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Auf kubanischem Boden

Die Küste wild bombardiert. – Theodore Roosevelt und seine Zahnbürste. – Die Landung. – Ein Tag ungeduldigen Fluchens. – Die Arbeit beginnt. – Tropenregen. – Meine Hängematte. – Nachtruhe à deux. – Hunger und Arbeit – aber ach, was waren das für schöne Zeiten! – Der Major stiehlt einen Karren. – Telegraphenbau-Arbeit. – Palmen und Kletterei. – Bei den toten Rauhen Reitern von La Quasina. – Im Insurgentenlager. – Der Mangobauch, – Der Jesus-Christus-General.

Dichter Rauch und greller Feuerschein quoll aus allen Kriegsschiffen. Ohrenbetäubend war das Krachen. Der Schiffsboden, auf dem ich stand, bebte und zitterte, trotzdem wir mehrere hundert Meter entfernt lagen. Schuß krachte auf Schuß. In das dumpfe Dröhnen der schweren Geschütze rasselte grell der hellere Klang der Schnellfeuerkanonen; wie grausiger Donnerschlag und hallendes Stahlklirren, als ob Riesenschmiede auf überirdischem Amboß hämmerten. Man konnte nicht denken – man mußte nur stehen und starren. Aus dem Dröhnen heraus gellte es schrill in scharfen Mißtönen; ein Surren, ein Zischen, ein Gebrause. Schuß – Schuß – Schuß – Dutzende, Hunderte von Explosionen ... Schuß – Schuß – – – und die Minuten wurden zu Ewigkeiten. Heulend jagten die Stahlmassen durch die Luft und stürzten sich auf den Sand und das Buschwerk da drüben, die so still dalagen wie ein wehrloses Ding, das ein Starker zu Boden geschlagen hat und nach Gefallen zerhämmert. Nichts regte sich. Nirgends war Bewegung an Land. Nur das Buschwerk duckte und zitterte und wand sich wie ein Getreidefeld im Hagelschauer unter dem Sturm von Geschossen. In ungeheuren Rissen zerfetzten die Granaten den Buschwald, und blanke Erdstreifen tauchten auf im schwarzen Busch, wenn Dampf und Staub der Explosionen verweht waren. Aeste wurden durch die Luft geschleudert. Erdmassen spritzten empor. Ueberall, an vielen Stellen zugleich.

Und dann wurde es mit einem Schlag still, und schwere Rauchschwaden, weiß und grau und fahlgelb, wälzten sich übers Meer, daß einem der beißende Pulvergeruch giftig und atembeklemmend in Augen und Lungen drang. An Land regte sich nichts.

Der kommandierende General signalisierte: »Befehle abwarten!«

Wir starrten und starrten, und auf einmal regte es sich auf dem Wasser. Die Dampfbarkassen der Kriegsschiffe schossen herbei, und Dutzende von Booten, in denen es von Waffen glitzerte, huschten dem Lande zu. Die landenden Truppen kamen alle von einem einzigen großen Transportschiff ... Souder sprang nach seiner Kabine und holte die Liste der Schiffe und Truppen.

»Roosevelt ist's!« rief er. »Die Rauhen Reiter!«

 

So landete Theodore Roosevelt mit seinem Regiment als Erster auf kubanischem Boden. Er hatte es durchgesetzt, daß ihm die Ehre der Vorhut zugeteilt wurde. Man hat Roosevelt oft genug nachgesagt, daß er auch als Reiteroberst der praktische Politiker geblieben sei, der vortreffliche Regisseur, der sich und seine Leute geschickt in Szene zu setzen wußte mit vollberechneten Effekten. Sicherlich zu unrecht. Der Mann, der in sein Leben eine so gewaltige Fülle von Sehen und Schaffen und Erfolg hineindrängte, wie wenige Männer seiner Zeit, und einer der berühmtesten Präsidenten der Vereinigten Staaten werden sollte, ahnte damals gewiß nicht, daß jeder Schritt auf kubanischem Boden ihn dem Präsidentenstuhl näher brachte. Er lebte nur. Er lebte das tätige Leben. Er war mit Leib und Seele Soldat. Der Name der Rauhen Reiter, die erst für diesen Krieg angeworben waren, hatte in der Armee bereits Märchenklang. In Tampa schon waren sie berühmt geworden. Selbst die alten Regulären aus den Indianerkriegen hatten einen Heidenrespekt vor dem Regiment, das sich aus den besten Reitern und den sichersten Schützen des ganzen Landes zusammensetzte, den Cowboys, den westlichen Grenzern und – den Söhnen der amerikanischen Millionäre. Aber auch die mußten »Qualitäten« haben. Kein Mann wurde aufgenommen, der nicht vorzüglich ritt und besser schoß. Die jungen Millionäre warfen, und das schien den alten Regulären am märchenhaftesten, links und rechts mit Gold um sich, und wer in Tampa Tabak brauchte oder Durst hatte, der ging nur geruhig ins Rauhe Reiterlager. Ein sonderbares Regiment ... Um Roosevelt selbst kümmerte sich die Armee wenig. Berühmt machte ihn erst seine Zahnbürste!

Als er eingebootet wurde, schrie ihm sein Bursche nach: »Wie ist das mit Ihrem Gepäck, Herr Oberst?«

Roosevelt, der Brotsack und Offizierstornister umgeschnallt trug, wie jeder Soldat, rief zurück:

»Was zum Kuckuck soll ich mit Gepäck? Doch – eh – gib mir meine Zahnbürste!«

Diese nützliche Notwendigkeit eines reinlichen Menschen steckte Oberst Roosevelt grinsend in das Band seines Rauhen Reiterhuts und bemerkte dabei, das sei das einzig wirklich nötige persönliche Gepäck. Für alles andere müsse schon der Herr Generalquartiermeister sorgen! Und fortan trugen Kind und Kegel, Mann und Offizier der kubanischen Armee Onkel Sams als besonderes Symbol im Hutband die Zahnbürste.

