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In den Schützengräben.

Von Siegesberichten und Sorgen. – Ein Murren geht durch die Schützengräben. – Die Meinung des alten Sergeanten. – Ungeduld! – Der Humor der Front. – Krankheit und Schwäche. – Die berühmten kubanischen Leibschmerzen. – Fieber und Ruhr. – Stimmungen und Verstimmungen. – Ein Freudentag. – Freund Billy aus Wanderzeit und Eisenbahnfahrt. – Zwei Gefechtstage. – Wie ich ein Held sein wollte. – Der Friedensbaum. – Die Kapitulation von Santiago de Cuba.

Die Armee auf den Hügeln jubelte.

Erst viele Wochen später, als Dampfer auf Dampfer Regiment auf Regiment nach der amerikanischen Heimat zurückbrachte und die Männer der Schützengräben sich gierig auf die alten Zeitungen stürzten, von ihren eigenen Taten zu lesen, erfuhren sie zu ihrem großen Erstaunen, daß die Ereignisse in den ersten Julitagen im Tal von Santiago de Cuba den Leuten zuhause im Lande Gottes nicht nur glorreiche und höchst übertriebene Siegesberichte gebracht hatten, sondern auch schwere Sorgen.

Sie lasen verblüfft, daß General Shafter nach der Schlacht am San Juan-Hügel am Abend des 2. Juli nach Washington gekabelt hatte, die Stellung des Feindes auf seiner zweiten Verteidigungslinie sei fast unangreifbar und die Lage außerordentlich ernst, denn ein Vorgehen müsse schwerste Verluste bringen – – –

Sie lasen schmunzelnd, daß der General, der die amerikanische Gesamtarmee kommandierte, General Miles, dem kranken und überpessimistischen Shafter noch in der gleichen Nacht lakonisch geantwortet hatte, er möge vor allem – den spanischen Befehlshaber zur bedingungslosen Kapitulation auffordern! Das Bombardement der Stadt androhen, wenn General Toral sich weigere! Sie lasen lachend, wie glänzend dieser echt amerikanische Bluff gelungen war: Zwar hatten die Spanier die Uebergabe abgelehnt, aber Waffenstillstand trat ein am 3. Juli und es begannen Verhandlungen, die den Anfang vom Ende bedeuteten. Sie lasen noch manches mehr. Oft vielleicht mit einem recht unbehaglichen Gefühl. Wie der Hunger ihnen in der Schlacht geholfen hatte, ohne daß sie es wußten, denn die armen Teufel von Spaniern waren schon Ende Juni auf halbe Rationen gesetzt worden, weil das verrottete spanische Regierungssystem auf der Insel sich um die Kleinigkeit der Verproviantierung einer Armee zufällig nicht gekümmert hatte. Wie gewaltig stark die Drahtverhaue der zweiten spanischen Stellung waren. Wie furchtbar hoch die Krankenzahl in der amerikanischen Armee.

Und sie fingen zu Hause an, viele Dinge zu begreifen, die sie nicht begriffen hatten im Tal von Santiago de Cuba. Ein Murren ging durch die Schützengräben.

Hundertmal, wenn wir Depeschen auf den Hügel brachten, wurden Souder und ich von den schmutzstarrenden, verwahrlosten Gestalten im Graben angehalten und mit Fragen bestürmt, ob denn nichts sich rege im Hauptquartier und wie die Dinge stünden und wann endlich der Waffenstillstand zu Ende sein werde. Der verdammte Waffenstillstand!

Da drüben war der Feind! Dort lag die Stadt, dort waren Häuser, in die der Schandregen nicht eindringen konnte; dort gab es Betten, in denen man schlafen, und Herde, auf denen man kochen konnte! Warum, weshalb im Namen aller Vernunft verpfefferte man nicht drei Stunden lang das Gras und das Gestrüpp da drüben mit allem, was Gewehre und Patronengürtel nur hergeben wollten, und stürzte sich dann bergabwärts Hals über Kopf auf die kleinen Männlein, die schon davonlaufen würden wie sie davongelaufen waren von den Hügeln!

