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Onkel Alois.

(1899)

Eines Tages sprach Mama zu Papa:

»Wir sollten eigentlich Onkel Alois zu uns laden.«

»Er wird nicht kommen wollen,« antwortete Papa.

»Immerhin, eines Versuches ist die Sache wert. Du weißt ...«

»Natürlich weiß ich. Er ist ein schwerreicher Mann und kinderlos. Er soll unsern Marius kennen und schätzen lernen, dann wird er ihn im letzten Willen dereinst gewiß bedenken.«

»Willi ...,« warnte Mama und verdrehte die Augen nach mir.

»Nun?« machte Papa. »Marius ist ein gescheiter Kopf, vor ihm darf man alles sagen. – Um aber auf den besagten Hammel zurückzukommen: der alte Herr hat seine Schrullen, andrerseits auch seine Schollen, an denen er klebt, seine geordnete Wirtschaft, seine gewohnte Weise ...«

»Tut nichts. Wenigstens haben wir unsre Pflicht getan, wenn wir ihn einladen. Kommt er nicht, um so besser.«

Und er kam. Er drückte Papa die Hand, küßte Mama auf die Stirn, klopfte mir auf die Schulter und sagte:

»Himmel, ist das ein schrecklich großes Frauenzimmer!«

»Unser Mädel,« sprach Mama stolz, wie ein Tierbändiger etwa, der vor dem Käfig ausruft: »Hier, verehrtes Publikum, der Wüstenkönig, Felis leo.« Denn Mama hatte mich unendlich lieb.

Wir aßen zu Nacht und blieben noch ein Weilchen sitzen. Onkel Alois verlangte nach seiner Pfeife. Ich lief fort und brachte sie ihm gestopft und angezündet.

»Teufelsmädel!« sagte Onkel Alois.

»Was?« rief Papa. »Hast du je solch einen schneidigen Kerl gesehen wie meinen Marius?«

»Willi,« erklärte Mama, »versteht unter seinem Marius – unsre Maria.«

»Na, streitet euch nur nicht um mich,« sagte ich geschmeichelt. Papa trat mir energisch auf den Fuß, Mama puffte mich in die Hüfte.

Zuerst lächelte ich ein wenig, dann lachte ich mehr und immer mehr. Endlich platzte ich los.

»Was hat das Kind?« fragte Onkel Alois.

»Es ist zu possierlich,« preßte ich hervor.

»Was denn?«

»Daß dus noch nicht gespürt hast, Großpapa!« – Großpapa sollte ich zu ihm sagen, hatte Papa befohlen.

»Was soll ich denn gespürt haben?«

»Na, laß nur!« – Und ich lachte weiter.

Onkel Alois musterte sich von oben bis unten, sah die Pfeife von allen Seiten an und wurde nervös. Und spuckte immerzu.

Mama aber redete unentwegt von Onkelchens Landgut, um ihn von seinen Gedanken abzubringen. Sie merkte, daß ich was angestellt hatte, wußte nur nicht, was.

Paprika hatte ich unter den Tabak in die Pfeife gestopft. Erst ganz zuletzt, als Onkel Alois eben gesagt hatte: »Solch eine Pfeife ist doch was Herrliches« – da stellte sichs heraus, und Großpapa schimpfte recht arg.

»Marius, ich verbitte mir das. Ich bin dir ernstlich böse.«

»Macht nichts, wenn du mich nur dereinst bedenkst. Ich könnt es brauchen.«

Er verstand mich nicht.


Wenn Großpapa wieder einmal seine Pfeife auf dem Teppich ausklopfte, da hatte Mama nur einen Blick stummer Verzweiflung. Wenn er aber unsern Kutscher einen Esel nannte, ging Papa umher wie ein gefangenes Raubtier.

Gewiß, Großpapa hatte unangenehme Gewohnheiten. Er stand um zwei Stunden zu früh auf, hatte um zwei Stunden zu früh Mittagshunger und ging mit den Hühnern schlafen. Dann aber mußte alles in weitem Umkreis still sein. Er haßte Mamas Klavier, quälte die Köchin und zankte mit den Knechten. Er fand den Weizen einfach scheußlich, die Maistafel wie von Schweinen zerwühlt und die Schweine mager wie die Heuschrecken. Bei ihm zu Haus sei alles anders.

Als ich einst mit ihm in der Laube saß – er hatte mich recht lieb – da fragte ich ihn: warum er eigentlich nicht daheim geblieben wäre; und ob er gedenke, recht bald wegzufahren?

»Bin ich dir schon lästig, mein Kind?«

»Mir nicht ...,« erwiderte ich.

Da brach er das Gespräch ab, so gern ich es fortsetzen wollte.


Der Alte war am Abend in sein Zimmer gegangen, Papa und Mama saßen noch beisammen, ohne ein Wort zu sprechen; aber beide dachten an ihn.

»Es muß ein Ende nehmen,« rief plötzlich Mama. »Er bringt mir das Haus durcheinander. Heute läßt mich die dritte Köchin im Stich – seinetwegen.«

»Marius, geh schlafen!« befahl Papa.

Ich kehrte mich wenig daran. Ich wollte gern wissen, was es mit Großpapa würde – mit Großpapa, der mir so gut gefiel, weil er mir erlaubt hatte, jeden Tag seine Pfeife zu putzen.