Der Mann mit der Orignalzahnbürste und seine Leute aber machten nicht nur ihrem Vorschußruhm große Ehre als tolle Draufgänger und zähe Kämpfer, sondern hatten auch unverschämtes Glück, denn überall waren sie dabei, wo es wirklich der Mühe wert war. Bei La Quasina, in der ersten Schützenlinie der Schlacht vom San Juan Hügel, und im Nahkampf um das Blockhaus. In den ersten Tagen dagegen entging das Rauhe Reiter-Regiment nur mit knapper Not einer Katastrophe. Die stürmisch vordrängende Roosevelt-Vorhut fiel in einen Hinterhalt wenige Kilometer vom Strand und hatte schwere Verluste, ehe es ihr nach kurzem Feuerkampf gelang, die Spanier zurückzuwerfen.

Den ganzen Tag über waren die Boote hin und hergefahren zwischen Schiffen und Strand, in langen Ketten, von Barkassen geschleppt. Ein Regiment nach dem andern wurde gelandet; reguläre Kavallerie, zwei Infanterieregimenter. Bunt wie eine scheckige Kuh war die »Segurança«, das Transportschiff des kommandierenden Generals, von Flaggenwimpeln und flatternd geschwungenen Signalfahnen. Doch die Befehle galten stets anderen Schiffen.

»6tes Kavallerieregiment ausbooten!«

»7te Infanterie an Land!«

Für uns aber kam kein Befehl. Mit brennenden Augen sahen Souder und ich durch die Feldstecher und fluchten so grimmige Flüche, daß der kleine Schwabenkapitän uns schmunzelnd erklärte, er könne ja auch allerhand leisten, aber das sei der Limit! Wir verwünschten den kommandierenden General zehntausend Klafter tief unter den Boden, und seinem Generalstab flehten wir Pest und Verdammnis an den Hals. Dasitzen müssen an Bord der alten Maultierfähre! Warten müssen, während lumpige Freiwilligenregimenter an Land durften! Wir kochten vor Wut. Wir zappelten in kindischer Ungeduld und tanzten Tänze des Jähzorns auf der Brücke. Endlich hielt es Souder nicht mehr aus. Gegen Abend, als auf der Segurança eine Pause in dem ewigen Signalisieren eingetreten war, rief er privatim ihren Signaldienst an:

» Seg SO – PPP – Segurança Signal Office – Privat, privat, privat ...« »Sergeant Hastings hat Dienst!« sagte er zu mir. »Guter alter Junge, der Hastings. Wird uns schon sagen, was los ist –«

Seg SO antwortete prompt: »I – I – jawohl, jawohl!«

Worauf Souder flaggte:

»Privat! – Wann – geht – Signalstab – an – Land?«

Und sofort kam die bissige Antwort: » Hell knows – we do not – you – go – to hell – no time – to anser fool's questions. – Das weiß die Hölle: wir nicht. Fahrt zur Hölle – wir haben keine Zeit, jedes Narren Fragen zu beantworten!«

Souder sprang kerzengerade in die Luft: »Ich bring Hastings um,« schrie er, »wenn ich ihn erwische! Ich schieß ihn tot! Sieben Löcher mach ich ihm in den Bauch! Aber ich hab es immer schon gesagt, daß Hastings ein gemeiner Kerl ist!«

Zu dem Schaden aber hatten wir noch den Spott, denn jedes gesegnete Schiff im Umkreis rief uns an und signalisierte: da – da – ha! Hahaha aber bedeutet auf telegraphisch ein ganz großes Gelächter. Woraus ersichtlich ist, daß Soldaten in Kriegszeiten keine Sonntagsschüler sind und sich nicht immer einer gewählten und einwandfreien Sprache befleißigen; man spricht scharf und handelt scharf in solchen Zeiten großer Aufregung. Und dann waren ja weder Damen noch geistliche Herren anwesend.

Und wir warteten. Wir warteten scheußlich lange. Eine Nacht noch und fast einen Tag. Während der Nacht aber konnten wir uns wenigstens – auf dem Umwege über Blinklampen – mit Hastings privatim unterhalten, der besserer Laune geworden war. Teile der Blockadeflotte hatten, so erzählte er, bei Cabañas und Aguadores in Scheinangriffen die Küste ebenfalls bombardiert – bei Cabañas waren sogar Truppen gelandet worden, um die Aufmerksamkeit der Spanier von uns abzulenken – die Rauhen Reiter sollten auf spanische Schützenlinien gestoßen sein und Verluste erlitten haben – ebenso reguläre Kavallerie. Da wurden wir natürlich noch zappeliger, und von Schlaf war gar keine Rede. Gestiefelt und karabinerumhangen hocken wir auf der Brücke, wartend, wartend, und tranken aus unseren Blechbechern die Flasche Mumm extra dry, die der gute Kapitän uns zum Abschied spendierte, so gleichgültig, als sei das edle Getränk Wasser gewesen.