Ein alter Sergeant der 5. Regulären, der oft zu unserem Zelt kam, zu schwatzen, verkörperte die Stimmung in den Schützengräben ausgezeichnet:

..Höll' und Teufel!« sagte er. »Ich werde nicht dafür bezahlt, mich mit höherer Strategie zu befassen. Das überlass' ich dem jesuschristlichen Dicken! Wenn mir befohlen wird, im Dreck herumzusitzen und mir alle halbe Stunde die Jacke vollregnen zu lassen und so viel schlechten Speck zu fressen, daß ich zeitlebens keinem anständigen Schwein mehr ins Gesicht sehen kann, – dann halt ich's Maul und gehorche. Aber verdammt will ich sein, wenn ich's verstehe! Magazinfeuer, würd' ich sagen – Bajonett auf das alte Schießeisen – und in fünfundzwanzig Minuten wäre die alte Geschichte erledigt. Aber der Dicke muß es ja wissen! Mir kann's recht sein. Bye, bye, Jungens! Laßt euch euren Speck recht gut schmecken! Achtet auf eure Gesundheit!«

Worauf wir ihm ergrimmt Lehmklumpen nachwarfen. Wer in diesen Tagen von Speck und werter Gesundheit sprach, der war ein Raufbold, der boshaft an die wundeste aller wunden Stellen rührte, und forderte tätlichen Angriff heraus.

So murrten die Männer in den Schützengräben.

Ungeduldig waren sie wie Kinder und frech wie Spatzen. Aber das Schimpfen klang immer noch lustig, und niemals lag in ihm der Ton der Auflehnung. Man lachte mitten im Gezeter und nahm die harten Entbehrungen nicht ernst, wenn sie es auch im Grunde waren, die die Ungeduld gebaren. Man mußte warten – man begriff nicht, weshalb in Kuckuksnamen man solange warten mußte – aber es würde schon kommen, oh, es würde schon kommen ... Rührend war es in Wirklichkeit, mit welch prachtvollem, trockenem Humor diese Männer ein Leben ertrugen, das in seiner Härte so gar nichts humoristisches hatte, und wie sie aus Jammer und Elend immer und immer wieder die lustige Seite herauszufinden wußten. Droben in dem breiten Hauptgang hatten sie einen Wegweiser aufgestellt, auf dem in derben Lettern stand:

»Revolver müssen beim Portier abgegeben werden (links – Dreckstraße Nr. 3), denn auf Befehl des kommandierenden Generals ist Schießen in diesem Vergnügungslokal nicht gestattet! Nur Herren mit garantiert anständigem und friedfertigem Benehmen haben Zutritt!« – in blutigem Hohn auf den Waffenstillstand.

Ein anderes Schild beim Eingang eines besonders sumpfigen Schützengrabens besagte grimmig: »Warnung! Angeln ist hier verboten!!« Im Hauptschützengraben hatten sie auf Brettchen von Munitionskisten mit irgend einer schwarzen Farbe, die sie gottweißwo aufgetrieben haben mochten, allerlei Sprüche gemalt und die Brettchen in die Lehmwand hineingesteckt wie Gedenktafeln:

»Erzähle mir nicht, o Freund, daß du Bauchweh hast! Deine Symptome interessieren mich nicht. Ich hab sie nämlich selber!« lachte ein Spruch.

»Und der Herr schuf Regen und Sonnenschein ... Für Kuba hat er seine Schaffensfreudigkeit verdammt übertrieben!« hieß es auf einer anderen Tafel. Ihre Nachbarin sagte:

»Bist du schlechter Laune, so haue einen Insurgenten. Das ist gesunde Bewegung für dich und macht aus dem Cubano vielleicht einen Menschen: der Stecken lehnt hinten in der Ecke.« Das gab die Einschätzung, in der Señor Insurgente bei der Armee stand, famos wieder!

