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Reporterdienst.

Was der Amerikaner von seiner Zeitung verlangt. – Der scoop. – Der verunglückte Dampfer Hongkong. – Die Männer der schnellen Entschlüsse. – Wie ein Reporterstück inszeniert wird. – Auf der Jagd nach der Sensation. – Im Maschinenraum. – Wie ich die Kunst des Zuhörens ausübte. – Der Dämon im Stahl. – Zeitungskönig Hearst. – Eine Anekdote von der gelben Gefahr des Kaisers und der Hearstschen Gelben Presse. – Ein schwarzer Tag.

Das Leben des Amerikaners ist Hast und Hetze, nicht aus der Lebensnotwendigkeit der Jagd nach dem Dollar nur, sondern weil Hasten und Hetzen ihm von Kindesbeinen an gar nichts zu Beklagendes, sondern etwas Wunderschönes bedeuten. Hustle! ist sein Motto – rühr' dich, rege dich, nütze die Zeit! Und hustling verlangt er auch von der Zeitung. Der Mann, dem riesige Wolkenkratzer, donnernder Straßenlärm, jagende Eile im Stadtbild eine Art Kulturbedürfnis sind, verlangt von seiner Zeitung viel Lärm und gewaltigen Spektakel, und die grellen Farben, die sein Auge im Tagesleben überall erblickt. Zwei Zoll hoch müssen die Ueberschriften sein und gepfeffert in kräftigen Worten, so wie seine eigene Ausdrucksweise es ist; übertrieben, wie er gern übertreibt, der Mann, der sein Land das Land Gottes nennt, anstatt bescheidentlich vom Vaterland zu sprechen wie andere Leute. Die Eile, den raschen Entschluß, das schnelle Schaffen, die in seinem persönlichen Leben rumoren, will er auch in seiner Zeitung sehen. Ihm imponiert das Bild, die Tat, die große Schilderung, das Verblüffende; weise Worte möchte er nur gelegentlich und dann mit Vorsicht genießen! Rauschendes Leben muß an seinem inneren Ohr vorbeifließen, wenn er in den weichen Polstern der Hochbahn New Yorks die Zeitung überfliegt, auf daß seine Lektüre im Einklang mit dem Taktschlag seines Tages klinge. So ist aus dem hastenden Amerikaner heraus und seiner Liebe für grelle Lichter und lauten Lärm die amerikanische Zeitung entstanden.

Ihre Dollarjagd, ihre Hetzerei, ihr Sensationsdrang.

Sieht man aber näher zu und wühlt man sich durch den marktschreierischen Wortkram der Ueberschriften und der Floskeln in den Aufsätzen, so entdeckt man erstaunt, daß hinter der brutalen Sensation eine gründliche, ehrliche, bewunderungswürdige Arbeitsleistung von ganz gewaltigen Verhältnissen steckt und zwar häufig gerade da, wo der als so leichtsinnig verschrieene Reporter gearbeitet hat. Dieser Reporter, der so gut wie die Besten die jungfrische Kraft und den Unternehmungsgeist und den Bienenfleiß des Dollarlandes repräsentiert. Er ist es, der seiner Zeitung die großen Erfolge verschaffen muß, die man in der Zeitungssprache scoops nennt. Sie allein machen Eindruck auf den modernen Amerikaner: sie allein sichern dem Blatt ein rasches Emporschnellen der Zirkulation, ein Wachsen im Ansehen.

Scoop heißt wörtlich eine große Schaufel. To scoop in bedeutet einheimsen, einschaufeln, einsacken, und im übertragenen Sinne will der spöttische Zeitungsausdruck besagen: Daß man eine hochwichtige Neuigkeit ganz für sich allein, ganz zu allererst eingeheimst, eingeschaufelt hat, während die betrübte Konkurrenz wehmütig dasteht und den kahlen Boden vierundzwanzig Stunden später nach schäbigen Resten absucht. Ich erlebte einen prachtvollen scoop beim Examiner. Und half mit dabei.