Der Morgen verging. Der halbe Nachmittag noch. Souder und ich wurden hysterisch. Knurrten wie bissige junge Hunde und suchten verzweifelt uns die Augen fast aus dem Kopf nach dem Signal, nach dem verdammten Signal. Da plötzlich hob sich an Bord der Segurança die rote Korpsflagge mit dem weißen Innenquadrat wieder und rief uns an:

»Signaldienstbefehl – Signalkorps an Bord Segurança!«

»I – I – jawohl, jawohl!«

Seine Abschiedsgrüße mußte uns der lachende Kapitän nachschreien, in solch lächerlicher Geschwindigkeit sausten wir auf Deck und übers Fallreep in das längst wartende Boot – – –

Auf der Segurança gab uns Oberst Green seine Anweisungen:

»Vier Kilometer östlich von hier ist,« so erklärte er ungefähr, »von der Marine das Haitikabel aufgefischt und die Verbindung mit Washington hergestellt worden. Telegraphisten der Marine sind dabei, die Linie unter Benützung der alten spanischen Leitung hierher zu verlängern. Den Kabeldienst übernehmen Kabelexperten. Unsere Aufgabe ist es, telegraphische und telephonische Verbindung mit der Vorpostenlinie herzustellen. Im Einzelnen habe ich euch nur zu sagen: Ich verlasse mich auf jeden von euch. Wir werden schwere Arbeit haben. Ihr werdet ganz selbständig arbeiten müssen. Eure Befehle erhaltet ihr über den Draht. Offizieren der Truppen werdet ihr im Notfalle sagen, daß ihr strengsten Befehl habt, Anweisungen nur von euren Signaloffizieren entgegenzunehmen. Depeschen dürfen nur angenommen werden, wenn der aufgebende Offizier, ganz gleichgültig welchen Ranges, sie schriftlich gibt und unterzeichnet. Mündliche Nachrichten werden unter keinen Umständen weder über den Telegraphen noch übers Telephon befördert. Kommandierenden Offizieren, denen ihr begegnet, werdet ihr melden, der Chef des Signaldienstes lasse sie bitten, dafür zu sorgen, daß die Truppen die Drähte nicht beschädigen. Das wäre alles. Noch eins – ich verbitte mir jede überflüssige Schießerei! Dazu seid ihr nicht da!«

Da kam sich der Lausbub kolossal wichtig vor.

 

Die See ging hoch, und längs des Strandes hatte sich eine ungemütliche Brandungslinie entwickelt. Unsere Boote wurden umhergeschleudert, als wären sie Eierschalen. Geradeaus am Strand zu landen war unmöglich. So mußten wir uns der alten Landungsbrücke bedienen, und die lag gute zwei Meter über dem Wasserspiegel. Es war jedesmal ein Kunststück, sich von dem stampfenden Boot emporzuschwingen. Stunden brauchten wir, um die Hunderte von schweren Rollen dünnen isolierten Kupferdrahtes an Land zu schaffen, die Telephone, die kombinierten Telephon- und Telegraphenapparate, die Trockenbatterien, die Flaggen. Ein unbeschreiblicher Wirrwarr herrschte am Strand. Ueberall waren Säcke, Kisten, Munition aufgestapelt, und zwischen diesen Bergen von Kriegsmaterial rannten aufgeregte Offiziere umher, die den Proviant für ihre Schwadronen und Kompagnien haben wollten. Wir errichteten sofort dicht am Strand die Telegraphenstation mit einer Hauptbatterie und waren kaum fertig mit Zeltbauen und Aufstellen des Apparats, als urplötzlich die Dunkelheit hereinbrach und weiteres Arbeiten unmöglich machte. Mit der Dunkelheit kam Regen. Nein, nicht Regen – der Ausdruck ist viel zu schwach – sondern ein Wolkenbruch. Nein, nicht ein Wolkenbruch. Sondern es regnete, wie es in den Tropen regnet. Das waren nicht Wassertropfen, sondern dicke Wasserschnüre, Schnur an Schnur.

Souder und ich hatten vorher schon unser winziges Soldatenzelt aufgebaut, von dem er die Hälfte trug und ich die Hälfte, und kamen uns sehr schlau vor, als wir bei den ersten Tropfen schleunigst unter Dach krochen. Aber ach – was war ein Zelt gegen diese Wassermassen! Der angeblich wasserdichte Segeltuchstoff gab nach einer Minute schon den hoffnungslosen Widerstand auf ...

»Teufel – rück' ein wenig!« schrie Souder. »Mir läuft ein Bach, ein richtiger, gesegneter Bach, am Hals herunter!«

»Reg' dich nicht auf um Kleinigkeiten,« erwiderte ich erbost. »Ich – liege – in – einem – See! Rück' du!«

Doch das konnte er ebensowenig wie ich. Wir füllten das winzige Zelt ja bis zum letzten Winkel. Oben regnete es herein. Von vorne und hinten kamen, klatsch, klatsch, die Güsse. Unten rieselte ein Bach.

»Oh hell!« sagte der Sergeant, sprang auf und warf dabei das Zelt um, daß unsere stützenden Karabiner ins Wasser plumpsten. »Nässer können wir doch nicht werden!«

Und ich sah erstaunt, wie er sich Rock, Hose, Stiefel, Gamaschen, Hemd herunterriß und splitternackt dastand. »Ich nehme ein Bad!« grinste er. »Gratis. Passende Gelegenheit. Ein kubanisches Brausebad – Shampooing obendrein – kost' sonst einen Dollar fufzig ... Wie nett, daß der Regen hierzulande wenigstens warm ist!«

Ich machte es ihm schleunigst nach, und als kurz darauf unser Major Stevens, im Gummimantel, eine Magnesiumfackel in der Rechten, in dem Miniatursee einhertappte, riß er die Augen gewaltig weit auf.

