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Das Kommen des Krieges

Vorgeschichte des spanisch-amerikanischen Krieges. – Die Guerillakämpfe zwischen Spaniern und kubanischen Insurgenten. – Die Glückssoldaten der Virginia. – Gespannte Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Spanien. – Grausamkeiten. – Die kubanische Junta in New York. – Der Untergang der Maine. – Der Racheschrei. – Kriegserklärung. – Meine große Idee! – Die große Idee funktioniert nicht! – Aber ich muß unbedingt nach Kuba ...

Schweres Kriegsgewölk überschattete im Jahre 1898 die Neue Welt. Unten im Süden auf der Insel Kuba tobte seit Jahren ein Kleinkrieg zwischen Herren und Knechten, zwischen einer Rasse, die sich im Niedergange befand, und bösem Mischblut; zwischen Spaniern und Kubanern. Die reiche Insel, das Tabaksland, das Zuckerland war bitterarm geworden unter spanischer Mißwirtschaft, und unerträglicher Steuerdruck lastete auf ihm. Die spanisch-indianischen Mischlinge, die westindischen Neger und Halbneger, nie Freunde harter Arbeit, wurden durch das unfähige spanische Beamtentum mit seinem die Hände in den Schoß legenden mañana-Glauben noch gründlicher verdorben, als sie von Mutter Natur aus schon waren. Korruption war überall im Land. Hungersnot folgte auf Hungersnot. Bitteres Elend herrschte seit vielen Jahren. Da schlugen sich die Mischlinge in die Büsche, und langsam wuchs unter Führung von Abenteurern die national-kubanische Erhebung; ein Guerillakrieg, der von beiden Seiten mit einer Wildheit und einer Grausamkeit geführt wurde, die dem benachbarten Amerika den Atem stocken ließ und ihm eine altschmerzende Episode ins Gedächtnis rief, die in den Vereinigten Staaten böses Blut gemacht hatte: Das Sterben der Männer der Virginia.

Vor einem Jahrzehnt, denn solange schon wütete der Kleinkrieg zwischen Spaniern und Insurgenten, waren amerikanische Glückssoldaten in dem Schooner Virginia gen Kuba gesegelt und im Süden gelandet, sich in den Reihen der Revolutionäre Ruhm und Glück zu erkämpfen. Ein spanisches Kanonenboot fing den Schooner ab. Vierundzwanzig Stunden später knallten die Schüsse der spanischen Pelotons, und die Glückssoldaten der Virginia waren tot. Amerika zitterte vor Entrüstung, wenn auch das amtliche Washington sich wohl oder übel auf den Boden des internationalen Rechts stellen und erklären mußte, jene amerikanischen Abenteurer hätten den Schutz des Mutterlandes verwirkt, als sie sich auf ihre ungesetzliche Unternehmung einließen. Vergessen aber wurden die Männer der Virginia nie.

Schon zu Ende des Jahres 1897 waren die Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Spanien gespannt, denn Washington hatte wiederholt energisch darauf hingewiesen, daß in der Tabak- und Zuckerindustrie Kubas Millionen amerikanischen Geldes steckten und die unhaltbaren Zustände auf der Insel den wirtschaftlichen Interessen der Vereinigten Staaten schadeten. Da wurde der spanische General Weyler als Generalkapitän auf die Insel gesandt, und der Kampf gegen die Insurgenten begann im großen Stil. Der grimmige Soldat ersann das System der Blockhauslinien. In Fächerform wurden von den militärisch stark besetzten Zentren aus kleine Blockhäuser in das Innere des Landes vorgeschoben, um in stetig fortschreitender, geschützter Angriffslinie die Revolutionäre zusammenzudrängen und das Land Meile für Meile von ihnen zu säubern. Quer über die ganze Breite der Insel schob sich die trocha. Eine gewaltige Kriegsmaschine war es: Undurchdringbare Drahtverhaue verbanden die Blockhäuser. Vor diesem Gürtel kleiner Festungen lief eine zweite Linie von Wolfsgruben und Sprengminen, die eine bloße Annäherung an die trocha schon zu einem tödlichen Wagnis machten.

