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Der weg nach Gradina.

(1901)

Nach Gradina, dem nächsten Marktflecken, wo es eine Kirche gab und das Postamt, nach Gradina hatten wirs von Ilintzi aus eine gute Stunde – mit guten Pferden und bei gutem Weg.

Nun hatte der Weg nach Gradina die sonderbare Eigenschaft, nie gut zu sein. Im Sommer durstete die Ebene rund um uns mit klaffenden Rissen nach Wasser: und der Weg nach Gradina stand, unbekümmert um den höllischen Sonnenbrand, noch voll der lieblichsten Pfützen – voller Pfützen der ganzen Breite nach, die so groß war wie die von fünf andern Landwegen zusammen. Jedes Fuhrwerk blieb stecken. Rief dann Papa die Gespanschaft zu Hilfe, so kam allemal zuerst eine Kommission, die meinem Papa recht gab – und dann jedes Jahr ein langer Ukas, der sich aufs Kommissionsprotokoll berief.

Papa warf ihn in die größte Pfütze, schwenkte ihn drin mit der Reitgerte um und sagte Sachen über Gespanschaft und Regierung, die streng bestraft werden, wenn sie aufkommen. Dann ließ Papa Faschinen flechten, Prügelholz und Steine fahren und besserte den Weg auf eigne Kosten aus. Die nächste Kommission der Gespanschaft sollte wenigstens bis zu jener Stelle gelangen können, wo Papa ihr zum Spott ein Marterl hatte setzen lassen mit der Inschrift:

»Halt still, entblöß den Kopf, mein Sohn,
Durchs Unglück jäh betroffen!
Hier ist die letzte Kommission
Vom Komitat ersoffen.«

 

Wars – im Juni etwa – der unwiderstehlichen Sonne gelungen, den Weg nach Gradina auszutrocknen, dann ging eine neue Plage an. Die Fahrbahn bedeckte gleich einer alten Kokette ihr Gesicht mit einer dicken Schicht von Puder. Wehe dem Wandrer, den eine eiserne Notwendigkeit zu solcher Zeit nach Gradina trieb! Sein Wagen hüllte sich in eine haushohe, undurchsichtige, erstickende Staubwolke – und die Staubwolke folgte dem Wanderer, jener alttestamentarischen Wolke gleich, die die Kinder Israels dereinst durch die Wüste geleitet hat. Sie folgte dem Wagen und zeichnete, immer höher aufwirbelnd, seine Spur weithin sichtbar in die Ebene – grade wie der Rauch, der am fernen Horizont die Eilzugslokomotive verrät. Der Wegstaub von Gradina war berühmt in drei Königreichen. Er machte jeden Wind zum Samum und legte sich immer erst nach dem siebenten Gewitter.

Im Winter wieder, wenn der Weg gefroren war, bildeten seine tief ausgefahrenen Gleise zerklüftete Wälle, seine Pfützen spiegelglatte Meeraugen. Geriet ein Pferd mit dem Huf in einen Wolf – ein Wolf ist eine locker beeiste Luftblase – so brach es sich ein Bein. Gewöhnlich aber kostete eine Fahrt nach Gradina nur eine Achse oder ein Rad – wie mir damals nach dem Hagelwetter. Federwagen hatten wir uns schon lange abgewöhnt.


Eines Tages nach der Schneeschmelze kam der Herr Rote Kohn aus Gradina zu uns auf die Pußta Mais kaufen. Er wurde mit Papa auch richtig handelseins, vier Waggons zu viereinviertel Gulden, und blieb gleich zum Mittag, um den Kauf zu begießen.

Es ging alles ganz rund und flott, nur als der Herr Kohn zur Pfeffermühle griff, da erschrak er über das Geknatter. Es war nämlich Schießpulver drin, aber nur ganz wenig, das sich beim Mahlen entzündete. Papa war deswegen sehr böse auf mich und blickte mich immerfort drohend an.