»Eh – wer ist das? – eh, Souder – Carlé – seid ihr verrückt geworden? – na, Jungens, das ist nicht übel!« Wir splitternackten Kubakämpfer standen ganz mechanisch stramm! »Rührt euch, rührt euch, Kinder, bei allem was lustig ist! Und nun versucht eben, zu schlafen, so gut es geht. Ich habe für uns alle Gummiponchos besorgt, und das nächstemal seid ihr besser daran. Good night

Nach wenigen Minuten hörte der Regen auf, und erst als wir in unsere triefenden Kleider krochen, fiel mir Esel ein, daß ich mir ja in Tampa eine wundervolle, sündhaft teure Hängematte gekauft hatte! Aus Seide! So dünn, daß ich sie bequem in der Tasche tragen konnte. Sie sollte mir noch unschätzbare Dienste leisten. Später bekam ich heraus, daß in der ganzen Armee außer mir nur der kommandierende General noch so schlau gewesen war, für die so naheliegende Bequemlichkeit einer Hängematte zu sorgen. Ich band das seidige Ding an zwei Bäumchen fest und kletterte vergnügt hinein.

»Das ist Seide, nicht wahr?« fragte Souder, mich und meine Hängematte mit seiner Signallaterne bedächtig ableuchtend. »Stark? Fest?«

»Unzerreißbar!« sagte ich stolz.

» Very Good

Und im gleichen Augenblick war er zu mir hineingeklettert, so entrüstet ich auch protestierte, und seine patschnassen, schwerbestiefelten Füße suchten sich mit göttlicher Ungeniertheit ihre Ruhepunkte in der Gegend meiner Ohren. So lagen wir und rauchten noch lange nassen Tabak aus nassen Pfeifen. Ach, was waren das für schöne Zeiten! Täte ich heute dergleichen, so würde ich mir wahrscheinlich keuchenden Husten, eine schwere Bronchitis und eine tödliche Lungenentzündung holen. Ach, was waren das für schöne Zeiten!!

 

Die Kavallerieschwadron im Dickicht nebenan leistete auch für uns die Dienste einer Weckuhr.

I can't get 'em up,
I can't get 'em up,
I can't get 'em up in the morning!

»Sie stehen nicht auf, sie stehen nicht auf, sie stehen nicht auf des Morgens ...«

»Heiliger Moses!« keuchte Souder, als er hinplumpste.

»Großer Cäsar!« schrie ich und kollerte neben ihn.

Denn steif wie ein Stock war der eine wie der andere, er und ich; kaum bewegungsfähig, wie nässeverschimmelt, wie verrostet. Die Kleider mußten getrocknet sein über Nacht, aber sie waren schon wieder feucht und klebrig geworden im Morgentau. Wir stampften umher und stellten mit inniger Genugtuung fest, daß in nächster Nachbarschaft noch vierzehn andere Gestalten täuschend ähnlich schwankten und stampften, der Major darunter so gut wie der Leutnant. Geteilte Unbequemlichkeit ist halbe Unbequemlichkeit. Wir sahen freilich nur die Oberkörper der Gestalten. Ihre Beine sahen wir nicht. Die ahnten wir nur. Sie steckten wie auch die unsern in den dickgelben Schwaden des Bodennebels, aus dem stickige Moderluft heraufdrang, übelriechend, boshaft, giftig – in Rauch aufgelöste Pestilenz. Da kroch über das struppige Buschwerk ein glühendroter Fetzen Sonne –

»Wer – hat – eine Kaffeemühle?« schrie der alte Sergeant Hastings.

»Deine Großmutter – zu Hause!« war Souders prompte Antwort.

Aber das Lachen verging ihm bald, als wir selbander unsere Brotsäcke und Tornister untersuchten und entsetzt den breiigen Inhalt beguckten. Die hochfeinen sandwiches des guten Schwabenkapitäns hatten sich in ihre Moleküle aufgelöst – in Brei – Brei – fleischfaserigen Brei. Doch ein hungriger Magen macht erfinderisch, und wir gingen zum Bach. Der Brei schwamm fort. Als Niederschlag blieb, was sonst noch im Brotsack geblieben war: die vier Pfund fetten Specks der eisernen Ration, ihre zwei Dutzend Schiffszwiebacke, die selbst eine Nacht im Brei nicht hatte erweichen können, und ihre grünen Kaffeebohnen, ein halbes Pfund. Salz und Zucker dagegen waren beim Teufel. Wir nahmen unsere Feldbratpfanne, rösteten vorerst den grünen Kaffee über offenem Feuer (es wurde nichts Rechtes!) und unterhielten uns dabei gegen alle Disziplin darüber, wer wohl der verantwortliche Schafskopf sein könne – verantwortlich dafür, daß einer eisernen Ration grüne, ungeröstete Kaffeebohnen beigegeben wurden! Mit dem Rösten ging es ja noch halbwegs. Aber die Kaffeemühle! Der verantwortliche Schafskopf hatte obendrein vergessen, der Armee auch nur eine einzige Kaffeemühle mitzugeben! Souder zerklopfte kurzentschlossen seine Bohnen im Blechtopf mit einem Stein, und ich mußte anerkennen, daß es einen besseren Ausweg nicht gab. So bereiteten wir vier Wochen lang das unentbehrliche Getränk eines Soldaten im Krieg – wir und die gesamte Armee! Wenn die Flüche, die damals auf den commissary general, den Chef des Armeeverpflegungswesens, herabgeflucht wurden, wörtlich in Erfüllung gegangen wären, so hätten zwanzigtausend separate Teufel ihn siebenmal zwanzigtausendmal separat holen müssen ... Wir brieten uns Speck. Wir zerbissen die infam harten Zwiebacke.

