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Die Schlacht vom San Juan Hügel.

Der Morgen vor der Schlacht. – Ein Schattenspiel im Nebel. – Die Schlacht beginnt. – Wir legen die Linie nach der Front. – Meine erste Granate. – Wie ich das Gruseln lernte. – Wie andere das Gruseln lernten. – Auf dem Weg zur Feuerlinie. – Die Furt. – Die Panik des 71. Regiments. – In der Feuerlinie am Waldrand. – Wir schießen mit. – Die Schützengräben im San Juan Hügel. – Der Gnadenschuß. – Der Angriff ohne Befehl. – Der San Juan Hügel wird im Sturm genommen. – Zusammenhänge der Schlacht. – Bei den spanischen Gefangenen. – Rum und Zigaretten. – Am Lagerfeuer. – Sie begraben die Toten.

Die Nacht ging zu Ende. Graugelbe Bodennebel flossen über die Lichtung hin, in wellender, wogender Masse, wie Wasserfluten sich übers Land ergießen. Menschen und Zelte standen auf einem Nichts; auf dampfigem, zitterigem, schwadigem Rauch. Es war bitter kalt. In tiefer Stille lag das Hauptquartier, in dumpfes, nächtliches Grau noch gehüllt. Gleich trüben Schatten die Zelte. Totenstill war es. Nur in dem mächtigen gelben Fleck dort bei dem großen Mangobaum, dem Zelt des kommandierenden Generals, war schwaches Licht und lautloses Leben. Gespenstisch leuchtete dort Kerzenschein durch die Zeltwände, immer wieder unterbrochen von einem Schatten. Da drinnen ging ein Mann auf und ab in rastlosem Hin und Her. Das war General Shafter.

Langsam stiegen die Nebel. Schwaden auf Schwaden lösten sich, in weißgrauen Dunst verwallend. Wie Dampf umhüllte es die Zeltmassen und schwebte höher und höher. Wie dünner Regen fast fiel der Morgentau, und frostig schlichen Kälte und Feuchtigkeit in die Haut.

Da leuchtete warm und rot ein Feuer auf, draußen am Lagerrand.

»Gott sei dank!« Souder nahm unsere Blechbecher und ging.

»Kaffee!« sagte er, als er wiederkam. »Wollen zuerst die Feldflaschen füllen!«

»Gute Idee,« murmelte ich.

Ich holte noch zwei Becher. Der dampfendheiße Trank vertrieb uns rasch das nasse, klebrige Gefühl und die Uebernächtigkeit. Wir aßen einen Zwieback, zündeten die Pfeifen an. Immer mehr und mehr lichtete sich das trübe Grau. Da – – was war das? – Souder und ich sprangen auf.

»Was war das?« flüsterte er.

»Still – still!«

Kaum hörbar, wie aus ewigweiter Ferne, gespenstisch leise, erklang es in dumpfem Schallen – krang – krang, krang ... tacktacktack ... leise, ganz leise, als ob Erbsen auf einen Blechteller geworfen würden. Ein wenig lauter nun, dann schwächer wieder, mit Pausen von Sekunden – jetzt in vollerem Klang, und doch schwach und ferne wie abgedämpfter Trommelwirbel. Gewehrfeuer. Deutlich erkennbares Geknatter. Nichts regte sich um uns. Jeder schien zu stehen und zu lauschen. Mäuschenstill war es. Bis die klare Stimme eines Offiziers schallend rief:

»Das ist General Chaffee!«

Und im gleichen Augenblick, als folge dem Blitz der Donnerschlag, ergellten schrill jauchzende Jubelrufe, geschrien von den Männern des Hauptquartiers ... hei – ih – hei – iiii – ih!

Aus der Stille wurde Bewegung, Wirrwarr.

Offiziere eilten hin und her, scharfe Kommandorufe befahlen das Satteln der Pferde. Unser Major kam gerannt, im Laufen eine Pappschachtel aufreißend und sich die Revolverpatronen in die Taschen stopfend.

»Signaldetachement – attention!« befahl er. »Myers und Bruning bleiben hier. Myers, Sie überbringen dem Stabssergeanten den Befehl, für unsere neue Linie gleichzeitig ein Telephon und einen Taschenapparat einzuschalten, die je nach Funktionieren ausgewechselt werden. Abtreten! Die übrigen – attention!« Er inspizierte uns rasch und lächelte, als er sah, daß wir uns alle Taschen mit Patronen für unsere Karabiner und Revolver gefüllt hatten. »Jeder Mann trägt eine Rolle Draht! Los!«

Und hinaus ging es auf den schlammigen Pfad, der jetzt öde und verlassen dalag: im Laufschritt, in langen Sprüngen, immer vorwärts mit dem Draht, den unsere Stangen hoch ins Gebüsch schleuderten. Nichts behinderte uns. Die Truppen waren schon in Front. So ging es rasch und glatt mit der Arbeit, und als wir nach den ersten tausend Yards die Linie prüften, war alles in Ordnung: das Hauptquartier meldete sich sofort. Weiter! Das dumpfe Geknatter des Feuergefechts in der Ferne hörten wir kaum noch in dem Lärm der Arbeit, als es auf einmal schrill und klar irgendwo vorne knallte – kreng, kreng ... in scharfem Gerassel – kreng, kreng, krenn – bing ...

»Vorwärts!« schrie der Major. »Vorwärts, Kinder – wir wollen dabei sein!«

Länger wurden die Sprünge. Keinem Menschen begegneten wir auf dem Weglein, obgleich das Feuern aus nächster Nähe zu kommen schien. Der Schlammpfad verbreiterte sich zu einem breiten Morast, in tausende von Löchern und Erhöhungen zertrampelt von Tausenden von Tritten, um eine Ecke ging es, und aus dem Halbdunkel, der Stille des Waldwegs wurde flutende Helle, dröhnender Lärm.

Von der Kuppe des Hügels da drüben schossen weiße Dampfwolken, und dumpfes Gekrache erschütterte die Luft. Nun Stille. In grellem Sonnenlicht lag breit der Weg da, frei und offen auf einer Strecke von mehreren hundert Metern, dann in dunkler Waldlinie sich verlierend. Grasland säumte ihn: ein Busch, ein Mangobaum hie und da. Dicht an der Wegbiegung floß träge ein Bach von schmutziggelbem Wasser, das San Juan Flüßchen. Zwei Bretter führten über das Wässerlein zu einem engen Pfad durch niedriges Gebüsch auf den Hügel. Rechts bog der breite Weg ab, das Tal entlang: links führte der Fußpfad zum Hügel. Zwischen beiden, ganz im Vordergrund, erhob sich verwittertes altes Gemäuer mit allerlei Maschinen, die Ueberreste der alten Zuckermühle von El Pozo. Im nächsten Augenblick jagten Reiter an uns vorbei auf das Gemäuer zu, sprangen ab, rissen Karten aus den Taschen. Das war der Generalstab.