Ein furchtbares Gemetzel begann. Tier kämpfte gegen Tier, denn die halbverhungerten, verzweifelten, geächteten Menschen in den Wäldern waren zu Tieren geworden, die mit ihren Macheten jeden der verhaßten spanischen Soldaten, der ihnen in die Hände fiel, grausam abschlachteten, und die erbitterten Spanier zeigten sich nicht weniger grausam als jene. Sie schonten weder Weib noch Kind. So tobte der Kleinkrieg. Immer wieder wurden die trocha da und dort in Kämpfen bis aufs Messer von den Insurgenten durchbrochen; hatten doch diese menschlichen Gerippe, die wenig mehr besaßen als ihre Waffen, nichts zu verlieren und alles zu hoffen. Gefangene wurden von den Spaniern ohne weiteres erschossen: zu Dutzenden, zu Hunderten. In New York aber sorgte eine kubanische Junta, eine Vertretung der Insurgenten, getreulich dafür, daß die amerikanische öffentliche Meinung in Schrift und Bild jede Greueltat der spanischen Soldaten erfuhr, während über die Schandtaten der Revolutionäre klüglich geschwiegen wurde. Grelle Schilderungen von Hunger, Jammer, und brutaler Unterdrückung aber verfehlen ihre Wirkung auf den Amerikaner nie.

Alles drängte zur Einmischung der Vereinigten Staaten. Der langsam erwachende Imperialismus, der eine Ausdehnung der amerikanischen Macht forderte und Taten verlangte; das Kapital und starke wirtschaftliche Interessen, die nicht nur ihre Geldanlagen auf der Nachbarinsel retten wollten, sondern auch von einem amerikanischen Kuba sich goldene Berge versprachen; der Zug der öffentlichen Meinung endlich, die die blutigen Greuel im Nachbarhause nicht mehr mit ansehen mochte.

Die Stimmung war gespannt zum Platzen.

Da flog am 15. Februar des Jahres 1898 abends 9 Uhr im Hafen von Havana der große amerikanische Kreuzer Maine in die Luft und sank augenblicklich. Die gesamte Besatzung von über sechshundert Mann ging zugrunde.

Jetzt jagten sich die Ereignisse.

Ein Schrei der Entrüstung gellte über Amerika. Rache für die Maine! durchbrauste es die Zeitungen: Remember the Maine! donnerte es in den Massen meetings. Denn für jeden Amerikaner war es selbstverständlich, daß ein heimtückischer spanischer Torpedo die Maine und ihre 600 Amerikaner in die Luft gesprengt hatte.

Die kubanischen Insurgenten wurden von der Regierung der Vereinigten Staaten als kriegführende Partei anerkannt. Scharfer spanischer Protest in unziemlichen Ausdrücken. Kurzer Notenwechsel, der die Lage nur verschärfte. Am 25. April erklärte das amerikanische Repräsentantenhaus, der Senat und der Kongreß, den Kriegszustand mit dem Königreich Spanien.

Am selben Tage noch erhielt das amerikanische Geschwader in Ostasien unter Admiral Dewey telegraphische Instruktionen. Nach fünf Tagen war die spanische Philippinenflotte in der Seeschlacht von Manila am 1. Mai 1898 vernichtet.

 

Der Lausbub wäre nicht das Menschenkind voller Unrast und tiefgewurzeltem Drängen nach grellem Erleben gewesen, hätte sich nicht inmitten des Kriegslärms sein abenteuerliches Blut geregt. Das Soldatenblut vielleicht auch vom Großvater und Vater her, den alten Offizieren.

Ich verschlang die sich jagenden Nachrichten und brüllte mit in Jubel und Freude, als Lascelles mit der Depesche vom Siege bei Manila ins Reporterzimmer stürzte. Kein Stockamerikaner hätte begeisterter sein können! Wieder jagten sich die Ereignisse. Mit immer größerer Bestimmtheit trat die Nachricht auf, daß eine amerikanische Armee von der Insel Kuba Besitz ergreifen sollte und – ich wurde sehr nachdenklich, ohne eigentlich zu Wissen warum. Ich wurde zappelig. Wie schal und gleichgültig schien auf einmal das begeisternde Reporterleben! Ich wurde unzufrieden. Was scherte mich die Zeitung, wenn es Krieg gab! Krieg!! Blutigen Krieg! Kämpfe im tropischen Land!!!

