Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Tante Barbaras Diplomatie.

(1900)

Einmal kam Tante Barbara mit Lolo zu uns zu Besuch. Sie kam nicht ohne Zweck, sondern die andern Tanten hatten sie als diplomatische Agentin hergeschickt, damit sie nach dem Rechten sehe.

Rechtes gab es bei uns damals nichts: Mama war weg, nach England gefahren – warum, weiß ich nicht – Papa und ich hausten allein. Darauf kaufte Papa noch etliche Pferde mit sehr schönem Pedigree, auch eine nette Meute, hieß die Rüden so und die Hündinnen anders und jagte alle Morgen Hasen damit. Hatte er einen bei den Löffeln, so pfiff er den Generalmarsch und nannte das: aufs Junggesellenleben pfeifen. Die übrige Zeit des Tages verteilte er gerecht auf die Wirtschaft und mich.

Tante Barbara entsetzte sich über alles, was sie bei uns sah. Als diplomatische Agentin würgte sies hinab, lächelte und fand »manche Schwäche des geliebten Schwagers ein wenig heiter.«

Papa war zehnmal klüger als Tante Barbara, zeigte es aber nicht. Dabei tat er ihr schön, daß ihr die Augen übergingen wie einer Gluckhenne. – Sie waren bald einig: Papa versprach mit dreister Miene Besserung »um Tantchens schöner Augen willen,« die Tante aber dem Papa 55 000 Gulden – die Verwandtschaft wollte das Geld vorstrecken, damit die Hypothekarschulden von Pußta Ilintzi abgelöst würden.

Als es so weit war, fuhr die Tante weg, um dem Familienrat von dem Erfolg ihrer Sendung zu berichten – ich aber sollte auf Lolo acht haben; in zwei Tagen würde die Tante wiederkommen.

Nun war Lolo ein sehr komisches Kind. Sechs Jahre und dabei so unbeholfen wie ein blindes Kätzchen. Wenn ich sie zur Unterhaltung ein wenig Wasser schöpfen ließ, war sie richtig zu leicht, den Schwingbaum herunterzukriegen, und er schnellte wieder hinauf. Dann ließ sie ihn rasch aus, wo ein andres Kind doch festgehalten hätte, und kriegte den Eimer grade an die Stirn. Ich rief:

»Lolo, du taugst keinen Pfifferling!«

Oder wenn ich sie zu den Schafen führte, damit sie mit ihnen spiele, und ich meinte, da könnte ihr doch sicher nichts geschehen: kam sie in Streit mit des Schäfers Esel, der viel stärker war als sie, fing an zu plärren, und das mochte wieder Bundasch nicht ausstehen, der mittlere von den drei Hunden. Es war, um aus der Haut zu fahren – und das sagte ich ihr auch.

Solch ein dummes Kind konnte man nirgendshin mitnehmen, sie hätte sich – Gott weiß, was – getan. Schweinehirts kleiner Stefan hatte mich für Nachmittag zum Maisbraten eingeladen – aber vorsichtig, wie ich nun einmal war, ließ ich Lolo beim alten Michel in der Schmiede und ging allein zu Stefan. Richtig zwickte sich Lolo den Finger in den Schraubstock. Sich selbst den eigenen Finger in den Schraubstock klemmen – man sollte doch denken, so dumm wäre niemand. Das sagte ich ihr auch auf den Kopf zu.

Papa war über Lolos Finger sehr böse und rief: »Himmel und Hagel, Marius, du darfst mir nun zwei Tage nicht aus dem Zimmer!«

»Wenn ich aber doch ein ganz klein wenig weggehe?« fragte ich. (Die Diplomatie hatte ich der Tante abgeguckt.)

Papa antwortete nicht, sondern ließ nur die Hetzpeitsche einmal durch die Luft sausen. Das war bei uns ein verabredetes Zeichen.

Es ist nie meine Art gewesen, mit Stärkern anzubinden. Also ging ich mit Lolo ins Zimmer.

Es war eben die Zeit, wo man allgemein Weidenflöten schnitzte. Auch ich schnitzte eine, ich wollte mit Schweinehirts Stefan drauf spielen: »Lustig tanzen, lustig tanzen – um halber zweiundzwanzig« – ich die obere, er die untre Stimme mit Herumtrampeln. Lolo plärrte, sie wolle mitschnitzen. Klugerweise gab ich ihr ein ganz altes Messer – es war so stumpf, daß man nach Paris drauf reiten konnte. Sie schnitt sich trotzdem, aber nur in den kleinsten von ihren kleinen Fingern, und schrie dabei, als hätte sie sich schon den ganzen Kopf abgehackt.