So sah der Humor der Schützengräben aus. Grimmiger, harter, verkrustet trockener Humor war es, der ahnen ließ, wie zäh und kraftvoll die Männer sein mußten, die in Krankheit und Schwäche lachen und sich über ihren eigenen Jammer lustig machen konnten. Denn krank waren sie alle, zum mindesten nicht gesund.

Die Regenzeit Kubas hatte nun im Ernst begonnen. Tag für Tag, dutzende Male oft in einem Tag, regnete es in tropischer Gewalt in ungeheuerlichen Wassergüssen – und der Viertelstunde klatschenden Regens folgte ebenso ungeheuerliche Sonnenhitze, die mit der verdampfenden Feuchtigkeit alle Miasmen aus dem Boden zog und Menschen und Dinge in übelriechenden Dampf hüllte. Morgens und abends lagen stundenlang dick und gelb zähe Nebelschwaden über dem Boden, kalt, feucht und dumpfig. Selten verging eine Nacht ohne Regen, und dann schliefen die Männer in den Schützengräben auf nassem Boden in nassen Decken. Jetzt, in den Tagen der Waffenruhe, durfte zwar immer ein Teil der Regimenter auf dem Gelände hinter den Hügeln Zelte aufschlagen, aber die winzigen Soldatenzelte schützten nur wenig gegen diesen Regen und gar nicht gegen Bodenfeuchtigkeit und Nebel. Die Kleider faulten einem fast am Leib. Souder und ich schleppten zweimal im Tag Wasser herbei aus dem San Juan und wuschen unsere Körper und irgend ein Kleidungsstück, doch es nützte nichts. Seife hatten wir längst keine mehr. Was das Ausrinsen im Wasser gut machte, verdarben wieder in ein paar Stunden Regen und Schweiß. Starrer Schmutz war es, in dem man lebte. Widerlicher Schmutz. Die Männer in den Schützengräben, die nicht so viel Zeit und Gelegenheit zur Reinigung hatten wie wir, waren noch schlimmer daran. Schmutz, Schmutz, überall Schmutz ... Die Nässe verdarb rasch das Schuhzeug, so fest und derbe es war, und oft wurden Patrouillen nach rückwärts zu den Hospitälern geschickt, um die Stiefel der Schwerkranken und Gestorbenen zu holen.

Immer gleich blieb die Nahrung. Speck, Hartbrot, Speck. Man weichte die harten Zwiebäcke auf, tat Zucker hinzu und Speckstückchen und briet sich den breiigen Mischmasch. Trank höllenstarken Kaffee dazu. Einmal kam eine Sendung Büchsenfleisch, aber es war verdorben. Derartig schlechte Behandlung läßt sich auf die Dauer kein Magen gefallen.

So rebellierten zuerst die Mägen. Langsam schlich sich Krankheit in die Schützengräben. Kaum einen Mann gab es in der Front, der nicht wenigstens an einer leichteren Form von Ruhr litt. Auch da noch half der Humor, das Abschüttelnwollen körperlicher Schwäche, wie es in junger Mannesart liegt. Die verschmutzten Männer lachten über die recht unangenehmen und schmerzhaften Aeußerungen ihrer gestörten Verdauung und machten lustige Witze, höchst unanständige Witze zumeist, über das viele Aufgesuchtwerden der primitiven Stellen, die man in der Zivilisation verengländert mit W. C. zu bezeichnen pflegt. Aber nach und nach verspürte ein jeder immer kräftiger die üblen Folgen der ewigen Magenbeschwerden und der Fieberanfälle, denen keiner entging. Die schlechten Witze fingen an, gequält zu klingen. Das lustige Lachen von gestern über das berühmte kubanische Bauchweh zog heute nicht mehr. Die Gesichter wurden blaß, und der energische, springige Gang der Regulären träge. Auf das Fieber hätte man schließlich gepfiffen – aber der Magen, der Magen! Bitter und gallig schmeckte der schlechtgeröstete Kaffee, weil die halbzerstampften Bohnen ewig lange sieden mußten. Der Speck schimmerte ölig und durchsichtig, denn die Sonnenhitze hielt ihn ständig in schöner brühwarmer Temperatur. Man konnte ihn bald nicht mehr sehen und nicht mehr riechen. Die Schiffszwiebacke waren trocken kaum zu essen, und der fade Brei, der sich höchstens aus ihnen bereiten ließ, wurde einem zum Ekel. Der Magen, der Magen! Er war es, aus dem die üble Laune kam.