Ich sah mich zwei Nächte hintereinander im unruhigen Traum als kolossal tapferen Offizier, der seine Leute im Sturm zum Siege führte ... Und am nächsten Morgen kam mir die große Idee! Man mußte die Gelegenheit beim Schopfe packen! Die Möglichkeiten des Berufs mußten ausgenutzt werden bis zum letzten! Kriegskorrespondent wollte ich sein – aber selbstverständlich – Kriegskorrespondent!!!

 

Ich drückte mich im Reporterzimmer herum, bis die Kollegen alle fort waren. Kaum war der langbeinige Ferguson mit seinen polternden Schritten als letzter aus der Türe gestiefelt, als ich schon auf den Schreibtisch in der Ecke zuschoß –

»Mac, haben Sie einen Augenblick Zeit für mich? Ich möchte gern in einer persönlichen Angelegenheit ...«

»Natürlich, mein Sohn,« unterbrach er mich lachend. » Allright! Wieviel brauchen Sie denn nun eigentlich?«

»Es – es handelt sich nicht um Geld, Mac.« stotterte ich.

»Nun, und wo brennt es dann?«

»Krieg – Kuba...«

»Kuba, eh? Was in der Hölle haben Sie denn mit Kuba zu tun?«

Aber ich ließ nicht locker. »Glauben Sie wirklich, Mac, daß wir in Kuba einfallen werden?«

Er nahm seine goldene Brille ab und putzte sie bedächtig.

»Nun, ich bin nicht der Kriegsminister!« meinte er. »Aber Sie können immerhin Ihren letzten Stiefel darauf verwetten, daß die Insel ein bißchen besetzt wird von uns, denn sie ist die große Wurst, um die man sich zankt. Die Geschichte wird übrigens so ziemlich in Ruhe und Frieden ablaufen, denke ich mir. Die Spanier wären Narren, wollten sie uns ernsthaften Widerstand entgegensetzen. Na, es kann auch anders kommen. Vor allem aber reden Sie jetzt ruhig heraus, lieber Junge! Was wollen Sie eigentlich, zum Teufel? Was haben Sie sich da wieder in den Kopf gesetzt??«

»Ich will nach Kuba!«

»Dachte ich mir, sonny

Ich wußte, daß ich puterrot geworden war und merkte, daß ich ungeschickt stotterte in der Aufregung, aber jetzt hieß es reden, reden, reden ... »Mac – helfen Sie mir, Mac! Sie wissen ja nicht, wieviel mir daran liegt!! Mein Vater war Offizier – und ich wollte als Junge immer schon Offizier werden und – Sie verstehen mich vielleicht ...«

Allan McGrady nickte ernsthaft vor sich hin.

»Legen Sie ein gutes Wort für mich ein beim Alten, Mr. McGrady! Ich will gewiß kein Geld verdienen dabei. Nur mitkommen –«

»Pfui, wer wird auf die Preise drücken!« »Oh, Mac, Sie wissen doch, wie ich es meine.«

»Ich weiß, ich weiß. Und nun Vertrauen gegen Vertrauen, Sie Mann der Tollheiten. Zwanzig Jahre bin ich im Zeitungsdienst. Mein Name ist nach meiner besten Ueberzeugung etwas wert in der Zeitungswelt und beim Alten. Nun sehen Sie: Ich würde drei Finger meiner linken Hand hergeben, wenn ich damit erreichen könnte, von Hearst nach Kuba geschickt zu werden! Drei Finger, mein Junge! Mit Vergnügen!! Mit wonnevoller Wonne!!!«

»Aber –« stotterte ich, aus allen Wolken gefallen. » Sie können das doch erreichen!«