»Geh schlafen,« mahnte auch Mama, »aber wasch dich vorher, du riechst entsetzlich nach Knaster.«

»Dreikönig,« verbesserte ich. Ich kannte Großpapas Sorte.

»Dreikönig oder nicht – Onkel Alois muß gehen. Ich halte es nicht länger aus.«

Papa zuckte die Achseln und pfiff: »Was fang ich armer Teufel an?« Dachte lang nach und hatte einen glücklichen Einfall:

»Ich werde ihn hinausbeißen.«

Aber wie? – wollte Mama wissen.

»Sehr einfach: wir fangen einen Streit an und lassen das Schicksal walten. Der Teil, dem er Unrecht gibt, wird ihm erzstockfeind. Dann muß er zum Kuckuck gehen.«

»Und wann machen wir das?«

»Morgen.«

»Auf morgen also! Gute Nacht, Marius!«

»Gute Nacht, Papa – Mama!«


Was, meinen lieben Großpapa wollt ihr weg haben? Er hat mir erst heute ein Vierkreuzerstück geschenkt. Ein Vierkreuzerstück – und was wirds mit den schönen roten Pfeifenquasten, deren Verlust er beim Einpacken jedenfalls bemerken wird? Dann muß ich sie wohl wieder hergeben. Und er hat mir eine Peitsche versprochen, aber noch nicht gekauft. Ich sehe sie nie, wenn er jetzt heimfährt. Nein, daraus kann nichts werden.


»Großpapa,« sagte ich am nächsten Tag in der Laube, »du solltest eigentlich noch hier bleiben.«

»Wie kommst du auf den Gedanken, Töchterchen?«

»Na, so. Du solltest bleiben – wenigstens so lang, bis ich die Peitsche habe. Es muß doch wunderschön sein, eine hübsche, gelbe Peitsche zu haben, eine lange, weißt du, von leichtem Holz. Sechs Gulden kostet sie beim Roten Kohn. Dann könntest du dich auch sonst ein wenig angenehmer machen. Ich meine so im allgemeinen.«

»Zum Beispiel?«

»Zum Beispiel brauche ich sehr dringend noch vier Kreuzer für Zündhütchen. Und Mama will nicht, daß du im Salon rumorst. Spinat kocht man bei uns nur ohne Knoblauch, und es ist nicht nötig, daß du dich darüber ereiferst. Wenn Papa und Mama streiten, so tun sie bloß so. Das solltest du wissen, du bist ja schon alt. Hast du als Kind nie Zündhütchen gehabt?«

Zu Mittag sagte mir Mama:

»Maria, du ißt wie ein Ferkel. Kann es bei dieser Erziehung auch anders sein?«

»Bei was für einer Erziehung?« fragte Papa lauernd.

»Stell dich nur nicht so – du weißts schon ganz gut.«

»Ah, geht das auf mich?«

»Auf wen sonst? Hat etwa der Haushund diesen Einfluß auf Marias Manieren geübt?«

»Das ist stark,« schrie Papa und schlug auf den Tisch. »Ich suche aus Maria einen tüchtigen Jungen zu machen, der sich einmal allein durch die Welt schlagen soll ...«

»Das ists ja eben. Damit verdirbst du das Kind. Unsre Tochter muß ...«

»Was – unsre Tochter! Mein Junge ist das.«

»Du wirst mir doch zugeben, daß Maria erstens ein Mädchen ist und zweitens uns beiden gehört.«

»Nein, nichts gebe ich zu. Jeder Mensch hat einen Ältesten. Hier kanns, da für die Stelle sonst niemand da ist, nur Marius sein. Folglich wird Marius danach erzogen, und damit basta.«

»Ohohoho! Ich habe kraft meiner Mutterrechte auch noch ein Wörtchen dreinzureden. Maria wird und muß ein braves Mädchen werden.«

»Und ich sage: nein. Wer soll einmal Pußta Ilintzi bewirtschaften? Ein Mädchen, das stricken und nähen kann? Auf die Hochschule für Bodenkultur muß Marius, ein tüchtiger Landwirt muß Marius werden, sonst verzichte ich auf alle Familienbeziehungen. – Was sagst du dazu, Marius?«

»Papa,« sagte ich, »mir ist das ziemlich Wurst.«

»Welche Sprache für ein Mädchen!« stöhnte Mama.

Ich aber setzte ungerührt fort:

»Mir ist das Wurst. Fragt doch Großpapa, was er darüber denkt.«

Papa und Mama wechselten einen freudigen Blick und riefen einmütig:

»Ja, ja, Onkel Alois soll entscheiden. Nicht wahr, ich habe recht?«

Onkel Alois paffte an seinem Knaster, spuckte auf den schönen Teppich und sprach bedächtig:

»Kinder, Kinder, Kinderchen! Liebet einander! Ich menge mich nicht ein. Wegen der paar Wochen, die ich noch hierbleiben will, möchte ich mich mit keinem von euch verfeinden.«

Da ward es ringsum still.

Onkel Alois aber machte eine Visage wie ein Fuchs, der wieder einmal der Meute entgangen ist.


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