 

Frühmorgens war es. Noch hatte die Arbeit nicht begonnen und die Reporterfamilie auf der Jagd nach den Ereignissen des Tages sich über die Stadt zerstreut, als McGradys Telephon, das von der Examinerzentrale nur dann eingeschaltet wurde, wenn es sich um eine sehr wichtige Mitteilung handelte, rasselnd erklingelte. Mac nahm den Hörer ab:

»Examiner – Nachrichtendienst.«

 

»Jawohl – Leuchtturmwärter – Station Goldenes Tor – ja – wie heißt der Dampfer – die Hongkong? – jawohl! Anscheinend verunglückt, jawohl. Wird von einem Trampdampfer eingeschleppt?«

 

Pause, lange Pause. Wir alle lauschten in atemloser Spannung. Dann fragte Mac weiter:

»Der Dampfer ist nur durch ein gutes Fernrohr sichtbar, sagen Sie?«

 

»Haben Sie die Nachricht einer anderen Zeitung gegeben? – Nein? – Schön. Erstatten Sie nur die Ihnen dienstlich vorgeschriebenen Meldungen an die Behörden und benachrichtigen Sie keine andere Zeitung. Ja? Danke. Sie erhalten von uns fünfundzwanzig Dollars. – Schluß.«

Das Telephon klingelte ab.

Allan McGrady hängte langsam und bedächtig den Hörer auf, ging zu seinem Schreibtisch, nahm sich eine Zigarette und zündete sie umständlich an, während wir schweigend dastanden. Dann wandte er sich um.

»Hayes! Telephonieren Sie doch, bitte, an die Schleppdampfergesellschaft. Wir brauchen den schnellsten Schlepper, den sie haben. Muß in einer halben Stunde unter Dampf sein. Examinerdienst, üblicher Charter für einen Tag. Nein – warten Sie. Nicht einen, sondern zwei Schlepper brauchen wir.«

»Zwei Schlepper – in einer halben Stunde!« wiederholte Hayes.

»Richtig.« Hayes ging zum Telephon und McGrady klingelte. »Ich lasse Mr. Lascelles bitten,« befahl er dem eintretenden Pagen.

Von uns sagte keiner ein Wort, denn jeder wußte, daß es sich um etwas Großes handelte; um rasches Denken, um schnelles Disponieren. Daß jede Minute und jeder gesprochene Satz kostbar waren. Der Chefredakteur kam augenblicklich. Wenn ein Redakteur den andern oder gar den Chef »bitten« ließ, anstatt sich selbst zu bemühen, so bedeutete das: Eile. Dringend, Expreß! Die beiden Herren schüttelten sich die Hände.

»Guten Morgen, Lascelles,« sagte McGrady, der nie ruhiger und kühler sprach, als wenn er sehr aufgeregt war. »Verzeihen Sie, aber wir haben hier eine Sache, die keinen Aufschub duldet.«

Lascelles nicke nur. McGrady fuhr fort:

»Der Leuchtturmwärter von der Goldenen-Tor-Station telephoniert, er habe soeben den Dampfer Hongkong der San Franzisko-China-Linie gesichtet. Der Dampfer werde von einem kleinen Honolulu-Trampdampfer eingeschleppt. Sie alle wissen, daß die Hongkong überfällig ist. Um was es sich handelt, läßt sich ja allerdings noch nicht sagen. Mr. Lascelles, ich habe zwei Schleppdampfer beordert –«

»Weshalb zwei?«

»Wir haben Eile. Ich möchte vorschlagen, daß wir die Nachmittagsausgabe zwei Stunden früher erscheinen lassen mit zwölf bis zwanzig Spalten Hongkong an erster Stelle. Ich persönlich bin dafür, alles andere Lokale hinauszuwerfen. Nur Hongkong, wichtige Politik, Börse, Vermischtes. In zwei Stunden frühestens hat der »Call« die Nachricht von den Behörden, auf jeden Fall aber nach uns. Selbst wenn es sich nur um eine Stunde oder auch eine halbe Stunde Differenz handeln sollte, so haben wir doch Vorsprung, und die Leute vom Call kommen sicher nicht auf den Gedanken, daß wir zwei Stunden früher erscheinen könnten!«

»Teufel – das können wir aber doch nicht, Mac!«

»Ich meine, es müßte eben gehen,« sagte Allan McGrady nachdenklich. »Wir lassen die Setzer und die Maschinenleute der Nachtschicht holen. Was Manuskript anbetrifft, so soll der zweite Schlepper die ersten Nachrichten übermitteln, sobald es nur irgendwie geht, und der Rest muß eben auch im Handumdrehen da sein – ich kann mich auf meine Leute verlassen.« (Es geschah sehr selten, daß McGrady dergleichen sagte, aber wenn es geschah, so hätten wir uns in Stücke zerreißen lassen für ihn!!)

