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Beim Jesus-Christus-General.

Das Hauptquartier in der Vorpostenlinie. – General Shafter, Höchsttommandierender. – Die Trumpfkarte im Spiel. – Proviant her! – Ein sogenannter Spaziergang. – Die spanische Verteidigungslinie. – Die Nacht vor der Schlacht. – Das Telegramm nach Washington. – Die Regimenter ziehen dem Feind entgegen.

Auf einer Strecke von kaum einer halben englischen Meile passierte uns Unglück auf Unglück. Mit einemmal funktionierten die Apparate nicht mehr, als wir wieder Baiquiri andrahten wollten, und der Major mußte Hastings und zwei Mann zurückschicken, nach dem Schaden zu suchen. Sie fanden ihn zum Glück bald: ganz in der Nähe des Insurgentenlagers war der Draht zerrissen. Dann kamen fünfmal hintereineinander lichte Waldstellen, die langwieriges Klettern und Drahtspannen erforderten. So wurde es Nachmittag, bis wir endlich das Hauptquartier inmitten der Vorposten erreichten, erschöpft, todmüde. Oberst Green mit dem ihm persönlich attachierten Signalsergeanten kam uns entgegen.

»Schlafen. Leute!« befahl er. »Myers, holen Sie Kaffee, da hinten beim Kochfeuer. Und dann wird sofort geschlafen!«

Das Signalzelt war bereits errichtet und das Instrument drinnen aufgebaut worden. Den Dienst übernahm der Sergeant Oberst Greens. Wir anderen aber tranken gierig heißen Kaffee, wickelten uns in unsere Decken und legten uns Mann neben Mann dicht um die Außenwand des Zeltes: in unseren feuchten, durchschwitzten Kleidern, den patschnassen Stiefeln, in die der Schlamm trotz allen festen Geschnürtseins eingedrungen war. Ich war so müde ... »Stiefel ausziehen!« rief die scharfe Stimme des Majors – »runter mit den Stiefeln!« Und widerwillig zog ich sie aus. Ich war so – – – Die Augen konnte ich kaum offenhalten und nicht der Mühe wert war es mir, den Wirrwarr um mich zu betrachten. Da standen riesige Zelte und Pferde wieherten im Hintergrund und viele Offiziere kamen und gingen und ... schlafen, nur schlafen! Ich schob mir den Tornister unter den Kopf und wickelte mich fest ein. Da begann das Instrument drinnen zu sprechen in scharfem Ticktack. Klick, klick, klick – klack, klack – kurz, kurz, kurz, – lang, lang – aber die klingenden Punkte und Striche flössen in ein nichtssagendes Geklapper zusammen für mein müdes Hirn – klick, klick, kack... da war ich eingeschlafen.

Das Hauptquartier lag dicht am Weg, an dem ewigen Schlammpfad, den keiner der Männer von Kuba je vergessen wird. Gegenüber ragte der dornige Busch. Die Zelte standen in einer Lichtung, in der einmal ein Haus gewesen sein mußte, denn verwittertes Gebälk lag umher, und gegen das Weglein zu trotzte noch ein Stück Zaun aus verfaulten Pfosten und verrostetem Stacheldraht. Das Signalzelt war dicht beim Eingang aufgebaut. In Linie, nicht weit davon, schimmerte weißgrau das Dutzend Zelte des Stabes, und hinter ihnen erhoben sich die winzigen Segeltuchhütten der trooper der 6ten Kavallerie. In der Mitte, fünfzig Schritte vor uns, stand das Zelt des kommandierenden Generals. Zwei Pfostenpaare waren kreuzweise in den Boden geschlagen und eine Hängematte an ihnen befestigt. In dieser lag krank und mürrisch General Shafter, der Befehlshaber der Armee, der alte Indianerkämpfer, der Mann, den der amerikanische Reguläre niemals anders nannte als den »Jesus-Christus-General«. Es sind später viel Steine geworfen worden auf diesen Mann: einen Zauderer hat man ihn genannt und Schlimmeres in seinem Land. Ein Zauderer war er. Aber die Schimpfer vergaßen, daß auf seinen Schultern und nur auf seinen Schultern die ungeheure Verantwortung für das Leben von vielen Menschen und die Ehre einer Flagge ruhten, die gar arg bedroht waren durch den Leichtsinn, der in Hast und Aufregung die Sorge für eine Armee sehr leicht genommen hatte. Doch das verstand ich erst später. Wenn ich von General Shafter in diesen Seiten erzähle, so darf der Leser nicht vergessen, daß ich versuche, ganz einfach zu schildern, was der Lausbub im Soldatenrock damals sah – das wirkliche Sehen und Hören. Der Jesus-Christus-General hatte für mich Zwanzigjährigen im Lager damals und im Feld später nicht viel von der Glorie des Leiters einer kämpfenden Armee, sondern ich sah mit meinen jungen Augen nur das Allzumenschliche des Kranken und Uebererregten. Der Mann heute versteht. Daß jene Tage in Kuba dem amerikanischen Invasionsheer keine Katastrophe brachten sondern Siege, ist für den nüchternen Beurteiler ein Wunder. Und Shafter wußte das! Als einziger vielleicht. Er wußte, daß kein Proviant da war – er wußte, daß alle Vorteile des Geländes auf der Seite des auch numerisch starken Gegners lagen. Er wußte recht gut, weshalb er zauderte. Dennoch gebe ich meine Eindrücke ungeschminkt wieder, denn über das Persönliche weit hinaus zeigen sie etwas einzig Dastehendes in der modernen Kriegsgeschichte: Eine Schlacht, einen Feldzug, der nicht von Generalen gewonnen wurde, sondern von einzelnen Häufchen tapferer, zäher Männer, die in jungenhafter Begeisterung fröhlich drauf losgingen, ohne sich viel um Befehle zu scheren. Das Männliche, das Tüchtige des Einzelnen war Trumpf und gewinnende Karte in dem riskanten Spiel dieses sonderbaren Krieges.