Bang! krachte ein Geschütz auf dem Hügel.

»Ruhig, Kinder – ruhig!« sagte der Major. »Der Draht wird von dem Mangobaum dort über den Bach gespannt – – in dem Einschnitt drüben errichten wir die Station – Carlé, bringen Sie das Telephon hinüber und stellen Sie die Verbindung her!«

Ich nahm den Apparat und ging zum Steg. Auf den Brettern zauderte ich einen Augenblick, denn ich war wie ausgetrocknet vor Durst, hatte ich doch den Kaffee in der Feldflasche schon längst ausgetrunken und brannte ja die Tonne so glühend heiß herab trotz des frühen Morgens, daß der Schweiß in Strömen an mir herunterlief. Aber das Wasser da unten, pfui Teufel, nein, das Wasser da unten sah denn doch zu schmutzig aus. Ich zauderte – zauderte – – und der Durst siegte glatt mit sieben Längen über Appetitlichkeit und Vernunft, denn der Lausbub beugte sich schleunigst nieder, Blechbecher in der Hand; tauchte ein, lüpfte den gefüllten Becher empor und sah in maßlosem Erstaunen, daß aus den beiden Seiten dünne Wasserstrahlen spritzten. Links ein Loch, rechts ein Loch; eingebeult das eine, ausgebeult und zerfetzt das andere. Da – da war ja eine Kugel durchgefahren! Ich starrte verblüfft den Becher an und blieb wie angenagelt stehen. Eine Kugel durch meinen Becher gefahren! Während er an meiner Brottasche hing! Und ich hatte nichts gemerkt! »Schmeiß 'n weg – taugt nichts mehr!« rief Souder, als ob ich das nicht selber gewußt hätte.

Nachträglichen Schrecken aber empfand ich nicht und auch dann noch nicht, als es über meinem Kopf gellend daherfuhr, doch unwillkürlich duckte ich mich. Denn was das unheimliche Sausen da oben bedeutete, verstand ich sofort, und jeder andere hätte es verstanden – s – ss – sss – surrr – ssss – – –N–nein, es läßt sich nicht wiedergeben, dieses sausende unheimliche Schwirren, dieses Surren, dieses gellende Dahergepfiffenkommen. Aber ich fürchtete mich ganz bestimmt noch nicht, sondern trug behutsam das schwere Telephon an seinen Platz, wenn ich auch gar zu gern auf irgend etwas losgeballert hätte, damit auch andere Leute es sausen und schwirren hörten. Ich nahm meinen Karabiner von der Schulter. Der Major sah mir lächelnd zu und zerkaute seinen Schnurrbart.

»Warten, warten!« sagte er leise. »Hat noch gar keinen Sinn. Wir kommen schon noch daran.«

Im gleichen Augenblick fror ihm das Lächeln fest und seine Augen wurden starr. Aber er blieb kerzengerade stehen. Ich fühlte, wie ich totenblaß wurde. Mit gellendem Geheul kam da etwas herangejagt, etwas Fürchterliches – sss – ssss – hui ... iih ... iiiiih ... schrillend wie eine Dampfpfeife – entsetzlich – ich glaubte den Luftdruck zu verspüren – ich hatte so fürchterliche Angst, daß ich am liebsten hinausgebrüllt hätte in Furcht und Grauen wie ein wildes Tier, hätte ich nur gekonnt. Aber ich konnte nicht. Der Hals war mir wie zugeschnürt. In meiner Kehle steckte ein großes rundes Ding, das mich würgte und drosselte und ersticken wollte, während eine eiserne Faust mir auf den Schädel schlug. Ich – wollte – schreien – ich – konnte nicht!

Und es war herangeheult und schlug krachend ein. Flammen sprühten auf, und ich wurde zu Boden geschleudert...

Ich spuckte die Erde aus.

»Pfui Deibel,« sagte der Major und diesmal lachte er nicht, »das war eine Granate!«

»F–f–furchtbar!« stotterte ich.

Und schämte mich nicht zum Sagen, als die klaren harten Augen des Majors mich scharf ansahen, denn ich hatte, als echter Junge, eine bodenlose Angst, er könne mir die blasse, schlotternde Furcht angemerkt haben. Heutzutage würde ich mich schleunigst und gänzlich sans gêne tief in Mutter Erde einkratzen, wenn Granaten in der Nachbarschaft umherheulten – aber – aber mir scheint, Krieg läßt sich doch am besten führen mit Zwanzigjährigen und den Urimpulsen, die vom Urmenschen her in junger Männlichkeit schlummern. In den nächsten dreißig Sekunden müssen gewaltige Erregungen an meinen jungen Nerven gezerrt haben. Ich weiß noch ganz genau, daß ich an allen Gliedern zitterte und am liebsten geheult hätte. Daß ich krampfhaft nach Luft schnappte. Daß mir zum Erbrechen übel war. Daß aber die Eitelkeit in mir sich auf einmal wehrte, und daß ich mich bolzengerade aufrichtete, als es wieder heulend daherkam – und doch war es nur eine Komödie, die ich mir selber vorspielte – denn ich fürchtete mich wirklich! Ich fürchtete mich schandbar!! Die Granate schlug ein. Ziemlich weit weg von uns diesmal.

Da kam der Umschwung.

Bang – bang – krachten die Geschütze der amerikanischen Batterie auf der Hügelkuppe dicht vor uns.

Fünfzig Meter hinter den Geschützen am Kuppenrand lag ein alter Stall, oder was das Ding sein mochte, ein halbzerfallenes, niedriges Holzgebäude jedenfalls, und auf dem flachen Dach drängte sich eine Menge halbnackter Kubaner, die bei jedem Schuß der Batterie ein infernalisches Freudengebrüll ausstießen und mit Händen und Beinen zappelten in unheiligem Vergnügen. Einen greulichen Skandal machten sie. Ich sah ganz mechanisch hin (dennoch schlotterte in mir die Angst!) und empfand ebenso mechanisch die Abneigung des weißen Mannes gegen derlei südländische Hanswurstiaden. Während ich guckte, kam es wieder dahergeheult und – schlug feuerspeiend und dampfsprühend mitten in das Dach, mitten in die gestikulierenden, tanzenden, schreienden Söhne der Perle des Südens hinein ... und den Bruchteil einer Sekunde später sah das Dach genau so aus wie das gute alte Sprungbrett im Ungererbad in Schwabing, wenn an heißen Augusttagen wir Jungens uns zum Sprung drängten: Die Señores hopsten. Sie machten die erstaunlichsten Kopfsprünge. Sie schienen in geradezu wahnsinniger Eile den interessanten Ausblicksort zu verlassen. Es schlenkerte nur so in der Luft von kubanischen Freiheitskämpfern. So schnell ist nirgends in der Welt jemals eine randalierende Galerie geräumt worden!

