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Der Viererzug.

(1900)

Mein Groll gegen Onkel Heinrich war grenzenlos. Bitten hatte ich müssen, schwören hatte ich müssen – nun wollt ich mir auch mein Mütchen kühlen. Was – was tue ich ihm an?

Da hörte ich, der Herr Graf sei zum Sejour in Gradina eingetroffen. Und schon durchblitzte mich ein Gedanke.

Ich nahm Abschied von Artur.

»Wohin?« fragte er.

»Nach Mesopotamien.«

»Was dort?«

»Krokodile fangen.«

»Von mir aus geh ins Pfefferland, dumme Gretel!«

Ein recht langwieriger Weg das – nach Gradina. Meinen Jani hatte ich dazu nicht satteln dürfen, sonst hätte Papa Lunte gerochen; so lieh ich mir vom Onkel Schafhirten die Agitza. Sie trottete brav, bloß wenn sie irgendwo Schafe sah, stellte sie ihre Tutohren auf, schrie und war nicht fortzukriegen. Und den Schäfersattel muß man gewohnt sein, er drückt sehr.

Die Gassenjungen in Gradina liefen hinter mir her und riefen mir »Eselin« nach, um mich zu ärgern. Ich sprang ab und warf dem vordersten, dem Wlado vom Bundschuhmacher, einen Kiesel an den Kopf. Da liefen sie alle. Sie sind sehr feig, die Buben in Gradina.

Ich band Agitza von innen ans Parktor und sperrte ab, damit mir die Buben meine Eselin nicht losmachen. Dann fragte ich nach dem Herrn Grafen.

Er saß im Jagdsaal und rauchte einen Tschibuk.

Überrascht sah er auf.

»... Ah, du bists, Marius? Grüß dich Gott!«

»Bin ein wenig zu Besuch gekommen. Ich wollte sehen, wie es Ihnen geht.«

»Sehr lieb von dir.« Er lachte. »Dank der Frage übrigens, es geht mir so – so. Na, ich hätte mir nicht träumen lassen, daß ich schon am ersten Tag so schönen Besuch bekomme. Setz dich!«

Ich setzte mich.

»Was macht Papa?«

»Danke, es macht sich. Ein Ochs ist krepiert.«

»Ah!«

»Ja. Hat zuviel Klee gefressen. – Jetzt dreschen sie draußen Roggen. Es schüttet recht gut, bloß Franzel ist immer betrunken. Das hat er von seinem Vater.«

»So? Wer ist denn Franzel?«

»Der Heizer von der Dreschmaschine, der ohne die zwei Vorderzähne, die ihm fehlen. – Es ist hübsch draußen auf der Pußta. Auch der Weg ist gut. Kommen Sie bald hinaus?«

»Freilich muß ich Papa besuchen, meinen alten Kriegskameraden.«

»Deswegen bin ich eben gekommen. Ich möchte Sie hinausfahren. Wissen Sie, Sie haben mich nämlich aus der Taufe gehoben ...«

»Und ...?«

»Und da möchte ich Ihnen gern zeigen, wie schön ich Viererzug fahren kann – weil Sie doch mein Pate sind.«

»Was, Teufel, Marius? Viererzug fahren kannst du? Wo hast du das her?«

»Damals, als der Banus kam, hab ichs so abgespitzt – von Papa – vom Paradekutscher – vom Zuschauen. Manchmal durfte ich auch ein wenig versuchen.«

»Das muß ich doch sehen,« rief der Graf und schellte dem Diener, damit man anspanne.

»Ich hab mir gleich gedacht, daß es Sie interessieren wird.«

»Gewiß, du sollst mich hinausfahren. Aber zur Sicherheit nehmen wir doch auch meinen Florian mit ...«

»Ist gar nicht nötig – die Pferde gehen ohnehin wie die Affen. (Ein Weißkirchner Ausdruck – ich hatte ihn von Artur.) Das Schmitzpferd galoppiert beim Angehen ein paar Minuten, dann gibt sich das auch.«

Ich fuhr also den Grafen hinaus. – Bei Dugamedja ist ein kleiner Hügel, da mußte der Herr Graf bremsen, weil ich nicht beides auf einmal konnte: bremsen und die Spitzenpferde aus dem Zug halten. Aber sonst ging es prächtig. – Agitza hatte ich im Schloßstall zurückgelassen.