 

Dutzende Male brachte ich dem General Shafter Depeschen an jenem 30. Juni des Jahres 1898, und jedesmal sagte er mit der gleichen dünnen, schrillen Falsettostimme, die einem durch Mark und Bein drang:

»Jesus Christus – was gibt's?«

Es ist kaum möglich, das Scharfe, Ungeduldige wiederzugeben, das in dem ewig wiederkehrenden Ausruf lag, der dem General seinen Beinamen eingetragen hatte. Frömmlern gab es später nach dem Kriege, als von Shafters Eigenheiten erzählt und geschrieben wurde, Veranlassung, ihn als gotteslästerlichen Frevler zu verdammen.

»Lasse Oberst Green bitten – Jesus Christus – marsch, Mann – halten Sie sich nicht mit Salutieren auf – Jesus Christus!«

Immer Jesus Christus – –

Hunderte Male gellte es so. Und jedesmal fuhr ich zusammen, wenn die schneidende Stimme erklang.

General Shafter war ein Koloß. Aechzend lag die unförmliche Gestalt in der Hängematte, auf viele Kissen zurückgelehnt, fluchend wie ein Dragoner. Die Stimme gellte vor Wut und Ungeduld. Aber im nächsten Augenblick konnte sie, wenn auch schrill und nervös, liebenswürdig zu einem Adjutanten sagen: »Lassen Sie sich ablösen, lieber Jameson – Jesus Christus, Sie müssen ja todmüde sein!«

Der General war entweder schon vom Fieber gepackt oder wenigstens durch die tropische Hitze furchtbar mitgenommen. Seinen gewaltigen Schädel bedeckte ein Handtuch, auf dem Eisstücke lagen, und neben der Hängematte stand ein Kocheimer mit Eis gefüllt. Dennoch gönnte sich Shafter nicht einen Augenblick Ruhe an jenem 30. Juni. Es war ein Hetzen und Hasten, ein Kommen und Gehen. Stets umstanden Adjutanten die Hängematte, Bleistifte und Befehlsformulare in den Händen, und die hohen Offiziere des Generalstabs schienen fortwährend Vortrag zu halten. Wir hörten häufig ganze Sätze herüberhallen und verstanden, so schwer jede Kombination für einen Uneingeweihten auch war, daß es sich um Meinungsverschiedenheiten handeln mußte. Es lag wie Elektrizität in der Luft. Wie schwüle Spannung. Alle Augenblicke kamen Shafters Adjutanten gelaufen mit Telegrammen an den Generalquartiermeister in Siboney, die in schärfster Fassung Proviant und Munition verlangten. Einmal hieß es ungefähr so:

»Kommandierender General befiehlt Herbeischaffung Proviants für Front, ganz gleichgültig, ob Straße verstopft; Truppen müssen Straße freigeben – mitsendet energischen Offizier...«

Schwer mußten Sorge und Verantwortung auf General Shafter liegen.

 

Major Stevens winkte von seinem Zelt. Ich sprang hinzu.