Da lachte ich, daß mir die Tränen in die Augen kamen, und lachte und lachte, und lachen hätte ich müssen, wenn auch der heulende Dämon aus der Maschine mit seinem grimmigen Kriegshumor zwanzig zeternden Hampelmännern den Garaus gemacht hätte. Merkwürdigerweise war aber nicht ein einziger der Spektakler verletzt worden, wie uns zehn Minuten später ein Artillerieleutnant lachend erzählte. Der Major lachte auch. Das ganze Detachement lachte. Und in diesem Lachen starb meine schlotternde Furcht eines rechtzeitigen Todes; man kann nicht lachen und sich fürchten zugleich. Aber in meinem Hals brannte und würgte etwas, und die Kehle war mir wie ausgedörrt. Ich sprang die wenigen Schritte zum Bachufer hin, warf mich in den zähen gelben Lehm auf den Bauch, steckte den Kopf ins Wasser und trank gierig wie ein Tier in langen Zügen das schmutzige, lauwarme Zeug –

»Carlé!« rief der Major scharf.

Ich trank und trank.

»Carlé! Lassen Sie den Unsinn! Sie holen sich bestimmt das Fieber!«

Er schüttelte mißbilligend den Kopf, als ich ein wenig beschämt zurückkam, mir den Schmutz von Hemd und Hosen reibend, und brummte irgend etwas über die verdammte Wassersauferei. Aber in seinen Augen war ein Lächeln...

Die Batterie droben feuerte jetzt nur selten, vereinzelte Schüsse in langen Zwischenräumen, und die spanischen Geschütze schwiegen ganz. Hie und da summte und surrte es über unseren Köpfen. Im Wald knallten vereinzelte Schüsse. Den schmalen, steilen Hügelpfad herab kamen Kanoniere, halb kletternd, halb rutschend, irgend etwas mit sich zerrend; ein graues bündeliges Etwas. Als sie die Krümmung im Gestrüpp erreicht hatten, wo der Pfad breiter und ebener wurde, hoben sie das graue Bündel auf ihre Schultern und schritten langsam näher, behutsam, als trügen sie eine schwere Last. Der eine, ein Korporal, salutierte den Major: »Kanonier von der Batterie Grimes, Sir,« meldete er. »Kanonier Johnson, Sir. Herzschuß. Ich habe Order, Sir, den Toten am Hügelrand zu begraben.« Er schlug die Zipfel des Bündels zurück, und da lag in der grauen Armeewolldecke ein toter Mann. Aus dem bläulichen, furchtbar verzerrten Gesicht starrten weitoffen tiefbraune Augen, als könnten sie noch sehen. »Herzschuß, Sir,« sagte der Korporal. »Stand neben mir. Sprang in die Luft und war tot.« Sie hatten dem Toten Jacke und Hemd aufgerissen, und der Korporal deutete feierlich auf den winzigen schwarzen Punkt unter der linken Brustwarze, der sich scharf von der weißen Haut abhob. Wir grüßten stumm, während die Kanoniere ihre Last wieder aufnahmen und im Gebüsch verschwanden.

Es war sonderbar still geworden; nur dann und wann kam das peitschenartige Schallen aus dem Wald. Ich sah mich um. Jede Farbe, jeder Gegenstand, jeder Schatten trat klar und scharf hervor im grellen Sonnenlicht; knallgelb der breite, verlassene Weg, hellgrün das üppige Gras am Wegrand, dunkler die mächtigen Wipfel der Gruppen von Mangobäumen, leuchtend dazwischen am Weg und im Gras allerlei bunte Flecke, blau und weiß und grau. Das weiße Segeltuch der Tornister und das Grau der Soldatendecken und das Blau der Uniformröcke, die überall umherlagen am Weg entlang. Die zur Front eilenden Truppen hatten alles weggeworfen, was sie irgendwie entbehren konnten, und mehr. Beim Gemäuer der alten verfallenen Zuckermühle, deren rostige Maschinenreste rot glänzten in der Sonne, standen in kleinen Gruppen die Generalstabsoffiziere, über Karten gebeugt. Ein Pferd wieherte leise. Weiter weg graste friedlich ein Maultier und wedelte krampfhaft mit dem geschorenen Schwanzstummel, sich die Fliegen zu verscheuchen. Da kam es wieder herangeheult und schlug in Dampf und Flammen ein, keine zwanzig Schritt weg von der nützlichen Mißgeburt aus Pferd und Esel, die ihre berühmte Indolenz sogar im Granatfeuer glänzend bewährte. Denn Mr. Maultier wedelte eifrig weiter mit dem Schwanz und ließ sich nicht eine Sekunde lang in der angenehmen Beschäftigung des Grasens stören.

»Bravo!« rief Souder. »Das is 'n richtiges, approbiertes, Geschützfeuer-stubenreines, verdammt famoses, altes Onkel-Sam-Maultier – hurräh – schert sich den Teufel um die alten Granaten – hurräh!!«

Schallendes Gelächter.

Oberst Green kam von der Zuckermühle herbeigeschritten, begrüßte unseren Major, flüsterte mit ihm und breitete eine Karte auf den Knien aus, hier und dorthin deutend. Ich verstand: »– spanische Batterie feuert mit rauchlosem Pulver – noch nicht entdeckt – jawohl, überhaupt nur ein einziger Weg – natürlich verstopft – nein, Major, hat vorläufig noch gar keinen Sinn – Sie kämen wahrscheinlich gar nicht durch mit Ihren Leuten – wie meinen Sie? – Hm ...« Dann sprach der Major eifrig auf ihn ein, und der Oberst nickte und ging wieder.

»Achtung!« befahl der Major laut. »Sergeant Ryan – Sie übernehmen die Station! Sie bleiben unter allen Umständen beim Apparat und sind mir für alle Meldungen verantwortlich. Den Befehl zur Verlängerung der Linie bis zum Waldrand dort erhalten Sie von Oberst Green persönlich und lassen dann den Draht von drei Mann über die Mangobäume den Weg entlang legen. Ich werde nun den geeigneten Platz zur Anlage der nächsten Station in der Feuerlinie feststellen. Mit mir kommen –« und suchend glitt sein Auge von einem zum andern.

Da sahen wir ihn hungrig an wie gierige Hunde, die lechzend darauf warten, wem wohl von ihnen der Herr den Brocken zuwirft.

»Mit mir kommen Souder und Carlé. Eine Signalflagge, Karabiner, Revolver, Feldflasche, Glas – sonst nichts!«

»Oh hell ...« murmelte einer der Enttäuschten.