Auf einmal sagte Herr Kohn:

»Wissen Sie schon, daß der Banus heuer nach Gradina kommt?«

»Wie? Was?« fragte Papa sehr interessiert. »Der Banus? Heuer? Wann?«

»Der Tag ist natürlich noch nicht bestimmt. Gestern ist ein Schreiben der Landesregierung aus Agram an den Bürgermeister gekommen, man möge alles Nötige für die Reise Seiner Exzellenz vorsorgen, möge Vorschläge für die Empfangsfeierlichkeiten machen, ein Programm für den Aufenthalt entwerfen und so weiter. Der Banus bleibt einige Stunden.«

»Ja, aber wann kommt er?« fragte Papa beharrlich.

»O, erst im Herbst; so was wird ja immer schon monatelang vorher verkündigt.«

Fräulein Wagemund, die Gouvernante, wußte nicht, wer der Banus ist. Ich klärte sie auf: gradeso wie der Schaffner nach Papa auf der Pußta, so ist der Banus nach dem König im Land der Höchste.

»Ah, wie bei uns in Preußen 'n Oberpräsi...«

»Bitte, so was Hohes wie einen Banus gibts bei Ihnen überhaupt nicht,« unterbrach ich leidenschaftlich. Ich haßte die Preußen, weil der einzige Preuße, den ich kannte, meine Gouvernante war.


Von nun an hörte man allerorten nur noch vom Banusbesuch erzählen.

Der Herr Bürgermeister von Gradina – Papa nannte ihn den Fleckenkopf – weil ein Marktflecken doch kein Stadthaupt haben kann – der Fleckenkopf von Gradina also trug, seit er wußte, daß er demnächst eine Rede an Seine Exzellenz, den Banus halten würde, eine goldne Brille und ging nie mehr mit seiner Frau spazieren – sie war nur eine Fleischerstochter. Herr Kohn ließ ein neues Tor an seinen Laden machen, rot-weiß-blau, in den Landesfarben. Darüber eine Tafel: »Königliche Tabaktrafik« mit der heiligen Stefanskrone in Gold und Juwelen und dem kroatischen Schachbrett-, Marder- und Löwenwappen – so groß, daß man von weitem meinen konnte, Kohns Laden wäre die königliche Landwehrkaserne. Der Herr Lehrer dichtete unter Anlehnung an den berühmten Poeten General Preradowitsch einen Festhymnus und ließ ihn von der kleinen Tochter des Gemeindenotärs auswendig lernen. Jeden Tag änderte der Herr Lehrer etwas an seinen Versen – das arme Kind war blaß vom ewigen Memorieren.

Einmal sagte mir Papa:

»Mach dich fertig, Marius, wir fahren nach Gradina.«

Kaum hatten wir die Pußta Ilintzi verlassen, da blieben wir schon in der »tiefen Pfütze bei den Pappeln« stecken. (Die Pfützen des Weges nach Gradina hatten Namen – wie geographische Begriffe.) Ein Zugstrang riß, und während der Kutscher ihn ersetzte, fluchte Papa zehntausend Waggons Heidengötter, einen Dudelsack und eine Kerze auf die Regierung hernieder.

»Aber warte nur, Marius, das wird bald anders werden.«

»Halt still, entblöß den Kopf, mein Sohn,
Durchs Unglück jäh betroffen!
Hier ist die letzte Kommission
Vom Komitat ersoffen.«

So stands auf dem Marterl. Doch was war das? Da prangte ja, kaum hundert Schritte weiter, schon wieder ein Marterl? Und noch eins und noch eins und immer noch eins? Papa hatte ihrer etliche zwanzig längs des Wegs nach Gradina setzen lassen. Alle zeigten Abbildungen von versunkenen Wagen und Pferden, und drunter standen allerhand Verse:

»Hier schritt ein Ochs entlang die Straße,
Versank, ach, in der breiigen Masse.
Mußt elend seine Seel aufgeben –
Der Bürgermeister blieb am Leben.«

»Du, Papa ...«

»Was denn, Marius?«

»Darf man denn das?«

»Was denn, Marius?«

»Solche Verse auf die Herren machen?«

»Nein, Marius.«

»Du, Papa ...«

»Was denn, Marius?«

»Was geschieht einem, der nun doch solche Verse macht, wie zum Beispiel du, Papa?«