Und die Stimmungen!

Wenn ich in den Schützengraben nach dem General oder irgend einem höheren Offizier suchte, schien es mir beinahe komisch, wie die sonst so unverwüstlich derben und unverwüstlich lustigen Regulären nun auf einmal Stimmungen unterworfen waren. Manchmal lagen sie faul und apathisch da und ließen einen ruhig über ihre Leiber hinwegsteigen, viel zu träge, sich zu rühren oder gar zu reden. Manchmal wieder konnte das leiseste Gerücht, das Hoffnung auf Soldatenarbeit gab, oder der unsinnigste Scherz sie blitzschnell aufrütteln. Als mich einmal ein Korporal fragte, was denn los sei (ich trug ein Telegramm in der Hand), antwortete ich ärgerlich:

»Es ist Dienstgeheimnis und du darfst es nicht weiter sagen: Washington telegraphiert, daß ein Dampfer mit einer neuen Speckladung abgegangen ist!«

»Pfui Deibel!« sagte der Korporal.

Die Männer links und rechts von ihm lachten wie toll und erzählten den mageren Witz weiter, der nun richtig die ganze Linie entlang schallende Heiterkeit auslöste.

Doch das Lachen war selten geworden. Ein jeder wußte, daß die Zeiten bitterernst waren und ein grimmiger Feind die Hügel bedrohte, em schlimmerer Feind als die verachteten kleinen Männlein da drüben: Krankheit, Fieber, Ruhr, Malaria. Und ein jeder gab sich Mühe, auf das dumpfe Brausen in seinem Schädel frühmorgens im Nebel nicht zu achten und auf die Schmerzen in Magen und Darm nach den Mahlzeiten. Weil keiner krank werden wollte.

Souder und ich waren brummig oft, und übellaunig, und nicht weniger ungeduldig als alle anderen. Weder ihm noch mir blieben die grimmigen Leibschmerzen erspart, und er und ich wußten ganz genau, wie es war, wenn einem nach übelriechender Nebelnacht die Fieberfliegen im Kopf summten und man sich fluchend vom Sanitätssergeanten des Brigadequartiers gewaltige Dosen Chinin geben ließ, die einem die Ohren klingen machten. Aber die Linie, der Draht, das klappernde kleine Instrument versorgten uns stets mit so viel Arbeit und so starkem Interesse an Spannung und Erwartung, daß wir Kopfschmerzen und Leibgrimmen prompt zu vergessen pflegten. Waren die Depeschen in diesen Tagen auch selten wichtig, so wartete man doch wenigstens immer auf eine, die wichtig sein würde.

Da kam der 7. Juli. Der vierte Tag des Waffenstillstandes. Die Linie zu S 0 3 war wieder einmal schadhaft geworden und die Reihe diesmal an uns, den Fehler zu suchen. Mißvergnügt machte ich mich mit Ersatzdraht und Zwickzange auf den Weg und fand den Schaden bald. Irgend ein Spitzbube in Uniform mochte zu irgend etwas ein Stückchen Draht gebraucht haben und hatte einfach einen halben Meter der Linie mit seinem Taschenmesser herausgesägt. Ich schimpfte, wie ein regulärer Signalmann über so lästerlich infame Schändung schimpfen mußte, und reparierte. Weil ich nicht weit von S 0 3 war, beschloß ich, bei der Blockhausstation vorzugucken. Ich schlenderte den breitausgetretenen Pfad hinter den Hügeln entlang, auf dem es von Soldaten wimmelte, denn Zelt an Zelt reihte sich auf der Hügelseite. Hier kampierten die Rauhen Reiter. Plötzlich blieb ich stehen, und heiß und kalt überlief es mich.

