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Nach Santiago de Cuba!

Das Hauptquartier wird energisch. – Die Enttäuschung der Männer in den Schützengräben. – Die verbotene Stadt. – Wir werden nach Santiago beordert. – Das Legen der Linie. – In den spanischen Schützengräben. – Ein Tauschgeschäft mit den hungrigen Spaniern. – In der Stadt. – Die toten Gäßchen. – Von Licht und Schatten. – Das Hauptquartier des Siegers.

Der Klopfer des Instruments überschüttete uns mit Punkten und Strichen.

»Noch mehr?« fragte Souder zwischen zwei Telegrammen bei S 0 3 an.

»Massenhaft mehr!« kam die Antwort.

Sergeant Hastings saß am Schlüssel drüben auf der Blockhausstation, der beste Sender des Korps, und unter seinen geschickten Fingern wurde das mechanische Klicken des Messingstängchens zum lebendigen Sprechen: so mühelos verständlich, daß der Sergeant und ich uns zwischen Schreiben und Lauschen fortwährend unterhalten konnten, wenn auch in abgerissenen Sätzen – – und jeder Satz ungefähr würde uns ein Kriegsgericht eingetragen haben, hätte der Generalstabsoberst, der »auf Befehl des kommandierenden Generals« die Depeschen zeichnete, all die Unverschämtheiten mit anhören können.

»Jawohl! Jaw–oohll! Reiß' das Maul nur recht weit auf, mein Sohn! Schrei' Befehle, daß dir die Hosenträger platzen! Denn du weißt es ja, daß jetzo tiefer Friede herrscht in dieser schönen Gegend – und du verstehst dein Metier und du weißt es ja, daß alle Kriegskunst im Frieden darauf hinausläuft, recht laut und recht viel zu kommandieren! Auf daß jedermann möglichst chikaniert werde! Hol' dich der Teufel! – Was sagt er?«

»Es ist mit Strenge darauf zu achten, daß alles Trinkzwecken dienende Wasser gehörig abgekocht wird –« klickte der Klopfer.

»Gehörig abgekocht wird!« höhnte Souder. »Du bist ja von vorgestern. Oberstchen. Wer jetzt nicht schon die Cholera im Bauch hat, kriegt sie nimmer. Kable lieber nach Washington und sorge dafür, daß sie uns endlich gar nichts schicken als immer nur Speck und Speck und Speck! – Was ist das?«

»Offizieren darf ohne Erlaubnis des kommandierenden Generals, der diese Erlaubnis nur in besonderen Fällen erteilen wird, Urlaub nach Santiago de Cuba nicht gewährt werden.«

»Aha! Die Schulterstreifen dürfen auch nicht hinein! Was dem Regulären recht ist, muß dem Leutnant billig sein. Der Reguläre könnte sich besaufen, und der Leutnant vielleicht auch, aber sicherlich der Herr Oberst. Also geht nur der Herr Oberst ins Städtchen, damit er mehr unter sich ist! Oh – hol dich der Teufel!«

Dabei lag natürlich in den telegraphischen Befehlen zielbewußte Vernunft, während die Kritik des Mannes hinter dem Gewehr purste Unvernunft darstellte. Begreifliche Unvernunft jedoch. Dem begeisterten Jubelgeschrei des Sieges war in einer kurzen Stunde ganz gewöhnliches Geschimpfe gefolgt in den Schützengräben. Die derben alten Regulären da droben auf dem Hügel drückten sich noch viel saftiger aus als der lustige Signalsergeant. Als sie die Fahne flattern sahen über dem Friedensbaum, hatten sie sich eingebildet, daß es ein paar Stündchen höchstens dauern könne, bis der Befehl gegeben würde, männiglich solle seine Siebensachen zusammenpacken zum Einzug in die Stadt. Hei – oh – zum Marsch in die Stadt! So mancher mochte zungenschnalzend kalkuliert haben, was für schöne Dinge die silbernen Dollars in der Tasche alle kaufen konnten – diese silbernen Dollars, die so völlig wertlos und vergnügungsbar gewesen waren seit Wochen im Drecklager.

Ausgerutscht!