»Donner und Doria! Willst du still sein?« rief ich.

Da ward sie still und schmiegte sich an mich. Sie hatte mich sehr lieb gewonnen. Auch ich fand Gefallen an ihr und drückte ein Auge zu, wenn sie wieder etwas anstellte; und sorgte nur, daß sie sich harmlos unterhalte.

Weiß Gott, sie machte mirs schwer. Alles wollte sie anfassen, betasten – und zerlegen, um zu sehen, wie es innen aussehe – auch Dinge, die gar nicht für Kinder sind, zum Beispiel: Papas Revolver. Selbstverständlich gab ich ihr nur einen blind geladenen. Trotzdem brannte sie damit ein Loch in den Vorhang. Ich tröstete sie, so gut es ging:

»Nichtsnutzige Kröte, jetzt laß die Heulerei! Das Loch wird die Köchin schon stopfen, darauf kannst du Gift nehmen.«

Sie beruhigte sich und schwieg.

Am Abend kam Papa nach Haus und sah, daß alles in Ordnung war: ich hatte die Tür an die hundertmal aufgerissen und zugeschlagen, damit man das Pulver nicht rieche, und den Vorhang geschickt drapiert, so daß das Loch in eine Falte kam. Also erlaubte mir Papa, am andern Tag doch wieder auszugehen.

»Aber das sag ich dir, Marius – Kreuz-Janitscharen und hundert Waggons Tanten – wenn du mir mit dem Kind reitest, fährst oder schießt ...«

»I, Herrgott, wo werd ich denn!« antwortete ich begütigend.

»Na, Segen deiner Taufkerze, dir ists zuzutrauen.«

Als Lolo am andern Tag Händel mit Schäfers Esel kriegte, spuckte sie genau so durch die Zähne wie Michel, der alte Schmied, und nannte den Esel den größten Esel in drei Königreichen. Bundasch, der mittlere von den drei Hunden, drückte sich ängstlich – und ich streichelte meine niedliche Cousine und nannte sie ein Kapitalmädel. – Beim Wasserschöpfen half ich ihr ein wenig. Als der Schwingbaum hinaufschnellte, ließ Lolo die Stange durchaus nicht los – flog in die Luft, wieder runter und über den Trog hinweg aufs Stroh. Ich fragte sie besorgt, ob ihr nichts geschehen wäre. Sie antwortete:

»Donner und Do... Wie geht der Fluch doch weiter, Marius?«

»Donner und Doria!«

»Ja. Also getan hab ich mir nichts.«

Am Abend kam die Tante und drückte dem Papa sehr warm die Hand. Papa erwartete sie in Schlafrock und Pantoffeln (die hatte er sich vom Pfarrer von Gradina geborgt) und ließ Kaffee servieren. Sie sprachen lang miteinander, während ich mit Lolo Flöte blies.

»Laßt das, Kinder,« piepste die Tante plötzlich, »ihr macht mich ganz nervös.«

Lolo ärgerte sich.

»Kreuz-Janitscharen,« sagte sie, »nicht einmal pfeifen darf man mehr.«

Tante Barbara horchte auf.

»Was hast du, Kind?«

Dann wandte sie sich wieder an Papa.

Lolo und ich trieben Kurzweil mit einer Schnupftabaksdose, der Gradinaer Pfarrer hatte sie da vergessen. Als ich einmal mehr schnupfte als sie, erboste sich Lolo und krisch:

»Tausend Teufel, willst du mir gleich ...?«

Die Tante sprang auf, als hätte ein Stier sie auf die Hörner geladen, und rief im ärgsten Zorn:

»Lolo! Kind! Was hast du gesagt?«

»Tausend Teu...« stammelte Lolo und vollendete rasch: »Tausend Tanten.«

»Ach so,« sagte Tante Barbara, lächelte, setzte sich und begann, Papa eine Menge Geld vorzuzählen. Lolo sah ihr neugierig zu. Als sie fertig war, sperrte Papa das Geld in die Kasse und drückte der Tante wiederum die Hand.

Klein-Lolo sprach:

»Kreuz-Janitscharen und hundert Waggons Heidengötter, Marius – ist das eine Fuhre Geld gewesen!«

Da faßte Tante Barbara Lolo an der Hand und fuhr augenblicklich weg von der Pußta Ilintzi. Ich sah ihr traurig nach.

»Mach dir nichts draus, Marius!« sagte Papa, lachte und strich mir zärtlich das Haar. »Du kriegst statt der Cousine ein hübsches Pony, wenn du willst, auch einen Wagen und meinetwegen noch einen Revolver – sieben Millimeter – so einen für Kinder.«


 << zurück weiter >>