Artur machte tellergroße Augen, als ich mit dem Viererzug daherkam. Auch Onkel Heinrich war sehr verwundert darüber, daß »sich der Graf mir anvertraut habe«.

Da tat Papa aber verletzt.

»Von Anvertrauen ist keine Rede, lieber Schwager. Mein Marius ist ein Mordskerl und könnte den Himmelswagen lenken.«

Der Graf bestätigte es und lobte mich sehr. Er klopfte mir auf die Schulter und versprach mir einen schönen Fuhrlohn: wenn ich mal heirate, darf ich im gräflichen Viererzug zur Kirche.

Darauf sagte ich:

»Danke, aber ich heirate erst spät. Ich möchte meinen Lohn schon heute. Wann und was, will ich Ihnen auf der Rückfahrt sagen.«

»Du fährst mich auch zurück?«

»Ich habe meine Eselstute in Gradina gelassen, die muß ich doch holen.«

Also setzte er sich wieder in den Wagen, und wir fuhren zurück.

»Was willst du denn als Fuhrlohn haben, Marius?«

»Sie sollen mir einen Tag den Viererzug borgen, ich möchte Onkel Heinrich darin spazieren fahren.«

»Sollst ihn haben, Marius.«

Ich malte mirs so schön aus: in den Graben werfen – nein, daran dachte ich nicht. Bloß sehr, sehr rasch werde ich den Onkel fahren – so rasch, wie ers vordem noch nie erlebt hat. Und Onkel Heinrich ist sehr ängstlicher Natur. Wenn er sieht, wie schneidig wir alle sind, dann duckt er sich gewiß und geht davon.

Es kam anders: weil das Schicksal es anders wollte, weil Onkel Heinrich ein gr...ader Mensch war und weil ich mir nichts gefallen ließ.

Eigentlich mochte Onkel Heinrich gar nicht mit, als ich ihn Tags darauf einlud. Er meinte, ich würde was anstellen. Ich aber bohrte und bat – und: war nicht gestern erst der Graf mit mir gefahren?

Endlich willigte er denn ein. Aber Artur mußte neben mir auf dem Bock sitzen. Hinten im Fond nahm Onkelchen Platz.

Wir schlugen zuerst ein ganz gemütliches Tempo ein. Artur fragte, wohin wir eigentlich sollten. Ich proponierte Bare. Artur war für Gradina: »weil es dort mehr Staub gibt,« setzte er leise hinzu. Staub – das haßte Onkel Heinrich nämlich. – Also nach Gradina.

»Langsam, Maria, langsam!« greinte der Onkel ein um das andremal.

Bei der Biegung vor dem Ort wollte Artur in die Zügel greifen.

»Hände weg!«

»Laß ihn nur, laß, Maria, er kann es wohl besser als du,« sagte der Onkel, »er hat ja Reiten gelernt.«

»Aber nur auf einem Pferd,« erwiderte ich bös.

Das reizte den Herrn Cousin.

»So viel wie du kann ich schon noch, vorlaute Kröte.«

Vorlaute Kröte!

»So?« äffte ich ihm näselnd nach. »Frag einmal den Fohlenhirten, was der von dir hält.«

»Was versteht der vom Reiten!«

»Ah! Der hat schon Fohlen geritten, als du noch ›Hoppa–Papa‹ machtest. Und im Winter muß er den Pferden alle Mucken austreiben, die du ihnen im Sommer beibringst.«

Artur hätte nun gern gerauft, aber der Onkel wollte es nicht dulden – mit Rücksicht auf seine körperliche Sicherheit.