 

Leutnant Burnell und sechs Mann blieben bei der Station zurück, um den Kabelleuten entgegenzuarbeiten. Major Stevens und zehn Mann (dabei waren Souder und ich) bildeten den eigentlichen Telegraphenbaudienst der Armee – elf – elf – Mann! Ganze elf Mann!! Wir waren am Aufbrechen, als ein Meldereiter für die Segurança herbeijagte, der sich bei uns einen Augenblick verschnaufte und erzählte, daß bei La Quasina, sechs Kilometer in Front etwa, gestern das erste Gefecht stattgefunden hatte. Nach schweren Verlusten hatten die Rauhen Reiter und reguläre Kavallerie unter General Young die Spanier aus ihrer ersten Verteidigungsstellung geworfen. Die Vorposten standen jetzt eine halbe englische Meile über La Quasina hinaus.

Wir brüllten uns heiser vor Begeisterung.

Der Major aber durchstöberte mit Hastings, dem dienstältesten Sergeanten, all das aufgestapelte Material zum Linienbau; den Haufen von Drahtrollen, die Telephone, die Kombinationsapparate, die Trockenbatterien, die Eisenstangen für die Erdleitung.

»Wo sind denn die Werkzeuge?« fragte er kopfschüttelnd.

»Wir haben keine!« antwortete der alte Hastings.

»Was?« rief der Major, »keine Drahtzwicker? Keine Klemmzangen? Keinen Gummi zum Isolieren?«

»Nix, Herr Major!« sagte Hastings. »Wir konnten in Tampa nichts geliefert bekommen. Wir haben keine Werkzeuge. Ich persönlich besitze eine Beißzange, die ich auf der Segurança – hm – gefunden habe ...«

»Na, hätten Sie da nicht noch mehr finden können?« brummte der Major.

Er kopfschüttelte immer mehr und betrachtete den Haufen von Drahtrollen und rechnete mit den Sergeanten, wieviel Kilometer Draht wir elf Mann außer den Instrumenten tragen konnten. Sechs bis acht Kilometer höchstens. Transportmittel gab es ja nicht in diesem Krieg von leichtsinnigen Kindern. Dann war er auf einmal verschwunden. Ebenso plötzlich aber kam er wieder, im Schweiße seines Angesichts einen großen Proviantkarren vor sich herschiebend.

»Los, Jungens!« keuchte er. »Los – ehe sie uns erwischen!«

Denn: Der Herr Major hatte unten am Strand den Karren – gestohlen!

Für die gute Sache! Von da ab hätten wir uns für diesen Mann totschlagen lassen. Das war ein Mann! Vielleicht erzähle ich später einmal, wie Major Gustave W. S. Stevens das Schatzamt des Signaldienstes bemogelte, um das Geld für die ersten Flugversuche der Armee zu schaffen, das der Kriegsminister und der Chef des Signalstabs nicht hergeben wollten. Aber das ist ja eine ganz andere Geschichte.

Der Major zog seinen Uniformrock mit den schön glänzenden Silberstreifen und den goldenen Adlern aus und arbeitete so hart wie wir daran, die Instrumente und den kostbaren Draht auf dem Karren zu verstauen. Unterdessen hatten Leutnant Burnell und seine Leute die ersten fünfzig Meter Draht gelegt und die Verbindung mit dem Stationsinstrument hergestellt.

Vorwärts ging es jetzt. Der Pfad, der den Hügel hinaufführte, war ein armseliges Weglein kaum zwei Meter breit und so tief verschlammt vom Regen der Nacht und den Fußtritten von Tausenden, daß man einsank bis zu den Knöcheln. Und vollgestopft von Truppen. Infanteristen. Batterien, deren Mannschaften langsam und mühselig Zoll für Zoll die Geschütze vorwärtsschoben, denn die Gäule konnten es nicht schaffen. Links und rechts aber vom Weg starrte der Buschurwald mit seinen verrankten, verschlungenen, verdornten Gewächsen, die so fest waren wie eine Mauer und uns keinen Schritt weit eindringen ließen.

»Platz!« schrie Major Stevens. »Spezialdienst. Signalkorps!«

Die Infanterie duckte sich an die Wegseite, und holtergepolter jagten wir vorbei mit unserem Karren. Wir hatten uns lange Stangen mit gabeligen Enden geschnitten und warfen den ausgezeichnet isolierten Leitungsdraht einfach über das Urgebüsch, nur alle hundert Meter spannend und festknüpfend. Rasch kamen wir vorwärts, rascher als die Infanterie. Die marschierte nur, während uns die Neugier vorwärtspeitschte. Dann kamen wir zu den Geschützen und wären beinahe stecken geblieben, konnten doch die schweren Stahlmassen in dem engen Pfad nicht ausweichen, wollten auch gar nicht, oder ihre Herren vielmehr wollten nicht, denn Offiziere und Kanoniere spuckten ohnehin schon Galle über den miserablen Weg und pfiffen natürlich auf Telegraphendrähte und derlei Belanglosigkeiten. Wie es uns gelang, an den Kanonen vorbeizukommen, ist mir heute noch ein halbes Rätsel. Ich weiß nur, daß der Major fluchte und puffte wie ein Hausknecht, daß wir den Draht und die Instrumente abluden und sie im Laufschritt vorwärtsschleppten, daß wir den gestohlenen Karren auseinanderlegten und ihn stückweise über die Köpfe der Artillerie hinwegtrugen. Dagegen weiß ich noch ganz genau, daß ich an einer Ecke einem unverschämten Artilleristen, der mich absichtlich behinderte, eine schwere Drahtrolle gewaltig um den Schädel schlug ... Wie roh das war! Wie leid mir das tut in der Erinnerung! Aber – ach, was waren das für schöne Zeiten!