 

In zehn Minuten hatten wir den Waldrand erreicht und marschierten nun wieder auf dem alten Dreckpfad, der uns schon so vertraut geworden war. Die starre Gebüschwand freilich war verschwunden, denn links und rechts lag zwar rankenversponnener Urwald, verwuchert von Schlinggewächsen, aber ein Stück weit wenigstens konnte man hineinsehen. Da und dort im Schlamm steckte ein Tornister, eine Wolldecke, ein Hut. Wir sprangen vorwärts, so rasch es gehen wollte in der dörrenden Hitze. Immer noch knallten nur vereinzelte Schüsse. Nach einigen hundert Metern kamen uns Verwundete entgegen mit blutigen Verbänden um Köpfe und Glieder, langsam zurückstolpernd, aber wir sahen kaum hin, denn brennende Neugierde und hetzende Ungeduld trieben uns vorwärts. Ein Toter lag am Wegrand, die Knie emporgezogen, die Arme lang ausgestreckt. Die glasigen Augen schienen starr in den Schlamm zu blicken. Der Pfad krümmte sich. An der Ecke, aus den Bäumen, flatterte die Rote Kreuzfahne, und am Boden kauerten stöhnende Gestalten, zwischen denen Aerzte hin und her eilten. Die Verbände glänzten grell weiß. Wir eilten weiter. Das Gewehrfeuer wurde heftiger und schien von überall zu kommen; von vorne und von links und von rechts; über unseren Köpfen sauste es zischend und surrend und dumpf aufklatschend in Laub und Bäumen. Ein Verwundeter blieb stehen, salutierte täppisch und riß die Kleider auf, uns in groteskem Stolz eine winzige Schußstelle im Bauch unter dem Nabel zeigend.

»Teufel,« sagte er. »Es tut gar nicht weh! Wo is – mm – das Hospital?«

Ich deutete rückwärts. Und grinsend schritt der Schwerverwundete dahin, nachdem er sich noch Feuer für seine Pfeife von Souder hatte geben lassen ... » Good God!« sagte der Major leise.

Ah – und nun fing der Tanz an – racktacktacktack – rack – kreng, kreng ... schweres rollendes Feuer irgendwo da vorne, klar und hell dazwischen Salven. Ueberall um uns schlug es ein in die Bäume. Zu sehen aber war nichts – gar nichts ... Doch! Wieder krümmte sich der Weg, und zwischen den Bäumen schimmerte es blau und stählern von Truppen und dröhnte von Lärm und Geschrei.

»Laufschritt – Laufschritt ...« rief der Major.

Ein Leutnant hinkte herbei, eine blutige Binde um den Fuß.

»Schwer verwundet?«

»Nein. Herr Major. Knöchel kaput.«

»Tut mir leid, tut mir sehr leid. Was sind das für Truppen?«

»71tes Freiwilligen-Regiment. Das New Yorker Regiment, Major.«

»Ich danke sehr.«

Und weiter ging es im Laufschritt, und nach drei Minuten waren wir mitten – in einem Tollhaus. Unter Wahnsinnigen, unter Menschen, die Waffen trugen und jung waren, und dennoch kreischten in fürchterlicher Angst wie Weiber. Sie stießen sich und drängten sich und schrien und duckten und hielten die Hände schützend vor die Köpfe, irgend eine unsichtbare Gefahr abzuwehren. Der Weg war völlig verstopft. Ein panikgeschüttelter Menschenhaufe wogte hin und her, den Offiziere vergeblich vorwärts zu treiben versuchten. Eine Kette hatten sie gebildet, die Kapitäne und Oberleutnants und Leutnants, und fluchten und schrien und hieben mit den flachen Säbeln drein. Ich starrte. Irgend etwas war da – irgend etwas ...

»Pack, Pack – verfluchtes Pack!« zischte der Major.

Da warf dicht vor uns ein Korporal mit gellem Schrei die Arme empor, stürzte schwer zu Boden, und die Soldaten um ihn wichen entsetzt zurück. »Revolver 'raus. Kinder!« schrie der Major. »Mir nach!«

» Platz!! Platz!!! Zurück in die Bäume!!!«

Was alle Drohungen und alles Gebrüll der eigenen Offiziere nicht vermocht hatten, erzielte das messerscharfe, schrille Kommando mit seiner klaren, bestimmten Weisung. Links und rechts von uns taumelte es in die Bäume, und langsam wurde der Weg frei.

Ich sah tiefen Schlamm – sonnenfunkelndes Wasser ... Wir drängten uns vorwärts. Der Pfad senkte sich abschüssig und verlor sich in einen breiten Bach schmutzigen Wassers. Mitten im Wasser lag ein toter Soldat, und dicht am Bachrand kauerten Leichen – drei – fünf – sieben – – –im Knäuel, hingeschleudert von den Geschossen: das Flüßchen war unter scharfem feindlichem Feuer. Die New Yorker zeterten. Hinter uns kam es herangerasselt, und in scharfem Tempo jagte die Maschinengeschütz-Abteilung herbei. Reguläre im Laufschritt, drei Gatlingkanonen vorwärtsschiebend und stoßend und zerrend. Hop – hinein ins Wasser – Hop – waren sie hinüber, ohne einen einzigen Mann verloren zu haben. Wir mit ihnen. Drüben ertönte eine laute Stimme:

»Re–gu–läre! – auf mein Kommando – zu Zweien reiht euch ein – im Laufschritt – vorwärts marsch ... marsch – eins, zwei – eins, zwei – eins, zwei ...«

Und in scharfem Takt trippelte, als sei sie auf Parade, eine halbe Kompagnie regulärer Infanterie heran, geführt von einem blutjungen Leutnant, trippelte im gleichen Takt hinein ins Wasser, trippelte heraus – Das panikbefallene New Yorker Regiment aber steckte immer noch unter den Bäumen.

Der tückische Zufall des Kriegs hatte es gefügt, daß scharfes, indirektes spanisches Feuer sich auf die von überall völlig unsichtbare San Juan Furt im Walde konzentrierte, gerade in dem Augenblick, als die New Yorker Freiwilligen ins Wasser marschierten. Die ersten waren weggefegt worden, in einem Haufen, und da und dort noch im Regiment stürzten Getroffene. Die Spitze drängte zurück und die Panik war da. Die Soldaten, die im Gedräng nichts mehr sehen, den unsichtbaren Feind nicht erblicken konnten, wurden wie toll vor Angst.

Der Major war stehengeblieben und kaute auf den Schnurrbart. »Sie erinnern sich doch,« sagte er, »an das Flüßchen, das wir gestern vom Hügel aus sahen?«

»Jawohl. Major.«

»Na, das hier ist's. Haben Sie eine Ahnung, ob wir links abgekommen sind? Ich glaube, ja. Die erste Wegkrümmung war nach links, die zweite ebenfalls, nicht wahr?«

»Jawohl. Die Hügel, die wir sahen, müssen schräg vorne rechts sein.«

»Glaub' ich auch. Hm. Sagen Sie einmal, wie ist Ihnen zumute?«

»Ich – ich möchte etwas sehen!« stotterte ich.