»Solch ein Mensch wird vorgeladen, mein Sohn.«

»Bist du auch vorgeladen worden?«

»Ja.«

»Für wann denn, Papa?«

»Für heute, mein Junge, und du gehst mit.«

Richtig fuhren wir aufs Gemeindeamt. Da erwartete uns schon der Fleckenkopf mit der goldnen Brille. Er sah scharf meinen Papa an, der überhaupt ein Feind der Regierung war – aber Papa tat, als merke er nichts, und war sehr freundlich. Er fragte den Herrn Bürgermeister nach seinem Befinden, sprach vom Wetter, von einem Kind, das tags zuvor von einem Apfelbaum gefallen war – und alles das so rasch, daß der Bürgermeister gar nicht zu Wort kam. Endlich wurde es dem Fleckenkopf zu dumm, und er unterbrach:

»Herr Roda,« sagte er, »ich habe Sie vorgeladen, um Sie zu vermahnen. Sie haben am Weg nach Gradina spöttische Aufschriften anbringen lassen.«

Papa sah mich verwundert an und fragte:

»Hast du dort spöttische Aufschriften bemerkt, mein Sohn?«

»Ja, Papa. Erinnerst du dich nicht? Die mit dem Ochsen und dem Bürgermeister?«

»Ganz richtig,« fiel der Fleckenkopf ein. »Ich warne Sie, Herr Roda. Lassen Sie die Dinger entfernen. Ich will vorläufig nichts davon gesehen haben; wenn die Tafeln aber nicht verschwinden, werde ich einschreiten.«

»Herr,« rief Papa und streckte abwehrend die Hand aus, »um Himmels willen, schreiten Sie dort nicht ein, Sie bleiben stecken und verlieren die Stiefel oder die Regierung einen wackern Beamten. Lassen Sie, bitte, zuerst den Weg nach Gradina herstellen.«

»Ich bedaure, wiederholen zu müssen, daß die Herstellung dieses Weges Sache des Gutsbesitzers ist.«

»Nein, der Regierung.«

»Nein, des Gutes.«

»Nein, der Regierung.«

»Nun, wir wollen sehen.«

»Ja, wir wollen sehen.«

»Ach, streiten Sie doch nicht, meine Herren,« sagte ich. »Die Regierung soll den Weg von Ilintzi nach Gradina herrichten lassen – und von Gradina zurück nach Ilintzi die Herrschaft.«

Einen Augenblick sahen mich die beiden verblüfft an; dann nannte mich der Bürgermeister eine kleine witzige Person, und Papa hieß mich einen Trottel.


Papa ward zu zehn Gulden Strafgeld verurteilt, aber nicht einmal das zahlte er. Denn mittlerweile war Mariä Geburt herangekommen, die Spätsommerfäden zogen durch die Luft, und immer näher rückte der Tag, der den Banus nach Gradina bringen sollte.

Natürlich durfte Seine Exzellenz nur mit den höchsten Ehren empfangen werden. Er mußte im Viererzug kommen, mit einem Banderium vorauf – und das Banderium sollte Papa beistellen.

So oft die Sprache darauf kam, wollte Papa – gleichsam als Entgeld für die Beistellung so vieler Leute und Pferde zum Empfang – den Weg nach Gradina gerichtet haben – bis der Herr Bürgermeister einmal ärgerlich wurde und rief:

»Herr Roda, ich schwöre Ihnen: solang ich im Amt bin, kriegen Sie die Straße nicht.«

»Und ich wette,« antwortete Papa ebenso entschieden, »daß die Straße gleich nach dem Banusbesuch von der Regierung gebaut wird.«

»Herr Roda, wenn ich schwöre und Sie wetten – wer wird da recht behalten?«

»Ich, Herr Bürgermeister. Ich behalte allemal recht. Ich wette hundert Gulden gegen zehn Flaschen Wein.«

»Gilt. Und mein Eid?«

»... ist eben Meineid,« sagte Papa und schlug in die dargebotene Rechte – zum Zeichen, daß die Wette stand.