Jetzt brannte die Sonne kerzengerade hernieder, als hätte sie sich das Weglein und nur das Weglein zum Heizen ausgesucht, und dampfende, ekelfeuchte Hitze hüllte uns ein, vermengt mit giftigen Modergerüchen aus dem tausendjährigen Dschungel zur Seite, dem Hexenkessel mit seinen häßlichen Dämpfen aus faulender Feuchtigkeit und schwärzendem Heißsein. Dicht, starr, stand der Urwald. Der Gedanke stieg in mir auf, wie es überhaupt möglich sein konnte, in dieser eingekeilten Enge einen Feind anzugreifen oder von einem Feind angegriffen zu werden: eine Schützenlinie zu entwickeln, vorwärtszustürmen. Da ich zwanzig Jahre alt und neugierig war, befragte ich den Major darüber, als er neben mir schritt. In Tampa hatten wir ihn kaum zu Gesicht bekommen. Aber die wenigen Stunden schon auf kubanischem Boden hatten zwischen ihm und uns jene eigentümliche Verbindung des Vertrauens hergestellt, die von Mann zu Mann überspringt nur in Zeiten männlicher Höchstleistung, wenn jeder, der Führer und der Geführte, hergibt, was in ihm ist. Er war unser und wir waren sein. Darüber redete man nicht. Das fühlte man. Man stand zusammen und man fiel zusammen. In unserem Schneid und unserer Arbeit lag seine Hoffnung auf Glück und Ehren – und aus seinen Händen nur konnte unser Lohn gegeben werden.

Die Disziplin litt nicht darunter, wenn auch die äußerlichen Unterschiede zwischen Mann und Offizier sich als äußerlich und belanglos verwischten.

»Well,« sagte er lächelnd, »es ist eine scheußliche Gegend, wie Sie ganz richtig bemerken. Ich bin von Hause aus Artillerist und kann mir lebhaft vorstellen, daß es höllisch unangenehm wäre, würden wir jetzt mit Schrapnell überschüttet!«

Ich wurde puterrot. »Ich hatte – aber – durchaus – nicht Angst!« stammelte ich.

»Nein, mein Sohn. Weiß ich. Nebenbei bemerkt gibt es keinen Menschen, der unter Schrapnellfeuer nicht Angst haben würde. Und weiterhin nebenbei bemerkt sind wir nach meiner Karte in einer Viertelstunde aus dem Busch heraus. Well – haben Sie eigentlich Tabak? Ich muß vorhin mein Etui verloren haben –«

In Bächlein rannte der Schweiß an uns herab, und ich war kaum weniger naß als nach dem Wolkenbruch in der Nacht vorher. Wir segneten den schlauen Major und seine Karre aus dankbaren Herzen und schmissen alles, was nicht niet- und nagelfest war, auf das Vehikel: Brotsäcke und Röcke und Tornister und Wolldecken und Telegraphenapparate. Aber es war noch immer zu heiß. Einer machte den Anfang, als wir einmal hielten und Luft schnappten, und die andern machten es ihm schleunigst nach: Ein schamhaftes Verschwinden hinter einen dicken Baum! Und – Strümpfe? Ueberflüssig, weg damit. Unterhemd? Lächerlich, weg damit. Unterhosen? Unglaublich bei dieser Hitze, weg damit. Jetzt war uns wohler! Instinkt hatte uns wie zwanzigtausend anderen Simplizität in der Vereinfachung der Felduniform gelehrt, die in Zukunft aus Stiefeln, Gamaschen, Reithose, blauem Flanellhemd, Schlapphut bestand, und sonst aus nichts. Das war genug und übergenug! Viele von den Offizieren ließen sich die Schulterstreifen aufs blaue Flanellhemd nähen... Nur keinen Rock in dem Backofen!

Jeder einzelne Mann tat sein Bestes. Sicherlich stellte es eine respektable Leistung dar, beim Linienbauen die marschierenden Truppen weit zu überholen.

Der Draht funktionierte ausgezeichnet. Wir setzten uns jede halbe Stunde in Verbindung mit Leutnant Burnell in Baiquiri, der uns an Neuigkeiten meldete, daß der Hauptlandungspunkt von nun an Siboney sei, wenige Kilometer westlich von Baiquiri. Er lasse zwei Mann zum Stationsdienst zurück und werde mit den übrigen von Siboney eine Drahtlinie zum Kreuzungspunkt der beiden Straßen bei La Quasina legen.

Da weitete sich das Weglein, und der Busch wurde niedriger, dürftiger, bis plötzlich der Schlick des Pfades sich in weichen Moosboden verwandelte. Rings um uns reckten sich schlanke braune Stämme mit fächerigen Wipfeln empor; ein Hain von Kokospalmen.

»Teufel!« sagte Major Stevens.

»Tausend Teufel!« – sagten wir...

Denn die luftige Schönheit machte auf uns nicht den geringsten Eindruck, sintemalen sie schwere und langwierige Arbeit bedeutete. War es doch nun vorläufig zu Ende mit dem wunderschön bequemen und schnellen Aufwerfen des Drahts auf den dichten Busch. Den Draht einfach auf den Boden zu legen, ging nicht. Die nachmarschierenden Truppen hätten ihn zertrampelt, zerrissen. Und nicht einmal Klettereisen hatten wir!