Er lachte. »Und Sie, Souder?«

»Wenn der Herr Major gestatten – ich finde, es ist eine verdammte Gemeinheit, da im Wald stecken zu müssen und beschossen zu werden und nicht ein einziges Mal selber schießen zu dürfen. Und ich bin froh, daß ich über dem Wasser bin!«

»Ich auch – Teufel, ich auch!« lachte der Major. »Na, Kinder, ich bin zufrieden mit euch und ich werde noch viel zufriedener sein, wenn ihr möglichst wenig plaudert. Wir hätten eigentlich schon längst zur Linie zurückkehren sollen und haben hier gar nichts zu schaffen. Ich muß mir da erst eine faustdicke Lüge ausdenken, um – na ja. Wollen uns noch ein bißchen umgucken!«

Und er lachte. Ein Spitzbubenlachen ...

Verschwunden waren die harten, energischen Linien aus seinem scharfgeschnittenen Gesicht, das der dichte schwarze Schnurrbart älter erscheinen ließ, als es in Wirklichkeit war, und verschwunden die abwehrende Würde des Aelteren und Befehlenden. So jung ich war, so begriff ich doch, daß in ihm das Gleiche vorging wie in mir: daß die Neugierde ihn plagte bis zum Bersten und die jungenhafte Sehnsucht, dabei zu sein. Ein Junge war er jetzt wie ich – wie Souder – – ein Junge, der es ebenfalls als eine »verdammte Gemeinheit« empfand, da im Wald zu stecken und – nicht sehen zu dürfen.

Fortgesetzt pfiff es über uns dahin.

Der Schlammweg war noch da, aber im Walddunkel blitzten helle Strecken auf im Sonnenlicht. Es wurde immer lichter. Die Bäume wichen auseinander und bildeten Gruppen, und scharfausgeprägte Lichtflecke im Gesichtskreis ließen freies Grasland ahnen. Da fuhr ich auf einmal zusammen, denn in das Knattern hinein dröhnte es in rasselnder Fürchterlichkeit.

»Die Gatlings!« schrie der Major. »Jungens, wir sind da!« Er riß das Glas hervor. »Rechts! Vorwärts – vorwärts!«

Wir stürmten zwischen den Bäumen dahin, stolperten über Wurzeln und Ranken, tappten im tiefen Gras und waren am Waldrand, mitten in langer Schützenlinie, umtost von einer Hölle dröhnenden Geknatters.

Mit blitzartiger Geschwindigkeit warfen wir uns zu Boden, denn jetzt pfiff es nicht mehr angenehm hoch oben in den Bäumen dahin, sondern dicht an den Ohren vorbei. Ich befühlte verstohlen meine linke Ohrmuschel – n–nein – es war nichts – aber es mußte scheußlich nahe gewesen sein! Dann räkelte ich mich und streckte mich und bohrte mit meiner Körperschwere, um mich der schützenden Erde so nahe anzuschmiegen, als es nur irgendwie möglich war.

Rechts lag der Major, links Souder. Schienen sich auch recht wohl zu fühlen am Erdenbusen, lagen wenigstens sehr flach da! Ich hob den Kopf ein wenig und sah – nichts. Dicht vor meiner Nase war eine winzige, wellenartige, grasbewachsene Bodenerhöhung, was mir sehr zweckmäßig schien, aber – zum Kuckuck, ich wollte doch etwas sehen! Langsam streckte ich die Hand vor, jeden Augenblick erwartend, daß eine Kugel hineinfuhr, und kratzte mir einen runden Ausschnitt in die schützende Deckung. Und nun vergaß ich auf einmal die wiedergeborene Angst und starrte wie gebannt in die Sonnenhelle hinaus. Zehn Schritte vor mir lag ein toter Regulärer, auf dem Rücken, zusammengekrümmt, das Gewehr noch in den Fäusten über dem Leib. Sein Schädel war eine einzige Blutmasse.

Vor mir konnte ich eine weite, freie Strecke überblicken. Gras, Gestrüpp, ein paar Bäume. Dahinter erhob sich, dreihundert Meter etwa entfernt, ein massiger Hügel, an den links und rechts sich andere Hügel anschlossen. Es war der San Juan-Hügel. Ich sah durch das Glas. Auf dem Hügel rührte sich nichts, aber ich konnte braune Linien entdecken, über denen Dunstfäden schwebten. Das waren Schützengräben. Dunst von rauchschwachem Pulver. Oben auf der Kuppe des Hügels, im Gestrüpp, stand ein Blockhaus.

Neben mir schoß etwas vorwärts; der Major war es, der in zwei Sätzen zu dem Toten sprang, sich neben ihn hinwarf – ah, jetzt griff er nach dem Gewehr in seinen Händen und hakte ihm den Patronengurtel aus, dann eilig mit seiner Beute zurückkriechend... Da schob ich den Karabiner vor – bang – auf die braune Linie dort im Hügel – bang – bang.

Neue fünf Patronen. Auch der Major und Souder gaben Schuß auf Schuß ab. Ich feuerte und feuerte. Und unaufhörlich kam es herangesaust und schlug dumpf ein irgendwo.

Mein Karabinerlauf war heiß geworden. Ich sah um mich. Die Männer der Schützenlinie lagen im Gras nach links und nach rechts den Waldrand entlang, so weit man sehen konnte. In dichten Haufen hier, vereinzelt dort, feuernd, was die Gewehre hergaben. Links, zwanzig, dreißig Schritte vor mir, hockte hinter dem dicken Stamm eines Mangobaums ein Trompetersergeant, der mit rasender Schnelligkeit schoß. Die glänzende Signaltrompete auf seinem Rücken leuchtete wie flackerndes Licht. Und Lärm überall –

Stöhnen – Schreie– – Jetzt ein Brüllen, daß der Atem mir stockte. Ein wahnsinniges Aufheulen – und ein Mensch sprang empor wie ein Ball und wälzte sich im Gras vor der Feuerlinie, sprang wieder auf und brüllte mit einer Stimme, die nichts Menschliches mehr hatte:

»M–mein L–leib – das bre–ennt! –oah ... oh ...«

Das furchtbare Ding tanzte und sprang und brüllte wie ein Tier – und dann gellte es auf einmal, so überlaut, so entsetzlich, als dränge alle Höllenpein und aller Schmerzensjammer sich in einen einzigen Aufschrei:

» K–i–ii–ll me! K–ii–ll me! Tötet mich – Freunde, tötet mich!«

Ich war auf die Knie geschnellt und hob den Karabiner, aber der Lauf zitterte und wackelte wie ein Grashalm im Wind. Das fürchterliche Ding vor mir schoß noch einmal auf, taumelte, brach zusammen und lag still da. Viele Gnadenschüsse hatten seinen Jammer geendet.

»Ruhe!« kommandierte eine scharfe Stimme.

»Zur Hölle mit der Ruhe!« schrie es in Antwort.