War – das – ein Traum – ein Fiebergaukelspiel?

Eine klingende, metallische Stimme, eine liebe alte Stimme hatte mich gerufen bei meinem Namen aus alten Zeiten. Klar und hell –

»Ed! Ha – a – llooh – Ed!!«

Ich stand und starrte und wollte meinen Ohren nicht glauben.

»Halloh – Ed!«

Von einem Zelt nicht weit vom Weg kam ein Rauher Reiter-Offizier gelaufen, ein Leutnant. Unter dem graubraunen Feldhut mit dem glitzernden Regimentsemblem von gekreuzten Reitersäbeln leuchteten groß und lachend graublaue Augen – die alten Augen ...

..Billy!« schrie ich ...Halloh. Billy – Bi – i–illy!«

Und er sprang herbei, und wir schüttelten uns die Hände, denn sprechen mochte keiner ein Wort, und dann lachten wir wie unsinnig und dann schüttelten wir uns wieder die Hände und dann lachten wir wieder.

Billy war es. der alte Billy, der Billy aus Wanderzeit und Eisenbahnfahrt.

Billy in der Uniform eines First Lieutenant eines Oberleutnants des Rauhen Reiter-Regiments. Gar kein Staunen verspürte ich über die silbernen Streifen auf seiner Schulter. Dieser Mann war einer der wenigen Menschen, die dazu geboren sind, zu führen und zu leiten unter allen Umständen. Seien sie arm oder reich. Die vornehm sein müssen und Herren über andere, mögen sie auch einen einzigen Rock nur ihr eigen nennen. In der alten Welt hätte man freilich aus Billy keinen Offizier gemacht. Sein Lebensgang wäre denn doch nicht einwandfrei genug gewesen – um die schöne Phrase zu gebrauchen. In Amerika sah man sich den Mann an und – griff zu. Billys Familie hatte ihm eigentlich gegen seinen Willen das Leutnantspatent bei den Rauhen Reitern erwirkt. In der entscheidenden Unterredung jedoch mit Theodore Roosevelt hatte Billy klipp und klar erklärt, daß er erwähnen müsse, er sei vor noch nicht langer Zeit als Tramp, oder als eine Art von Tramp zum mindesten, auf den Eisenbahnen herumvagabundiert. » You are allright!« war Roosevelts knappe Antwort gewesen.

Komm' in mein Zelt!« sagte Billy.

Wir hockten uns auf die Wolldecke hin am Boden, und Billy holte feierlich eine kleine Feldflasche aus einem Winkel hervor, erklärend, daß es unter den Rauhen Reitern komische Käuze von Millionären gebe, die sich durch ihre Privatyachten Zigarren und Whisky bringen ließen. Wir tranken in Andacht den goldigbraunen Bourbon. Rauchten eine Zigarette.

»Du bist also beim Signalkorps, eh?« begann Billy. »Haben sie nicht genug Verstand gehabt dort, dich wenigstens zum Sergeanten zu machen?«

»Anscheinend nicht!« lachte ich. »Uebrigens habe noch nicht einmal vorschriftsmäßig gegrüßt, Herr Leutnant!«

»Das ist allerdings schrecklich,« meinte Billy. »Kraft dieser schönen silbernen Schulterstreifen also befehle ich dir nun, sofort zu erzählen. In Colorado war's irgendwo, als du verschwandest – und das hat mich damals mehr Kopfschmerzen gekostet als du ahnst, mein Junge. Drei Monate suchten wir nach dir, Joe und ich, bis wir es endlich aufgeben mußten. Erzählen, erzählen!«