Die Kunde vom Banusbesuch und vom Banderium sickerte zur Dienerschaft der Ilintzipußta durch und zeugte da große Erregung. Denn wenn dem Banus ein Banderium voraufreiten soll, muß jemand es wohl führen.

Ich hätte für mein Leben gern Papa an der Spitze des Banderiums gesehen – in Magnatengala, mit einer Standarte in der Faust. Tag und Nacht träumte ich davon. Papa sagte aber, irgendeiner von der Dienerschaft müsse führen. Nun rieten die Leute hin und her. Ich nahm lebhaften Anteil an ihren Sorgen.

Der Schaffner wäre der Berufenste gewesen – als ehemaliger Wachtmeister bei den Husaren. Aber er war krank.

Nun hatten wir einen unter den Kutschern, Gabriel Warga, der war ebenfalls Husar gewesen. Er kam in engere Wahl mit Bali Pali, dem Fohlenhirten. Alle ausgedienten Soldaten erklärten, nur Warga folgen zu wollen, der habe beim Militär das richtige Reiten auf dem Sattel gelernt. Die andern wieder schworen auf Bali Pali; Bali war nie zu den Soldaten einberufen worden, weil man in dem Wald, wo er zur Welt gekommen war, keine Geburtsmatrikeln führt.

Die Sache erfuhr Sonntag im Wirtshaus von Dugamedja vorläufig einen Austrag. Bali Pali zahlte seinen Anhängern Wein und forderte Warga auf, ins Gestüt mitzukommen. Dort wolle er ihm den Hengst »Vaterunser« satteln, und wenn Warga den Hengst bis zum nächsten Wirtshaus bringe, wolle Bali Pali den Reiter bis an den Tod mit Wein freihalten.

Nun fing auch Warga an, aufzuschneiden. Er nannte alle Pferde, die Bali Pali draußen auf der Weide hatte, Katzen und Ferkel. Bei der Schkadron hätten sie ganz andre wilde Tiere gehabt, erzählte er. Eins war da, das hieß »Ligelinge« (Liebling), das habe überhaupt nur Warga reiten können. Wenn man sich darauf setzte, machte es einen halben Purzelbaum und überschlug sich auf den Rücken. Einen Obersten, drei Leutnants, einen Korporal und vier Mann hatte Ligelinge schon erschlagen, ehe er in Warga seinen Meister fand.

»Warst du unter den Korporalen oder unter den vier Mann?« fragte Bali Pali höhnisch.

»Ich hätte leicht unter den Korporalen sein können,« schrie Warga, »wenn ich hätte schreiben lernen dürfen. Aber der Herr Rittmeister ließ mich nicht.«

Alle gröhlten.

»Ich durfte nicht schreiben,« versicherte Gabriel. »Das Schreiben verdirbt die Hand fürs Reiten. Man sieht ja: keiner von den Kanzleikerlen kann reiten. Und wär ich nicht gewesen – wer hätte Ligelinge bändigen sollen?«

Franzel, der Schmiedgeselle, wechselte einen Blick mit Freund Bali Pali, streifte die Ärmel über seine Eisenarme und fragte:

»Hat dich dieser Ligelinge denn auch schließlich einmal geschlagen? – Nein? – Na, dann will ichs nachholen.«

Und gab Warga eine Ohrfeige, daß der arme Teufel durch die geschlossene Tür hinausflog.

Das war das Signal. Zwei Ochsenknechte ergriffen den Schmiedgesellen, sagten, sie wollten ihn mit Bali Pali zusammenschweißen, und hämmerten auf beide los.

Bali Pali machte sich frei, rief:

»Zum Schweißen brauchts einen Blasbalg.«

Und richtete den einen Knecht als Blasbalg her, indem er ihn so lang trat, bis er blies. Hätte sich der Wirt nicht mit einer Axt ins Mittel gelegt, um alle davonzujagen – bei Gott, es wäre mehr auf der Walstatt geblieben als Gabriel Wargas linkes Ohr, das man am nächsten Tag beim Aufräumen im Sparherd fand.


Am Nachmittag des 3. Oktober sollte der Banus kommen. Zeitig am Morgen schon war die Geschäftigkeit aufs höchste gestiegen.