»Die Möglichkeit des Gelingens ist da,« antwortete Lascelles rasch. » Allright, Mac. Disponieren Sie. Sie wissen, daß wir gute tausend Dollars Extraausgaben riskieren und der alte Mann uns die Hölle heiß machen wird, wenn die Sache schief geht. Verfrühte Ausgabe also. Wissen Sie was? Es ist neuneinhalb Uhr. Um zwölf Uhr, oder sagen wir Halbeins, lassen wir ein Extra verteilen: Die Hongkong hilflos eingeschleppt. Eines der größten Schiffe der kalifornischen Chinalinie mit knapper Not dem Untergang entgangen. Eine Tragödie der See. Siehe ersten Bericht im Nachmittags-Examiner. Oder so ähnlich ...«

»Ausgezeichnet!« sagte McGrady. »Wenn wir den Anschluß erwischen, ist es eine große Sache. Meine Herren, der gesamte Stab geht auf den Schleppdampfer mit Ausnahme von Hayes. Hayes – weinen Sie nicht, Sie haben schwierige und verantwortungsvolle Arbeit genug; Sie müssen auf die Frisco-China-Linie und zu den Versicherungsgesellschaften. Orders kann ich Ihnen kaum geben, meine Herren. Ferguson als der Aelteste wird disponieren. Nur ganz allgemein: Wir wenden die natürliche Methode an. Die Ereignisse werden photographisch geschildert. Die Schilderung beginnt von dem Augenblick an, in dem Sie den Schleppdampfer betreten. Diesen ersten Teil soll Ferguson machen. Hetzfahrt und so weiter. Die Hongkong wird gesichtet – Beschreibung, bitte, wie der Kasten aussieht – man klettert an Bord« – (er lachte) »und wenn einer der Herren dabei ins Wasser fallen sollte, wär' das eine schöne Sache –«

Schallendes Gelächter.

»– und wenn einer der Herren so gütig sein würde, dabei im Dienste des Examiners zu ertrinken, so wär' das noch viel schöner vom Zeitungsstandpunkt aus!« (Das war Macs gruselige Art von Humor.) »Passagiere schildern also – sie interviewen – Kapitän, Offiziere interviewen – sehen, was los ist – sperrt sich der Kapitän, so wird ihm unter die Nase gerieben, daß der Examiner und die Öffentlichkeit sich nicht bluffen lassen – die Wahrheit kommt doch an den Tag. Los, meine Herren! Ich bitte mir aus, daß flott gearbeitet und beim Schreiben auf der Heimfahrt keine Zeit an stilistische Künsteleien verplempert wird. Das nötige Zurechtdeichseln besorgen Lascelles und ich hier auf der Redaktion. Los!«

»Einen Augenblick!« rief Lascelles. »Zeitungen mitnehmen! Ist gute Reklame. Die Passagiere werden sich freuen, nach sechzehn Tagen wieder eine Zeitung aus dem Lande Gottes zu sehen!«

Eine Minute später stürmten in Holtergepoltereile zehn Zeitungsmänner zum Hafen, und fünfundzwanzig Minuten darauf jagten in sausender Fahrt die Hochseeschlepper Furor und Golden Gate durch das Schiffahrtsgewimmel der inneren Bai dem Goldenen Tore zu. An den Flaggenstangen im Heck flatterten die Hausflaggen der Zeitung mit ihrer grellroten Inschrift auf weißem Grund: San Francisco Examiner. Das Fahrttempo war viel zu schnell für die innere Bai. aber der Examiner durfte bei seinen Beziehungen zur Hafenpolizei eine kleine Gesetzesübertretung schon riskieren. Die Schiffe, denen wir begegneten, wurden aufmerksam, und mehr als einmal schallten brüllende Megaphonfragen zu uns herüber, was in Dreikuckucksnamen denn eigentlich los sei. Unser Kapitän antwortete gewöhnlich: »Erkundigt euch beim nächsten Polizisten!« Oder grimmiger:

»Sind – in Eile – haben– – keine Zeit – –

euch – was vorzulügen! Goodbye!!«

Alcatras Island, die winzige, mit Kanonen gespickte Felseninsel im Zentrum des Hafens, huschte vorbei; die schmale Bai wurde breiter, die Wogen gingen höher. Das Häusermeer verschwand im Dunstkreis. Die Fischerflottillen in der äußeren Bai waren bald überholt. Die nackten, felsigen Ufer schoben sich näher zusammen.