Und plötzlich, als sei das ein Signal gewesen, sprach und schrie ein jeder, daß das Stimmengewirr den Feuerlärm übertönte. Die überspannten Nerven waren am Zerreißen, und die Spannung machte sich Luft.

»´ran an die Bande da drüben!« schrie einer links. »Hier ist 6te Kavallerie.«

»Hier ist 1te Infanterie –«

»Bei Gott, sollen wir Reguläre uns hier verpfeffern lassen?«

Bajonette wurden herausgerissen und schnappten klirrend in die Federn an den Gewehrläufen ein. Der Major zog seinen Revolver.

»Schnellfeuer!!« schrie irgend jemand.

Rasselnd rollte das Feuer mit furchtbarer Geschwindigkeit aus dem Waldrand. Wie von selbst eine Pause nun. Da schrie der Trompetersergeant gellend:

»Jungens – Reguläre – gebt ihnen – Hölle –«

Und er sprang zehn, zwölf Meter weit vor und warf sich hin. Andere folgten – warfen sich hin – weiter unten andere – warfen sich hin, feuerten ... Auf einmal lag ich ebenfalls ein Stückchen weiter vorne und pumpte das Karabinermagazin leer. Noch weiter vorne sah ich den Major. Dann rannte es neben mir, und ich lief mit, die Augen immer auf dem Major, und holte ihn ein und warf mich hin, weil die anderen sich hinwarfen, und feuerte, weil die anderen feuerten.

»Gebt – ihnen – Hölle!« brüllte es.

Ich stolperte über Stacheldraht, fiel, sah, wie der Major und Souder wenige Schritte neben mir ebenfalls stürzten, griff in den Draht und riß mir die Hände blutig, kam frei, sprang wieder vorwärts. Neben mir Souder und der Major. Da, ganz in der Nähe, ragte es grasig steil auf, und braune und blaue Flecke krabbelten an Händen und Füßen empor: – da – brüllendes Geschrei ertönte, und vorwärts ging es mit den anderen.

In Grasbüschel kämpften wir uns ein, und das niedrige Gestrüpp packten wir und schoben und zerrten uns hoch. Plumps – fielen wir in einen Schützengraben, fluchten, kletterten wieder –

und waren oben...

Unten lag ein Tal voller Gestrüpp, und zwischen dem Gestrüpp sah ich zwei, drei weiße Hüte auftauchen, weit weg, und feuerte blindlings hinterdrein– – – auf die einzigen Spanier, die ich überhaupt deutlich zu Gesicht bekommen hatte!

»Lassen Sie die Schießerei!« sagte der Major. »Wir haben hier überhaupt nichts zu suchen und hätten gar nicht mitmachen dürfen. Jetzt aber ist es höchste Zeit, an unsere Pflicht und unsere Station zu denken!! Warten Sie hier auf mich!« So wurde die Schlacht vom San Juan-Hügel gewonnen. Nicht von einer Armee, nicht von Regimentern, nicht von Kompagnien einmal, sondern von einem Haufen, nein, von Dutzenden von Häuflein einzelner Männer, denen das anscheinend ergebnislose Schießen aus der Schützenlinie auf die Nerven fiel. Dazu kamen die schweren Verluste, gegen die man wehrlos war. Ich bin überzeugt, daß der arme Teufel mit dem zerschossenen Unterleib, der schreiend in seiner Qual vor der Front hin und her taumelte, sein gut Teil zu dem Siege beigetragen hat, zu dem mühelosen Siege, denn jenes anscheinend so tollkühne Anstürmen gegen den Hügel kostete nur wenige Menschenleben, so aufregend es war während der kurzen zehn Minuten des Vorwärtsjagens. Von einzelnen Männern wurde der Hügel genommen. Eine Feuerleitung existierte nicht, noch irgendwelche höhere Führung, in der entscheidenden Phase. Nicht aus Mangel an Disziplin, denn bei den Regulären wenigstens war die Disziplin vorzüglich, sondern aus Mangel an Geführtwerden. Gab es doch überhaupt keine Verbindung zwischen den einzelnen Verbänden. Man hatte sorglos Regiment auf Regiment in den engen Waldweg hineingestopft ohne eigentlichen Plan, und in natürlicher Notwendigkeit lösten sich die Regimenter sofort in kleine Trupps auf, als sie in die Feuerzone des schwierigen Terrains kamen, nach langem hilflosem Beschossenwerden im Urwald. Von da aus arbeitete sich eben Trupp für Trupp und Häuflein für Häuflein vorwärts: in echt amerikanischer Neugierde und in echt amerikanisch leichtsinnigem Selbstvertrauen. Jeder Mann fühlte sich als »weißer Mann« und Amerikaner von vornherein mindestens zwei Spaniern, zwei »Dagos«, gewachsen. Ein Spanier ist ja für den echten Sohn Onkel Sams nur drei Schattierungen besser als ein Chinese. Ein verachteter dago. Die moralische Ueberlegenheit war da; leicht genug einem Feind gegenüber, der sich auf die Defensive beschränkte und seine Sache für eine verlorene zu halten schien.

Diese Ueberlegenheit, und nur sie, gab den Ausschlag.

Die spanische Verteidigungslinie auf den Hügeln mit ihren vorzüglich angelegten Schützengräben war ganz ausgezeichnet und uneinnehmbar, wären Männer gleichen Selbstvertrauens es gewesen, die sie besetzt hätten. Der Spanier verfügte obendrein über ein besseres und schnellerfeuerndes Gewehr als es das dänische Krag-Jörgensen auf der amerikanischen Seite war, das deutsche Mausergewehr – er kannte alle Entfernungen – alle Vorteile waren auf seiner Seite. So siegte nur selbstvertrauender Leichtsinn in diesem exotischen Krieg des Leichtsinns. Die Schlacht vom San Juan-Hügel gewannen schneidige, leichtsinnige Jungens, die, auch die Regulären nicht, keine wirklichen Soldaten im modernen Sinne darstellten trotz aller persönlichen Tüchtigkeit, denn sie wurden nicht geführt wie Soldaten. Erst lange nach der Entscheidung griffen die ordnenden Hände höherer Führer ein.

Im Hauptquartier herrschte furchtbarer Wirrwarr.

Gegen den Willen des Höchstkommandierenden eigentlich wurden die Einzelkämpfe jenes Tags gekämpft und durchgeführt, dem die Kriegsgeschichte den Namen der Schlacht vom San Juan-Hügel gegeben hat.