Da berichtete ich von der Fahrt nach St. Louis und dem Erleben dort und von der Kupferhölle und vom Zeitungsdienst und von San Franzisko. Von Frank und von Allan McGrady. Lachende Linien kamen in das scharfgeschnittene, hagere, rassige Gesicht. »Und bei dieser Geschichte hier in Kuba mußtest du natürlich auch dabei sein!« rief er endlich und füllte lustig augenzwinkernd das winzige Feldflaschenglas fingerhoch ... »Aber natürlich! Ich brauche dir wohl nicht zu sagen, mein Junge, daß du ein Narr wärest, würdest du die blaue Jacke nicht recht bald wegwerfen. Bleib du bei der Zeitung! Ich wünschte, ich wüßte so gut wie du es von dir wissen solltest, was ich zu tun hätte. Unter uns gesagt waren diese Schulterstreifen billig wie Brombeeren. Es gehörte nicht viel mehr dazu, aus dem alten Billy einen Leutnant zu machen, als sieben Wörtchen des alten Onkels van Straaten, der im Kongreß sitzt. Wenn diese nachgerade langweilige Affäre hier jedoch beendet ist – dann adieu, Leutnant Billy!«

»Weshalb machten sie dich gleich zum Oberleutnant?« lachte ich.

»Bin ich vorgestern erst geworden!« berichtete er vergnügt. »Telegraphisch. Von wegen der Schlacht. Teddy sorgt für seine Leute. Weiß der Kuckuck, wo Jack (das ist mein Putzer) den Oberleutnantsstern aufgegabelt hat. Aufgenäht hat er ihn mir jedenfalls auf die Jacke – und meine Würde erdrückt mich beinahe!«

Erzählen – erzählen ... Wir rechneten uns aus, daß wir beim Sturm auf den San Juan-Hügel keine hundert Meter voneinander entfernt gewesen sein konnten, und im Planters-Hotel in Tampa im gleichen Saal gegessen haben mußten, ohne es zu ahnen. Wie groß die Welt war und doch wie klein! Stunde auf Stunde verschwatzten wir, bis ihn und mich der Dienst rief.

Wochen später, als ich auf der Insel des gelben Fiebers aus dem Delirium erwachte und denken und verstehen konnte, gab mir der Arzt einen Briefumschlag. Fünf gelbe Banknoten steckten darin, zu zwanzig Dollars eine jede. Und ein Zettel:

»Lieber Ed. Unser Schiff dampft heute, den 30. Juli, nach dem alten Land. Der Doktor schreibt mir, du würdest durchkommen. Wußte, sie würden dich nicht unterkriegen, alter Junge. Das Geld kannst du vielleicht gebrauchen. Gib es mir zurück, wenn es dir paßt. Hörte von Major Stevens, du seiest zum Sergeanten ernannt worden. Auf Wiedersehen – Billy.«

Ich sollte ihn erst in einem Jahr wiedersehen, unter Verhältnissen, die noch viel merkwürdiger waren als das Begegnen im Tal von Santiago

 

Die Krankheitsziffern in den Schützengräben stiegen zu erschreckender Höhe, und immer blasser und gelber wurden die Gesichter der Männer auf den Hügeln. Unerträglicher schien die Sonnenglut von Stunde zu Stunde fast und fürchterlicher die endlosen Regengüsse. Noch war die Zahl der schweren Erkrankungen an wirklicher Ruhr und Malaria verhältnismäßig gering, die Zahl der Leichtkranken jedoch ungeheuer groß. Den ganzen Tag über umringten sie das Doktorzelt, und der Sanitätssergeant verteilte im Schweiße seines Angesichts unablässig Chininpillen und Opiumpräparate. Die Befehle und Meldungen, die über unseren Draht gingen, zeigten zwar nur einen winzig kleinen Ausschnitt der allgemeinen Situation, aber sie ließen unschwer erkennen, daß die Führer der Truppen voll Besorgnis waren und daß alles nach einer Entscheidung drängte. Am 8. und 9. Juli gab es viel zu tun. Die Depeschen, die genaue Berichte über die Krankenzahl einforderten, jagten sich. In den Antworten der einzelnen Regimenter hieß es immer wieder: Allgemeiner Gesundheitszustand höchst unbefriedigend. Chefärzte kamen vom Hauptquartier und untersuchten die Truppen; lange Konferenzen fanden statt im Zelt des Generals.