Wir dampften durch das Goldene Tor. Ferguson hatte, auf einen Decksessel hingekauert, schon längst zu schreiben begonnen. Nun sah er auf und gab uns seine Instruktionen, die auf eine genaue Verteilung der Arbeit hinausliefen. Mir wurde die Beschreibung des Maschinenraums zugeteilt, während Ferguson selbst das Interview mit dem Chefingenieur der Hongkong übernahm. Aber der blinde Glückszufall hatte mir, dem Jüngsten, eine lohnendere Aufgabe gegeben als ihm, dem Unerfahrenen ... In einer Viertelstunde wurden Rauchwolken sichtbar am Horizont, und bald darauf tauchte die schwarze Masse eines Riesenschiffes auf, geschleppt von einem winzigen Dampfer. Das war die fünf Tage überfällige Hongkong.

 

Die elektrischen Lampen glühten im Maschinenraum, aber die gewaltigen Feuerlöcher der Kessel lagen grau und leblos da und Stille herrschte. Ich kletterte mühselig von Plattform zu Plattform auf den schmalen stählernen Leitern.

»'n Morgen,« sagte unten ein alter Mann mit weißen Haaren im blauen Maschinistenkittel. Er betrachtete mich vergnügt aus blinzelnden Augen und schob bedächtig den Pfeifenstummel aus dem linken Mundwinkel in den rechten, während er mit der einen Hand die Lagerung eines sausenden Dynamos prüfend betastete und mit der andern ein frischgewaschenes Hemd näher an die Feuerung des kleinen Hilfskessels hielt. »Guten Morgen!«

»Erzählen Sie mir alles!« sagte ich.

»Zeitung?«

»Ja – Examiner.«

»Dacht' ich mir,« grinste der Alte. »Ich bin der dritte Ingenieur dieses gesegneten Schiffes, und wie Sie sehen, beschäftige ich mich damit, ein bißchen elektrische Kraft zu fabrizieren und die Familienwäsche zu trocknen. Mann, hier ist nichts los! Der Laden ist zu. Wir haben das Geschäft aus Mangel an Betriebskapital aufgegeben.«

»Weiter!« bat ich geduldig.

»Weiter nichts.«

»Propellerbruch, wie ich höre, nicht wahr?«

»Propellerschaftbruch, junger Mann, fachmännisch ausgedrückt.« sagte der Alte und drehte seine trocknende Familienwäsche nach der anderen Seite. »Das heißt, daß ungefähr in der Mitte zwischen hier und Honolulu in zweitausend bis dreitausend Meter Tiefe auf dem Grunde des Meeres ein Propeller, ein drei Meter langes Stück Propellerschaft, ungefähr sechs Heckplatten mit Zubehör, dreiviertel eines Steuerruders und noch verschiedene andere belanglose Kleinigkeiten liegen, alles zusammen etwa achtzigtausend Pfund schwer und etliche hunderttausend Dollars wert. Das is' alles!«

 

»Wie das passiert ist?« Er spuckte kräftig auf den Boden. »Junger Mann, ich bin siebenundzwanzig Jahre lang Maschinist, und trotzdem weiß ich das ebensowenig wie Sie. Sehen Sie, ein Propellerschaft ist sozusagen 'n Luder! 'n dickes, langes Stück Stahl, das vor jeder Ausreise von einem halben Dutzend Ingenieuren und mindestens drei Behörden Zoll für Zoll abgeklopft und untersucht und begutachtet wird. Das wir während der Fahrt pflegen und hätscheln, ölen und salben, als wär's 'n Baby. 'n Stück Stahl, das eine Krafteinwirkung von sechstausend Pferdekräften und Wasserwiderstände von achtzehntausend Pferdekräften auf seinem runden Buckel aushalten muß. 'n Stück Stahl, dem die Kräfte und die Widerstände hie und da – es kommt nicht häufig vor, dem lieben Gott sei Dank – zu viel werden. Dann geht's knax, und der Teufel ist los!«