Der alte General Chaffee hatte in den Nachmittagsstunden des 30. Juni ganz allein, nur von einem Adjutanten begleitet, das Gelände auf dem äußersten rechten Flügel rekognosziert und das Dörfchen El Caney stark besetzt gefunden. Mit dem Morgengrauen griff seine Brigade an, unter ähnlichen Verhältnissen wie beim San Juan-Hügel später, und während das heiße und langwierige Feuergefecht um das kleine Dorf tobte, erhielt er General Shafters Befehl, den Kampf sofort abzubrechen und der Brigade Hawkins bei den San Juan-Hügeln zu Hilfe zu eilen. Man fürchtete das Schlimmste im Hauptquartier. Die starken Verluste im Fernkampf (20 Offiziere und 100 Mann tot. 70 Offiziere und 700 Mann verwundet), zusammen mit Alarmmeldungen wie dem Versagen des 71. Regiments, hatten den Stand der Dinge in sehr bösem Licht erscheinen lassen, und über die Erfolge des Tages war niemand wohl erstaunter als der Generalstab. General Chaffee zögerte. Er fürchtete den demoralisierenden Eindruck eines Zurückgehens, das als Niederlage gedeutet werden mußte. Da machte sich die Sache eigentlich von selbst. Kleine Trupps stürmten vor, und er benützte diesen günstigen Augenblick, mit zwei Regimentern zu stürmen. In wenigen Minuten war das alte Steinkastell genommen, das Dorf besetzt und der Feind in wilder Flucht.

Gleichzeitig fast oder wenig später spielte sich der Endangriff auf den San Juan-Hügeln ab, gleichfalls gegen den Befehl des Höchstkommandierenden, der das Abwarten von Verstärkungen anbefohlen hatte. In ähnlich selbständiger Weise wurde der Hügel rechts vom Blockhaus von versprengten Truppen der Division Kent, der Hügel links vom Blockhaus von den Rauhen Reitern, Regulärer Kavallerie und Teilen des 1. und 9. Regiments unter Roosevelts Führung genommen. Alle fast gleichzeitig. Um drei Uhr nachmittags war die gesamte Hügellinie, die in weitem Bogen Santiago umschloß, im Besitz der Amerikaner.

 

Ich riß mein Flanellhemd herunter und wand es aus, wie eine Waschfrau ein Stück nasser Wäsche auswringt. So naß war es von Schweiß, als ob ich es nicht vom Leib, sondern aus dem Zuber Wasser gezogen hätte. Den letzten Rest schmutzigen San Juan-Wassers trank ich aus meiner Feldflasche und war glücklich, in meiner Tasche unter den Patronen noch ein Stückchen steinharten Zwiebacks zu finden. Unterdessen feuerte hie und da jemand. Die Spanier erwiderten das Feuer nur schwach, und den Männern auf dem San Juan-Hügel wurde die Geschichte sehr bald langweilig, wenn es ihnen auch nicht an Munition fehlte, da inzwischen ein Maultiertransport mit Patronenkisten nachgekommen war. Sie waren hungrig und durstig und müde. Und trösteten sich mit allerlei Spässen.

Witze flogen hin und her. Sie verloren den Humor nicht, diese zähen Regulären, wenn sie auch völlig erschöpft waren und zur Kräftigung nichts hatten als die jämmerlichen Reste verschmutzten Wassers in den Feldflaschen, ein paar harte Zwiebacke, ein Stück Speck im Tornister. Sie halfen sich selbst, wie sie unter höllischem Feuer sich selbst geholfen hatten; kratzten sich neue Schützengräben aus gegen den Feind zu mit ihren kurzen, breiten, praktischen Haubajonetten, und ruhten die einen, während die anderen arbeiteten, im schwachen, unregelmäßigen, abflauenden Gewehrfeuer. Dann eilten Offiziere hin und her und brachten langsam Ordnung in die aus allerlei Regimentern zusammengewürfelten Soldatenhäuflein und organisierten planmäßiges Arbeiten in den Schützengräben.

Der Brigadestab hatte sich hinter dem Blockhaus auf der sanft abfallenden Hügelkuppe versammelt. Während der Major mit den Offizieren sprach, gingen Souder und ich zu den gefangenen Spaniern hinüber, die in Trupps eben herbeigeführt wurden. Dreißig, vierzig Mann mochten es sein im ganzen. Sie wurden von einem halben Dutzend Regulärer bewacht, die ihnen die Mausergewehre, die Bajonette, und die Patronengürtel abgenommen und auf einen Haufen geworfen hatten. Zuerst standen die Spanier scheu da, als ob sie Mißhandlungen befürchteten. Als aber einer ihrer Wächter betrübt seine leere Feldflasche beguckte, trat ein Spanier vor und bot ihm die seine an. Das war in dem Augenblick, als wir hinkamen. Der Mann im braunen Khaki betrachtete die Flasche vergnügt.

»Wasser?« fragte er.

» Bueno – bueno!« grinste der Spanier.

Der Infanterist setzte die Flasche an den Mund, tat einen tiefen Zug, wurde krebsrot im Gesicht, tanzte auf einem Bein umher und hustete gewaltig.

»Verdammt, verdammt, verdammt...« brüllte er, »das ist ja Rum – hättest 's mir nicht sagen können, daß das klarer Rum ist?«

Da lachten die kleinen Männlein, und Leben kam in sie. Allerlei riefen sie uns zu, und wir grinsten und sagten bueno – bueno, wenn wir auch kein Sterbenswörtchen verstanden; tranken aber mit um so größerem Verständnis einen kräftigen Schluck des brennenden Jamaikarums und ließen uns mit Vergnügen ein bißchen in die Feldflaschen schütten. Dabei redeten die Gefangenen schnatternd auf uns ein. Sie waren alle kleiner als wir und schienen sehr jung. Zuckerhutförmige, weiße Strohhüte trugen sie und lappige Segeltuchschuhe und sonderbare Uniformen aus weißem Baumwollstoff mit feinen blauen Streifen. Einer, ein kleiner Bursche, ein Kind fast noch, stellte sich vor uns hin, die Arme ausgestreckt, und erzählte in sprudelndem Wortschwall irgend etwas. Wir begriffen sehr bald, denn der temperamentvolle Südländer wußte sich in Gesten und Mienenspiel ganz ausgezeichnet auszudrücken. Ein Ausdruck furchtbaren Entsetzens kam in sein Gesicht und seine Augen sprühten.

»Bum – bum, bum, bum –« machte er. » Muy bum, bum!«

Er bedeckte das Gesicht mit den Händen und tat als ob er stürze, und deutete auf den Boden, und machte eine werfende Handbewegung, einmal, zweimal, fünfmal – – sempre bum, bum, bum ... und die Arme ahmten die mähende Bewegung einer Sense nach. In seinem Schützengraben mußte es bös zugegangen sein.