»Nun, dann klettern wir eben so!« sagte der Major. »Souder, holen Sie mir doch aus dem Baum da ein halbes Dutzend Kokosnüsse – und Sie, Hastings, telegraphieren, bitte, dem Leutnant Burnell, daß wir frische Kokosmilch trinken und lebhaft bedauern, ihn nicht einladen zu können.« Schallendes Gelächter. Die gute Laune war wieder da.

Es läßt sich außerordentlich schwer vorstellen, was es heißt, als todmüder, abgearbeiteter, hitzeerschöpfter Mensch mit schweren Drahtrollen Kokospalmen hinaufzukrabbeln; ich wenigstens packte mit Händen und Füßen und Knien ums liebe Leben zu und war schlapp wie ein nasses Handtuch nach dem dritten Baum. So lernten wir die relative Wichtigkeit der Werte für die Bedürfnisse des Augenblicks fein unterscheiden und waren entsprechend froh, als der dreckige Schlamm und der stinkende Dschungel wieder kamen. Bedeuteten sie doch flottes Vorwärtskommen für uns. Lichter aber war es. Man konnte wenigstens sehen. Man hatte Ausblick über den niedrigen Busch und das wuchernde Gras hinweg auf üppige Baumgruppen tiefen Grüns und sanftansteigende Hügel im Vordergrund.

In dem Schlamm des schmalen Weges aber, bei einem Grasbüschel hier, in einer kleinen Bodensenkung dort, an Baumstämmen glitzerten gelbmetallisch blanke Patronenhülsen und mehrten sich zu vielen Hülsenhäuflein, als wir uns vorwärtsarbeiteten. Unser Lachen und Geschwatze war plötzlich verstummt. Ein zertrampelter grauer Schlapphut lag am Weg – dort eine Wolldecke – dort ein Tornister, von dessen Segeltuchbraun tiefdunkel und bedeutungsvoll rostfarbene große Flecke scharf abstachen. Und da leuchtete aus tiefem Gras und dornigem Gestrüpp blanke Erde, frisch aufgeworfen, und aus den lehmigen Erdschollen ragte Griff und Klinge eines Offizierssäbels. Ungeschickte Hände hatte das Soldatengrab mit Steinen und Holzstückchen umrahmt. Man sah der Arbeit die hastende Eile an. Ein zweites Hügelchen frischer Erde kam, ein drittes; Dutzende jetzt auf einmal. Ein Hut lag auf dem einen, ein Reiterhandschuh auf dem andern, ein Symbol zum Wiedererkennen auf jedem ...

Feierlich und langsam erhob der Major die Rechte zum Hut und grüßte, hochaufgerichtet, kerzengerade, als sei er auf Parade, die Männer, die da unter dem Boden lagen, gestorben für ihr Land. Ein jeder von uns verstand. Alle Hände hoben sich zum Salut für die toten Rauhen Reiter.

Wir waren bei La Quasina.

Dicht bei den Gräbern kampierten wir in dieser Nacht. Im Dämmerungsgrauen, als ich die Wache beim Instrument hatte, meldete der Draht: »Der kommandierende General wird morgen sein Hauptquartier in die Vorposten verlegen. Das Signaldetachement erwartet den General auf der Straße von La Quasina – El Pozo, an einem Punkt, der telegraphisch mitgeteilt werden wird. Die Linie ist bis tausend Yards über La Quasina hinaus fertigzustellen.«

Ich weckte den Major.

»Das hätte Zeit gehabt bis zur Reveille ...« brummte er.

 

» Señor!«

» Señores!«

»Ich – Kohlenmann – Keywestdampfer ... drei Jahr, damn – ich fein Englisch sprechen – –«

»Ein klein Biskuit, señor, please

» Eviva el Cuba Libre und gut' Americanos und eine Skeletthand steckte mir eine kohlschwarze Riesenzigarre in den Mund. » Plenty Hunger – Biskuits buono, aber nix gut die amerikanisch' Speck ... damn Speck –«

Sie zeterten und schrien und kreischten und gestikulierten. »Piff, piff!« zischte der eine, mit den Händen die Gebärde des Anlegens und Zielens machend, »hé – piff, piff, piff, piff ... o–hé. Espagnoles dort« (er deutete in den Busch) – Americanos piff, piff, 'urrah, viel 'urrah, viel laufen, Espagnoles weg. Plenty bueno!« Ein anderer brüllte: »Da – da vorne – Señores werden sehen – der commandante, – der große Garcia – el liberator ...«

Wir standen und starrten. Das also waren kubanische Insurgenten, und so sahen begeisterte Freiheitskämpfer aus und so schnatterten sie, die Heroen, die den Tod dem Knechttum vorzogen. Achtundvierzig Stunden später überzeugten wir uns, ein wie erbärmlich feiges und faules Gesindel diese berühmten, todesmutigen Freiheitskämpfer in Wirklichkeit waren. Aber wenn ich schaudernd an die traurigen Gestalten denke, so möchte ich die überharten Worte bedauern, mit denen wir vollsaftigen, kraftvollen Männer damals die ausgehungerten Männlein überschütteten. Sie taugten ja nicht zum Kämpfen und Arbeiten. Das waren keine Menschen mehr. Nicht einmal Tiere. Sondern wandernde Skelette. Sie hatten sich ein Lager in den Busch hineingehauen und aus Zweigen ein dürftiges Obdach zusammengeflickt. In Fetzen schlotterten ihnen die Jacken und die Hosen aus schmutziggrauem, dünnem Baumwollstoff um die abgemagerten Glieder, und viele hatten nicht einmal eine Jacke, sondern liefen mit bloßem Oberkörper umher. So winzig, so krank, so schwach sahen die kleinen Männlein aus, die viele Monate lang Tag für Tag gehungert hatten, daß ich mir dachte:

Ein einziger Faustschlag, und nicht einmal ein kräftiger, und Señor Insurgente ist außer Gefecht gesetzt!