»Treten Sie ein,« befahl er. »So! Holen Sie sich unauffällig Karabiner, Revolver und Feldstecher. Tun Sie, als ob Sie das Gewehr putzen wollten. Gehen Sie langsam den Pfad aufwärts. Sie treffen mich etwa hundert Yards weiter oben. Verstanden?«

»Yes, Sir.«

»Sie sprechen mit Niemanden über diese Sache. Verstanden?«

»Yes, Sir.«

Klopfenden Herzens wartete ich an der bezeichneten Stelle, bis der Major aus dem Gebüsch trat. »So! Es wäre mir lieb, wenn Sie mich auf einem kleinen Spaziergang begleiten würden,« sagte er, »weil ich annehme, daß Sie nach Ihrer zivilen Stellung Augen im Kopfe haben, die sehen können. Nun hören Sie: Wir wissen im Grunde gar nichts. Wir wissen den Teufel, was da vorne los ist. Ich will aber was wissen. Offiziell ist ein Vorgehen über die Vorposten hinaus strengstens verboten. Wir gehen jetzt zusammen spazieren und werden uns über die Vorposten hinaus verlaufen. Verstanden?«

» Yes, Sir

»Schön. Die Karte hier ist miserabel, aber immerhin geht daraus hervor, daß hier – sehen Sie? – bei El Pozo – das ist 'ne alte Zuckermühle –, wo unsere Spitze steht und das eigentliche Santiagotal beginnt, Plantagen sind, die ein Erklettern des Hügels da – sehen Sie? – gestatten sollten. Durch den Busch kämen wir nie hindurch!«

Da kam ich mir wieder kolossal wichtig vor ...

Wir marschierten in scharfem Tempo etwa zwei Kilometer weit den Pfad entlang, kamen in einen Mangowald, kreuzten einen kleinen Bach, passierten an Infanteriepatrouillen vorbei, wurden dutzende Male angerufen. Dann bogen mir scharf links ab. Wir waren jetzt inmitten hohen wuchernden Grases und mächtiger Baumgruppen. Hinter der zweiten Baumgruppe schon trat ein Kavallerieleutnant hervor, mit dem der Major leise sprach. Ich hörte den Leutnant sagen:

»Auf Ihre Verantwortung, Major. Meine Leute kann ich instruieren. Aber wenn Sie den Rückweg verfehlen, riskieren Sie, von anderen unserer Posten über den Haufen geschossen zu werden!«

Da kam ich mir noch viel wichtiger vor!

Nun begleitete uns der Leutnant.

Der lichte Wald wurde noch dünner, die Baumgruppen spärlicher. Vor uns lag eine schmale Fläche niederen Grases. Drüben war Gestrüpp.

»Halt!« rief eine Stimme.

»Freunde ...« antwortete der Leutnant. »Einer vor!« rief die Stimme wieder. Der Leutnant ging vor, um die Losung zu geben, die »Shafter und Santiago« lautete, und dann sahen wir eine Soldatengestalt aufspringen, die flach am Boden gelegen hatte. Der junge Offizier instruierte den Posten, daß der Herr Major und der Signalmann rekognoszieren würden und daß er auf unsere Rückkehr achten müsse. Wir würden am jenseitigen Gestrüpprand laut »Washington« rufen und dann aufrecht über die Grasfläche laufen.

»Los!« sagte der Major. »Ich wette meinen Kopf, daß innerhalb fünfhundert Yards überhaupt kein Spanier ist, sonst wäre die Schießerei schon längst losgegangen!«

Aber trotzdem verzichteten wir, ohne ein Wort darüber zu verlieren, auf falsches Schamgefühl und krochen sehr vorsichtig auf dem Bauch durchs Gras, uns innig und liebevoll an Mutter Erde anschmiegend.

»Sehen Sie was?«

»Nein, Major.«

Wir kamen der Gestrüpplinie näher und suchten Busch für Busch mit unseren Feldstechern ab. Vorne links, dreihundert Meter vielleicht entfernt, stieg ein Hügel empor, der erste einer sich weithin erstreckenden langen Hügelkette. Auf den steuerten wir zu, immer auf dem Bauche rutschend. Wir sahen nichts und hörten nichts. So gelangten wir bis zum unteren Hügelrand. Wohl eine Viertelstunde lang lagen wir hinter einem Baum und suchten den Weg durch die Gläser ab. Dann krochen wir wieder vorwärts, uns mit Händen und Füßen einkrallend, denn der Abhang war steil.

»Suchen Sie die Kuppe ab!« flüsterte der Major.

Ich machte einen Bogen hin, einen Bogen her. Sah nichts.