»Er meint die Gatlings,« sagte der Major, der hinzugetreten war. »Maschinengeschützfeuer hat die Kameraden neben ihm weggemäht; kein Wunder, daß ihm das auf die Nerven gefallen ist, dem armen Teufel!«

Er sagte irgend etwas zu dem Burschen, der in raschem Stimmungswechsel lachend nickte und ein Päckchen Zigaretten hervorzog ... Zwei Päckchen, drei Päckchen. Zigaretten! Mir traten die Augen beinahe aus den Höhlen vor Neid. Teufel, die hatten Zigaretten, und in meiner Tasche waren nur noch ein paar Krumen nassen, schlechten Tabaks! Der Major mußte ähnliches empfinden, denn er nahm das Päckchen rasch und zündete sich sofort eine Zigarette an, gleich darauf Souder und mir eine anbietend. Ob ich zugriff! Ah – welch ein Labsal das war, so scharf die kubanische Zigarette auch schmeckte. Köstlich! Hunger und Durst und Müdigkeit waren vergessen. Da drängten sich auch schon die Gefangenen um uns und überschütteten uns mit Zigarettenpäckchen, die sie in Hülle und Fülle besaßen. Das Silberstück, das der Major dem jungen Burschen anbot, wurde zurückgewiesen. Er hielt es noch zwischen den Fingerspitzen, als ein Kubaner herbeistürzte, laut auf ihn einschreiend, und den silbernen Dollar mit der einen Hand wegriß, während er mit der anderen dem Major einen gelben Papierfetzen hinwarf. Dann rannte er Hals über Kopf davon und war verschwunden. Ein verblüffteres Gesicht, als es der Major machte, hätte kein Mensch machen können.

» D–d–damn it!« stotterte er. »Nix Papier, nix Papier, nix gut Papier – hat der Kerl gesagt. Was beim Kuckuck soll das nun heißen?«

Sein Gesicht wurde noch verblüffter, als ich den gelben Fetzen aufhob, denn das nix gut Papier war ein nagelneuer, richtiger, korrekter, amerikanischer Zwanzig Dollarschein.

»Was?« rief der Major.

»Ein Zwanzig Dollarschein!«

»Was?« Er sah die Banknote an. »Der Esel! Der unbeschreibliche Esel!!« brüllte er, lachend wie nicht gescheit. »Will kein Papier – hartes Silber ist ihm lieber! Hat das Geld natürlich für irgend einen Dienst bekommen – Herrgott, was müssen diese Leute für schlechte Erfahrungen mit spanischem Papiergeld gemacht haben ... Stecken Sie 'n ein, stecken Sie ihn ein; trinken Sie Mumm extra dry dafür mit Souder, wenn wir wieder im Lande Gottes sind!«

So kostete ihm die Schlacht vom San Juan-Hügel einen Silberdollar, und uns brachte sie vier Flaschen Mumm goût americain, die wir im Restaurant des Kapitols in Washington drei Monate später getreulich tranken.

Da kam General Hawkins mit seinem Stab, und die spanischen Gefangenen wurden in Reih und Glied aufgestellt, um befragt zu werden. Der Major schloß sich dem Stab an.

»Wir müssen zurück,« sagte er, als er wiederkam. »Die Linie muß nach vorne!«

Der Wald und der Schlammpfad nahmen uns wieder auf. Von den Hügeln her hallte schwaches Gewehrfeuer.

Es war Nacht geworden. Das Ballon-Detachement, das in aller Morgenfrühe nicht weit von der San Juan-Furt auf einer Walddichtung einen Aufstieg versucht hatte, mit dem Resultat geringer Erkundung, einiger Leichtverwundeter und eines zerschossenen Ballons, war bald darauf zurückgekommen und hatte schon begonnen, die Linie nach der Front zu legen. Wir kampierten beim El Pozo Hügel, auf der ersten Station, und sollten mit dem Morgengrauen Drahttransport und Linienbau aufnehmen. An Schlaf dachte lange niemand. Der Diensthabende am Instrument gab und empfing fortwährend Meldungen, denn die telegraphischen Nachrichten aus der Front wurden von unserer Station aus telephonisch weitergegeben. Was die Adjutanten, die wenigen Meldereiter und die Ordonnanzen der zweiten Station, die irgendwo im Wald steckte, an Depeschen brachten und durch uns dem Hauptquartier übermitteln ließen, war fast nie etwas anderes als lautes Drängen: Proviant – Proviant – Munition! Es fehlte am Nötigsten in den Schützengräben. Aber um zehn Uhr oder elf Uhr trampelte eine Karawane schwerbeladener Maultiere auf dem La Quasina-El Pozo Weg daher, die Mules störrisch, die Treiber fluchend über den furchtbar schlickigen Weg. Sie erkundigten sich bei uns, ob wir denn nicht glaubten, daß auch sie Gelegenheit bekommen würden, »ein bißchen mitzumachen«. Auch sie hatte das Schießfieber angesteckt.

In dem wunderschön handlichen Loch dicht bei der Station, das die neben uns platzende Granate am Morgen gerissen hatte – diese Granate und dieses Loch werde ich nicht vergessen, wenn ich auch sehr alt werden sollte! – zündeten wir aus allerlei gesammeltem Reisig und dürrem Holz ein gewaltiges Feuer an, kochten miserablen Kaffee und brieten schlechten Speck. Viele Wolldecken hatten wir uns aufgelesen – sie lagen ja überall umher – und saßen auf weichen Sitzen, Zigaretten rauchend. In hohem Ansehen bei den Kameraden, nicht etwa, weil wir hatten mit dabei sein dürfen, denn darüber machten sie nur schlechte Witze, sondern weil wir Rum mitbrachten, der den dünnen Kaffee merkwürdig verbesserte. Und Zigaretten! Wir sprachen nur wenig. Waren viel zu müde dazu. Zwei, drei Feuer flackerten auf der Fläche zwischen Hügel und Wald. Die Batterie hatte El Pozo schon längst verlassen, um auf einem der eroberten Hügel Stellung zu nehmen.

Einer nach dem andern wickelte sich in Decken und legte sich hin. Ich hätte gern geschlafen, aber ich war so unruhig, so aufgeregt, daß ich still am Feuer sitzen blieb und grübelte. An meinen Vater dachte ich, der mit Leib und Seele Soldat gewesen war, und an die wenigen Abende, an denen er sich herbeigelassen hatte, von Königgrätz oder von Vionville zu erzählen; kurz, knapp, unpersönlich, wie das seine herrische Art war. Wie er ganz sachlich davon gesprochen hatte, daß Artilleriefeuer stark demoralisierend wirke – und ich dachte an meine Granate ...

 

Da erklang es leise und zitterig irgendwo draußen in der stillen Nacht – tra – lalalah – tra – Ialaah ... tara – rarah ... und die Wälder fingen den leisen Trompetenklang auf und erstickten ihn langsam, daß es noch leiser und noch wehmütiger schallte – tara – tara – ta – ra – la – ra – la – r – aaaa ... dumpf austollend in wehem, weichem Moll. Und zitternd erklang es wieder und wieder, da nun, dort jetzt. War eine Trompete ausgeklungen in leisem Hallen, setzte traurig eine andere ein – tara – lala – – – Immer und immer wieder zitterte er in die stille Nacht hinaus, der Zapfenstreich, der heute traurig erzählte: Gefallen auf dem Felde der Ehre!

Sie begruben die Toten.


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