Er lachte. »Es ist nett von Ihnen, mir das Unmögliche zuzutrauen. Ich könnte mir jedoch mit der gleichen Aussicht auf Erfolg es in den Kopf setzen, heute abend um sechs Uhr Präsident der Vereinigten Staaten sein zu wollen. Mann, Sie ahnen nicht, was es bedeutet, Kriegskorrespondent zu sein. Da schickt man die Auserlesensten der Auserlesenen hin. Leute von unermüdlicher Tatkraft, glänzende Federn – Männer, die in jeder Lage einen Ausweg zu finden wissen – Männer mit militärischen Kenntnissen ersten Ranges – ach du lieber Gott. Gibt es da unten wirklich ernsthafte Kämpfe, so sind die Hälfte der Kriegskorrespondenten für den Rest ihres Lebens gemachte Männer. Die Namen der Glücklichen – Glück gehört auch dazu! – werden beinahe so berühmt werden wie diejenigen der siegreichen Generale. Schlagen wir's uns aus dem Kopf, mein Junge! Für unsere Zeitungen gehen selbstverständlich Davis und McCullock nach Kuba, kommt es so weit; Davis, der ein großer Schriftsteller und Hearsts Freund ist, und McCullock, der beim tollen Mullah im Sudan war! Das ist gar keine Frage!«

Da trat Lascelles ein.

» Good morning, Mac!« rief er. »Denken Sie mal, der Teufel ist endlich los! Washington telegraphiert die Mobilmachung der National Guard! Bedeutet natürlich, daß Onkel Sam nach Kuba marschiert. Und ich würde drei Finger drum geben, stände ich in McCullocks Schuhen!!« Mac blinzelte mir zu.

Als wolle er sagen: »Siehst du! Da ist noch einer! Einer, der schon hoch geklettert ist auf den Sprossen der Zeitungsleiter und trotzdem das nicht erreichen kann, was du dir in den dicken Schädel gesetzt hast. Du blutiger Anfänger ... du!!«

 

Ich schlich mich fort. Miserabel schlecht arbeitete ich an jenem Tag, denn in meinem Kopf rumorte und lärmte und hämmerte es: Kuba – Kuba – Krieg...

Kreuz und quer lief ich durch das flaggengeschmückte San Franzisko. Unter aufgeregten Menschen, die von nichts sprachen als vom Krieg und von Kuba. Teufel – Teufel – – Und immer lauter rumorte in mir das trotzige blinde Wollen des Augenblicks, wie es noch hundert Male rumort hat in meinem späteren Leben, zum Glück manchmal, manchmal zu meinem Unglück. Später, wenn man die wirkliche Kraft gefunden und sich rückschauenden Humor eingefangen hat, denkt man gern an solche Augenblicke der Tollheit. Hat man sie doch auf Heller und Pfennig bezahlt in der Münze des Lebens und das Recht auf fröhliche Erinnerung erworben, mag auch die Vernunft sich wehren mit ihrem: Es wäre doch besser gewesen, wenn...

So lief ich umher in den Straßen.

Einem neuen Spielzeug nach, das hüpfende Teufelchen vor mir baumeln ließen und das ich nicht erhaschen sollte und das vielleicht nur deshalb so begehrenswert schien. Die Sehnsucht gestaltete sich zur fixen Idee. Sie wurde zum harten Wollen.

Der Lausbub dachte also nach. Dachte angestrengt nach, vernünftig. Ueber die Vernünftigkeit dieses Nachdenkens aber würde jeder andere Mensch sich krankgelacht haben: Es bestand im Wesentlichen darin, daß ich fortwährend dasselbe dachte – »Ich will aber nach Kuba! Zum Teufel, ich will aber doch nach Kuba!!«

Die kleinen Affären des Lebens, die links und rechts neben Kuba, und die schleierhafte Zukunft, die hinter Kuba lag, kümmerten mich furchtbar wenig. Sie waren nebensächlich. Erstens wollte ich mit in diesen Feldzug, und zweitens mußte ich mit, und drittens ging ich überhaupt auf jeden Fall mit! Darüber war ich mir nun klar, und damit schien mir die Angelegenheit erledigt.

Ich – mußte – unbedingt – nach – Kuba!!


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