Die Träume von netten Mahlzeiten, reinen Betten und dankbaren, vom spanischen Joch befreiten Mägdelein zerrannen in völliges Nichts. Es fiel dem Jesus-Christus-General gar nicht ein, seinen braven Truppen im Namen des dankbaren Vaterlandes begeistertes Lob und dergleichen zu spenden und sie einzuladen, sich doch Santiago gütigst anzusehen. Sondern er telegraphierte kurz und grob, jeder Mann, der ohne Paß in der Stadt angetroffen werde, würde vor ein Kriegsgericht gestellt und schwer bestraft werden! Das Hauptquartier telegraphierte des Ferneren, sämtliche Regimenter sollten sofort Zeltquartiere beziehen. Rund um jedes Zelt seien Abzugsgräben für das Regenwasser zu graben. Die Zeltgassen gehörig zu drainieren. Die Verpflegung der Truppen habe von nun an wieder durch die Kompagnieküchen zu geschehen. Die kommandierenden Offiziere wurden ersucht, für Reinigung der Wäsche und Uniformen ihrer Mannschaften zu sorgen. Und so weiter und überhaupt!

Die braven Regulären aber, die so gern in der Stadt des Feindes spazieren gegangen wären, fluchten abscheulich. Was wußten sie davon, daß Santiago de Cuba ein Fiebernest war mit primitivsten sanitären Verhältnissen und unmöglich als Quartier für tropenungewohnte Truppen, ehe Ströme von Karbol den Unrat weggefegt hatten! Was wußten sie davon, daß ein kommandierender General die Zügel der Disziplin fester in die Hand nimmt, ehe er eine siegesübermütige Armee in eine eroberte Stadt führt! Sie wußten nur, daß weiterkampiert wurde in Regengüssen und Sonnenbrand – – – Sie sollten nicht in wirklichen Betten schlafen können – nicht auf wirklichen gepflasterten Straßen wandeln – nicht wieder Menschen sehen, die keine Uniform trugen – nicht wirkliches Brot sich kaufen können – –

Hei – oh, wie wurde da geschimpft auf den Hügeln!

Wir schimpften mit.

Am nächsten Tag aber wandelte sich unser Schimpfen in freudige Ueberraschung. Ein Diensttelegramm befahl dem Sergeanten Souder und dem Signalisten Carlé kurz und bündig, sich sofort bei der Blockhausstation zu melden. Zum Linienlegen nach Santiago de Cuba. Zwischen drei und vier Uhr nachmittags brachen wir von der Blockhausstation auf, der Major Stevens, ein Kabeltelegraphist von Siboney, drei Sergeanten und zwei Signalisten. In fünfzehn Minuten hatten wir den Draht vom Hügelgipfel zum Friedensbaum gespannt. An diesem Tag kümmerte sich keiner von uns darum, daß die Sonne einem glühendheiß auf den Schädel brannte und das schweißige Hemd patschnaß am Leibe klebte und der Atem in kurzen Stößen kam und ging. Vorwärts, nur vorwärts! Nach Santiago de Cuba! Wir liefen nicht mehr mit den schweren Drahtrollen, sondern wir rannten. Mir war nicht wohl zumute dabei. Aber ich pfiff auf das sonderbare Flimmern vor den Augen und die eigentümliche Schwere und Benommenheit im Kopf. Mochten sie doch rumoren, die Magenkobolde und die Fieberteufel! Ich hatte an andere Dinge zu denken. Ich hatte Eile. Wir rannten. Durch das Gestrüpp der Hügelniederung, der gelben Linie zu, die die Straße nach Santiago de Cuba bedeutete.

»Links – links!« keuchte der alte Sergeant Hastings, der neben mir lief. »Nach dem Baum dort. Und ein bißchen langsamer. Ich bin mir in meinem Leben noch nicht so ausgepumpt vorgekommen. Sie sehen übrigens extra miserabel aus!«

»Mir fehlt nichts.« sagte ich.

»Na, mir auch nicht,« brummte er, »aber ich könnte gerade nicht behaupten, daß ich jünger und gesünder geworden bin!«

Weiter – weiter. Wir arbeiteten in kleinen Gruppen von je zwei und zwei Mann. In dem offenen Gelände mußte der Draht sorgfältig von Baum zu Baum gespannt werden. Ich erkletterte zwei Bäume, und sauer genug wurde mir das Steigen, so bequemen Halt auch die vielen Aeste der Mangos boten. Ein halbes dutzendmal fehlte nicht viel und ich wäre gefallen. Nein, gesünder war ich nicht geworden!