»Was passiert dann?«

»Oh, nichts von Bedeutung.« Er lachte schallend auf und schlug sich aufs Knie. »Es passiert das, was uns passiert ist. Ungefähr das, was geschieht, wenn man einer kleinen Katze plötzlich den Schwanz abschneidet – der Schwanz fällt herunter, nicht wahr, und die kleine Katze gebärdet sich ungewöhnlich lebendig und aufgeregt. Na, unser Propellerschwanz mit einigem Zubehör, das er im Vorbeigehen mitnahm, liegt – well, zwischen hier und Honolulu. Die Katze – –«

»Die Maschinen?«

»– jawohl – die Maschinen! – die Maschinen wurden aufgeregt. Das ist ungefähr so, als wenn vier Pferde aus Leibeskräften an einem schweren Sandwagen zerrten und plötzlich rissen sämtliche Stränge. Worauf die vier Gäule übereinanderpurzeln und mit den Beinen strampeln würden ... Um drei Uhr nachts ist es passiert. Ich hatte die Wache, Hand an der Drosselung. Drei Sekunden nach dem großen Krach hatte ich abgedrosselt und fünfzig Sekunden später das hintere mechanische Sicherheitsschott geschlossen. Die drei Sekunden jedoch genügten den Maschinen vollkommen, um übereinanderzupurzeln – Lagerungen verballert, Hochdruckzylinder verbogen, Kolben schief, als wären sie besoffen, alle Verbindungen gelockert, alle Schrauben heidi – ein Jammer, junger Mann, ein trauriger Jammer. Zum Weinen! Aber das verstehen Sie nicht – sind ja kein Maschinenmensch ...«

»Und dann?«

»Schlossen wir den Laden. Ließen Dampf ab, dichteten das Kollisionsschott, pumpten das Stück pazifischen Ozean aus, das in den Maschinenraum gedrungen war, und stützten unsere armen Maschinen mit allerlei Gebälk. Mann, sehen Sie nur hin! Der Hochdruckzylinder sieht aus wie 'n Baugerüst – pfui Deibel! Das erledigt, warteten wir auf die göttliche Vorsehung und den dreckigen Trampdampfer, der mit seinem bißchen Schleppen ein Riesenvermögen an uns verdient.«

»Darf ich den Maschinenraum ansehen?«

»Kommen Sie! Sie werden sich wundern! Er sieht ungefähr so aus wie ein Zwischendeck mit siebenhundert seekranken Chinesen am dritten Tag der Ausreise von Hongkong. To–tal ver–saut!!«

Seufzend hing er das schon beinahe getrocknete Hemd über eine blanke Kupferröhre und führte mich in das Allerinnerste der Hongkong. Ein beschwerliches Kriechen war es, schmale Gänge entlang und unter den Leibern stählerner Ungeheuer durch. Ein Gewirr von Balken stützte die einzelnen Teile der Riesenmaschinen, die der furchtbare Stoß der im Augenblick des Bruchs entfesselten widerstandslosen Kräfte völlig unbrauchbar gemacht hatte; zerbrochene, verbogene Röhren, geknicktes Gestänge, schiefe Stahlsäulen, abgesprungene Harteisenstücke, weißgrau an den Bruchrändern, lagen umher.

»Hübsch, nicht?« sagte der alte Mann. »Nun stellen Sie sich, bitte, vor, daß ein winzig kleiner Fehler, ein völlig unsichtbarer, unentdeckbarer Riß in einem runden Stück Stahl von zwanzig Zoll Durchmesser ausreichte, um für eine halbe Million Dollars Maschinen in drei Sekunden über den Haufen zu werfen!!«

Da beschloß der Lausbub, seinem Teil des Berichts die Überschrift zu geben: Der Dämon im Stahl!

Er fand das sehr schön!!

 

Während der Furor in einer Wolke von schwarzquellendem Rauch hafenwärts sauste, schrieb ich und schrieb und schrieb, denn es war ja so leicht. Hatte mir doch das Glück das Schönste und Packendste in einem großen Zeitungsereignis bescheert – den grimmigen düsteren Humor der Wirklichkeit ...