»Nichts?«

»Nein.«

»Großer Gott! Eine einzige spanische Batterie hier oben könnte uns den Teufel zu schaffen machen!«

»Es ist unglaublich!« Er lauerte hinter einen Busch und schob vorsichtig die Zweige auseinander. »So! ich kann sehen! Decken Sie mir den Rücken und achten Sie auf jedes Geräusch!« Ewigkeiten schien mir sein Schauen zu dauern. Auf dem Bauche liegend starrte ich um mich, daß mir die Augen tränten, bis endlich der Major leise pfiff und aus dem Busch zu mir kroch. »Nehmen Sie meine Stelle ein,« sagte er. »Sehen Sie sich zuerst die Karte an. Wir sind im Santiagotal ... Dies hier ist das San Juan Flüßchen. Auf diesem Hügel sind wir. Nun passen Sie auf: Sie werden in viertausend Yards Entfernung etwa in ganz unbestimmten Umrissen Gebäude sehen. Das ist Santiago de Cuba. Das Glitzernde zwischen den beiden Waldlisièren ist das Flüßchen. Suchen Sie das ganze Vorgelände ab, ob Sie Truppen oder irgend etwas Bewegliches entdecken können.«

Ich kroch in den Busch, mich im Blattwerk deckend, und guckte zuerst mit bloßen Augen, dann durch das Glas. Gestrüpp – Wald – helle Flecke – wellige kleine Hügel, die wie in Nebel eingehüllt zu sein schienen – ein grauer Streifen am Horizont, auf dem ich im Glas deutlich die Rote Kreuzflagge unterschied. Dann suchte ich, zitternd vor Aufregung, die hellen Flecke ab, und mir schien, als ob ich einmal oder zweimal auf dem Grasfleck vor einem der kleinen Hügel ein Glitzern sähe.

»Bei den Hügeln dort – dicht beim Flüßchen!« murmelte ich.

»Richtig!« sagte der Major. »Dort bewegen sich zweifellos spanische Truppen. Aber suchen Sie vor allem das nähere Vorgelände ab!«

Ich suchte und suchte, Busch bei Busch. Fleck bei Fleck. Das schmale Tal erstreckte sich, ein schwer übersehbarer Geländemischmasch von Gestrüpp und wirklichem Wald und hellen freien Grasstrecken in fast immer gleicher Breite von sechs- oder siebenhundert Metern, bis an den grauen Streifen, der Santiago bedeutete. Seine Breite trennte uns von unseren Vorposten, die drüben auf der welligen Talgrenze am Waldrand standen. Das Flimmern dort vorne konnte ich wieder deutlich wahrnehmen. Sonst sah ich nichts. Der Major war zu mir gekrochen.

»Noch etwas gesehen?«

»Nein, Major.«

»Wie weit schätzen Sie die Entfernung bis zu der Wellenlinie, wo Sie das Flimmern sehen?«

»Dreitausend Yards.«

»Hm. Zweitausendfünfhundert!« brummte er. »Ich denke, wir haben genug gesehen.«

Dann ging es zurück. Ich war jetzt gründlich nervös geworden und ich glaube, dem Major ging es ebenso, denn im gleichen Impuls verzichteten wir auf das langsame Kriechen und rannten in langen Sprüngen von Baum zu Baum und von Busch zu Busch der auffälligen Truppe von Mangobäumen zu, die wir uns wohl gemerkt hatten. Am Gestrüpprand brüllten wir laut:

»Washington!«

»Freunde ...« hallte es herüber, und wir schnellten uns vorwärts im Gras, so schnell uns nur die Beine laufen wollten, sehr froh, wieder im Schutze der Vorposten zu sein.

»Prosit!« sagte der Major und reichte mir seine Feldflasche. »Bitte, trinken Sie mit Andacht, denn das ist ewigalter Kentuckywhisky, und die Götter mögen wissen, wann uns ein solcher Trunk wieder beschert wird.«

Er lachte ein unfröhliches Lachen. »Uebrigens haben wir unsere Hälse umsonst riskiert. Die San Juan Verteidigungsstellung – das ist dort, wo wir das Flimmern sahen – ist dem Hauptquartier bekannt. Halten Sie nur den Mund über unseren Spaziergang, sonst werden wir auch noch ausgelacht! Ich hatte gehofft, auf der Hügelkette da drüben Artillerie zu entdecken – na, und damit ist's Essig gewesen! Die Geschichte war also umsonst.«

Da kam ich mir gar nicht mehr wichtig vor.