Papa musterte den gräflichen Viererzug, der den Banus aus Gutta nach Gradina bringen sollte, und schickte ihn nach langer Prüfung weg.

Es kam ein mächtiger Platzregen, der hielt zwei Stunden an. Papa rieb sich die Hände.

»Worüber freust du dich?« fragte ich erstaunt.

»Da – sieh, mein Sohn, den Weg nach Gradina! Der reine Sumpf, was? Den Weg wird der Banus heute fahren. Ob er ihn dann bauen läßt? Ob ich meine Wette gewinne?«

»Was, Papa? Diesen Weg wird der Banus fahren? Den Weg nach Ilintzi – zu uns? Wie ist das möglich? Wenn er von Gutta nach Gradina kommt, berührt er doch Pußta Ilintzi gar nicht?«

»Doch, Marius! Er wird hierher kommen. Ich hab das eingefädelt.«

Schlau lächelnd bestieg Papa seinen kleinen Wagen und hieß mich mitkommen.

Der Regen hatte inzwischen nachgelassen.

In Gradina rammte man geschwind noch die letzten Flaggenbäume ein und schmückte die Häuser. Am Ortseingang flatterten zwei mächtige Fahnen auf einem Triumphbogen – alle Pferde gingen davor durch. – Aus der Schule tönte der Chorgesang der Kinder, sie übten noch einmal zur Fiedel des Herrn Lehrers » Ljepa nascha domowina«, die kroatische Nationalhymne. – Zum Weinberg hinan, der sich ob Gradina erhebt, stiegen Männer mit Holz für ein Freudenfeuer – andre wieder trugen die Böller zum »griechischen Herrgott«, einem Steinkreuz am Ortseingang.

Von allen Gesichtern strahlte gehobene Stimmung.

Nur Papa, den ich zur Post begleitet hatte, fluchte unbändig – eine Bischofsnichte hätte Herzkrämpfe gekriegt, wenn sie ihn hörte.

Papa hatte nämlich den Bürgermeister hineinlegen wollen und lang vorher einen hohen Beamten der Landesregierung gebeten: er möge bewirken, daß der Banus heute auch das gräfliche Sägewerk von Bare besichtige. Dahin konnte man nur auf dem strittigen Weg gelangen, über unsre Pußta. Papa hoffte, der Banus würde so auf die Marterln aufmerksam werden. – Ein Brief aus Agram aber, den Papa eben erhalten hatte, sagte: Seine Exzellenz bedaure aufrichtig, aus Zeitmangel das Sägewerk nicht besuchen zu können.

Da saß nun Papa mit seiner Wette.

Wir fuhren nach Haus. So oft ein Rad des Wagens rumpelnd gegen eine Schrolle stieß, wünschte Papa dem Bürgermeister einen Buckel mehr an den Leib, und wenn die Speichen in den tiefen Gleisen knackten, rief er die Teufelsgroßmutter zur Firmpatin beim Fleckenkopf an.

Zu Haus, auf dem Hof der Pußta, beim Glockenturm, da standen in Reih und Glied all unsre Pferde. Ins blitzblanke Haar streute die Sonne ihre metallnen Irisfarben. Leise zupfte der Wind an den Mähnen. Da und dort hob ein Gaul wiehernd seinen schönen Kopf und schlug ungeduldig mit stählernem Huf den Boden.

Papas Miene erhellte sich, als die Pferde so untadelig dastanden.

»He, Leutchen, blickt um! Sehen die Gäule nicht aus wie aus dem königlichen Stall? Wer will ihnen ansehen, daß sie vor dem Pflug gehen müssen? Die sind für Magnaten geboren.«

Die Leute schmunzelten erfreut, weil Papa die Wartung lobte.

»Hört, ihr Leute! Ihr geht jetzt heim in den Stall, flechtet Bänder in die Mähnen und sattelt. Ihr kleidet euch an und sitzt auf. Wenn alles fertig ist, wird euch Warga paarweis ordnen und herführen. Kannst du auch reiten, Gabriel?«

»Gewiß, Herr! Ich bin ein gedienter Husar,« entgegnete Warga stolz und reckte sich.