Da tauchten bei einer Baumgruppe Gestalten in amerikanischen Uniformen auf und eine laute Stimme befahl uns, zu halten. Der Leutnant, der den Posten von fünf Mann kommandierte, kam herbei, und wir mußten einige Minuten warten, bis der Major, der weiter hinten die Linie prüfte, erschien und dem Offizier unsere Pässe vorwies.

»Die spanischen Regimenter haben die Schützengräben verlassen,« meldete der Offizier, »und kampieren auf der Straße nach Santiago entlang, links und rechts vom Weg. Sie werden binnen wenigen hundert Schritten auf das erste spanische Lager stoßen, Herr Major. Ich habe Befehl, passierenden Offizieren und Mannschaften eine Anordnung des kommandierenden Generals zu übermitteln –«

»Weiß schon, weiß schon,« nickte der Major. »Signaldetachement – attention!«

Wir stellten uns erwartungsvoll in Reih und Glied. Der Leutnant las:

»Der kommandierende General befiehlt, daß jede herausfordernde Haltung den Spaniern gegenüber vermieden wird. Die Entwaffnung der spanischen Armee und die Besetzung von Santiago findet erst in einigen Tagen statt. Spanische Offiziere sind zu grüßen wie die eigenen Vorgesetzten. Besuch von Restaurants oder Wirtschaften in der Stadt ist verboten. Sie sind übrigens geschlossen.«

Der Major betrachtete uns vom Kopf bis zu den Füßen und sagte dann schmunzelnd: »Sergeanten und Signalisten! Ich habe in meiner militärischen Laufbahn noch niemals eine so verwahrloste und klapprige Gesellschaft gesehen wie euch. Sergeant Hastings – aus Ihrem rechten Stiefel guckt Ihr Zeh! Im übrigen weiß ich nicht, wer am schmutzigsten und abgerissensten ist. Ich bitte mir aus, Hastings, daß Sie als ältester Sergeant das in Ordnung bringen. Sie werden in der Stadt irgend einen englischsprechenden Kubaner auftreiben, es gibt deren genug, und ihn auf meine Kosten als Putzer für das Detachement anstellen. Die nötigen Einkäufe an Wäsche und so weiter besorgen Sie ebenfalls auf meine Kosten, Sergeant. Jeder Mann nimmt zweimal täglich ein Glas Whisky mit einem Chininpulver – für den Whisky und das Chinin werde ich sorgen. Achtet auf eure Gesundheit, Leute! Ich bin sehr zufrieden mit euch.«

Weiter ging's. Mit verdoppelter Schnelligkeit. Wie mir ging es wohl jedem andern: Das Wasser lief einem einfach zusammen im Munde, wenn man an dieses Dorado von frischer Wäsche und kubanischem Putzer und Reinlichkeit dachte!

Wenige hundert Schritte nur hatten wir die Linie weitergelegt, als uns eine angenehme Ueberraschung wurde. Da, wo die eigentliche Straße begann, die in scharfem Bogen von Osten herkam, lagen im Gras eine umgestürzte Telegraphenstange und verwickelter Kupferdraht. Einige Meter weiter begann die Stangenreihe. Soweit wir es durch die Gläser erkennen konnten, war die Leitung dort intakt.

»Anschließen!« befahl der Major vergnügt. »Das Ding scheint zwar aus uralten Zeiten zu stammen, wird aber wohl funktionieren. Die Linie wird bei jedem zehnten Pfosten geprüft.«

So ging es sehr rasch vorwärts. Dicht hinter dem Gestrüpprand zweigten rechts und links von der Straße die spanischen Schützengräben ab. Sie waren viel flacher gegraben als die unsrigen auf den Hügeln und boten wirksamen Schutz eigentlich nur liegenden Truppen. Das Wunderbare aber war, wie die Spanier jede Baumgruppe, jede winzige hügelige Welle zu einer kleinen Festung gestaltet hatten. Wo Bäume standen, war inmitten der Baumgruppen der Boden tief ausgehöhlt worden, so, daß ein halbes Dutzend Schützen in der Höhlung lauern konnten. Viele Reihen stacheligen Drahts verbanden Baum mit Baum. Stacheldraht war überall. Scharfschützen in diesen Löchern mußten fast unerreichbar gewesen sein für Infanteriefeuer und hatten Dutzende von Angreifern, die der Stacheldraht behinderte, wegschießen können. Der Major schüttelte fortwährend den Kopf, und einmal platzte er heraus:

»Das wäre eine nette Bescherung gewesen – –«

Die Straße wurde breiter, der Boden ebener, wie festgestampft. Wir hörten Stimmen aus dem dünnen Gebüsch, das den Weg einsäumte, und ein spanischer Offizier trat auf die Straße: eine schlanke Gestalt in schneeweißer Uniform mit Goldlitzen an den Aermeln und am Kragen. Er blieb überrascht stehen, salutierte den Major in straffer Haltung, wandte sich rasch und verschwand wieder im Gebüsch. Einen Augenblick nur hatte ich in das tiefernste junge Gesicht gesehen, aber der Schmerz, der Haß in diesen Augen machten gewaltigen Eindruck auf mich. Der Gedanke schoß mir durch den Kopf, was ich wohl empfinden würde, wären wir besiegt worden. Was war mir Amerika! Mir, dem Fremden, der sein Leben zu Markte getragen hatte im Spiel! Und ich wußte, daß ich bitterunglücklich gewesen wäre, läge das Sternenbanner im Staub. In fröhlichem Uebermut und tollem Abenteurerdrang nur war das Spiel gespielt worden, aber es hatte Stärkeres ausgelöst, wie gutes Spiel es muß. Zusammengehörigkeit. Seit den Tagen im Tal von Santiago ist mir die Flagge der Vereinigten Staaten viel mehr gewesen als ein gleichgültiger Fetzen in Rot und Blau wie all die vielen anderen, die mich als Deutschen nicht kümmern. Es gibt Spiele, die man nicht vergißt.

In einem sonderbaren Gefühl von Mitleid beinahe und doch brennender Neugierde sah ich mich um. Das Gebüsch an den Wegseiten wurde lichter nach wenigen Schritten. Gestalten tauchten auf im Gezweig und tiefen Gras: helle Uniformen, Zelte. Mitten zwischen spanischen Truppen marschierten wir nun, und wenn wir hielten, um die Linie zu prüfen, umdrängten die Soldaten uns in Haufen.

Sie sahen alle bleich und abgemagert aus. Die dünnen Uniformen waren schrecklich abgerissen. Die meisten hatten keine Stiefel an den Füßen, sondern Segeltuchschuhe mit Sohlen aus Stricken. Sie trugen keine Waffen. Ihre Gewehre waren nicht ordentlich in Kompagniereihen zusammengestellt, sondern in großen Pyramiden aufgestapelt mit Haufen von Bajonetten daneben. Die Zelte waren erbärmlich: Stücke Segeltuch, an einen Baum oder einen Busch gebunden und dachartig schräg gegen den Boden gespannt. Viele Spanier lagen gleichgültig da, Zigaretten paffend. Andere schnatterten aufeinander ein mit vielem Gestikulieren. Manchmal sah uns einer finster an, aber die meisten schienen lustig genug und winkten uns zu. Wieder prüften wir die Linie. Ein spanischer Unteroffizier, an seinem Aermel wenigstens war eine schmale goldene Tresse, trat an mich heran und zog mir eine Patrone aus dem Gürtel. Dafür gab er mir einen Rahmen mit fünf Mauserpatronen.

»Pour souvenir!« sagte er in gebrochenem Französisch.

Im Augenblick folgten andere seinem Beispiel, und ein Handelsgeschäft mit Patronen entwickelte sich. Die Leute hatten alle Hunger! Das wußten wir und hatten uns auf der Blockhausstation Tornister und Taschen mit Speckstücken und Zwiebäcken vollgestopft, die es im Ueberfluß gab. Die stets hungrigen armen Teufel von Cubanos waren ja wie besessen hinter einem Stück Hartbrot her. Als Trinkgelder und Dolmetscher hatten uns die Rationen Onkel Sams in Santiago dienen sollen. Nun wanderten sie in die Mägen der spanischen Soldaten am Weg. Die Spanier rissen uns die Speckstücke und die Zwiebäcke aus den Händen, so schnell wir sie nur aus den Feldtaschen hervorholen konnten, drängten uns Zigaretten und kleine Flaschen mit Rum auf dafür und bissen verhungert in das Hartbrot hinein, als sei es ein köstlicher Leckerbissen.