 

Die Pechfackel auf dem alten Zaunpfosten warf feuerrotes, flackerndes Licht über die Zelte des Hauptquartiers. General Shafter saß auf einem Feldstuhl, gegen die Zeltwand gelehnt, und sah mit seinen scharfen grauen Augen von einem zum andern der Offiziere, die ihn umstanden. Auf großen Kisten links und rechts neben ihm brannten in Flaschenhälsen Kerzen. Um ein Uhr nachts übernahm ich den Hilfsdienst beim Instrument, zusammen mit Souder, und wenige Minuten später brachte ich dem General eine Depesche. Vom Generalquartiermeister in Siboney, der den Abgang eines Maultiertransports mit Infanteriemunition meldete.

»Jesus Christus, was warten Sie noch, Mensch!« herrschte Shafter mich an.

»Die Unterschrift, General.«

»Unterzeichnen Sie!« befahl er einem Adjutanten, der nun seinen Namen in mein Depeschenbuch kritzelte. »Marsch, Signalmann!«

Ein sacksiedegrober Herr, der Jesus-Christus-General!

Eine Viertelstunde verging. Da kam der Major zu uns ins Signalzelt gekrochen und sagte, gemütlich dahockend, auf den schwarzen Schnurrbart beißend, wie das seine Art war: »Hm – Souder – Carlé – nein, kann euch nicht brauchen – sollt bei mir bleiben. Sie können nachher Hastings wecken, Carlé, und ihn in mein Zelt schicken. Der rechte Flügel, Kinder, greift bei Tagesanbruch an, und General Chaffee braucht Flaggenmänner. Ich werde Hastings hinschicken und zwei Mann. Wir werden ebenfalls bei Tagesanbruch losmarschieren und die Linie im Santiagotal legen und bei Gott, ich glaube, wir haben das bessere Teil erwählt wie Martha in der Bibel. Müßte mich sehr irren, wenn sich die Hauptaffäre nicht bei unseren Hügeln« – er zwinkerte mir zu – »abspielt. Mund halten, Kinder! Ich bitte mir übrigens aus, daß morgen flott gearbeitet wird!«

»... Jesus Christus!« gellte es herüber vom Zelt des Kommandierenden.

Und dann brachte ein Adjutant eine Depesche, die merkwürdigerweise nicht chiffriert war. So ungefähr lautete sie:

»Kommandierender General der Armee, Washington. – Greife bei Tagesanbruch an. Brauche Verstärkungen, Proviant, Hospitalschiff. – Shafter.«

Da schien es uns, als wollten die Minuten so gar nicht vergehen, und wir fluchten fürchterlich über den Kleinkram von Depeschen nach Siboney, die alle mehr Proviant, mehr Munition forderten. Souder, der ein Künstler im Bearbeiten des Tasters war, telegraphierte mit fabelhafter Geschwindigkeit, wollte er doch die Arbeit loswerden und schwatzen. Zwanzig Minuten lang hielt es der Sergeant in Siboney aus, dann unterbrach er:

» p p p Privat. Höll' und Verdammnis, seid ihr verrückt geworden? Ich komm' nicht mehr mit – hab doch keine Schreibmaschine hier – muß bleistiftkritzeln – lang-samer!!«

»Arbeite, mein Sohn!« antwortete Souder. »Und sei nicht so verdammt vertraulich. Wir sind in den Vorposten und du bist sicher vom Schuß – also arbeite wenigstens, Freund!«

»Warte – wenn ich dich erwische ...« kam es wütig klickend zurück.

Woraus hervorgehen mag, daß wir nicht etwa letztwillige Verfügungen trafen und uns gegenseitig letzte Lebewohlbriefe an unsere Bräute anvertrauten, wie das in frommen Bilderbüchern von Soldaten vor der Schlacht berichtet wird, sondern daß wir uns einfach bodenlos freuten – wie kleine Jungens, denen die Mama gesagt hat: »In fünf Minuten dürft ihr auf die Straße und Indianer spielen!«

 

Die tief heruntergebrannte Pechfackel loderte. Auf dem schlammigen Weglein draußen zog es immerwährend, ohne Aufenthalt, vorbei von Männern, so müde, daß sie gebeugt schritten. Regiment auf Regiment passierte. Mann hinter Mann, so schmal war der Pfad. Graubärtige Obersten – Rekruten mit Kindergesichtern. Bodenlos war das Weglein geworden, und die Füße der keuchenden Menschen machten bei jedem Schritt und Tritt ein merkwürdig plumpsendes, saugendes Geräusch, wenn sich die Stiefel aus dem zähhaltenden Schlick befreiten.

Regiment auf Regiment zog vorbei, dem Feind entgegen.


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