»Gut. Gabriel Warga übernimmt hier die kroatische Fahne, Ferko die ungarische, Bali Pali Dalmatien und du, Kleiner, Slawonien. Dann reitet ihr schön, schön langsam über Gradina hinaus bis an die Gemeindegrenze, sitzt ab und wartet. Wenn ihr von weitem her den gräflichen Schimmelviererzug mit Seiner Exzellenz kommen seht, steigt ihr wieder zu Pferde, wartet auf ihn – und ist er da, schwenkt ihr die Fahnen. Alle fünfzig schreien: »Hoch! Hoch!« Dann trabt ihr los, was die Pferde können, bis Gradina und geleitet den Stellvertreter des Königs durch die Triumphpforte bis zur Kirche auf den Markt. Auf dem Markt werde ich stehen und alles übrige anordnen. Habt ihr verstanden?«

»Ja, Herr,« tönte es aus fünfzig Kehlen.


Wir saßen zwischen Suppe und Fleisch beim Mittagessen. Ich legte meinen Löffel hin.

»Du Papa,« begann ich, »mit deiner Wette bist du aber höllisch aufgesessen.«

Papa runzelte die Braunen, und Fräulein Wagemund gackerte:

»Pfui, Maria, was sind das für Ausdrücke?«

Ich setzte unbeirrt fort:

»Du hast gemeint, du kannst den Bürgermeister anschmieren – jetzt sitzt du selbst in der Tinte. Das Geld für die Marterln ist hinausgeworfen – Strafe mußt du auch noch zahlen – hundert Gulden Wette dazu – und der Banus kommt erst recht nicht nach Ilintzi. Da wirst du auch die Straße noch selber bauen müssen.«

Die Zornfalte auf Papas Stirn wies auf Gewitter, aber ich in meinem Eifer achtete leider nicht darauf.

»Am Ende wirst du gar noch in den Arrest gesperrt, Papa – wie der blinde Ilia, der das Schaf gestohlen hat.«

»Maria!« rief Fräulein Wagemund empört.

Papa sah mich wütend an und schalt:

»Sei nicht naseweis, mein Sohn – heut ist mit mir nicht gut Kirschen essen.«

»Kirschen essen! Im Oktober!« sagte ich und grinste. Mir kam das sehr komisch vor – Papa gar nicht. Er begreife nicht, wie ich so dumm sein könne.

»Hm,« antwortete ich, »teils durch Geburt teils durch Erziehung« – und ließ mein Auge leuchtend von Papa zu Fräulein Wagemund gleiten.

In diesem Augenblick kamen mir zwei Servietten an den Kopf geflogen.

»Das ist zu viel, Marius. Jani hat Arrest. Du bleibst zu Haus und rührst dich nicht aus dem Zimmer. Ich mag keinen vorlauten Fratzen mit mir in der Welt herumfahren.«

Richtig – eine Stunde später legte Papa seine Gala an, stülpte den Kalpak auf und fuhr mit Fräulein Wagemund nach Gradina.


Pußta Ilintzi war so gut wie verlassen. Männer, Weiber, Kinder, Pferde – alles war in Gradina zum Empfang des Banus. Nur am Glockenturm sonnte sich der kranke Schaffner und sah dem Futtermeister zu, dem einzigen Menschen, den die Pflicht hier festhielt.

Ich gesellte mich zu ihnen.

»Junker, was wird der Ban sagen? Ihr seid nicht bei ihm?«

»Ja, wenn ich kein Pferd hab, Futtermeister,« entgegnete ich weinend.

Die beiden Männer schwiegen und nickten. Ihnen wie mir galt das Sprichwort: »Nur Hunde gehen zu Fuß« als Glaubenssatz.

»Wie wärs mit der Agitza?« fragte der Schaffner plötzlich.

»Ha, Agitza!« jauchzte ich. »Ist sie denn hier, die Eselin?«

»Freilich ist sie hier – im Schafeingang.«

Es traf sich herrlich: der Hirt war weg, wohl auch in Gradina, und nur der kleine Lujo hütete die Schafe. Er borgte mir die Stute samt dem Lammfellsattel für eine Handvoll Tabak und half mir sogar in den Sitz.