Unser scoop gelang glänzend. Mit flammenden Ueberschriften und sechzehn Spalten Hongkong erschien der Examiner zwei Stunden vor dem Call. In einer Gesamtzeit von sieben Stunden vom Einlaufen der Meldung bis zur Ausgabe der fertigen Zeitung war ein für die Hafenstadt unendlich interessantes Ereignis lebendig und exakt geschildert worden, in der Ausführlichkeit einer graphischen Darstellung von über dreitausend Zeilen Länge. Nichts fehlte. Das Aussehen der Hongkong – der Bericht des Kapitäns – die Schilderung der Leute des Schleppdampfers – die Szenen des Schreckens der Unglücksnacht.

Es war einer der großen Tage der Zeitung gewesen.

 

Der Hongkongbericht war in gekürzter Form nach New York und Chicago an das New York-Journal und die Chicago-Dispatch telegraphiert worden, denn wir und jene beiden Blätter arbeiteten stets Hand in Hand. Gehörten »wir« doch einem gemeinsamen Eigentümer, dem Verleger des New York-Journal, William R. Hearst. Als wir uns am nächsten Morgen im Reporterzimmer einfanden, hielt uns Mac lachend eine Depesche entgegen. Wir lasen:

»Examiner, Frisco. – Komplimente, Mac. Gute Arbeit. Erwarte ausführlichen Bericht. – Hearst.«

Das war bezeichnend für William R. Hearst, dem nichts zu klein war im Zeitungsdienst, um sich nicht persönlich darum zu bekümmern, und nichts zu groß, sich mit seinen Zeitungen nicht daran zu wagen. Ich sah Hearst erst Jahre später. Aber im Reporterzimmer wimmelte es von Anekdoten über den »Alten«. Als Hearsts Vater, der Besitzer des New York-Journal, gestorben war und ihm die Zeitung hinterlassen hatte, wurde aus dem bedeutungslosen Jungen, der bisher nur durch modische Kleidung und grelle Krawatten aufgefallen war, mit einem Schlage ein Arbeiter. Er erklärte den redaktionellen und geschäftlichen Leitern seiner Zeitung, daß in Zukunft er der Herr sei und sonst niemand. Die wollten sich totlachen.

Dann kam das Entsetzen.

Der junge Hearst gönnte sich nicht einmal die Zeit zum Essen – und anderen Leuten erst recht nicht. Zu schlafen schien er überhaupt nicht. Er war der Schrecken der Metteure. Er nächtigte im Setzersaale und schrieb bis aufs letzte –i– Pünktchen die Schriftarten vor, die die Überschriften der einzelnen Artikel anziehend machen sollten für Seine Majestät das Publikum.

Sein Leben gehörte seiner Zeitung. Das folgende wahre Geschichtchen illustriert seine Manier vortrefflich. Er gab ein Souper, das sich lange ausdehnte. Um drei Uhr morgens brachte ihm ein Bote die erste Kopie der Morgenausgabe des Journal, das soeben zur Presse gegangen war. Hearst sprang nach einem Blick auf die Zeitung wütend auf, ohne seinen verblüfften Gästen auch nur ein Wort der Erklärung zu geben, und rannte in die Nacht hinaus. Nach Luft schnappend, kam er im Journalgebäude an, ließ die Presse stoppen und telephonierte den Chefredakteur herbei.

Alles – weil die Überschrift des Leitartikels Hearst nicht zugkräftig genug war!

Er pflegte stundenlang der Länge nach ausgestreckt in seinem Privatkontor auf dem Teppich zu liegen, die Riesenseiten des Journal vor sich ausgebreitet, um die Wirkung der »Aufmachung« zu studieren. Den großen Eindruck brauchte er – für die große Masse. Die war sein Götze. Er gab Unsummen aus für Spezialdrähte, mietete einen Privatdraht zwischen New York und Washington, um die Kongreßdepeschen früher zu haben, gewann Generäle und Minister als Mitarbeiter. Er schlug die Zeitungen New Yorks wieder und wieder in der Schnelligkeit und Ausführlichkeit wichtiger Nachrichten. Der Erfolg bei der großen Masse kam fast augenblicklich. Die Auflagenziffern des New York-Journal schnellten zu verblüffender Höhe empor, und aus der einen Zeitung wurde ein Zeitungssyndikat in New York, Chicago und San Franzisko, mit Hearst als Alleinbesitzer. Damals entstand das Wort von der Gelben Presse.