An Regiment auf Regiment kamen wir vorbei. Pfade zweigten ab links und rechts, und zwischen den Bäumen leuchteten grelle Farben im Sonnenschein, weihe und gelbe und blaue, die ersten Häuser Santiago de Cubas. Dann verschwanden die Bäume, und aus dem Weg wurde eine breite Straße, die zwischen hölzernen Hütten hinführte, in denen die Aermsten von Santiago wohnten. Da und dort an einer Ecke lungerten Männer und Weiber in zerfetzten Kleidern, aber sie schlichen scheu davon, als wir näher kamen. Splitternackte Kinder mit schrecklich aufgedunsenen Bäuchen rannten schreiend in die Hütten.

Die alte Drahtlinie führte schnurgerade den Weg entlang in eine schmale Gasse von Steinhäusern. Dröhnend hallten unsere schweren Schritte auf dem holperigen Pflaster. Flache Dächer hatten die Häuser und klein und niedrig waren sie und grell und bunt angestrichen. Aber sie sahen uralt aus trotz der leuchtenden Farben. Die Steinstufen an den Toren waren tief ausgetreten.

Totenstill und verlassen lag das Gäßchen da. Was es an Leben barg, versteckte sich hinter massigen Türen mit bronzenen, kastilischen Löwen als Klopfern und vergitterten Fenstern. Auf die grellen Häuserwände warfen die Sonnenstrahlen blendendes Licht, und schwer und schwarz lag der Häuserschatten auf dem Pflaster. Aus den alten Mauern schien dumpfe Moderluft zu quellen. Still war es, so still, daß man leiser auftrat. Die Gäßchen und die Häuser schienen zu schlafen. Dunkel war es fast. Was die glühende Sonne an Lichtfreudigkeit auf die gelben und weißen Wände zauberte, löschten die vielen dunklen Schatten wieder aus, die lang und spitz und breit und stumpf in totem Schwarzviolett sich über die Gasse hinzogen und über Türen und Fenster krochen. Zwischen den spitzen Pflastersteinen wucherte Gras, und auf dem Fußsteig trat man in tiefe Löcher. Nirgends war ein Mensch zu sehen. Kein Gesicht zeigte sich hinter all den Gitterfenstern.

Mehr schmale Gäßchen. Mehr gelbe, blaue, weiße Häuserchen, alle alt und alle verwittert. Ueber einem flachen Dach ragte in der Ferne fein und zierlich der Kathedralenturm in das tiefe Blau.

An der Ecke, bei einem Brunnen, in dessen Steinwände viele Jahre und viele Wassertropfen große Löcher gefressen hatten, stand ein amerikanischer Kavallerist, Karabiner im Arm, und deutete nach vorwärts, wo das Gäßchen sich verbreiterte. Und bald wurde aus der Stille Lärm. Zwar sahen die kleinen Häuser noch immer über alle Maßen alt und verträumt aus, und vor Fenstern und Türen lagen hölzerne Läden, mit schweren Eisenstangen fest verschlossen. Aber Inschriften in gelben und goldenen Lettern über Türen und Schaufenstern zeigten, daß hier doch noch lebendige Menschen wohnen mußten, die arbeiteten und kauften und verkauften. Weiter oben standen sie, die lebendigen Menschen, in dichten Gruppen; einem knallgelben Haus gegenüber. Sie trugen spitze Strohhüte und dünne Hosen und Jacken, bald braun, bald weiß, bald farbig, aber immer zerfetzt. Weiber waren dazwischen mit wirrem Haar und kurzen Röcken, unter denen die braunen Beine hervorguckten, und neben ihnen kauerten nackte Kinder. Alle schrien und zeterten. Sie schrien nach Brot, denn unter der armen Bevölkerung von Santiago herrschte arge Hungersnot. Spanische Gendarmen drängten sie zurück. Vor dem knallgelben Haus scharrten und wieherten viele Pferde, von amerikanischen Regulären gehalten. Offiziere kamen und gingen. Es war das Hauptquartier des Siegers.


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