»Glückliche Reise!« wünschte er.

Ich winkte ihm und dem Schaffner mit der Hand den Abschiedsgruß und trabte auch schon hurtig und heiter vorwärts im Zotteltrab des Wegs zum Banus nach Gradina.

»Eia, Agitza! Lauf, mein Eselchen! Heut trägst du eine Dame auf dem Rücken, die zum Banus geladen ist,« log ich der kleinen Stute vor.

Da fing sie an, zu galoppieren. Ich schlug ihr die Hacken ein und hätte vor Freude fliegen mögen über Stock und Schollen – so gut gefiels mir auf der Welt.


Je näher ich Gradina kam, desto vorsichtiger wurde ich, um Papa nicht zu begegnen. Hinter einem Busch hervor lugte ich, die Augen beschattend, nach dem Ortseingang. Da standen ein paar Herren und viele Leute an der Triumphpforte. Doch kein Reiherbusch schimmerte. Papa war nicht da.

Ich ritt nun beherzt näher. Die Leute lachten wie besessen, als sie mich erblickten, und fragten, ob ich auch zum Banderium gehörte. Als dann Agitza nicht durch die Triumphpforte wollte, da war des Spottens kein Ende.

Doch genug, ich war da, sollte den Banus sehen, ohne mit Papa zusammenzutreffen. Ich gab Agitza nach (»Seht nur, sie ist doch die Klügere!« riefen die Leute) und stellte mich weit abseits der Triumphpforte. Vom Rücken meines Eselchens ragte ich über die Menge und öffnete Augen und Ohren für das erwartete Schauspiel.

Hier unten stand nur die Abordnung der Gemeinde. Die Gespanschaft war weiter oben bei der Kirche versammelt – dort mochte auch Papa sein.

Der Regen hatte die Girlanden besprengt, den Staub gründlich gelöscht, die rot-weiß-blauen Fahnen gewaschen. Jetzt beschien die Sonne einen wunderschönen Herbsttag. Die Luft war durchsichtiger als sonst und duftete. Es war ein zauberisch wundersames Bild.

Oben auf dem Weinberg wurde eine Fahne geschwenkt: »Sie kommen.«

Bald sah man aus dem fernen Leuckfeldschen Wald einen Reiter und noch einen kribbeln – klein wie die Ameisen – das Banderium mit den Standarten.

Nervös sprang der Bürgermeister von einem Fuß auf den andern, spitzte den Mund und probierte seine Rede:

»Erlauchter Banus! Willkommen in unserm Marktflecken, der dir, kroatischer Sohn, freudig die Tore öffnet ...«

Der Lehrer hieb mit dem Taktstock in die Luft und tremolierte: »A! A! A! A!« – für die Hymne.

Immer näher kamen die Reiter, ihnen auf dem Fuß folgte das gräfliche Schimmelviergespann mit dem Banus.

Und nun geschah etwas Überraschendes:

Die Hymne war angestimmt – der Lehrer hieb in die Luft. Der Herr Bürgermeister stand bleich am Triumphbogen und zupfte seine Weste stramm.

Sie waren da – Warga, der erste Reiter, hatte mit der Fahne Kroatiens fast den Triumphbogen erreicht.

Da krachte es hinter mir. Ein Böllerschuß.

Alles, was nun kam, kam schneller als der fliegende Atem:

Agitza springt auf den Schuß hin wie ein Hirsch aus der Menge – über den Graben hinweg – und steht im selben Augenblick mitten unter dem Triumphbogen. Ich halte mich schreckgelähmt am Sattel.

Wargas Pferd hat den Esel und mich noch nicht erblickt und richtet sich schon kerzengrad auf – Warga kommt irgendwie ins Flattern – dreht sich in der Luft – plärrt – stürzt – und bleibt mit dem Stiefel an einer aufrechten Flaggenstange kopfabwärts hangen.