Wie arme verkrüppelte Kinder sahen sie aus, die Krieg spielten – die man bemitleiden mußte ob des Gewichts des Säbels, den sie an einem Strick umgeschnallt trugen. Eine schwere und furchtbare Waffe war dieser Säbel, Machete genannt; eine Art zum Säbel verlängerten Messers, das nichts ähnlicher sah als dem biederen Küchenmesser deutscher Hausfrauen, freilich ins Riesenhafte vergrößert. Ein gerader Säbel mit plumpem Holzgriff und breiter Klinge, haarscharf geschliffen. Vorzüglich waren auch die Gewehre dieser Jammergestalten: Moderne Mauserschnellfeurer, deutsches Modell 88, und amerikanische Winchesters mit kupferumhüllten Geschossen. Die Männer aber hinter diesen Gewehren waren sicherlich nichts wert.

Die armen, armen Teufel!

Sie bissen gierig in die steinharten Schiffszwiebacke, die wir ihnen schenkten, und schnatterten dabei über Hunger und Elend. Eine Handvoll Reis, ein Brotfladen waren Seltenheiten gewesen monatelang; von Früchten und Beeren hatten sie sich ernährt.

Ein Weib schlich herbei, mit gekrümmter Hand um einen Zwieback bettelnd. Um ihren Körper war rockartig ein Fetzen schmutzigen Baumwollstoffs geschlungen, die bloßen Brüste hingen schlaff und verdorrt weit herab, die hungrigen Augen lagen tief in den Höhlen. An den Rockfetzen aber klammerte sich ein fürchterliches menschliches Wesen.

Ein nacktes Kind, ein Mannkind, drei Jahre alt vielleicht, das – auf den dürren Zündholzbeinen des Elends einen fürchterlichen Falstaffbauch trug. Winzige Glieder, ein spitziger, magerer Kopf, und ein Zuckerhutleib, der in seiner Aufgedunsenheit den Nabel weit vordrängte. Ein Monstrum, ekelerregend, Mitleid heischend.

» Nix bueno – Mangobauch!« erklärte die Mutter.

Der Major, der Spanisch verstand, schenkte dem Weib einen blanken Silberdollar und sprach mit ihr. Er erklärte uns das Monstrum. Die Fruchtnahrung, die auf Erwachsene abmagernd wirkte, führte bei Kindern zu schweren Verdauungsstörungen, weil nur ungeheure Mengen den steten Hunger sättigen konnten. Daher der Bauch, das Aufgedunsensein. Obendrein war die häufigste Frucht, der orangenartige Mango, stark terpentinhaltig und wurde von einem kindlichen Magen schwer verdaut. Daher der Name Mangobauch. Zu Hunderten sahen wir später um Santiago die mißgestalteten kleinen Geschöpfe, die so ausgehungert waren, daß sie fraßen wie Tiere und an unseren Lagerfeuern Mahlzeiten hinabschlangen, die ein ausgewachsener hungriger Mann nie hätte bewältigen können.

Noch lange kreischten sie uns nach, die kubanischen Insurgenten:

» Eviva los Americanos – Cuba Libre!« Das arme Kind aber heulte zum Steinerweichen in gellenden Mißtönen. Verschwanden doch mit uns die schönen, schönen Biskuits: infam harte, kaum genießbare Schiffszwiebacke für uns, köstliche Leckerbissen für das im Walde gezeugte Geschöpf des Jammers.

 

Der Pfad war wieder das alte verschlammte, schmale Weglein, eingerahmt von undurchdringlichem Gestrüpp. Wir konnten den Draht wieder mit unseren Stangen aufwerfen und kamen rasch vorwärts. Da erschallte dumpfes Pferdegetrappel und drei Reiter trabten herbei.

»Der kommandierende General!« meldete der führende Korporal kurz, einen Augenblick seinen Gaul einzügelnd.

Bald darauf kam das Hauptquartier. General Shafter, der Höchstkommandiernde, saß in einem winzigen Wägelchen, das zwei Maultiere zogen und ein Kavallerist lenkte. Der Stab ritt hinterdrein im Gänsemarsch, denn so schmal war der Saumpfad, daß zwei Pferde, die Reiter trugen, kaum nebeneinander schreiten konnten.

Die Kolossalgestalt des Generals lehnte erschöpft im Sitz. Auf Shafters Knien lag eine Karte. Der Wagen hielt, als der Major vortrat und seine Meldung erstattete:

»Ein Offizier, drei Sergeanten, sieben Mann des Signaldetachements. Linie von Baiquiri bis hierher vollendet und in guter Ordnung.«

Der kommandierende General nickte und sagte mit einer Stimme, die so kinderartig hell und schrill war, daß sie weithin gellte:

»Sehr – gut – Major. Bei Jesus Christus – das – haben – Sie – gut – gemacht, Major. Sie folgen, Major, und bleiben – im Hauptquartier – bis – auf – weitere Orders – Jesus Christus!«

Und das Wägelchen rollte weiter. Ein halber troop, eine halbe Schwadron der 6ten Regulären Kavallerie bildete die Eskorte des Höchstkommandierenden.

So sah ich zum erstenmal den Jesus-Christus-General.


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