur Weiterfahrt. Man gab den Ponton verloren, froh genug, daß er schon weit hinten im Kielwasser schwimmen mußte und wenigstens keine Gefahr mehr bedeutete.

 

Frühmorgens kurz nach Sonnenaufgang am fünften Tag tauchte, ein gelbgrauer Streifen, die Küste Kubas auf. Wir rannten wie besessen nach unseren Kabinen, Waffen und Tornister auf die Brücke zu holen, um jeden Augenblick zur Ausschiffung bereit zu sein. Doch die Eile war sehr überflüssig. Noch achtundvierzig Stunden lang kreuzte die Flotte an der Santiagoküste, untertags so nahe, daß die hellen Sandstreifen und die dunklen Wäldermassen klar zu unterscheiden waren; n den Nächten weit draußen im Meer. Am dritten Tag aber in der Frühe dampfte die Schiffsmasse in nächste Nähe der Küste, die Kriegsschiffe weit voran. Immer näher kamen wir.

»Anker werfen! Transportschiffe in Kiellinie!« befahlen jetzt die Flaggen.

Auf den Kriegsschiffen aber wurde es lebendig. Bunte Wimpel stiegen an den Masten empor, nur der Marine verständlich. In ungeheuren Kreisen dampften die Linienschiffe und die Kreuzer; Schiff dicht hinter Schiff, die Küste entlang. Umruderten uns, um sich in Gefechtsstellung zu entwickeln, kehrten wieder zurück. In ganz langsamer Fahrt. Ich suchte mit dem Feldstecher den Strand ab. Glatt und ruhig spielte das Meer an der schmalen, gelben Sandlinie, von der Hügel mit dichtem Buschwerk aufstiegen bis an den Horizont. Im Vordergrund überspannte eine eiserne Brücke eine kleine Schlucht von grellgelbem Gestein. Ihr Gittergefüge sah sonderbar zierlich und gebrechlich aus und schien zu schwanken, zu zittern in der flimmernden Sonnenglut. Auf der Brücke stand ein Frachtwagen, hoch beladen mit Felsblöcken. Links daneben ragte aus dem Buschwerk ein winzig kleines Häuschen.

Kreis auf Kreis zogen die Kriegsschiffe.

Da – eine weiße Dampfwolke schoß aus einem großen Kreuzer, und ein furchtbares Krachen ließ mich zusammenfahren ...


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