Ein zweiter Böllerschuß – das Banderium jagt in wildem Rudel meiner Agitza nach – Agitza trägt mich ungezügelt davon – vorbei am Banuswagen – die vier Schimmel scheuen und wenden – vorbei – vorbei am griechischen Herrgott – und gegen Pußta Ilintzi zu. Bald haben sie mich überholt – ein Stoß von hinten – ich bin umgeritten – mir schwinden die Sinne – ich stürze – springe auf ... Schmerz – Straßenschmutz im Gesicht – Blut ... Agitza liegt fünf Schritte hinter mir ausgestreckt auf dem Boden und keucht.

Ein Bauer reinigt mir Gesicht und Kleider. Ein zweiter bemüht sich um den Esel. Agitza meldet sich mit schmetterndem Röhren gesund.

Ich bin nicht allein des Schicksals Beute gewesen. Da schleicht Warga – ein barmherziger Helfer hat ihn von der Stange geholt – da schleicht er und zerrt seine Standarte im Kot nach. Links tauchen aus dem Graben die Fahnen von Ungarn und Slawonien auf.

Bali Pali, der Fohlenhirt – stolz wie ein König, auf dem wiehernden Hengst »Vaterunser«, mit der Leuenfahne Dalmatiens in der Rechten – sprengt an uns vorbei über Wargas Taffetfetzen hinweg und dem Viererzug nach. Der Viererzug samt dem Banus ist augenscheinlich nach der Ilintzipußta durchgegangen.

Eine Verwirrung ohnegleichen. Die Herren von der Gemeinde kommen und beschimpfen mich. Der Herr Bürgermeister möchte mich am liebsten schlagen – der Lehrer nennt mich eine Barbarin ohne Kunstsinn, weil ich seine Hymne gestört habe.

Man debattiert – man erzählt sich, wies geschehen ist ... – aber wo bleibt der Banus?


Seine Exzellenz, den Banus hat der rasende Viererzug – ohne Stillstand, ohne Schonung – den schrecklichsten aller schrecklichen Wege entlang bis nah an unsre Pußta gebracht. Erst beim letzten Marterl ist es dem Kutscher gelungen, die vier Schimmel zu parieren. Nun sitzt der Banus da im arg bespritzten Wagen mitten in der ungeheuern Froschlache.

Das Geschirr ist zerrissen, die dampfenden Pferde stehen zitternd still. Der Kutscher wischt sich den Schweiß von der Stirn und schielt – ein wenig schuldbewußt – auf den Fahrgast.

Seine Exzellenz hat die Sprache noch nicht wiedergefunden und zählt seine Gliedmaßen. Als er sie vollständig vorfindet, möchte er seinen Diener haben. Der Diener ist lang vorher aus dem Wagen gefallen.

»Was nun?« fragt der hohe Herr.

Der Kutscher zuckt die Achseln.

»Halt warten, Exlenz, bis daß dö Leut kummen.«

Und der Banus wartet. Er reibt die blauen Flecken an seinen Gliedern und sieht nun auch das Marterl:

»Halt still, entblöß den Kopf, mein Sohn,
Durchs Unglück jäh betroffen!
Hier ist die letzte Kommission
Vom Komitat ersoffen.«

Ehe noch Hilfe kommt, hat der Banus aus des Kutschers Mund die Geschichte der Marterln mit allem Drum und Dran erfahren. Jeder blaue Fleck an seinem Leib bedeutet ein Marterl am Rand, eine Pfütze in der Fahrbahn.

Papa war alsbald mit seinem Wagen zur Stelle, nahm mich auf und fuhr dann mit vielen andern Herren dem Banus nach. Er lud Seine Exzellenz auf die Pußta ein, und Exzellenz nahm an.

Bis zum folgenden Morgen blieb der Banus bei uns. Ich mußte ihm erzählen, wieso das Malheur geschehen war, und er bat Papa für mich um Verzeihung.

Papa verzieh um so leichter, als er ja seine Wette gewann: die Straße nach Gradina wurde gebaut, und zwar sehr bald und auf Landeskosten.

Nur einen Mann nahm sich Papa streng her: Gabriel Warga.

»Kerl, du willst Husar gewesen sein, fällst vor allem Volk vom Pferd und bleibst in der Luft hängen?«

»Herr,« winselte Gabriel, »ich bin Koch bei den Husaren gewesen ...«


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