Da telegraphierte am Abend des 9. Juli das Hauptquartier, daß mit Mitternacht der Waffenstillstand ablaufe. Die Wirkung auf die Truppen, die nun sofort in den Schützengräben konzentriert wurden, war verblüffend. Die gedrückte Stimmung schien wie weggeblasen. Die Aussicht auf Arbeit machte die Männer in den Schützengräben wieder frisch und kräftig. Ueberall von den Hügeln erklang an jenem Abend der Tingeltangelschlager, den die Soldaten im Uebermut des Sieges in der Kampfnacht gesungen hatten. Er war zum Schlachtlied der kubanischen Armee geworden –

When the bells go tinge-linge-ling
We'll join hands and sweetly we shall sing –
There'll be a hot time
In the old town
Tonight, my Darling!

»Heut abend ist der Teufel los im Städtchen...«

Mit dem Morgengrauen begann das Kleingewehrfeuer auf der ganzen Linie. Vom San Juan-Hügel her dröhnten Geschütze. Die Spanier erwiderten das Feuer nur schwach. Ein unbedeutendes Ferngefecht war es – wie auch am nächsten Tag.

Mir ist dieser 10. Juli eine lustige Erinnerung. Im Laufe des Nachmittags lief eine Depesche ein, in der Präsident McKinley unserem General Bates seine Ernennung zum Major General anzeigte, der höchsten militärischen Würde in den Vereinigten Staaten. Das war natürlich ein großes Ereignis. Ich machte mich sofort auf den Weg nach den Schützengräben, um dem General das Telegramm zu bringen. Ueberall knatterte es vorne auf dem Hügel, und dann und wann pfiff eine feindliche Kugel durch die Luft. Ich eilte durch den Hauptgang und erfuhr von der Stabsordonnanz, daß der General im Schützengraben rechts sei. Nach wenigen Schritten sah ich auch schon die Gruppe der Stabsoffiziere. Und – da packte mich eine ganz verrückte Idee ... Ein Held wollte ich sein! Auszeichnen wollte ich mich – auffällig auszeichnen – wunderbar tapfer sein ... Gedacht, getan. Mit einem Ruck richtete ich mich auf und stand kerzengerade da, daß Kopf und Schultern über die Brüstung des Schützengrabens hinausragten. Zischend surrte eine Kugel an meinem Ohr vorbei. Eine zweite. A–aah! So–ooh! So–oo – benahm sich ein Ritter ohne Furcht und Tadel im Kugelregen – so–olche Leute machte man zu Offizieren – in meinem Kopf wirbelte es von Tapferkeit und Todes-Verachtung – sans peur et sans reproche – a–aah – fais ce que dois, adviegne que pourra – c'est commandé au chevalier... und ganz langsam und bolzengerade stelzte ich über die Beine der feuernden Infanteristen hinweg auf den General zu. Begeistert war ich – von mir selber. Ich kam mir wirklich wahrhaft heldenhaft vor. S – sss – fsss – – zischte es.

Und ich reckte mich noch höher auf und stellte mich stramm hin und meldete eiskalt:

»Depesche für Major General Bates!«

Der alte Herr, der im Graben kauerte, streckte die Hand nach der Depesche aus und sah mich scharf an.