Ueber seine Entstehung habe ich von amerikanischen Zeitungsfreunden folgendes Geschichtchen erzählen hören:

Als der deutsche Kaiser der gelben Gefahr sein Zeichentalent widmete und die Völker Europas warnte, ihre heiligsten Güter zu wahren, kam der Karikaturist einer Washingtoner Zeitung auf die hübsche Idee, die kaiserliche Zeichnung, die in Amerika großes Aufsehen und bei der Abneigung gegen die gelbe Rasse starken Beifall erregt hatte, polemisch zu verwerten. Er zeichnete in einem Bild einen messerschwingenden Chinesen, in einem andern Bild daneben den das Journal schwingenden Hearst, umgeben von tanzenden Teufelchen, die alle schrien: Sensation! Sensation!! Sensation!!! Das eine Bild trug die Ueberschrift: Die Gelbe Gefahr Europas! das andere: Die Gelbe Gefahr Amerikas! Die politische Welt der Vereinigten Staaten lachte und nannte den Zeitungsmann den gelben Hearst und seine Zeitungen die gelben Zeitungen. Die Gelbe Presse!

Wie nun das bissige Wortbild auch entstanden sein mag, es kennzeichnet mit seinem Vergleich mit der krassesten aller Farben, dem schreienden Gelb, den Hunger nach Sensation vorzüglich. Tut auch Unrecht, wie alle Schlagworte. Hearst hat starken Einfluß auf die Entwicklung der amerikanischen Presse ausgeübt und dem modernen Nachrichtendienst unvergeßliche Dienste geleistet. Und lange vor Roosevelt schon kämpfte er gegen die Trusts. Seine politische Stellung als einer der Führer der demokratischen Partei wird von Jahr zu Jahr stärker.

 

Nur einen einzigen Tag in jenen Monaten versäumte ich den Zeitungsdienst.

Das war an jenem Tag, als frühmorgens Madame Legrange klopfte und mir einen Brief brachte, einen Brief aus Deutschland. Ich freute mich gewaltig. Mein wortkarger Vater schrieb mir nur selten, aber zwischen den Zeilen der wenigen Briefe konnte ich lesen, daß meine jungenhafte Begeisterung im Dienste der Zeitung und mein naives Schildern des Lebens um mich ihn freuten. In knappen Worten sprach der Freund zum Freund. Nur dann und wann blitzte ein Rat, eine Warnung auf. »Du wirst vielleicht nie nach Deutschland zurückkehren, aber vergiß dein Land nicht, denn seine Art bleibt deine Art!« schrieb er mir einmal. »Du hast es sehr schwer, denn du bist niemand Verantwortung schuldig als dir selbst ...« hieß es ein andermal. Vor allem aber verblüffte mich die genaue Kenntnis der amerikanischen Verhältnisse, die aus diesen Briefen sprach; eine weit gründlichere und tiefere Kenntnis als die meinige, der ich doch im Lande lebte und schaffte. Das flößte mir gewaltigen Respekt ein. Wenn das deutsche Heimweh über mich kam, und das tat es manchmal, nahmen die Sehnsucht und die Träume die Form an, daß ich es mir erträumte, dem Vater einst als erfolgreicher Mann wieder gegenüberzutreten. Der Erfolgreiche dem Erfolgreichen. Der Freund dem Freund. Der Gleichberechtigte dem Gleichberechtigten.

Und nun las ich und saß erstarrt auf meinem Bett. Mein Vater war tot. Gestorben an einer fürchterlichen Krankheit, nach jahrelangem Siechtum, das mir auf seinen Befehl verheimlicht worden war. Sie hatten ihn vor Wochen schon begraben.

An jenem Tag der Verzweiflung begann ich zu ahnen, was Alleinsein im fernen Lande in Wirklichkeit war und was die Bande des Bluts bedeuteten, aber Jahre sollten noch vergehen, bis ich verstand, daß in dem Grab im Münchner Nordfriedhof mein Allereigenstes lag. Daß aus meinem Vater meine Kraft und mein Leichtsinn und meine Art stammte, und daß ich dem Mann, der als kriegsinvalider Offizier nach den Feldzügen der Jahre 1866 und 1870 frisch und kraftvoll nach einem neuen Leben gegriffen und sich als nationalökonomischer und wirtschaftlicher Geistesarbeiter einen reichen Wirkungskreis geschaffen hatte, alle Zähigkeit des Wollens und Willens verdankte.


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