»Bist du gleich still und gibst auf die Pferde acht, du Trude? Meinst du, ich will mir bei euch einen Leibschaden holen? Eine liebe Nichte! Erst der Cousin! Und der Papa, wenn man es ihm erzählt, ist stolz darauf. Schöne Familie das!«

»Onkel,« rief ich drohend, »meinen Papa laß aus dem Spiel!«

Fünf Minuten später stritten Artur und ich schon wieder. Diesmal langte er über die Zügel weg nach der Peitsche – er fand, das Handpferd liege nicht im Geschirr. Ich borte ihn mit dem Ellenbogen weg, und als er immer noch keinen Frieden gab, nahm ich alle Zügel englisch in die Linke und machte mich bereit, mit der Rechten seinen Übergriffen zu wehren.

»Wär ich nur nicht mitgefahren!« stöhnte der Onkel. »Das nimmt kein gutes Ende. Wir fallen noch allesamt in den Graben.«

Es kam aber ganz anders.

Onkel klagte sehr über den Staub. Von Gradina nach der Pußta führt außer der Straße auch an den Mühlen vorbei ein Weg – ein schmaler Weg, er ist nicht so staubig. Wir fuhren an den Mühlen. Ich ließ die Gäule los, was sie laufen wollten. Onkelchen mahnte vergebens zum Verhalten. Artur grunzte vor Vergnügen wie ein Wildschwein. – So holten wir einen Bauernwagen ein, der langsam des Weges zog. Vorfahren konnten wir nicht, dazu war es dort zu schmal.

Und wer lenkte den Bauernwagen? Wlado vom Bundschuhmacher aus Gradina, dem ich gestern den Kiesel an den Kopf geworfen hatte. Er blickte zurück – und als er sah, daß es nicht der Herr Graf war, der da hinter ihm kam, schrie er:

»He, Eselin! Möchtest du gern vor?«

Und hieb wie närrisch auf die Pferde ein.

Ich ihm nach.

»Warte, du Lump, ich werd dich lehren, mich verspotten!«

Onkel Heinrich fluchte gottlos über den Staub, den Wlado vorn machte – aber ich ließ nicht locker. Immer drauf, hinter Wlado her. Er schlug seine Pferde – ich meine. Es war eine höllische Jagd – in einer Wolke, so hoch wie die Pappeln, die den Weg einsäumten.

Bei der ersten Mühle wird der Weg breit. Ich fuhr Wlado links vor – aber nur so weit, wie meine Viererpeitsche reichte. Dann wandte ich mich um und ließ dem Lausbuben die Schnur um die Ohren pfeifen.

Er schlug zurück. Doch seine Peitsche war ja viel zu kurz und erreichte mich nicht.

Lang kämpften wir – Bord an Bord, wie zwei Kriegsschiffe – Wlado drei, vier Schritte hinter mir. Wenn er jagte, jagte ich auch. Hielt er sein Gespann, so stoppte auch ich – und knallte rastlos mit der Viererpeitsche zurück nach Wlado. Er konnte kein einzigesmal zu mir langen. Onkel Heinrich schrie hinten, als stäke er am Spieß. Ich hörte nicht auf zu hauen, bis Wlado geschlagen und zerschlagen zurückgeblieben war.

Ein Jammern und Klagen hinter uns.

Da saß ...

Ja, da saß Onkel Heinrich, ein Bild des Elends. Rot, gelb, grün, blau im Gesicht, wie der schönste Regenbogen. Ach, kein Hieb, den Wlado getan hatte, war umsonst getan worden: mich trafen sie nicht, aber der Onkel hatte sie alle abgekriegt.

»Trude! Trude!« preßte er zornig hervor. – Aber jetzt machte ich mir gar nichts mehr daraus.

Onkel Heinrich fuhr vierundzwanzig Stunden später weg. Er ist auch seither nie wieder zu Besuch gekommen.

Als der Herr Graf von Onkels Abenteuer hörte, hielt er sich die Seiten und tanzte auf einem Bein. Ich hatte gar nicht gewußt, daß er den Onkel so wenig leiden mochte.

Und der Herr Graf ließ mir von da an jedes Vierteljahr den gleichen Deputat ausgeben wie seinem konventionierten Paradekutscher: sieben Metzen Halbfrucht, drei Metzen Mais, achtzehn Wiener Pfund Fett und vierthalb Oka Salz.


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