Mich aber überlief ein leichtes Zittern. Jetzt – jetzt – jetzt mußte es kommen –

Der General sah mich noch immer scharf an und um seine Mundwinkel zuckte es. Dann sagte er leise, aber sehr deutlich:

» Get down, you fool!«

»Duck dich – du Narr!«

Da klappte ich zusammen wie ein Taschenmesser. Aus war's mit dem Heldentum. Und zu meiner Ehre sei es gesagt, daß der Bruchteil einer Sekunde mir genügte, um zu erkennen, welch furchtbar lächerlicher Hanswurst ich soeben gewesen war.

Die kriegerischen Ereignisse im Tal von Santiago de Cuba nahten rasch ihrem Ende. Am 12. Juli begannen wieder die Verhandlungen. Am gleichen Tag traf der Höchstkommandierende der amerikanischen Armee, General Miles, in Siboney ein. Am 13. Juli hatten er und General Shafter eine Besprechung mit General Toxal, dem spanischen Kommandierenden. Am 14. Juli kapitulierte Santiago de Cuba, und die spanische Armee gab sich kriegsgefangen.

 

Es war um Mittag des 14. Juli. Zwischen den amerikanischen und spanischen Linien, dreihundert Meter etwa rechts seitlich von unserem Hügel, hundertundfünfzig Meter in Front, stand inmitten einer weiten grasigen Fläche ein ungeheurer Mangobaum. Ein Riese. Der mächtige Stamm zeichnete sich im grellen Sonnenlicht scharf gegen das Grün und Gelb des Bodens ab. Die breitwipflige Krone ragte massig empor, wuchtig in ihrem Dunkel wie ein Gebäude. Da erzitterten Trompetentöne. Der Paraderuf, jedem Regulären wohlbekannt. Feierlich, gedehnt. Und die Männer in den Schützengräben sprangen auf die Brüstungen, kauerten sich hin und sahen schweigend zu, wie aus dem Bodeneinschnitt beim San Juan-Hügel Reiter in langsamem Schritt hügelabwärts ritten dem Baumriesen zu. Ich konnte durch mein Glas die Gestalten deutlich erkennen. General Miles war es, General Shafter, einige Offiziere, zwei Trompeter. Gleichzeitig glitzerte es drüben in den spanischen Linien von Epauletten und goldenen Borten und Pferden und Reitern in dunklen Umrissen.

Die beiden Reitertrupps kamen sich näher, hielten einen Augenblick. Dann sprangen die Offiziere von ihren Pferden, und Ordonnanzen brachten Feldstühle und stellten sie auf im Schatten des Mangoriesen. In den amerikanischen Schützengräben war es mäuschenstill. Fünfzehntausend Männer, sechzehntausend, siebzehntausend, warteten in tiefem Schweigen. Drüben beim Feind tauchten aus Gestrüpp und Dschungelgras in langer Linie weiße Strohhüte auf und Gestalten in hellen Uniformen. Still war es. Ganz still. Zwanzig Minuten lang, eine halbe Stunde vielleicht. Dann kam Bewegung in die Gruppe beim Mangobaum. Pferde wurden herbeigeführt, Reiter stiegen in die Sättel, und langsam ritten die beiden Trupps zu ihren Linien zurück. Die Männer in den Schützengräben schauten noch immer. Niemand sprach. Nichts rührte und regte sich.

Da blitzte ein Farbenfleck auf in dem tiefen Dunkel der Mangobaumkrone.

Rot – blau ... Er wurde deutlicher. Breitete sich aus. Und ich starrte und starrte, einer von Tausenden, und sah den Farbenfleck sich entfalten in grelle Streifen und winzige Punkte.

Ueber dem Friedensbaum flatterte das Sternenbanner.

Eine Sekunde lang noch war alles still. Dann ergellte wie aus einer einzigen Kehle brausend und donnernd ein furchtbarer Jubelschrei.

Santiago de Cuba war gefallen.


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